- Start: 26.10.2019 - 16:24 Uhr
- Ende: 26.10.2019 - 16:43 Uhr
Mondlicht fiel auf die windschiefe Hütte. Im blassen Licht des Himmelskörpers konnte man durch die Lücken im morschen Holz nur wenig vom Kampf im Innerne sehen. Jaulen, Knurren und menschliches Schreien hallte durch den dunklen Wald. Draußen standen reglos einige Gestalten um die Hütte herum. Sie warteten. Die wunderschöne, dunkelhaarige Frau umklammerte dne Oberarm des hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mannes neben ihr und zuckte bei jedem Schrei zusammen.
"Er schafft das, Anima", sagte ihr Bruder beruhigend. "Hab keine Angst. Das tut ihm nicht so sehr weh, wie es klingt."
"Woher willst du das denn wissen?", fragte die Frau.
Plötzlich senkte sich Stille. Gleich darauf folgte ein kräftiges, triumphierendes Wolfsgeheul. Die Wartenden zuckten zusammen. Anima rief aus: "Mustafa!"
Draußen, auf den Wiesen vor dem Wald, wirbelte die blonde Reiterin auf dem schwarzen Pferd herum. Ihre Augen, zuerst noch grün, wurden rot. Es sah aus, als würden sie sich mit Blut füllen.
"Zurück, Wind!", rief sie ihrem Pferd zu. "Er war nicht stark genug!"
Der Friese stob voran.
"Anima, los!" Richard zog seine Schwester hinter sich her in den Wald. Ihre Gruppe rannte zwischen den düsteren Tannen hindurch. Sie waren nicht weit gekommen, als das Splittern von Holz zu vernehmen war. Anima zögerte und blieb stehen.
"Komm weiter!" Richard zerrte an ihrem Arm und sie folgte widerstrebend.
Auf der Lichtung stand der große, schwarze Wolf in dne Trümmern der Hütte. Fetzen von menschlicher Kleidung lagen um ihn verteilt. Seine mächtige Schnauze war blutverschmiert, die Augen glühten vor Hass. Das Untier hob die Schnauze und witterte, dann folgte er der Spur der Menschen.
Mit trommelnden Hufen hielt das Pferd auf den Waldrand zu, als eine Gruppe Menschen herausstolperte. Auf halber Strecke trafen sie sich auf dne Wiesen. Die Reiterin scannte die Gesichter der Menschen. Ihr Blick blieb an Richard haften, der alleine lief.
"Wo ist Anima?"
Richard wirbelte herum. "Sie war doch - Verdammt!"
"Schneller, Wind!"
Das große Pferd schnaubte.
Dann kam Anima endlich in Sicht, die etwas weiter links aus dem Gebüsch brach. Panik verzerrte das weiße, ebenmäßige Gesicht, Tränen rannen aus den meerblauen Augen, ihre seidigen, schwarzen Haare waren voller kleiner Äste und Blätter. Sie sah die Reiterin, rannte auf sie zu, doch -
Vor ihr brach mit einem donnernden Knurren der riesige Wolf aus dem Gebüsch. Es regnete schwere Äste. Anima hielt an und wich bebend zurück, während der Wolf sich zum Sprung duckte.
Anima drehte sich um und rannte zurück. Der Wolf setzte ihr mit langen Sprüngen nach, schneller als man es seiner Größe zugetraut hätte.
Doch noch jemand war schneller.
Ein Ohr des Raubtiers zuckte, als er Hufschlag hinter sich hörte. Doch er wandte den Blick nicht von seiner Beute ab. Schon stieß er sich zum tödlichen Sprung in die Luft. Den Ruf, der hinter ihm erklang, beachtete er nicht.
Anima warf sich auf die Erde und wirbelte herum. Sie sah, wie der Wolf auf sie zuflog. Doch die Reiterin hatte sie erreicht. Sie sprang vom Pferderücken und noch im Flug entfaltete sie schwarze Flügel auf dem Rücken. Sie packte das Rückenfell des springenden Monsters und riss das Tier zurück. Das Pferd warf sich auf den Boden und rutschte unter den Pranken des Wolfs hindurch. Das Fell lehmverschmiert kam der Hengst vor Anima wieder auf die Hufe und baute sich schützend vor ihr auf.
Die Vampirin schleuderte den Wolf mit übermenschlicher Kraft zur Seite. Das Untier fletschte die Zähne und knurrte. Sein Blick richtete sich hasserfüllt auf seinen Erbfeind, die Schwarzhaarige war vergessen. Mit einem Sprung flog der Wolf auf den Vampir zu, doch die Blonde wich mit einer schnellen Bewegung zur Seite. Der Wolf rutschte über das Erdreich, riss es mit seinen Klauen auf. Er wirbelte herum. Die Vampirin rannte los, zurück in den Wald.
Der Wolf folgte ihr mit wutentbranntem Schnauben.
"Nein!" Anima sah der Blonden nach. Obwohl die Vampirin stärker und schneller als ein Mensch war - gegen den Wolf hatte sie nicht die geringste Chance!
Das Pferd stieß sie sanft mit dem Kopf an und schnaubte.
"Aber ... du lässt dich nur von Ilia reiten."
Der Hengst schüttelte die Mähne und zupfte am Schulterstück von Animas Kleid.
"Er wird sie zerfetzen!"
Das schwarze Pferd folgte Animas Blick zum Wald. Es scharrte mit den Hufen und packte Animas Ärmel jetzt fest mit den Zähnen.
Sie wandte ihm das tränenüberströmte Gesicht zu. "Willst du wirklich einen Freund sterben sehen, Nachtwind? Wir müssen ihr helfen!"
Die silbernen Augen des Pferdes wichen ihrem Blick aus. Zögerlich ließ er Anima los.
Sie rannte in den Wald. Draußen auf den Wiesen schrie Richard auf, als er sah, wie seine Schwester dem Werwolf folgte.