- Start: 08.11.2020 - 19:26 Uhr
- Ende: 08.11.2020 - 19:49 Uhr
Ihre Hände zitterten. Bebten. Ihre Lippen rollten sich von den Zähnen zurück, das Zahnfleisch spannte sich, gab spitze Fänge preis.
Elaines Augen flackerten zwischen Blau und Rot. Immer schneller. Das Rot gewann.
"Lay!", schrie Lizzy mit aller Macht. "Elaine!"
Doch ihre Freundin konnte sie nicht mehr hören. Wie hypnotisiert ruhte der Blick der Blonden auf den Tropfen auf dem Tisch.
Der Schnitt in Lizzys Arm brannte wie Säure, während sie sich weiter gegen den Balken stemmte. Ihr Rücken kribbelte, als sie ein gieriges Fauchen hörte. Ihre Instinkte mahnten sie, vor dem ausgehungerten Vampir zu fliehen.
Aber sie konnte nicht. Wenn der Balken fiel, wenn die riesige Uhr dreizehn nach anzeigte, würde sich das Tor schließen.
Wieder kam der Sekundenzeiger mit hackendem Pendel vorbei. Diesmal wich Lizzy aus, doch der Schaden war angerichtet.
Der Balken des Minutenzeigers wurde noch schwerer. Jede Runde, die der Sekundenzeiger lief, wuchs die Spannung im zweiten Zeiger, der weiter und weiter zurückhing.Lizzys Muskeln brannten.
Sie sah zurück. Elaines Gesicht glich einer bleichen Fratze. Ihre Lippen zuckten wild, während in ihrem Inneren Vampir und Mensch miteinander rangen. Ihre Augen waren bereits vollständig rot. Langsam kam sie näher, leicht geduckt, ihr Blick folgte den Fäden des Blutes über Lizzys Ärmel.
"Das bist nicht du. Komm schon, Elaine. Du bist stärker als das ..." Lizzys Worte kamen gepresst vor Anstrengung und Angst. Für Vampire der Art, wie Elaine es war, riet das Handbuch für gewöhnlich dazu, sich gut vorzubereiten und einen Kampfplatz zu wählen, in den der Vampir nicht eingeladen worden war.
Lizzy befand sich auf dem freien Feld, ohne Knoblauch, Weihwasser oder Sonnenlicht, und sie trug zwar ein Kreuz um den Hals, doch gegen diesen Vampir zählte der Glaube, und den hatte Lizzy nicht.
In einem solchen Fall hieß es im Ratgeber, die einzige, geringe Hoffnung läge in einer Flucht.
Langsam ging sie unter dem Gewicht des Zeigers in die Knie. Sie sah zu dem offenen Platz vor ihnen, doch Sam war immer noch nicht zu sehen. Langsam konnte sie die Spannung nicht länger halten.
"Elaine ... komm schon!"
Der Vampir duckte sich zum Sprung.
"Du hättest ruhig was von den Konserven nehmen sollen, bevor wir aufgebrochen sind", knurrte Lizzy und fasste einen verzweifelten Plan.
Sie ließ den Zeiger los und sprang zur Seite.
Ein einzelner Tick ließ das Gehäuse erbeben, als der Zeiger auf zwölf nach sprang. Lizzy rollte unter dem Sekundenzeiger hindurch. Sie erwartete den dröhnenden Gong, der ankündigte, dass sich das Tor zwischen ihr und Elaine schloss.
Doch es blieb still. Zögerlich drehte Lizzy den Kopf und entdeckte Elaine, die den Zeiger nach oben drückte.
Der Vampir war kräftiger als ein Mensch, also konnte ihr das auch gelingen.
Lizzy stand auf und zog den Ärmel hastig über den Schnitt. Sie hörte Schritte hinter sich. Dann Schüsse.
"Lauft!", brüllte Sam. Er rannte, einen Laptop unter dem Arm, durch die Halle. Hinter ihm folgten mehrere Leute in Swat-Westen, die jedoch glücklicherweise die Treffsicherheit von James-Bond-Bösewichten und Klonkriegern besaßen. Doch es konnte nicht lange dauern, bis unweigerlich ihr Herr auftauchen würde.
"Halt es", sagte Lizzy und Elaine und sah ihr beschwörend in die Augen. "Halt."
Der Vampir fletschte die Zähne leicht. Sam rannte. Der Druck, der auf der Uhr lastete, wurde zunehmen auch für Elaine zu groß.
Sam sprintete an Lizzy vorbei und unter dem Zeiger hindurch in die Dunkelheit des Uhrengehäuses. Lizzy folgte und spürte einen kalten Luftzug im Nacken, kaum, dass sie an Elaine vorbei war.
Dann erschütterte der Gong die Welt und ließ alles um sie herum erbeben. Lizzys Ohren klingelten. Zusammengerollt landete sie auf kalten Fliesen, die Hände um den Hals geschlungen.
Sie hörte ein Fauchen. Als sie sich umdrehte, wich Elaine gerade in den Schatten zurück, während Lizzy im schräg einfallenden Lichtstrahl aus den großen Fenstern lag.
Sam war neben ihr. Und er hatte das Zielobjekt ihres Auftrags, den Laptop mit den Daten des Verräters.
"Warum hat das so lange gedauert?", fragte Lizzy und wickelte den Ärmel fester um den Schnitt.
"Ihr beide hättet echt mal helfen können!", beschwerte sich Sam. "Ich musste drei Umwege nehmen und einmal hätten sie mich fast gehabt!"
"Das ging nicht." Lizzy stand auf und sah zu Elaine. "Wir müssen uns fast wegen dieser Vampirgeschichte einfallen lassen. Entweder, sie akzeptiert es, oder wir suchen nach einer Heilung! Aber so bringt sie uns eines Tages noch um."
Schweigend trat Sam zu ihr. Beide betrachteten den Vampir, der an der Grenze zum Licht auf und ab tigerte. Elaines Gesicht war vollständig zu einer Maske der Gier verzogen, ihre Hände zu Klauen gekrümmt. Ihre Augen lagen tief in ihren Höhlen über eingefallenen Wangen.
"Du weißt, was passiert, wenn wir sie nicht unter Kontrolle bringen", murmelte Sam leise.
Lizzy ballte die Fäuste. "Wir werden es schaffen. Irgendwie."