„Nur durch Mut, Teamfähigkeit, Wille, Kraft und vor allem durch Liebe, lässt sich das Märchendorf gewinnen."
-Hera-
Zusammen gingen wir wieder in den abgetrennten Teil, wo sich die Laufbänder befanden, doch wir waren heute nicht alleine. Da trainierten gerade ein Mädchen mit schulterlangen, braunen Haaren zusammen mit einem Jungen, dessen zerzaustes Haar sich hin und her bewegte. Ansonsten unterschieden wir uns recht wenig, da die meisten Teilnehmer hier einen schwarzen Trainingsanzug trugen.
Charles und ich gingen wieder zu unseren Laufbändern.
Ungerührt lagen dort die digitalen Brillen, die uns in die digitale Welt führten. Hera tippte etwas in den PC ein, während wir uns startklar machten und wieder verkabelt auf der Position begaben, wohin uns der blaue Pfeil führte. Angespannt sprang ich ein paar Mal auf der Stelle in die Luft.
Charles hat Recht behalten. Um ein perfektes Team zu werden und somit gut dazustehen, müssen wir beide im Training unser Bestes geben. Jetzt ist einfach kein Platz für negativen Gedanken. Später würde ich diese Charles beichten.
Der Countdown lief. Charles und ich machten uns bereit zum Rennen, denn wir hatten nur noch 10 Sekunden, bevor es losging. Meine Muskeln spannten sich im ganzen Körper an wie die Sehne eines Bogens.
...6, 5, 4, 3, 2, 1, GO.
Die Laufbänder liefen an und ich sprintete sofort los. Ein düsterer Mischwald, dessen Zweige wie abgemagerte Arme nach mir griffen, breiteten sich um mich heraus. Es scheint Nacht zu sein, wie dunkel es an diesem Ort ist. Ich stand auf einem sandigen Untergrund, der aus Nadeln, Erde und Gezweig bestand. Jeder Schritt gab ein knirschen, der Blätter von sich. Diese beklemmende Dunkelheit und die hohen Bäume ließen mich erschaudern. Lauf weiter. Einfach weiter, das ist nicht real. Der erste Ast, der sich mir in den Weg stellte, erschien auf der linken Seite. Ich duckte mich nach rechts weg und erblickte einen weiteren Zweig direkt vor mir. Schnaufend rannte ich wieder auf die andere Seite. Dieser Teil des Trainings lief soweit besser als beim letzten Mal und so hatte ich Baumstämme, Äste und Gestein schon hinter mir und war immer noch nicht aus dem bedrückenden Gehölze heraus gekommen.
Nach einer Weile hörte ich ein lautes Heulen. Rhythmisch schnaufend schaute ich in die Richtung, aus der das Geräusch herkam. Es waren zwei silberfarbene Wölfe, die auf einem entfernteren Hügel standen. Einer der Wölfe schien mich bemerkt zu haben, denn sie sprangen von der Erhebung herunter und rannten in meine Richtung.
Eilig huschte ich über die nächsten liegenden Erdlöcher und Hänge. Das Laub unter meinen Füßen wirbelte in die Luft und so joggte ich einfach weiter.
In der Ferne konnte ich nun die Umrisse eines Hauses sehen, dessen Fenster in einem angenehmen Orange brannten.
Das Ziel. Ich habe es fast geschafft... Aber das sieht fast aus, als würde es aus Keksen bestehen. Echt merkwürdig, was Hera sich für eine Simulation ausgesucht hat, aber es hat meine Neugierde geweckt. Am besten werde ich mir das aus der Nähe anschauen, um Klarheit zu haben.
Reißzähne fletschten an meiner Hand vorbei und holten mich in den Albtraum zurück. Die beiden Wölfe rannten fast auf Augenhöhe neben mir. Meine Beine brannten und wollten eigentlich nicht mehr, doch ich biss die Zähne zusammen, denn das bösartige Schnaufen der Wölfe ließ nicht locker. Sie spielten mit ihrer Beute und ich war die Gejagte.
Die Hütte im Wald kam immer mehr in greifbare Nähe und zog mich wie eine Motte in den Bann des herzerwärmenden Lichts. Meine Hand streckte sich schon nach dem Türknauf aus. Ja, Ja; gleich bin ich beim Licht.
Gelbe Zähne des Wolfs bissen sich ins Handgelenk rein. Wie ein Blitz schlug der feurige Schmerz von meiner Hand zum Kopf. „Scheiße Drecks Biester“, fluchte ich und versuchte den Wolf mit schnellen Bewegungen von meinem Arm loszuwerden. Glücklicherweise schienen sich die Wölfe von den Bewegungen zu verängstigten. Mit einem Schnaufen und traurigen Heulen ergriffen die beiden Bestien die Flucht. Das Wort ENDE erschien in blauen Buchstaben und ich konnte die Brille absetzten.
Hera reichte uns Handtücher und Wasserflaschen, damit wir uns ein wenig frisch machen konnten. Mir war gar nicht aufgefallen, dass an meiner Stirn Schweißtropfen klebten und doch war ich glücklich, den Spuk überstanden zu haben. Charles und ich waren verschwitzt und ausgelaugt, versuchten uns für die nächste Übung mental vorzubereiten und gingen ein wenig auf und ab, um die Gifte aus dem Körper zu holen.
*
„Kommt ihr beiden, ihr hattet genug Pause und jetzt sind eure Muskeln schon mal warm, um mit dem Training fortzusetzen. Ich werde euch nun den Trainings Parcours zeigen, das ist eure nächste Station“, erklärte Hera im ernsten Ton und klatschte daraufhin in die Hände.
Wir machten uns mit leichten Beschwerden auf den Weg, um den neuen Hallenabschnitt zu erreichen. Hera öffnete uns daraufhin die Tür und fügte hinzu: „Ich werde nicht mit euch rein gehen, da dies die Regeln untersagen. Ihr werdet aber alles erklärt bekommen. Viel Glück.“
Als wir den Raum betraten, konnte ich unterschiedlich hohen Kästen und Balken entdecken, diese waren so angeordnet, dass sie einen Weg bildeten. Auf diesem Hindernislauf konnte man sich von Gerät zu Gerät hangeln, denn es befanden sich immer gespannte Seile zum Orientieren dort. An den Seiten der Sportgeräte lagen blaue Matten, die ich vom Turnen kannte. Ansonsten war keine Menschenseele anwesend.
Ein Ton, wie man es von einem Anrufbeantworter kannte, erfüllte den Raum: „Willkommen im Partner Trainingsraum. Ich bin die Computerstimme, die euch begleiten wird. Ihr werdet hier eure Teamfähigkeit aufbauen und dazu muss einer von euch eine Augenbinde tragen. Diese findet ihr in der Nähe des Eingangs. Anschließend geht bitte an die blaue Startlinie. Dort werden euch dann die weiteren Regeln erklären, wenn ihr „wir sind bereit“ mir mitteilt.“
Charles und ich studierten die neuen Räumlichkeiten genau, doch wir merkten, dass es viel zu viele Möglichkeiten gab. Wir mussten also auf unsere Intuition verlassen. Neben der Eingangstür war eine kleine Säule, auf der eine Augenbinde abgelegt war. Charles setzte sich die Augenbinde auf und ich führte ihn vorsichtig an den Startpunkt des Parcours.
„Wir sind bereit“, explizierte ich der Computerstimme.
Piep. „Ich werde euch nun die Regeln erklären, daher hört gut zu. Die Person mit der Augenbinde muss den Weg überwinden. Die andere Person gibt dabei Tipps und hilft aktive mit. Wenn der rote Knopf am anderen Ende gedrückt wird, habt ihr den Weg zu den beiden Türen geschafft und ich gebe euch weiter Hinweise. Die Zeit wird dann am Ende des Hindernislaufs in die Siegerliste eingetragen. Ich werde nun von 10 runterzählen und dann „LOS“ sagen. Ab diesem Zeitpunkt wird der Timer gestartet.“
Damit Charles wusste, was gleich passieren würde, stellte ich mich hinter ihm, damit er mich besser verstehe konnte. Meine Lippen lagen nun fast an seinem Ohr. „Du musst nur immer geradeaus rennen, dich am Führungsseil festhalten, so lange, bis ich stopp rufe“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Für einen Moment waren wir sehr nahe beieinander, sodass ich spürte, wie meine Wangen mollig warm wurden.
„Pass auf dich auf“, fügte ich noch hinzu, bevor ich mich an meinen gewählten Startpunkt hinstellte.
„…3, 2, 1, LOS“
Mein Ziel war die quaderförmige Kiste, die neben dem Balken stand. Ich hob meinen Blick und sah, wie mein Partner kurz davor war, den Abgrund hinunterzufallen. „Stopp“
Er ist fast in die Tiefe des Abgrundes gefallen. Du musst besser auf ihn aufpassen.
Kopfschüttelnd und mit aller Kraft schleifte ich die Kiste über den Boden und kurz darauf befand sie sich zwischen Charles und dem nächsten Balken. Somit entstand eine Brücke zwischen den Tälern.
„Lauf jetzt vorsichtig los. Vor dir befindet sich ein dünner Balken“, rief ich ihm zu. Seine Beine bewegten sich geschickt wie eine Ballerina über den Balken und so war dieses Hindernis auch bewältigt.
Ich rannte zu einem kleinen Aussichtsturm, der sich in der Mitte des Raumes befand. Von dort hatte ich einen guten Ausblick über die gesamten Hindernisse, die noch auf dem Weg waren. Als ich an das Ende des Weges blickte, den gerade Charles ablief, entdeckte ich eine Art Fahrstuhl, der mich mehr an eine Hebebühne erinnerte. Das Gebilde war jedoch auf dem Boden und musste erst hochgefahren werden, da man ansonsten den Weg nicht überqueren konnte. Mitten auf dem Weg von Charles entdeckten meine Augen eine Bodendruckplatte.
Die nächsten Minuten vergingen wie in Zeitlupe und meine Nerven waren angespannt. Als Charles es endlich auf die Druckplatte geschafft hatte, rief ich mit aller Kraft, die meine Stimme vermacht hatte. Charles blieb daraufhin auf der Platte stehen und wie geplant bewegte sich der Fahrstuhl mit einem leisen, metallischen Surren nach oben. Ich ließ denn Fahrstuhl etwas weiter nach oben fahren, damit Charles noch etwas Zeit hatte, da der Fahrstuhl sich ansonsten absinken würde. Kurz darauf rief ich: „Du musst nun einen kleinen Sprung hinlegen und bewege dich dann schnell nach vorne.“
Mein Partner nahm einen tiefen Atemzug, bevor er mich fragte: „Wie weit muss ich ungefähr springen?“
Ich schätzte die Länge ab und antwortete ihm: „Einen Meter.“
Er fing kurz darauf an zu rennen. Als ich „Jetzt“ rief, sprang Hänsel durch die Luft und landete mit einem lauten, metallischen Schlag auf der Plattform. Doch der Junge ließ sich von nichts ablenken und rannte weiter.
Damit ich mithalten konnte, musste ich nun über einen Barren balancieren. Mit weichen Knien versuchte ich ein Fuß vor den anderen zu setzten, doch ich geriet ins Wanken und musste immer wieder Pausen einlegen. Mein Oberkörper wippte wie ein Pendel hin und her und ich musste meine Arme genauso wie ein Falke seine Flügel ausbreiten, damit ich die Balance halten konnte.
Hera hat Recht. Ich muss wirklich an meinem Gleichgewicht arbeiten.
Schließlich schaffte ich es doch, das Hindernis zu bewältigen.
„Geh in die Knie und lauf gebückt weiter“, rief ich Charles noch zu, bevor er sich den Kopf anstoßen würde. So ging es eine ganze Weile. Wir kämpften uns so lange, bis wir fast am Ende des Parcours angelangt waren. Dort befand sich ein kleiner Durchgang, der uns zu zwei verschiedenen Türen führte.
Wir sind soweit ein ganz gutes Team.
Piep. „Die Zeit ist nun angehalten und zieht gleich die Augenbinde ab“, erklärte uns die Computerstimme. Mein Partner nahm die Binde von seinen Augen ab und blinzelte ein wenig.
Piep. „Jeder muss durch eine Tür. Wenn ihr eine von beiden öffnet, wird die Zeit weiter gezählt“, sprach die Computerstimme. Charles kam auf mich zu. Ich stand nur schnaufend da und blickte ihn stumm an. Er nahm mich vorsichtig in die Arme und so konnte ich seine angenehme Wärme spüren auf meiner Haut. Der frische Schweiß erfüllte uns wie eine sanfte Parfümwolke, die mich aber nicht wirklich störte. Vorsichtig hob ich meinen Arm und legte ihn sanft auf seine Schulter.
„Wir werden das als Geschwister zusammen durchstehen“, flüsterte er mir ins Ohr. Kurz daraufhin löste er sich eilig von der freundschaftlichen Umarmung und öffnete die linke Tür. Er verschwand, bevor ich etwas erwidern konnte. Irritiert öffnete ich die andere Tür und lief hindurch.