Es war seltsam. Die Einsamkeit. Die Ruhe. Pakhet fühlte sich eigentlich nicht ruhig. Dabei war sie genau deswegen hergekommen. Um zur Ruhe zu kommen. Und jetzt war da dieses Gefühl in ihrer Magengegend. Wie wütende Bienen, die sie dazu anstachelten irgendetwas zu machen. Irgendetwas anderes, als was sie gerade machte. Sie wollte rennen, laufen, fliehen und sie wusste nicht wovor.
Sie war in Neuseeland. Sie war im Urlaub. Sie hatte „Ferien“, sofern man in ihrem Beruf überhaupt davon sprechen konnte. Sie hatte wandern gehen wollen. Nun saß sie auf einem Fels, sah auf das Meer hinab, hörte es rauschen und konnte es doch nicht genießen.
Sie rieb sich den linken Oberarm. Die Prothese drückte noch immer. Es würde besser werden, hatten die Ärzte gesagt. Die Phantomschmerzen, die sich ab und an wie glühende Nägel in ihr Hirn bohrten würden vielleicht nicht ganz verschwinden, aber besser werden, weniger. Doch sie waren nicht das einzige, was sie davon abhielt, keine Ruhe zu finden.
Es war vier Monate her, dass sie beinahe gestorben war. Es war vier Monate her, dass sie dieses neue Leben begonnen hatte. Es war vier Monate her, dass sie in Irak gewesen war. Wieso wachte sie noch immer mit Albträumen auf? Wieso erinnerte sie sich auch noch immer an Hale? Gott. Er war tot. Sie hatte ihn getötet. Vielleicht hätte sie es nicht tun sollen. Vielleicht hätte sie nach der Verletzung nicht zurückkehren sollen.
War es das, was ihr die Ruhe nahm? Der Gedanke an das Leben, das hätte sein können?
Aber was hätte sein können? Hätte sie in die USA als verkrüppelte Veteranin zurückkehren sollen? Und dann? Veteranenrente reichte nicht. In das Haus ihrer Eltern wollte sie nicht zurück. Wozu war sie denn gut, wenn nicht zum Kämpfen? Die Polizei würde wohl auch eher keinen traumatisierten Krüppel nehmen.
Sie atmete tief durch, wie sie es gelernt hatte. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Es half ihr, ihre Gedanken zu ordnen.
Sie war im Urlaub. Sie hatte Ferien. Sie hatte die vergangenen zweieinhalb Monate damit verbracht, irgendwelche größtenteils kleinen Aufgaben für diesen Michael zu erledigen. Das Geld war mehr, als sie erwartet hatte. Sie sollte es positiv sehen: Michael ließ sie kämpfen. Er war ein Arschloch, doch zumindest schien er einiges auf ihre Fähigkeiten zu geben.
Mühsam erhob sie sich. Vorsichtig streckte sie die Prothese, versuchte diese leicht zurecht zu rücken, in der Hoffnung, dass die Schmerzen an ihrem Armstumpf so verschwanden.
Es war wirklich viel passiert in den letzten Monaten. Wahrscheinlich war sie deswegen so gehetzt. Noch einmal schloss sie die Augen und versuchte es zu spüren. Dieses warme Flackern in ihrem Inneren.
Auch das war etwas, woran sie sich noch würde gewöhnen müssen.
Echte Magie.
Die Welt war schon verrückt.
Sie schulterte ihren Rucksack wieder und setzte ihre Wanderung fort. Solange sie ging wurde das Toben der Bienen wenigstens erträglicher. Vielleicht sollte sie sich heute Abend noch etwas anderes zu tun suchen. Auch wenn es so schwerer war. Mit der Prothese. Doch sie würde schon einen Weg finden. Wenn sie es so schaffte zu kämpfen, dann konnte sie auch andere Dinge machen. Sie hatte immerhin bis jetzt überlebt.
Und sie hatte Ferien. Das war eigentlich genug Grund, um zu feiern, oder?