- Start: 18.11.2021 - 18:01 Uhr
- Ende: 18.11.2021 - 18:16 Uhr
Aston zog den Lederriemen an seinem Stiefel fest. Dann richtete er sich auf und kontrollierte den Sitz seines Rucksacks, die Schwertschneide und den Mantelkragen. Der wettergegerbte Mann ging seinen Besitz mit der gleichen Ruhe durch, mit der sich eine Katze putzen würde. Dabei war offensichtlich, dass er schon eine ganze Weile keine Dusche mehr gesehen hatte. Sein Gesicht war mit Erde verschmiert, sein Kinn unrasiert. Unter dem breitkrempigen Hut blickten müde Augen zum Horizont und richteten sich dann zurück auf den bunten Haufen, der sich ihm langsam näherte.
Eine schlanke Bogenschützin mit Namen Tabea, auf der Schulter ein Mischwesen zwischen Pfau und Papagei, das sie Pfaupfau oder Pfaugei nannten. Es war ihnen in einer der letzten Welten zugelaufen, einem Dschungel voller fremdartiger Wesen, und hatte sie vor einer Giftschlange gerettet, worauf die Truppe den Vogel adoptiert hatte.
Drei Kinder gehörten auch zu ihrer Gruppe. Sie kamen wohl ursprünglich aus Kanada und waren beim Spielen in den Wäldern durch ein Portal gestolpert. Nach einer kurzen Odyssee hatten sie die Wanderer in einem von Kinderfressern heimgesuchten Wald getroffen. Sie konnten sich nicht mehr an ihre Namen erinnern. Vielleicht waren sie gar keine Menschen, sondern nur Figuren. Wesen dieser Welten.
Aber das spielte keine Rolle. Tick, Trick und Track gehörten nun zu ihnen.
Anja war ein selbsterklärter Nerd. Sie war beim Lesen in die nächste Welt gerutscht, zunächst nach 'Tintenherz'. Sie hatte sich gut geschlagen, bis sie von dort im 'Zauberer von Oz' und dann in einer mittelalterlichen Erzählung über die Taten von Hexen gelandet war. Ab da war ihr Leben ein Überlebenskampf geworden, da sie sich weiter und weiter in der Wildnis des Horrors verirrt hatte. Sie lenkte einen Karren, vor den ein sogenannter Hippogreif gespannt war. Sie sagte, das Tier sei seit 'Harry Potter' bekannt, aber Aston hatte weder von der Kreatur noch von den Büchern je gehört. Dabei hatte er erst etwa vier Jahre hier verbracht - doch Anja stammte aus einer Zeit, die für ihn in weiter Zukunft lag.
Seine Begleiter hatten ihn erreicht und sahen genau wie Aston über die gelbliche Ebene. Rote Bögen aus Stein spannten sich über einer trostlosen Wüstenebene, aufgewirbelter Staub tanzte darüber. Die Weltenreisenden zogen sich Tücher vor Nase und Mund.
"Ich glaube, dort drüben sehe ich ein Portal." Aston deutete auf ein kaum merkliches Flimmern unter einem der Bögen. "Ich schlage vor, wir versuchen es dort."
"Wir können noch ein paar Tage warten", erwiderte Tabea.
Niemand sagte ein Wort. Sie wussten nicht, wie lange das Portal bestehen würde. Vielleicht würde es erlöschen und sie in der unbarmherzigen Hitze zurücklassen, in der sie verdursten könnten.
Doch vielleicht wäre das, was hinter dem Portal lag, sehr viel gefährlicher als Hitze und Sonnenbrand.
Sie wussten es nicht. Sie wussten auch nicht, was sie in der Einöde womöglich erwartete. Sie wussten nur, dass sie durch mehr Welten gewandert waren, als sie zählen konnten, und dass jeder dieser Orte mit neuen Regeln aufwartete.
Und sie ahnten, dass sie wohl niemals ihren Weg nach Hause finden würden.
"Gehen wir", sagte Aston und zog die Riemen ein letztes Mal fest.
Der Rest folgte ihm.