- Start: 07.10.2021 - 18:53 Uhr
- Ende: 07.10.2021 - 19:41 Uhr
Liz, Sam und Lay kehrten von einem ausgesprochen mühsamen und zu allem Überfluss erfolglosen Auftrag zurück. Zerschlagen marschierten die drei Wächter durch die Straßen einer Kleinstadt.
Wo genau das Portal sie ausgespuckt hatte, wussten sie nicht. Immerhin waren sie noch in Amerika. Die Chancen dafür standen zwar ohnehin extrem hoch, mit der Prominenz, die Geschichten aus Hollywood noch überall in der Welt innehatten, doch es war so ziemlich das erste heute, was glattgelaufen war, und dafür waren die drei dankbar.
Es ging auf den Abend zu und sie hofften, rechtzeitig einen Undercover-Agenten zu treffen, der sie zur nächsten Basis weisen könnte. Die Alternative bestand in einer Nacht auf der Straße, um die Suche morgen fortzusetzen.
Sie erreichten einen offeneren Platz, als Sam plötzlich anhielt.
"Hey ... der Kaffee riecht einfach himmlisch."
Elaine seufzte. "Wir haben wirklich keine Zeit ..."
"Schalt mal einen Gang runter, wir haben den Auftrag hinter uns", murrte Sam.
Elizabeth war bereits dabei, ihre Hosentaschen nach Geld zu durchwühlen.
Im Alltag brauchten die Wächter keine Währung der echten Welt. Die Akademien funktionieren noch so wie es Dorfgemeinschaften im dunkelsten Mittelalter getan hatten: Jeder tat seine Pflichten und wurde dafür von der Gemeinschaft versorgt. Doch draußen war das natürlich etwas anderes. Zum Glück stieß Lizzy in den Taschen der Leihhose auf einen zerknitterten Dollarschein. Was lange im Lager gelegen hatte, besaß eigentlich immer ein paar Fünf-Dollar-Noten in irgendwelchen Taschen. Diese materialisierten sich einfach in unbeobachteten Momenten und kein Wächter würde ein solches Geschenk ablehnen.
Erst recht nicht, wenn er nach einem Auftrag müde und hungrig war und sich dringend eine Dusche wünschte, aber das einzige in Reichweite ein fahrbarer Verkaufsstand mit Coffee-to-go war.
Sam musterte das Schild über dem kleinen Ladenstand. "Coffee to goD? Was soll das heißen?"
"Kaffee in Körbchengröße D?", riet Lizzy und überquerte den flachen Platz. Nur einige Jugendliche und ein paar Rentner lungerten auf den Bänken herum. Es war ausgesprochen still, als wäre die Stadt ebenso müde wie ihre drei Gäste.
"Guten Tag! Was darf's sein?", fragte der Verkäufer, ein freundlich aussehender, etwas fülliger Mann mit weißem Bart.
"Drei Kaffee bitte", bestellte Lizzy. "Einmal mit Milch und zwei Stücken Zucker, einen schwarz und einen ..." Sie sah Sam fragend an, der die Karte studiert hatte.
"Ich nehme einmal den Kürbiskaffee, bitte."
"Urgs", kommentierte Elaine.
"Gerne." Der Mann begann zu werkeln und schob ihnen wenig später drei Styroporbecher mit Deckel über die Theke. Lizzy erschnupperte den Inhalt und verteilte die Becher. Lay nahm ihr das Geld ab und zahlte. Sam übernahm es, dem Verkäufer zu danken, und dann schlenderten die drei zu einer breiten Treppe herüber und setzten sich auf die Stufen.
"Wieso kann man mit dir nirgendwo hin gehen?", fragte Lizzy Sam, der genüsslich von seinem Kaffee probierte. "Wieso muss es immer irgendwas ekeliges sein?"
"Das nennt man 'den Horizont erweitern'", belehrte Sam sie grinsend.
"Komm, besser, er hat es hier bestellt, als dass er zuhause kocht", warf Elaine ein, die ihre Milch mit einem kleinen Plastikpin umrührte. "So müssen wir wenigstens nicht probieren. Erinnerst du dich noch an seine Nutella-mit-Irgendwas-Phase?"
"Brrr, erinner' mich nicht daran." Lizzy wandte sich ihrer Freundin zu. "Ich habe heute noch manchmal Albträume!"
"Ich auch! Besonders der ..." Lay sah auf und sprach nicht weiter. Stattdessen starrte die blonde an Lizzy vorbei und runzelte die Stirn. "Liz?"
"Ja?" Elizabeth folgte dem Blick ihrer Freundin - und erstarrte. "Sam? Wo ist er hin?"
Der Platz hinter ihr war leer. Nirgendwo war Sam zu sehen, dessen rot-gelbes Outfit eigentlich auf zehn Meilen Augenkrebs hervorrufen konnte.
Lizzy stand trotzdem auf und sah sich um. Währenddessen starrte Elaine auf die Stufen.
"Wir sind in der Realität. Eigentlich kann er nicht vom Erdboden verschluckt werden. Was ist?"
"Der Kaffee ist mit verschwunden. Glaubst du, es könnte daran liegen?"
"Teleportierender Kaffee? Noch nie gehört."
Elaine hob ihren Becher. "Prost?"
Elizabeth zuckte mit den Schultern und stieß an. "Prost."
Sie tranken. Nichts geschah.
"Na gut, dann müssen wir ...", setzte Elaine an, als der Platz plötzlich verschwand. Stattdessen fanden sie sich in einem Gang zwischen zwei Stahlgerüsten wieder. Sie hörten Stimmen. Auf den Stahlträgern lagen hölzerne Plattformen, die die beiden Frauen endlich als Sitze erkannten. Stufenförmig angeordnete Sitze einer Art Theater.
"Platz da", brummte eine unfreundliche Stimme. Liz und Lay zuckten zusammen und wichen an die Seiten des schmalen Ganges. Eine massige Gestalt mit vorspringendem Raubtierkopf, gekleidet in eine Art Wickel, drängte zwischen ihnen hindurch und lief zur Mitte der Arena, wo sich ein offener Platz im Kreis der Sitze befand.
Lizzy starrte auf den Boden. Dieser bestand aus Wolken, die ihr Gewicht durch irgendeine Magie trugen. Sie waren sehr schwach rosa gefärbt.
Lay ergriff ihren Arm und tauchte mit Lizzy zwischen den Streben hindurch unter die Bühne. Gerade noch rechtzeitig, bevor ein wirklich außergewöhnlich voluminöser Mann mit breitem Lächeln am Ende des Ganges erschien und nach vorne stapfte. Er trug ebenfalls nur wenige, dünne Gewänder, die aber mehr an eine Toga erinnerten.
Die beiden Mädchen duckten sich in den Schatten.
"Siehst du Sam irgendwo?", fragte Lay. "Das darf echt nicht wahr sein - wir haben Feierabend!"
"Ich habe eine Vermutung", murmelte Lizzy. Ein kräftiger, blonder Hüne stapfte vorbei, einen Hammer über der Schulter. "Das Schild vom Laden war irgendwie merkwürdig, oder?"
"Coffee to goD?"
"Coffee to GOD. Götter. Das sind alles Götter!", flüsterte Elizabeth. "Anubis, Buddha, Thor ..."
"Sicher, dass das Anubis war?"
"Ziemlich. Wieso?"
"Nichts. Ich komme mit den ägyptischen immer durcheinander."
Das Stimmengemurmel über ihnen wurde leiser und die Freundinnen mussten ihr Gespräch unterbrechen. Auf den Rängen über ihnen saßen unzählige Gestalten.
Lautlos schlichen die beiden weiter nach vorne.
"Meine Damen und Herren, liebe kosmische Kräfte, sehr geehrte Tiere und Pflanzen, verehrte Innere Stimmen - ich freue mich, Sie alle auch diesen Abend wieder zum großen Schauspiel 'Menschheit' begrüßen zu dürfen!", verkündete ein Ansager, den die beiden Frauen nicht sehen konnten. Kriechend arbeiteten sie sich bis unter die vordersten Sitze vor. Über den Wolken in der Mitte der Arena schwebte nun eine große Kugel. Eine große, grün-blaue Kugel, umschwirrt von Wolken.
"Nun, was die heutige Vorstellung angeht ..."
Der Ansager wurde unterbrochen.
"Ich will einen Sturm schicken!", donnerte jemand.
"Lasst uns Vulkane ausbrechen lassen!", rief jemand anderes.
"Peeest!", kreischte irgendwer - oder irgendwas.
"Ruhe, Ruhe!" Nun kam der Ansager in Sicht. Er war schlank, trug einen schicken Anzug, der an Zirkusdirektoren erinnerte, und hatte eine Glühbirne statt eines Kopfes. Er hob besänftigend die weißbehandschuhten Hände. "Wir haben nur noch drei Katastrophen für dieses Jahr frei."
Wütendes Gemurmel erhob sich.
"Früher war das noch anders", murrte jemand ganz in der Nähe der Position, wo sich die beiden Frauen verbargen. "Ich weiß noch, als wir spontan die Sintflut gemacht haben. Hach, das war episch."
"Hey ... da drüben ist Sam!" Lizzy stieß Elaine an und deutete auf einen anderen Teil der Sitze. Dort im Schatten blitze Sams rot-gelbes Steifenoutfit auf.
"Los", flüsterte Elaine und beide huschten geduckt zu ihrem Freund. Sam bemerkte sie wenig später und signalisierte, dass sie zur Rückseite der Tribünen laufen sollten.
"Ich höre Stimmen für Liebe. Will noch jemand Liebe verbreiten?", rief der Ansager und klang inzwischen mehr wie ein Auktionär. "Nein? Wie steht es mit Einbrechern? Ah, da sehe ich Hände - und Pfoten, Verzeihung - für Einbrecher. Wie sieht es mit Inspiration für Künstler aus? Ja, der Herr dort drüben?"
"Können wir mal wieder ein Wunder geschehen lassen?"
"Hm, tut mir leid, momentan ist das eher schwierig."
Die drei Wächter trafen sich am Ende des Ganges.
"Ich trinke nie wieder Kaffee", versprach Sam und deutete auf die Tür, die in die Wand hinter den Tribünen eingelassen war. "Sollen wir?"
"Wir wissen nicht, was dahinter ist", warnte Lizzy.
"Ja, schon klar. Aber vermutlich ja wohl der Ausgang. Es ist eine Tür."
Lizzy sah zu Elaine, die mit den Schultern zuckte. Dann nickte sie. "Okay, tun wir's."
Sam riss die Tür auf und die drei eilten hindurch.
Sie fanden sich in einer mit rot-schwarzen Teppichfliesen ausgelegten, niedrigen Halle wieder. An den Wänden befanden sich Theken wie im Kino, mit Popcorn, Eis, Cola und Chips. Die meisten Auslagen waren dunkel, doch über einer brannte noch Licht, und ein pickeliger Junge lächelte den dreien nervös zu. "Spät dran, wie?"
"Ähh, genau", murmelte Sam und trat zu dem Verkäufer. "Ich nehme drei Tüten."
"Sofort." Der Junge begann, unter der Theke nach Verpackungen und einer Schaufel zu suchen.
Elaine und Elizabeth nutzten die Ablenkung, um sich umzusehen.
"Da hinten - Toiletten!", murmelte Lizzy gedämpft und deutete auf mehrere weiße Türen. Darauf waren schwarze Silhouetten abgebildet: Eine Frau, ein Mann, ein gruseliges Ding voller Tentakel, ein Mann mit Krokodilskopf, ein Mensch unidentifizierbaren Geschlechts, ein Dreieck mit einem Auge darin, von Strahlen umringt ...
Eine Tür war allerdings mit 'Exit' markiert.
"Ja, Sam, wir gehen schon mal langsam vor", rief Elaine und deutete auf die Türen. Sam sah auf, sah herüber und nickte.
"Hier, bitte." Sam bekam drei Tüten Popcorn in die Hände gedrückt. "Sammeln Sie Karma?"
"Ähh, was?"
"Ob Sie Ihre karmische Karte dabei haben."
"Ähm, nein, die ... die liegt noch zuhause." Sam lud sich umständlich die drei vollen Tüten auf den Arm.
"Soll ich es Ihnen gutschreiben oder wollen Sie es gleich mitnehmen?"
"Ähh ... zum Mitnehmen, bitte."
"Hier." Der Junge überreichte dem überforderten Sam ein Tütchen. Es schien leer zu sein.
Eilig stolperte Sam den beiden Frauen hinterher, die kurz vor der Tür verlangsamten, sodass er aufschließen konnte. Mit einem kurzen Blick vergewisserten sich alle drei, dass der Verkäufer nicht mehr zu ihnen sah, dann sprinteten sie durch die nächste Tür ...
... und standen wieder auf dem Platz in der unbekannten Stadt. Diesmal mit drei Tüten Popcorn und ohne Kaffee.
"Alter Verwalter", murmelte Elaine.
Sam drückte ihnen je ein Popcorn in die Hand. Dann griff er zu.
"Sam!", rief Lizzy so laut, dass ein paar der Jugendlichen und Rentner aufsahen. "Nicht", fügte sie leiser hinzu. "Hör bloß auf, irgendein Zeug zu essen."
"Ach, komm, man kann nicht ewig Angst haben!" Sam warf sich das Popcorn in den Mund. "Seht ihr? Nichts passiert."
"Wir müssen allerdings immer noch zur nächsten Basis finden", murmelte Elaine und sah sich um. Lizzy folgte ihrem Blick. "Vielleicht ist ja ein Undercover-Agent in dem kleinen Laden da drüben. Das sieht aus wie so ein Geschäft, in dem wir Undercover-Agenten haben würden." Sie deutete auf ein kleines Ein-Mann-Geschäft. "Was meint ihr?"
"Wir können ja mal gucken." Elaine wollte sich in Bewegung setzen, als beide Frauen stockten.
"Wo zur Hölle ist ... war ja klar!" Elizabeth seufzte.
Sam war verschwunden.
Die Frauen sahen auf ihr Popcorn und tauschten einen kurzen Blick. Dann griffen sie zu und probierten.
Half ja alles nichts - sie mussten ihren Freund bergen und sicherstellen, dass er nicht in Gefahr war.