Die Sonnenstrahlen erwärmen mein Gesicht und bringen mich zu blinzeln. Innerhalb von wenigen Sekunden wache ich auf. Ich schlage meine Lieder langsam auf und gebe mir selbst kurz Zeit. Die Decke liegt zerknittert über mir und eines meiner Beine hat sich den hellblauen Stoff geschlungen. Mein Haar liegt wild durcheinander gewirbelt auf den Kissen und die Spucke tropft mir leicht am rechten Mundwinkel hinunter. Schnell wische ich den Tropfen weg und erhebe mich dann auf dem Bett, nachdem ich ein paar Mal geblinzelt habe. Diese Leute, die am Morgen aufwachen und sofort aus dem Bett aufspringen, um sofort ans Werk zu gehen, kann ich gar nicht verstehen. Ich selbst brauche immer erste einige Minuten, bis ich aufstehe und an die Arbeit gehen kann.
Als ich in meinen Beinen wieder genug Kraft habe, setze ich mich auf und gehe zum Fenster, um es zu öffnen. Mein Bett mache ich nicht sofort, da ich irgendwo mal davon gelesen habe, dass es nicht gut ist das sofort nach dem Aufstehen zu machen. Stattdessen stütze ich meine Ellenbogen auf die steinerne Fensterbank, auf der ich in der letzten Nacht noch mit Aria gesessen habe, und atme die frische Morgenluft ein. Das fühlt sich einfach nur super an. Ich liebe die Luft am Morgen fast so sehr wie die in der Nacht. Einige Raben kreisen über dem Wald und ihr krächzen schrillt über das Land. Die hohen Grashalme der Felder um das Haus herum bewegen sich im Wind hin und her. Mein Blick wandert weiter zu den Pferden, die sich ruhig über die Wiese stampfen und gedankenverloren grasen. Auch das Pferd, auf dessen Rücken ich beim Ritt zum Rat saß, kann ich erblicken. An den Namen des grauen Hengstes mit der wunderschönen seidig schwarzen Mähne kann ich mich noch erinnern. Hoffentlich werde ich eines Tages noch einmal die Chance bekommen auf Columbus zu reiten. Plötzlich höre ich das Geräusch eines Scheunentores und mein Blick wandert weiter zu Hilley, die gerade aus der Scheune herauskommt. Sie hat ihr fließend langes dunkelbraunes Haar zu einem hohen Knoten gebunden und ein gefaltetes rot-weißes Tuch um ihren Kopf geschlungen. Ihr Körper wird von einer Latzhose, die sie mit einem weißen T-Shirt kombiniert hat, bedeckt, während ihre Füße in hohen schwarzen Reitstiefeln stecken. In diesem Moment fällt ihr Blick auf mich und sie ruft mir einen morgendlichen Gruß zu: "Guten Morgen, Stella! Komm nach unten. Es gibt gleich etwas zu essen."
Auf ihre Bitte hin entferne ich mich vom Fenster und läuft mit nackten Füßen zum Kleiderschrank herüber. Dort angekommen öffne ich die Türen und atme den Geruch der frisch gewaschenen Kleidung im Inneren des Schrankes ein. Spülmittel und frisches Wasser. Ein wunderbarer Geruch, der meine Nase verwöhnt und mich an einen warmen Frühlingsmorgen erinnert. Wie diese Assoziation zustande kommt, weiß ich selbst nicht, aber schlimm finde ich sie nicht. Mit ruhigen Händen nehme ich ein weißes Hemd und eine blaue Hose heraus. Auch zwei Stiefel finden ihren Platz auf dem Fußboden. Ich lege mein weißes Nachthemd ab und falte es ordentlich, nur um es dann in den Wäschekorb aus Cord zu werfen, der neben der Tür platziert ist. Schnell werfe ich mir das helle Hemd über. Der Stoff ist leicht, was beim Kämpfen sich hilfreich wäre. Dann lege ich auch meine Hose an und schlüpfe in die Stiefel. Mein dunkles Haar kämme ich schnell mit einem dunklen Kamm, der auf meinem Nachttischchen lag, und flechte sie dann zu einem Zopf, damit sie mich nicht ständig stören können. Bevor ich mein Zimmer wieder verlasse, schließe ich das Fenster und mache nun mein Bett, schließlich habe ich jetzt lange genug frische Luft hineingelassen. Dann spurte ich die Treppe hinunter, um mich zu Hilley zu gesellen. Unten angekommen nehme ich aus der Küche heraus ein leises Pfeifen wahr, weshalb ich den Kopf kurz in den Raum stecke, um zu sehen, wer der Verursacher dieses Geräusches ist.
Hilley steht in der Küche vor dem Waschbecken und schrubbt scheinbar gut gelaunt den hartnäckigen Schmutz von einigen Tellern. Durch eines der großen Fenster sehe ich, dass die Pferde immer noch auf der Wiese sind und entspannt herum tollen. Ach, ein Pferd müsste man sein. Dann wären einige Probleme gleich nicht mehr da. Als Hilley mich näher kommen hört, fährt sie herum und lächelt mich freundlich an: "Hast du gut geschlafen?" Ich nicke kurz und entscheide mich dann der Frau ein wenig zu helfen. Flink öffne ich einen Schrank über dem Induktionsherd und nehme einige Teller heraus, da ich vermute, dass auch die Anderen bald herunterkommen und Hunger haben werden. Hilley öffnet den Ofen und der Geruch von frisch gebackenen Brötchen steigt mir in die Nase. Als ich den Tisch fertig gedeckt habe, bittet Hilley mich etwas Wasser aus einem Brunnen in der Nähe der Scheune zu besorgen, was ich auch sofort tue.
Schnellen Schrittes kehre ich zum Haus zurück, nachdem ich, mit meinen Kräften, genug Wasser, um eine ganz Karaffe zu füllen, aus dem Brunnen geholt habe. Auf meinem Weg habe ich mir eine Strategie, mit der ich Sarah möglichst effektiv ausfragen kann, überlegt. Als ich in die Küche zurückstolpere, sitzen bereits alle am Tisch und sehen mich erwartungsvoll an. Schnell stelle ich das Wasser auf den Tisch, setze mich auf meinen Platz und lege eines der Brötchen auf meinen Teller, welches ich dann mit einem Messer in zwei Hälften trenne. Hilley nimmt die Karaffe und gießt mir etwas in ein Glas: "Du musst viel trinken, damit deine Kräfte möglichst stark bleiben." Ich schaue sie verwundert an. Das wusste ich ja noch gar nicht. Als Antwort auf ihre Worte lege ich die Lippen an das Glas und beginne langsam zu trinken. Das Wasser rinnt meine Speiseröhre hinunter und lässt mich die Kraft spüren, die dadurch in mich einkehrt. Als ich den Becher wieder abstelle, wende ich mich scheinheilig an die Person, die sich meine Schwester nennt: "Und? Hast du gut geschlafen?" "Ja, und du?", fragt sie sofort wie aus der Pistole geschossen. "Auch", erwidere ich und blicke kurz zu Aria, die einen verwirrten Blick aufgesetzt hat: "Willst du uns nicht etwas von dir erzählen?" "Äh ...", die schwarze haarige Blick durch die Runde. Ihr Blick bleibt an Ruby hängen. Die Blonde sieht sie mit einem Ausdruck an, den ich nicht zu deuten vermag und der mir ein ungutes Gefühl im Bauch beschert. Was hat das zu bedeutet? Sarah scheint den Blick jedoch deuten zu können und schaut mich direkt an, als sie den Mund wieder öffnet: "Vielleicht später." Ich bin noch nicht bereit dazu nachzugeben: "Und wann ist später?" Nachdem ich meine Frage gestellt habe, erwischt mich plötzlich Arias Fuß am Schienbein. Ich sehe sie fragend an, doch sie schüttelt einfach nur still den Kopf. Habe ich etwa was falsch gemacht? Man wird ja wohl fragen dürfen. Sie nickt in Richtung Sarah und ich schenke ihr wieder meine Aufmerksamkeit. In den Augen des Mädchens haben sich Tränen gebildet und sie wirkt traurig. Schuldbewusst beiße ich mir auf die Lippe. Ups, ich wusste ja nicht, dass sie gleich weinen würde. "Sie wird mit uns reden, wenn sie dazu bereit ist, Stella", sagt Ruby. In ihrer Stimme schwingt etwas Bedrohliches mit, was mir zu verstehen gibt, dass ich jetzt einfach mal die Klappe halten sollte. Mein Blick geht zu Sarah zurück. Also entweder macht sie der Gedanke an ihre Vergangenheit total traurig oder sie macht nur eine Show. Letzteres ist meiner Meinung nach aber auf jeden Fall wahrscheinlicher, da ihre Vergangenheit mit Sicherheit nicht so schrecklich gewesen sein kann, dass sie sofort in Tränen ausbricht, wenn sie nur daran denkt. So schlimm war ja nicht mal mein bisheriges Leben!