Als das leise 'Ping' erneut ertönt, halte ich den Atem an, gespannt, was mich wohl hinter dieser Tür erwarten wird. Aria hat die ganze Zeit nur still neben mir gestanden und wirkte sehr nachdenklich. Sie scheint die Frage, wieso sie sich hier so gut auskennt, nicht beantworten zu wollen, also werde ich auch nicht nach harken. Schließlich will ich ja auch nicht, dass man mir ständig irgendwelche Fragen stellt, über die eigentlich nicht reden will. Langsam gleiten die Türen vor uns auf und ich blicke nach draußen. Leider gibt mir das auch keinen Aufschluss über das unbekannte Territorium vor mir, da alles komplett dunkel vor uns ist. Als ich ausatme, zittert mein Atem und ich spüre das Vibrieren meiner Brust. Mein Blick wandert zu meine Partnerin, die den Fahrstuhl bereits verlassen hat und nun, nach irgendwas in ihrer Manteltasche kramend, gerade so vor den Metalltüren steht. Vorsichtig steige ich auch aus und schaue mit einem mulmigen Gefühl in die Schwärze hinein. Um mich selbst abzulenken und der Anspannung nicht hinzugeben, schaue ich zu Aria hinüber, deren Anblick eine beruhigende Wirkung auf mich hat: "Was suchst du?" Meine Frage hallt in dem Gang, in dem wir stehen, laut wieder und ich schlage mir die Hände vor den Mund. Wir sollten lieber nicht so laut sein, sonst werden wir sofort erwischt, wenn hier noch andere Leute sind. Nun scheint meine Freundin auf das Ziel ihrer Suche gestoßen zu sein und zieht den Stein heraus, den sie bereits im Institut, in das wir eingebrochen sind, genutzt hat. Er erstrahlt in einem milchigen Weiß, welches dem des Mondes fast aufs Haar gleicht. Die kleine Lichtquelle erhellt die Umgebung um uns herum nur dürftig, doch es reicht, um nicht unbedingt gegen jede Wand zu laufen, was für mich ganz praktisch ist, da ich mich im Dunklen echt schlecht zurechtfinde. Es wäre also nicht das erste Mal, dass ich gegen eine Wand laufe. Aria lässt ihre Finger sanft meinen Arm hinuntergleiten, bis sie an meiner Hand ankommt und verschränkt ihre freien Finger in meinen. Ob sie es tut, um mich oder sich selbst zu beruhigen, weiß ich nicht.
Bedächtig beginnen wir genau im selben Moment den ersten Schritt zu machen und bewegen uns dann im Gleichschritt weiter. Unsere ledernen Stiefel erzeugen laute Geräusche auf dem steinernen Boden, die dadurch, dass der Flur fast komplett leer ist, nur noch verstärkt wird. Das ganz hat eine angsteinflößende und gleichzeitig berauschende Wirkung auf mich. Wäre ich hier allein, würde ich wahrscheinlich schon ängstlich in einer Ecke hocken und mich nicht trauen einen weiteren Schritt zu machen, aber mit Aria an meiner Seite fühle ich mich stark. Wenn man von dem Schreckensfaktor, den das Ganze hat, absieht, ist es ganz schön spannend Akten aus einem Krankenhaus zu stehlen. Zwar nicht wirklich löblich, aber es muss sein.
Vor einer hölzernen Tür bleiben wir stehen und Aria zieht einen kleinen Schlüssel aus ihrer Tasche. Ich hebe instinktiv beide Augenbrauen. Woher hat sie den denn? Vielleicht hat sie den ja irgendwem gestohlen. Das denke ich aber eher nicht. So eine Aktion wäre total untypisch für sie. Mit einer einzigen Handbewegung stößt sie die Tür auf und drückt dann auf den Lichtschalter. Eine kleine Glühbirne an der Decke entzündet ihr Licht. Mit starken Schritten begibt sie sich ins Zimmer und schlägt die Tür hinter uns zu. Dann geht sie weiter zu einem der Schränke am Ende des Raumes. "Was wird das?", frage ich sie, doch das Mädchen entscheidet sich mir nicht zu antworten, sondern den Schrank zu öffnen und einige Sachen herauszunehmen. In ihren Händen hält sie zwei zusammengefaltete Bündel mit Kleidung, die hier normalerweise die Schwestern tragen. Woher wusste sie, dass sie hier sind? "Zieh das an", erwidert sie ruhig und beginnt dann selbst sich umzuziehen. Ich tue es ihr gleich, ohne weitere Fragen zu stellen. Sie weiß sicher, was sie tut und wir haben nicht genug Zeit, um lange zu diskutieren. Stattdessen ziehe ich mir schnell den Mantel aus und streife dann schnell meine Sachen ab. Ich drehe mich zur Wand und lege die Schwesternkleidung an. Sie besteht aus einer weißen Hose, sowie einem ebenso weißen T-Shirt. Meine Haare binde ich dann, wie alle anderen hier, mit einem Haargummi, welches ich um mein Handgelenk gebunden hatte, zu einem Pferdeschwanz. Dann drehe ich mich wieder zu Aria um, die ebenfalls fertig zu sein scheint. "Fertig?", frage ich. Sie nickt zufrieden: "Ja, komm jetzt. Wir müssen uns immer noch beeilen." Tief einatmend, folge ich ihr, weiter zu einer großen, sehr schwer wirkenden, Metalltür. "Das ist die Leichenhalle", erklärt Aria flüsternd und richtet ihre Hand auf ein Tastenfeld links vom Türrahmen. Dann tippt sie schnell einen Code ein, dem ich so schnell aber nicht folgen kann. Als sie ihre Hände wieder wegnimmt, gleitet die Tür mit einem lauten Zischen zur Seite. "Du wartest hier und lenkst die Leute ab, wenn jemand kommt", frage ich vorsichtig. Ich will echt nicht, dass sie nur meinetwegen in Schwierigkeiten gerät, weil sie in der Leichenhalle erwischt wurde. Zwar scheint Aria nicht sofort einverstanden zu sein, doch das ist mir egal. Ohne auf eine Antwort zu warten, will ich durch die Tür huschen, doch sie hält mich am Handgelenk fest und zieht mich dann in eine kurze Umarmung. "Pass auf dich auf", flüstert sie mir ins Ohr. "Mach ich", erwidere ich ebenso leise und befreie mich dann von ihr. Mit einem nervösen Blick durch den Gang hinter uns und einem flauen Gefühl im Bauch husche ich in die Leichenhalle.