Tee weckt den guten Geist und weise Gedanken. Er erfrischt das Gemüt. Bist du niedergeschlagen, so wird Tee dich ermuntern.
-(um 2800 v. Chr.), chinesischer Kaiser-
Hera brachte uns noch zu den Dienstmädchen, die uns in der Umkleide wuschen, kleideten und etwas schminkten. Ich fühlte mich dabei immer wie ein Pferd, welches gerade gestriegelt wurde und doch tat es gleichzeitig immer wieder gut den Schmutz des Tages hinter sich zu lassen. Nachdem wir wieder in unsere Rollen schlüpften, wurden wir von Hera in Richtung des Speisesaals geführt.
Denn dort gab es ein Treffen mit unseren Eltern aus dem Märchen. Innerlich klopfte mein Herz wie wild vor Aufregung. Meine Beine hüpften während ich mit Hänsel und Hera den Weg zu uns wohl bekannten Ort machten. Die Umkleide war dieselbe, die ich heute Morgen voller Tatendrang betreten hatte und heute wieder mit demselben Gefühl verlassen hatte.
Schließlich gelangten wir dann vor den majestätischen Eingang des Speisesaals, der aus zwei großen Türflügeln bestand. Dieses Mal waren sie geschlossen, als zu den anderen Tageszeiten. Dort erblickten wir eine uns bekannte Person: Gesine.
Heute trug sie ein schneeweißes Kleid, welches an manchen Stellen mit kleinen Schleifen verziert worden war. Diese schienen sogar im Licht der Deckenbeleuchtung zu schimmern. Ihre seidenen Handschuhe an den Fingern gingen ihr fast bis zum Ellenbogen. So wie ein gigantisch weißer Sommerhut, der mit einem schwarzen Band abgestimmt wurde, befand sich auf ihrem Haupt und bedeckte so ihr blondes, leuchtendes Haar.
Hera drehte sich daraufhin um. "Ich werde mich dann wieder auf den Weg in die Pause begeben. Eine Runde Joggen wird mir sicherlich gut tun", gab sie bekannt.
Wir verabschiedeten uns von Hera bevor wir uns wieder der Hauptperson zuwendeten.
"Hallo ihr beiden. Drinnen warten schon eure Eltern auf euch. Ich freue mich ja so auf das Familientreffen", erquickte sie in einem fast schrillen Ton, während sie die Hände vor ihrer Brust zusammenfaltete.
"Wir beiden sind auch schon sehr aufgeregt", gab ich mit einem nervösen Lächeln zu.
"Na dann. Lasst uns keine Zeit verlieren", erklärte Gesine freundlich, während sie die Türe öffnete.
Als wir die Pforte durchschritten hatten, sahen wir zwei Personen an einem Tisch sitzen. Es war ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte einen lang ärmliches, beige Hemd an, welches mit ein paar Schnüren zusammengehalten wurde. An seinem Hals hatte er ein rotes Tuch umgebunden. Sein rundliches Gesicht schmückte einen Vollbart und sein braunes, volles Haar war etwas leicht gelockt.
Die Frau hingegen hatte ihre braunen Haare offen getragen. Sie waren wellig und dennoch etwas an den Spitzen schon beschädigt. Ihre Augen schienen etwas müde zu sein, da sich schwarze Augenringe unter den Lidern zeichneten. Ihr Kleid war in einem schlichten Blau gehalten, welches mit einer weißen Schürze abgerundet war.
Vor uns bereitete sich ein Tisch aus, der ein vollständiges Teeservice zu bieten hatte.
Auf dem Tisch lag eine hellblaue Tischdecke, auf der weißen Hasen abgebildet waren.
Zusammen mit den verschiedenen Kuchen, verspielten Geschirr mit rosafarbenen Blümchen hätte es ausgesehen, als ob wir uns zu einer Tee Party verabredet hätten. Im Hintergrund war angenehme Orchestermusik zu hören.
"Ich dachte mir, das ein gemütliches Beisammensein besser wäre als eine angespannte Situation zum Kennenlernen", gab Gesine von sich, während sie die Arme Richtung Tisch ausbreitete.
"Hänsel und Gretel. Darf ich euch eure Stiefmutter und Vater vorstellen", machte Gesine uns mit den beiden Personen bekannt.
Wir begrüßten uns mit einem freundlichen Lächeln. Je schneller wir uns in unsere Rollen finden würden, desto bessere Chancen haben wir auch. Dazu zählte auch, dass wir den Eltern eine Chance gaben.
Ich setzte mich anschließend gegenüber dem Mann hin, der neben der Frau saß. Hänsel hingegen hatte sich neben mich auf den Stuhl platziert und Gesine war am Kopfende des Tisches zwischen Hänsel und Mutter. Meine Hände hatte ich auf dem Tisch zusammengefaltet.
"Da ich euch jetzt untereinander vorgestellt habe, werde ich jetzt nun Kaffee und Kuchen eröffnen. Wobei wir nur Tee heute im Angebot haben", begann Gesine die Runde freundlich.
"Dürfen wir dabei auch Fragen stellen?", fragte Charles nun etwas neugierig und hob dabei ein wenig seine Hand in die Luft.
"Na klar. Aber vorher möchte ich euch noch etwas Kuchen anbieten. Wer möchte das erste Stück Bienenstich?", antworte Gesine freundlich auf seine Frage.
Der Mann nahm sich seinen Teller in die Hand und sprach: "Also ich als Familienoberhaupt sollte zuerst ein Stück Kuchen bekommen. Meine Lieben."
Die Frau schüttelte nur den Kopf. "Es ist doch klar, dass ich als deine Frau das Kuchenstück bekomme. Schließlich muss ich mich später auch um meine Kinder kümmern und wie heißt es: Ladys First", gab sie selbstbewusst von sich.
Vater schaute sie mit großen Augen an und sprach: "Ich denke die Kinder..."
"Als deine Frau bin ich dir weniger Wert als meine Kinder?" Sie schaute ihn mit einem Finstern Blick an, diesen unterstützend, indem sie die Arme vor ihrer Brust verschränke.
"Es sind immer noch meine Kinder und ich denke, sie sollten zuerst ein Stück bekommen. Schließlich liegt mein Herz an ihnen. Doch wer soll nun das erste Stück bekommen? Meine Lieben?", ein fröhliches Grinsen, welches jedes Herz mit Freude ansteckte, schmückte sein Gesicht.
"Ich!", rief ich lautstark und reichte Gesine meinen Teller.
Ein Gelächter von der Runde war die Antwort. Zuerst war ich etwas überrascht, doch wenig später schloss ich mich dem Gelächter an. Ein wärmendes Gefühl der Geborgenheit spürte ich nun in meinem Herzen, welches wie ein Kind für seine Eltern entsprach.
Die mollige Wärme hielt sogar noch an als ich den Kuchen erhielt. Auch Charles hatte ein Stück vom Kuchen abbekommen. Doch er hatte sich für ein Stück vom Käsekuchen entschieden. Auch keine schlechte Wahl. Wer konnte schließlich zu Käsekuchen nein sagen?
Gut gelaunt nahm ich vorsichtige ein kleines Stück vom Bienenstich auf meine Kuchengabel. Die Sahne vom Kuchen wurde dadurch etwas nach außen gedrückt. Es fühlte sich gerade so an als ob ich in einem süßen Traum gefangen wäre.
"Haben wir Freizeit, wenn wir bei euch in der Wohnung zusammen leben?", fragte Charles nachforschend.
Mein Blick richtete sich wieder zu den Eltern. Dieses Mal musste Charles sich etwas mehr den wichtigen Fragen widmen.
"Ihr werdet auch Freizeit haben um zum Beispiel im naheliegenden Wald spielen zu können", gab die Frau etwas nachdenklich, doch besonnen zur Antwort.
Der Mann fügte mit leuchtenden Augen hinzu: "Die Natur hat so einiges schönes zu bieten und ich hoffe, dass ich etwas von der Schönheit teilen kann."
Seine Hand nahm sich die Teekanne und goss sich etwas von dem dampfenden Tee in die Tasse. "Möchtet ihr auch noch etwas von dem Tee haben, meine Lieben?"
"Sehr gerne", sprach ich in einem höflichen Ton und reichte ihm die Tasse, sowie es Charles bereits getan hatte. Wenig später hatten wir alle dann etwas von dem Tee erhalten. Ein verführerischer, erfrischender Zitronenduft stieg in meine Nase. Ich nahm vorsichtig die Tasse am Henkel und führte sie zu meinen Lippen. Lecker! Zitronentee mit etwas Honig.
"Mmmmh. Mmh", summte ich von meiner Tasse aus bevor ich wieder von dem Kuchen naschte.
"Aber da wir schon von der Natur sprechen. Mögt ihr die Natur? Wart ihr schon einmal im Wald?", fragte Vater uns.
"Nah gkar. Isch wa-r schohn im Wa-ld. Gib-t nischtz bässe-rez", gab ich schmatzend zur Antwort.
"Gretel! Du weißt doch, dass du nicht mit vollem Mund antworten sollst. Das ist unhöflich", gab die Frau tadelnd zur Antwort.
"Aber... Mutter"
"Nichts da. Du entschuldigst dich jetzt auf der Stelle für deinen unhöflichen Tonfall", ihr strenger Blick lag auf mir. Mein Haupt senkte sich, dabei hingen meine braunen Zöpfe in der Luft. Es fühlte sich so als hätte meine wirkliche Mutter gerade mit mir geschimpft.
"Entschuldigung, für mein unhöfliches Verhalten", niedergeschlagen war ich über die Sache, doch darüber würde ich hinwegkommen.
Ich betrachtete den Kuchen grimmig und aß ihn mit langsamen bissen weiter. Der Tadel war mir auf den Magen geschlagen. Warum mussten Erwachsene immer Ernst sein? Also schaute ich etwas in der Gegend herum, da ich im Moment keinen Hunger hatte. Gesine und die Frau unterhielten sich angeheitert miteinander. Mein Blick ging hinüber zu Charles. Er war gerade dabei die letzten Reste seines Kuchens zu verspeisen.
"Psst."
Ich schaute mich überrascht um. Woher kam das Geräusch?
"Psst."
Mein Blick ging zu dem Mann, der mir gegenüber saß. Er schaute mit seinem Augen immer wieder zwischen der Erdbeersahnetorte, die als geschnittenes Stück auf dem Teller von der Frau lag. Die tratschte gerade mit Gesine und war daher in das Gespräch vertieft.
Der Mann nahm seine Kuchengabel und stibitzte vorsichtig die einzige Erdbeere, die auf der Torte lag. Somit war der Kuchen von jeder Erdbeere befreit und nur noch Sahne war von außen zu erkennen.
Dieser Streich zauberte wieder ein heiteres Lächeln in mein Gesicht. Manche Erwachsene konnten durchaus noch Spaß verstehen und hatten ihre kindliche Art nicht verloren.
Er legte seinen Zeigefinger auf die Lippen, nachdem er die Erdbeere gegessen hatte. Die Frau nahm sich gerade ein kleines Stückchen auf ihre Kuchengabel und bemerkte nicht, dass sich jemand von ihrem Teller bedient hatte. Angeheitert schaute sie wieder in unsere Richtung.
"So da hätte ich nun eine weitere Frage an euch, damit wir etwas weiter beschwatzen können. Was denkt ihr habt ihr für einen Orientierungssinn, nicht das euch etwas passiert, da wir als Elternteil natürlich eine Verantwortung für euch haben."
Charles schaute von seinem Teller auf wagte einen flüchtigen Blich zu Gesine. Im Anschluss schaute er wieder Mutter an.
Ein leichtes sowie selbstsicheres Grinsen seinerseits war die Antwort auf die Frage und dann fügte er noch hinzu: "Also ich bin da ziemlich zuversichtlich, dass ich einen guten Orientierungssinn habe."
"Und was ist mit dir, Gretel?", fragte Mutter.
Ich hob meinen Daumen meine Unterlippe und fing an zu überlegen, denn ich hatte mir noch nie so richtig Gedanken darüber gemacht. Meine echten Eltern oder mit der Schule war immer jemand dabei gewesen, der sich auskannte.Daher musste ich mich eigentlich nie auf meinen Orientierungssinn achten.
"Denke eher schlecht als recht aber da werde ich mich auf Hänsel verlassen können", stellte ich nach ein wenig grübeln fest.
"Gut. Aber wie sieht es mit euren Ängsten aus? Fürchtet ihr euch vor etwas? Keine Angst. Ihr könnt euren Eltern vertrauen", erkundigte sie sich weiter.
Charles wurde daraufhin still und machte sich kleiner als er wahr. In seinem Blick konnte ich wieder die Kälte erkennen, die ich schon bei der Brücke gesehen hatte. Es schien für ihn ein schwieriges Thema zu sein. Schon darauf angesprochen zu werden fiel ihm schwer zu fallen.
Es schmerzte etwas in mir, wenn ich ihn so sah. Warum machte er das nur? Seine selbstsichere Art, die er mir meistens immer wieder zeigte, war wie weg geblasen. Ich musste für ihn da sein. Das hatte ich ihm schließlich versprochen und so konnte ich uns noch am besten helfen, wenn ich auf die Frage etwas sagte.
"Ich würde gerne für uns beide antworten, da wir Geschwister sind, dürfe dies für uns beide ähnlich sein. Wir fürchten uns vor der Einsamkeit."
Die Eltern wirkten daraufhin etwas überfahren von der Aussage. Vater ließ daraufhin seinen Kopf hängen und legte ihn in seine beiden Handflächen.
Ich war sehr über die Reaktion der Eltern überrascht, denn ich verstand es überhaupt nicht, was sie hatten. Warum waren alle nur über das Thema Einsamkeit so betrübt?
"Möchte noch jemand etwas von dem Käsekuchen?", fragte Gesine in ihrer freudigen Art nach und erreichte so meine volle Aufmerksamkeit auf sich.
Jeder am Tisch reichte seinen Teller ihr entgegen. Der Kuchen war einfach zu verführerisch lecker. So gab es eine neue Runde Kuchen auch wurden die Teetassen wieder mit dem herrlichen Zitronentee befüllt.
Die Stimmung am Tisch schien sich wieder zu bessern. So weilte ich mit einem zufriedenen Lächeln etwas in Gedanken, während ich vom leckeren, wärmenden und bekömmlichen Zitronentee nippte. Doch plötzlich streifte mich etwas sanftes am Bein.
Mein Blick ging hinunter zu meinem Bein und hoffte Sunny zu entdecken, doch als ich genauer hinsah, konnte meine verträumten Augen nur die Tischdecke entdecken. Anscheinend hatte ich sie aus versehen berührt. Da viel mir noch eine Frage ein.
"Werden wir dort auch Haustiere haben?", hackte ich voller Hoffnung nach.
Vater schaute mich daraufhin mit freudigen Augen an und sprach: "Ihr werdet eine weiße Taube sowie eine weiße Katze haben."
Bei dem Wort Katze wollte ich aufstehen und vor Freude durch die Speisesaal springen, wie ein junges Schäfchen. Als ich aber meinen Kopf etwas nach links drehte, konnte ich Mutter erkennen. Das würde sicherlich nicht gefallen und dann würde ich wieder einen Tadel kriegen. Also ließ ich es bleiben.
"Habt ihr auch ein Lieblingsessen?", bohrte Mutter mit einem prüfenden Blick.
"Geflügel! Also genauer ist es ein Hähnchenschenkel", antwortete mein Partner wie überfallen.
Es ist besser die Wahrheit über mein richtiges Lieblingsessen bleibt geheim. Das sagt mir mein Bauchgefühl.
„Mein Lieblingsessen sind Karotten.“
"Ich hätte noch eine wichtige Frage", unterbrach Hänsel mich kurz darauf.
"Das wird dann aber die letzte Frage sein, da unsere Zeit dann leider auch schon begrenzt ist", erklärte Gesine mit einem forschenden Blick auf ihrer goldenen Taschenuhr.
Er nickte mit dem Kopf und setzte seine Aussage fort.
"Können wir uns auf euch verlassen, damit wir den Sieg davon tragen können?"
Der Vater nahm seine Hand und streifte sich etwas durch seinen Bart.
"Ja, dass könnt ihr. Wir sind sehr erfahren in dieser Kunst. Natürlich kommt es am Ende auf euch an, wie ihr auf die Zuschauer wirkt."
Vater hatte ich etwas ins Herz geschlossen. Bei Mutter wahr ich mir nicht so ganz sicher, ob ich mit ihr glücklich werden konnte. Dennoch reichte ich beiden zum Abschied die Hand.