Der würzige Geruch, den Pakhet so eng mit den hiersigen indischen Lokalen verband, schlug ihnen entgegen, als Pajeet die Tür des Ladens öffnete.
Eine junge Frau stand hinter der Theke des Pubs oder Restaurants, das eigentlich nur ein kleiner Verschlag mit ein paar Tischen war. Als die Glocke über der Tür bimmelte, sah sie auf. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie Pajeet erkannte. „Aiyee, Pajeet“, rief sie aus.
„Shubh sundhyaa“, erwiderte er nur.
Pakhet hielt sich hinter ihm. Sie mochte die Situation nicht. Das hier war kritisch nahe an der Grenze dazu ein privates Treffen zu sein. Der – zugegebenermaßen recht harmlose – Auftrag war erledigt. Ja, Pajeet war verletzt, doch dafür konnten sie auch zur Zentrale zurück. Wieso waren sie hier?
Die junge Frau rief etwas nach hinten in den Laden rein. Schritte erklangen aus dem Raum, der wahrscheinlich die Küche beherbergte. Dann kam eine Frau, zwei, drei Jahre älter heraus. „Pajeet“, rief sie aus und bombadierte Pakhets Begleitung dann mit gleich einigen Sätzen auf Hindi, die Pakhet nicht verstand.
Seine Stimme, als er antwortete, klang beruhigend. Die beiden kannten sich. Gut. Vielleicht waren sie sogar ein Paar. Die Stimme der Frau jedenfalls klang besorgt und aufgebracht.
Nun zog Pajeet seine Lederjacke aus, zeigte den Streifschuss, der auf seinem grauen Pulli gut sichtbar war.
Weitere besorgte Worte, die ein wenig auch nach Schimpfe klangen.
Erst als die jüngere Frau – Pakhet nahm an die jüngere Schwester – hinzukam, schenkte diese ihr Aufmerksamkeit. „Yah kaun hai?“
„Yah mera sahayogee hai“, erwiderte Pajeet. „Das ist Pakhet“, fügte er dann auf Englisch hinzu. „Pakhet, das sind Ruhi und Januja“, meinte er. „Wir kennen uns schon lang.“
Während die ältere Pajeet noch immer fixierte und seinen Ärmel nun hochkrempelte, um seine Wunde zu besehen, grüßte die jüngere Pakhet, die keine Ahnung hatte, welcher Name zu welcher Frau gehörte.
Dann klang eine tiefere Stimme von der Tür, aus der die ältere Frau erschienen war. „Pajeet?“ Weitere Worte in Hindi folgten, als ein älterer, indischer Mann zu ihnen hinüberkam und sie musterte. Auch er wiederholte die Worte seiner Tochter und auch er wurde vorgestellt.
Sein Name war Veer Dhebar. „Freut mich“, meinte dieser nun und musterte Pakhet ausgiebig von oben bis unten. Sein Blick blieb einen Moment an ihrer Prothese hängen. Dann wandte er sich wieder Pajeet zu. „Eine Kollegin, sagst du?“
„Ja, eine Kollegin“, erwiderte Pajeet und seufzte. „Hast du was zu essen für uns, alter Mann?“
Die Antwort Veers war in Hindi, doch Pakhet konnte sich den Inhalt in etwa denken. Dem Tonfall nach eine halb mahnende, halb witzelnde Erwiderung zum Thema „alter Mann„. Dann wandte er sich Pakhet zu. „Wollen Sie auch etwas essen?“, fragte er.
Sie mochte es noch immer nicht, seufzte jedoch. „Ja, gerne.“ Sie würde auf jeden Fall zahlen.
„Entspann dich, Pakhet“, meinte Pajeet, als Veers sich zum Gehen wandte und seine Töchter vor sich her scheuchte. „Die Leute hier sind okay.“
„Vielleicht ist das nicht der Grund, warum ich angespannt bin“, erwiderte sie. Sie mochte es nicht mit ihm hier zu sein. Mit irgendwem. Gott, warum waren sie überhaupt hier? Versuchte er zu flirten? Nein. So wie sie das sah hatte er was mit der älteren Tochter.
„Geez. Pakhet. Ich versuche nicht, dich hier zu überfallen oder so.“ Pajeet verdrehte die Augen.
„Ich sage nicht, dass du es tust.“
Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Dann hast du echt was dagegen, was mit anderen Menschen zu machen, eh?“
„Echt?“, echote sie.
„Na ja, das sagen doch alle. Du bist dir zu fein dafür, mal was zu unternehmen.“ Er hielt inne. „Also das ist, was alle sagen.“
„Ich bin mir nicht zu fein“, erwiderte sie kühl. „Ich bin mir nur dessen bewusst, dass Freundschaften den Erfolg von Missionen gefährden können. Sie sorgen für falsche Entscheidungen. Und die Chancen, dass wir alle so oder so einen frühzeitigen Tod erleiden werden, sind nun einmal recht hoch.“
„Und deswegen machst du alles allein?“ Wieder verdrehte er die Augen. „Weißt du, es kann auch helfen zu wissen, dass man sich auf jemanden verlassen kann.“
„Ich gehe davon aus, dass ich mich auf jeden, der es beruflich macht, verlassen kann.“ Eine blanke Lüge, die nicht unbemerkt blieb.
„Merkt man.“ Die Ironie tropfte aus seiner Stimme.
„Warum interessierst du dich dafür?“, fragte sie.
„Weil du die ganze Zeit allein bist und mir das leid tut“, antwortete er offen heraus. „Du bist noch jung.“
„So jung auch nicht mehr.“ Immerhin war ihr dreißigster Geburtstag bereits fünf Monate her.
„Jung genug“, beharrte er.
„Pajeet.“ Sie seufzte. „Ich weiß es zu schätzen, aber …“
Es war der Moment, dass die ältere Tochter mit einem erste Hilfe Koffer zurückkam. Wieder schimpfte sie auf Hindi mit Pajeet. Gut, dann musste Pakhet nicht reden.
Sie stand auf und nahm sich ein Glas von einer Ablage, füllte es mit Wasser, wie in solchen Läden hier üblich. Dann wartete sie. Während sie trank beobachtete sie, wie die junge Frau die Wunde reinigte und schließlich verband. Die beiden schienen sehr vertraut miteinander. Aber er sagte ja auch, dass sie sich schon länger kannten.
Die Frau war gerade fertig, als ihre jüngere Schwester mit einem Tablett aus der Küche kam. Darauf gleich mehrere Schüsseln und zwei Teller. Sie stellte alles auf dem Tisch ab.
Die eine Schüssel war mit Curry gefüllt, die andere mit Reis. Dazu gab es Brot. Das ganze sah besser aus, als sie es von dem heruntergekommenen Verschlag mit Neonlicht erwartet hatte
„Achtung“, meinte die junge Frau, die beinahe dialektfreies Afrikaans sprach, zu Pakhet. „Das Essen ist scharf.“
Pakhet lächelte und schaute von der Frau zu Pajeet. „Habe ich nicht anders erwartet.“