Die Anderswelt war ein seltsamer Ort. Hier machten die Dinge einfach nie wirklich Sinn. Deswegen hasste sie es, hierher zu kommen, vor allem, wenn sie allein war. Es war doch einer der wenigen Orte, an denen sie sich in Gesellschaft mit einem Magier sicherer fühlte, als ohne.
Doch sie war heute alleine hier, weil es ihre eigene Sache war. Sie war hier, weil sie etwas wollte und der Magier, von dem sie es wollte, ihr einen Handel vorgeschlagen hatte.
An sich sollte es nicht so schwer sein, oder? Steige auf dem Berg, finde die rot fließende Quelle am Gipfel und komm wieder runter. Dabei hatte sie jedoch eindeutig vergessen, dass dieser Berg nun einmal in der Anderswelt stand und damit natürlich nicht funktionierte, wie ein normaler Berg.
Sie war früher öfter Bergsteigen gewesen. Wenn sie Urlaub von der Army gehabt hatte. Jedenfalls, bis sie ihren Arm verloren hatte. Sie hatte Übung darin und selbst mit der Prothese war es eigentlich machbar. Doch das hier ... nun, vielleicht was es doch nicht so schaffbar, wie gedacht.
Sie kletterte bereits seit zwei Stunden und doch schien der Gipfel nicht näher zu kommen - noch schien sich der Boden zu entfernen.
Es musste eine Art vertikaler Feenpfad sein. Eine Schleife, auf der sie sich bewegte, fraglos dazu entworfen unwürdige oder feindliche Bergsteiger hiervon abzuhalten.
Sie ächzte und zog sich auf einen Vorsprung, um zu verschnaufen. Ihre Arme taten bereits ziemlich weh und ihre Finger waren aufgeschorft. Es war eigentlich kein besonders hoher, wenngleich ein deutlich steiler Berg. Eigentlich sollte er innerhalb von etwa drei Stunden besteigbar sein. Doch sah es nicht aus, als wäre sie auch nur zu einem Drittel empor gekommen.
Also was tun? Sie wollte diese Weste. Sie brauchte einfach etwas, das leichter zu verstecken war als Keffla und vor allem sie weniger bei der Bewegung behinderte. Ihre beste Waffe war ihre Geschwindigkeit und Genauigkeit - zwei Dinge, die eine mundane schusssichere Weste stark einschränkte. Also musste sie die Chance nutzen. Nur fragte sie sich langsam, ob es wirklich möglich war.
Sie seufzte und sah sich um, froh keine Höhenangst zu haben. Vielleicht musste sie es an anderer Stelle probieren. Ein Stückchen weiter lag eine wirklich senkrechte Steilwand. Eventuell lag auf dieser kein Zauber. Sie würde nur wohl oder übel ganz hinabklettern und noch einmal neu anfangen müssen.
Sie sah zum Himmel, der leider keinerlei Schluss auf die Tageszeit zuließ. In der Anderswelt gab es nur Tag und Nacht, beide klar voneinander getrennt. Es gab keine Dämmerung, keine richtige Sonne. Wenn Abend war, dann wechselte es von Tag zu Nacht. Einfach so.
Eigentlich wollte sie nicht riskieren, auch die Nacht hier zu verbringen, wenn die deutlich unangenehmeren Fae aus ihren Löchern kamen. Doch was sollte sie tun? Sie wollte wirklich diese magische Weste. Also würde sie das Risiko wohl eingehen müssen.
Letzten Endes hatte es wohl einen Grund, warum Jiab nicht selbst hergekommen war, sondern sich damit bezahlen ließ.
Sie schnaubte und schaute nach unten. Da konnte sie nur hoffen, dass der Feenpfad nicht auch abwärts wirkte ...