Kapitel 10
Reed hatte sich Ana gegenüber gesetzt. Nick hatte sie wieder an die Arbeit geschickt. „Also, ich schätze, Nick hat dir erklärt, warum ich dich hergebeten habe?“ „Eigentlich nicht.“ Ana zog eine Braue in die Höhe. Reed hatte eine sehr raue Stimme für sein Alter. „Okay“, sagte Ana gedehnt. „Warum bist du dann gekommen?“ „Er hat mir was zum Essen versprochen.“ Sie lachte auf. „Er hat dich mit einem Köder hergelockt.“ „Was mache ich hier?“ Er sah sie abwegig an. „Nick hat mir erzählt, dass du gerne Musik machst.“ Er nickte zögernd. „Wie auch immer, ich möchte dir ein Angebot machen…“ „Nein.“ Er stand auf und wollte bereits gehen. „Warte doch. Ich habe dich noch nie hier im Diner gesehen.“ „Ist nichts für mich.“ „Möchtest du hier deine Musik spielen?“ Er sah sie an. „Du würdest mir erlauben, hier meine Musik zu spielen?“ „Was für Musik machst du denn?“ „Irgendwas halt.“ Ana stand ebenfalls auf und trat neben ihn. „Hier findet jeden Samstagabend Karaoke statt. Ich brauche dringend einen DJ. Du könntest auch deine Musik spielen. Eine Bedingung ist aber, dass es weiterhin Karaoke bleibt. Natürlich bekommst du auch ein Lohn.“ Nun sah Reed sie verdutzt an. „Du bietest mir ein Job an?“ „Ja. Warum nicht?“ „Du kennst mich nicht, hab ich recht?“ Ana dachte nach. Aber er kam ihr überhaupt nicht bekannt vor. Sie schüttelte ihren Kopf. „Mein Dad kennst du aber sicher. Nicht leicht zu vergessen. Junkie, Alkoholiker und Exhäftling.“ „Du bist Jensens Sohn?“, fragte sie überrascht. „Man kann sich seine Familie nicht aussuchen“, murmelte er. „Das kenn ich nur zu gut.“ „Du?“ „Das bleibt aber unter uns, klar?“ Reed lachte auf. „Mir würde sowieso niemand glauben.“ Ana legte eine Hand auf sein Arm. „Warum sollte ich dir kein Job anbieten?“ „Wegen meinem Dad.“ „Nur, weil dein Dad Fehler gemacht hat, bist du daran nicht schuld. Und wenn du etwas kannst, richtig gut kannst, dann solltest du das auch machen. Träume nicht dein Leben Reed. Lebe deine Träume.“ „Du hörst dich an, als würdest du nur zu gut wissen, wie mein Leben ist. Obwohl dich alle hier lieben.“ „Ich habe nicht immer hier gewohnt, Reed. Und jetzt Schluss damit. Was sagst du, nimmst du mein Angebot an? Du wirst Samstagabends auftreten und bekommst monatlich zweihundert Dollar.“ Reed machte große Augen. Er konnte es nicht fassen. Jemand machte ihm ein solches Angebot, dabei wusste sie, wer sein Vater war. „Morgen kannst du Probearbeiten und wenn es klappt, kommst du jeden Samstag“, fuhr Ana fort und ging zurück zu ihrem Tisch. „Hast du irgendwas von dir dabei?“ Reed nickte und entsperrte sein Mobiltelefon. Kurz darauf ertönte ein Mashup. Sie hörte eine Weile rein und als sie die Drums hörte sagte sie: „Das ist super“, Ana sah ihn lächelnd an. „Es gefällt dir?“ „Ja, du hast Talent. Hör damit ja nicht auf.“ Reed nickte bloß. Ana klatschte einmal in die Hände. „So, jetzt muss ich aber wieder an die Arbeit.“ Sie ging aus ihrem Büro und er folgte ihr. „Sicher, dass du mich einstellen willst?“, fragte Reed erneut und sah die Gäste an. Sie sahen Reed missbilligend an. „Nicht das du wegen mir deine Gäste verlierst.“ Ana sah die anderen an. Alle hatten Vorurteile. Sie wandte sich mit einem Lächeln zu Reed. „Willst du hier arbeiten, ja oder nein?“ „Ich…“ „Ja oder nein?“, unterbrach sie ihn. „Ja.“ „Dann sollen sie eben gehen. Ich verurteile Menschen nicht. Und wenn die anderen es nötig haben, ist es ihr Problem. Sollen sie halt nicht mehr kommen.“ Ana hatte es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, Reed unter ihre Fittiche zu nehmen. „Okay.“ „Dann sehen wir uns morgen.“ „Bis morgen.“ Reeds Blick blieb bei Meg hängen. Er verdrehte die Augen. „Der Typ tut mir leid“, murmelte er und verließ das Diner. Ana sah ebenfalls zu Meg. Diese schenkte Dean ein strahlendes Lächeln. Sie hatte sich über den Tisch gebeugt und bot somit ein Blick in ihr Ausschnitt. Doch Dean sah ihr nur ins Gesicht. Er antwortete immer mit kurzen Sätzen. „Hey Ana, danke, dass du das für Reed gemacht hast.“ Nick war neben ihr aufgetaucht. „Er ist ein netter Junge. Er darf nur nicht auf die falsche Spur gelangen.“ „Ich danke dir.“ „Dafür musst du mir nicht danken.“ Ana sah auf die Uhr. „Du hast ja schon längst aus. Geh jetzt nachhause.“ „Bis morgen, Ana.“ Das Diner wurde immer leerer. Bis nur noch Meg und Dean übrig blieben. Ronny, Celine und Lilian machten auch Feierabend. Nun blieb Ana mit ihrem Exfreund und Meg alleine im Diner. Ana ging auf die zwei zu. „Es tut mir leid euch zu stören, aber ich muss jetzt das Diner schließen.“ „Kein Problem, ich wollte sowieso gehen.“ Dean stand abrupt auf, nahm sein Geldbeutel, bezahlte und warf Ana einen dankbaren Blick zu. Als er das Diner verlassen hatte, stand Meg ebenfalls auf. „Warum hast du uns unterbrochen?“, fragte Meg sie wütend. „Ich schließe das Diner. Hast du mal auf die Uhr geschaut?“ Meg warf ihre blonden Haare nachhinten und ging an Ana vorbei, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen. Auch gut. Sie nahm das Geld und schloss erst ab. Dann lief sie zur Kasse und zählte das Geld. Anschließend ging sie in ihr Büro und schloss es im Safe ein. Anschließend nahm sie ihre Tasche und verließ ebenfalls das Diner. Sie ging in ihre Wohnung. Sally saß im Wohnzimmer und schaute eine Reality-Show an. „Was schaust du an?“, fragte Ana leise und setzte sich zu Sally. „Big Brother. Aber ich stelle fest, dass das eine sehr langweilige Sendung ist.“ Ana lachte leise. „Schläft Nala?“ „Ja, aber sie hat heute besonders lange gebraucht. Sie hat dauernd von einem Dean geschwärmt. Ich glaube er ist ihr Arzt.“ Ana schloss kurz die Augen. „Ja Dr. Lewis ist Nalas Arzt.“ Sally nickte und stand auf. „Ich geh jetzt lieber nachhause.“ Ana stand ebenfalls auf und holte ihr Geldbeutel raus. „Ana?“ „Ja?“ Sie reichte Sally ihr Geld. „Ich habe vorhin Reed aus dem Diner gehen sehen.“ „Du kennst ihn?“ Sally nahm das Geld entgegen und zog ihre Schuhe an. „Jeder kennt ihn. Was hat er denn im Diner gemacht?“ „Er hatte ein Vorstellungsgespräch.“ Sally hielt mitten in ihrer Bewegung inne. „Hast du ihm ein Job gegeben?“ „Ja. Ist das so schlimm?“ „Weißt du denn nicht, wessen Sohn er ist?“, fragte Sally überrascht. „Doch, aber findest du nicht, dass es unfair wäre, ihm keinen Job zu geben, nur weil sein Vater Fehler macht?“ „Meine Mutter sagt immer, dass der Apfel nicht weit vom Baum fällt.“ Ana zuckte zusammen. Sie musste dringend aufhören, alles auf sich zu beziehen. „Daran glaube ich nicht. Jeder hat sein Leben selbst in den Händen“, antwortete Ana schroff. „Du meinst, dass man ihm eine Chance geben sollte?“ Ana holte tief Luft. „Sally, wenn man jemandem das Gefühl gibt, minderwertig zu sein und es zu nichts zu bringen, wird diese Person das auch so annehmen und deine Theorie wird sich bestätigen. Geben wir aber den Leuten das Gefühl, nicht minderwertig zu sein und dass sie besonders auf ihre Art sind, bringen diese Leute es sehr weit hinaus. Ich habe keine Zweifel an Reed. Man darf jemanden nicht verurteilen, nur weil seine Familie nicht korrekt ist.“ Ana war schon immer Sallys Vorbild gesehen. „Okay. Ana, ich hätte da eine Frage an dich.“ „Was gibt es?“ „Könnte ich morgen auch beim Karaoke Abend dabei sein? Ich weiß du brauchst einen Babysitter aber…“ Ana lächelte. „Ich habe schon darauf gewartet, dass du mich darum bittest. Ich werde Nala morgen bei Liah absetzen. Dann hast du frei und kannst zum Karaoke Abend kommen.“ „Danke.“ Anschließend verließ Sally die Wohnung und ging nachhause. Nachdem Ana bei ihrer Tochter vorbei geschaut hatte, ging auch sie schlafen.