Das warme Kribbeln war Pakhet noch immer ein Rätsel. Auch wenn sie wusste, was es war, so verstand sie nicht, wie sie es bisher nicht bemerkt hatte. Wo war es hergekommen?
Sicher, Idil hatte ihr erklärt, dass manche Leute mit latenten Fähigkeiten diese erst sehr spät entwickelten. Dann wiederum gab es jedoch so viele Momente in ihrem Leben, die sie sich nur so erklären konnte: Sie hatte es immer gehabt. Bisher hatte ihr nur das Bewusstsein gefehlt, um es einzusetzen. Wenn sie es bisher genutzt hatte, war es unterbewusst gewesen.
Sie atmete tief ein und aus. Beinahe hatte der Übungsplatz schon etwas Nostalgisches. Hatte sie ernsthaft Nostalgie für ihre Zeit beim Militär? Vielleicht. Jedenfalls die anfängliche Zeit, als es noch unkomplizierter war. Wenigstens hatte sie diese Zeit als unkompliziert in Erinnerung.
Egal.
Einatmen. Ausatmen. Dann sprintete sie los.
Sie versuchte zu tun, was Idil ihr gesagt hatte, die ganze Zeit einen Gedanken auf dieses Kribbeln lenken, auf ihre Magie. Sie konnte sie bewegen, konnte damit ihren Körper besser kontrollieren, als es normalen Menschen möglich gewesen wäre.
Normalen Menschen ... Sie war nicht mehr normal.
Sie sprintete aus eigener Kraft über das erste, ebene Stück. Das erste Hindernis war direkt eine Eskaladierwand. Sie konzentrierte sich auf das warme Kribbeln, versuchte es mit ihren Gedanken zu bewegen. In die Beine. Die Unterschenkel. Die Gelenke. Wie ein Haufen Ameisen folgte es ihren Gedanken. Sie verschob die Energie in ihre Beine. Dann sprang sie.
Tatsächlich katapultierte der Sprung sie empor, so dass sie unsanft mit der Brust gegen das obere Ende der Wand schlug. Sie klammerte sich fest, zog sich hinüber und landete am anderen Ende.
Der Sprung war definitiv höher gewesen, als sie es bisher geschafft hatte.
Die Aufstellung des Parkours, war eine andere, als beim Militär. Wahrscheinlich hatte Michael oder wer auch immer es zusammengestellt hatte, einfach irgendjemanden machen lassen. Letzten Endes war es ja auch egal. Vielleicht sogar besser so. Es war weniger Gewohnheit. Eine größere Herausforderung.
Sie landete auf dem Sandboden der anderen Seite und sah sich um. Als nächstes Balancierbalken. Das bekam sie auch ohne magische Hilfe hin. Sie sprang auf das Ende, lief den Balken entlang, landete im Wassergraben auf der anderen Seite. Mist. Mit etwas Vorsicht hätte sie den überspringen können. Egal. Weiter. Spanische Reiter.
Noch einmal versuchte sie es mit der Energie. Sprang über den ersten. Den zweiten. Hatte zu viel Energie beim Dritten und kollidierte beinahe mit dem Betonhindernis dahinter. Gerade so fing sie sich noch ab.
Sie strauchelte, sammelte ihre Energie aber wieder. Eigentlich war das Betonhindernis deutlich zum Klettern gedacht. Da waren Griffe eingelassen. Sie konnte es probieren.
Nun teilte sie das Kribbeln, ließ die eine Hälfte in ihren rechten Arm wandern. Die zweite nutzte sie noch immer, um sich abzustoßen. Sie bekam einen Griff zu fassen, hing so für einen Moment an diesem. Hier wäre es praktischer gewesen, beide Arme zu haben.
Sie fand Halt mit den Füßen, schob sich hoch. Sie musste schnell umgreifen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Das Betonhinternis war nicht mehr als vier Meter hoch. Auf der anderen Seite ließ sie sich wieder fallen, schloss die Augen. Verschob sie das Kribbeln in ihre Beine, konnte sie den Sturz abfangen. Bis zu welcher höhe konnte das gut gehen?
Sie landete, halbwegs elegant. Nun, eigentlich war es egal. Niemand beobachtete sie.
Ein Graben. Kriechen. Hierfür brauchte sie keine Energie. Dahinter deutlich angerosteter Stacheldraht. Die Strecke war in deutlich schlechterem Zustand, als die in den USA. Dahinter Seile. Großartig.
Sie kam zum Stehen. Da war ein Netz zum emporklettern, dann Seile, zum Entlanghangeln. Definitiv eine Sache, bei der sie noch nicht herausgefunden hatte, wie sie mit nur einem Arm zu bewältigen war. Schlimmer noch: Die ungelenke Prothese war ihr bei bisherigen Versuchen immer in den Weg gekommen.
Ach, verdammt. Sie war hierher für eine Herausforderung gekommen.
Wenigstens das Klettern konnte sie sich sparen. Sie sammelte die Energie wieder. Stieß sich ab. Erreichte damit das obere Ende des Netzes, das Knarzend vor und zurück schwang. Sie klammerte sich an den Holzbalken am oberen Ende und ließ sich dann an das alte Seil gleiten. Hoffentlich hielt es sie.
Es war locker, schwang, als sie mehr von ihrem Gewicht darauf verlagerte. Sie schlang die Beine darum und begann sich voran zu ziehen. Es sollte eigentlich gehen. Sie drückte ihren Körper an das Seil. Doch es war schwierig neu zu greifen. Es brachte sie aus dem aufgebauten Tempo heraus.
Etwas. Nur noch ein wenig. Da glitt ihr das Seil aus der Hand.
Schon spürte sie den Fall, doch schaffte sie es, sich mit den verkreuzten Beinen weiter am Seil festzuklammern. Da hinten war das Ende des Seils. Mit einem weiteren Netz.
Ach, verflucht. Sie würde es schaffen.
Mit einem tiefen Atemzug spannte sie ihre Muskulatur an, bis sie das Seil wieder zu greifen bekam. Mit brennender Hand schob sie sich weiter, bis sie am Netz war. Sie musste sich drehen, musste nach oben kommen, um auch hier das Holz zu übersteigen.
Und doch verschätzte sie sich.
Es war der Moment, als sie die Beine vom Seil löste, um sich zum Netz zu schwingen, dass sie den Halt mit ihrem Arm verlor und rutschte.
Hart landete ihr Rücken auf dem trockenen Sandboden.
Sie fluchte.
Ihre neue Magie schien weniger ein Problem zu sein, als der Mangel ihres linken Arms. Was würde sie nur für eine gelenke Prothese geben? Doch diese existierten soweit nur in Science Fiction Filmen.
So rappelte sie sich nur auf und klopfte den Sand von ihrer Trainingskleidung.
Also noch einmal von Vorne.