- Start: 23.12.2020 - 16:17 Uhr
- Ende: 23.12.2020 - 16:44 Uhr
Als sie zu sich kam, war es für einen winzigen Moment, als würde sie schweben, losgelöst von ihrem Körper.
Dann bewegte Anima den Kopf ein wenig und der Schmerz explodierte in ihrem Gesicht. So bestialisch, als würde ein flammender Schnitt ihren Schädel aufreißen. Sie schnappte nach Luft, zu geschockt zum Schreien, und wollte instinktiv die Hand hochreißen, um die Kohlen von ihrer Wange zu wischen, die garantiert dort sein mussten.
Aber ihre Hände waren festgebunden. Dicke Bänder schnitten in ihre Handgelenke.
Sie schrie und riss an den Fesseln. Auch ihre Füße waren angekettet. Das Bett unter ihr rappelte, als sie verzweifelt versuchte, sich zu befreien. Sie wollte die Augen aufreißen, doch es ging nicht. Ein dicker Verband drückte auf ihren Kopf und die Schmerzen verstärkten sich bei jeder Bewegung der Lider.
Ihr Herz hämmerte wie wild. Was war geschehen? Hatte Zeekaroth sie gefangengenommen und gefoltert?
Ihre Atemzüge, flach und hastig, schüttelten ihren Körper, während sie verzweifelt versuchte, sich zu erinnern. Was war zuletzt geschehen? Sie waren mit dem Luftschiff gereist. Bilder ihrer Freunde blitzten in der von Schmerz zerrissenen Schwärze auf. Sheila. Marvin. Richard. Und Mustafa!
Ihr Herzschlag hämmerte in ihren Schläfen. Nun erinnerte sie sich wieder an die Schlacht. Zeekaroths Armee hatte sie überrascht. Ein Gewimmel von Leibern, Stahl und Schreien ...
Ein Dämon mit einem Feuerschwert und dann der Schmerz in ihrem Gesicht.
Und seitdem ... nichts.
"Anima!" Eine Stimme drang durch ihre Panik. Hände packten ihren Arm. Sie wollte sich losreißen, aber es ging nicht.
"Alles gut, ich bin es. Hey, es ist alles gut."
Sie kannte die Stimme. Wie kühles Wasser linderte sie die Flammen ihrer Panik. Langsam beruhigte sie sich.
"Richard." Ihre Stimme klang wie die einer Fremden. Kratzig und rau. Ihr ganzes Gesicht schmerzte von dieser kleinen Bewegung.
"Es ist alles gut. Du bist in Sicherheit." Er umfasste ihre Hand und drückte sie sanft.
"Was ist passiert?"
"Du ... du wurdest verletzt."
Sie spürte, wie er langsam ihre Fesseln löste. Es waren weiche Riemen gewesen, aus Stoff. Keine Ketten aus Eisen, wie sie zunächst befürchtet hatte.
"Nicht." Er hielt ihre Hand fest, als sie den Verband von ihrem Gesicht ziehen wollte. Trotzdem fühlte sie eine dicke Beule auf der rechten Gesichtshälfte.
"Was ist passiert?", fragte sie nun wieder mit wachsender Panik.
"Warte nur noch einen Moment, ich zeige es dir", sagte Richard besänftigend. Er half ihr, sich aufzurichten. "Aber du solltest etwas trinken. Hier, langsam."
Etwas Kaltes drückte gegen ihre Lippen. Links, wo eine Lücke im Verband war. Anima trank vorsichtig und in kleinen Schlucken. Ihre Haut spannte und brannte.
"Sehr gut." Richard hielt sie wie ein Kind. Wie eine jüngere Schwester. Sie merkte erst jetzt, wie durstig sie war.
Als das Glas leer war, atmete sie tief durch. Die Panik war abgeklungen. Vielleicht war irgendeine Medizin dieser verrückten Welt in dem Wasser gewesen, ein beruhigendes Zaubermittel oder so.
Doch ihr Atem ging noch immer zitternd. "Ich erinnere mich an die Schlacht."
"Wir konnten fliehen", sagte Richard. "Faith ist gekommen."
"Faith!", rief Anima aus. "Sie lebt."
"Und Stern auch." Anima hörte, wie Richard das Glas absetzte. "So, bereit?"
Sie nickte und tastete nach dem Verband.
"Es war eine Dämonenwaffe, musst du wissen", sagte er behutsam, und half ihr, die Stoffstreifen zu entfernen. "Wir haben getan, was wir konnten, aber ..."
Anima spürte, dass ihre Hände zitterten. Das linke Auge konnte sie nun öffnen und erkannte leicht verschwommen ein weißes Zelt, in dem sie offenbar lag. Doch auf der rechten Hälfte ihres Gesichts lag ein dicker Fellstreifen, der ihr die Sicht versperrte. Die Schmerzen waren noch immer da, ein konstantes Pochen und Klopfen.
Richard ging zu einer Kommode, die mit im Zelt stand, und holte einen kleinen Handspiegel, den er ihr in die Hand drückte. Anima sah hinein.
Ihr blasses Gesicht, umrahmt von langem, seidigem, schwarzen Haar. Ein großes, blaues Auge und die linke Seite der vollen, roten Lippen. Ein Gesicht, im Genlabor von ihren Eltern mit viel Sorgfalt ausgesucht. Sie hatte es gehasst, immer die Schöne zu sein.
Aber das war ihre Identität. Die Schöne. Schneewittchen.
Vorsichtig begann sie, das braune Fell anzuheben, das ihre rechte Seite bedeckte. Sie kannte es bereits aus den Lazaretten. Ein Heilfell von irgendeinem magischen Schaf, das Entzündungen linderte.
Sie fing unten an. An ihrem rechten Mundwinkel bemerkte sie einen dünnen, schwarzen Strich. Die Haut an seinem Rand war gerötet. Je weiter nach oben sie kam, desto breiter wurde die Kruste. Rote, verbrannte Haut erschien fleckenhaft hier und da. Hellere Stellen von eingeschlossenem Eiter.
Ihr Atem wurde wieder schneller. Die Narbe lief über ihre Wange. Wurde fingerbreit, dann breitete sie sich dreieckig auf. Bis zum Nasenrücken und auf der anderen Seite bis zu den kleinen Lachfalten im Auge.
Und das Auge ...
Anima schluchzte trocken auf. Der Spiegel bebte, doch Richard umschloss ihre Hand. Er sagte nichts, weil es keinen Trost geben konnte.
Mit einem harten Ruck riss sie den Rest des Fells herunter. Die Narbe war um ihr Auge herum am breitesten, mit einer Beule, die sich über die Wange ausbreitete. Auf der Stirn lief die schwarze Kruste bis zum Haaransatz spitz zusammen.
Die Kruste fühlte sich unter ihren Fingern uneben an. Hart. Dennoch jagte jede Berührung kleine Flammenspeere durch ihren Kopf.
Am Auge war alles weggebrannt. Die Braue, der Augapfel, die Lider. Stattdessen sah sie in ein tiefes, dunkles Loch, das sie nicht zu berühren wagte.
Richard ließ zu, dass sie den Spiegel senkte. "Faith sagte, es ist ein großes Glück, dass du noch lebst", murmelte er. "Aber es wird nicht viel weiter heilen."
Anima schüttelte fassungslos den Kopf.
"Ich sage den Anderen, dass du wach bist." Richard wandte sich zum Gehen. Sie griff zu und bekam seinen Arm zu packen, obwohl sie die Entfernung nicht gut einschätzen konnte. "Nicht Mustafa."
"Was? Aber er ..."
"Er darf mich so nicht sehen", flehte sie. "Bitte, nicht Mustafa."
"Anima, er macht sich Sorgen um sich." Richard umfasste sanft ihre Finger und löste ihren Griff. "Er hat kaum geschlafen."
"Ich will nicht, dass er mich so sieht. Er soll draußen bleiben!"