Ich glaube ich bin im Mittelalter.
-Sam-
Als ich endlich die Umkleide verlassen durfte, schaute ich mich in der Turnhalle um. In dieser kämpfte gerade Vincent mit einer jungen Frau. Beide hatten Holzschwerter in der Hand. Sie hatte lange, violette Haare und trug eine Rose in ihrem Haar. Mein Blick ging weiter und sah einen Jungen mit schwarzen Haaren, der gerade an einem Seil hochkletterte. Das Seil war lang und reichte bis zur Decke.
Plötzlich wurde mein Name gerufen. Ich schaute in die Richtung und konnte Hera entdecken. Sie hatte wie jedes Mal ihren Trainingsanzug an zusammen mit ihrer schwarzen Kopfbedeckung.
Ein paar Minuten später stand ich schon neben Hera. Charles war nicht dort. "Was werden wir heute für Übung machen?", fragte ich sie in der Zwischenzeit. "Ihr werdet heute in einen neuen Raum gebracht, dort werdet ihr Holz hacken", sprach Hera. "Und warum müssen wir diese Übung durchführen?", fragte ich nach. Mich hatte etwas die Neugierde gepackt. Eventuell könnte ich so etwas über das spätere Märchen erfahren. Aber warum wollte Charles, dass ich so wenig wie möglich darüber weiß? Für mich machte das keinen Sinn, außer er wusste es selbst nicht wie die Geschichte ausgehen würde. Hera würde mit Sicherheit auch nichts verraten. Das wäre ansonsten zu einfach.
Inzwischen war auch Charles angekommen. Nach einer kleinen Begrüßung gab Hera folgende Antwort auf meine Frage: "Ihr beiden seid Kinder von einem Holzfäller. So viel darf ich verraten. Wenn ich gerade von der Familie rede, ihr werdet euren Vater und eure Mutter noch später kennen lernen. Aber jetzt wollen wir trainieren." Wir drei machten uns auf den Weg zu einer eisernen Tür. Diese führte uns zu einem langen dunklen Gang. An einer Seite des Ganges war eine Scheibe aus Glas angebracht. Diese erhellte den ansonsten dunklen Weg.
Beim genaueren Hinsehen konnte man das Wasser erkennen, welches sich hinter der Scheibe befand. Leichte Meeresgeräusche waren zu hören. Der Boden des Beckens erinnerte an einen Ozean. Auch ein paar Wasserpflanzen sowie Sand und Gestein waren dort zu entdecken. Wir blieben dort kurz stehen und betrachteten das Becken.
Auf einmal sank ein kleiner Gegenstand in die Tiefe. Als er immer weiter sank, konnte ich ihn erkennen. Es handelt sich um eine Gabel. Kurz darauf schien jemand ins Wasser zu springen. Diese Person hatte einen grünen Fischschwanz und schwamm immer weiter nach unten. Kleine Luftblasen entstanden dabei und die langen roten Haare bewegten sich mit dem Wasser hin und her. Die Meerjungfrau war niemand anderes als Coralina. Sie schwamm mit kräftigen Flossenschlägen in die Tiefe und schnappte sich mit der linken Hand die Gabel.
Danach wollte sie wieder nach oben schwimmen. Als sie uns erblickte, winkte sie. Auch wir nahmen die Hand in die Höhe zur Begrüßung. Danach machte sie sich wieder auf den Weg an die Oberfläche. Wenig später hatten wir eine weitere Tür erreicht. Hera hob ihren Dienstausweis an ein Lesekartenfeld und die Tür öffnete sich. "Hier gibt es echte Waffen. Daher ist die Sicherheitsmaßnahme sehr hoch. Auch werden wir an die frische Luft gehen, da sich der Trainingsraum im Freien befindet", erklärte uns Hera.
Wir gingen hinein und waren in einem neuen Trainingsraum angekommen. Dieser erinnerte mich eher an eine Burg aus dem Mittelalter als an einen Trainingsraum. Es sah so aus als wären wir in einem Burghof. Die Wände waren aus rötlichen Backstein gefertigt. Auch ein Brunnen befand sich in der Mitte. Dieser hatte ein hölzernes Dach, unter dem eine Kurbel angebracht war. Mein Blick schweifte weiter durch den Hof. Ein Stall, eine offene Küche und weitere Gebäude waren auch dort gebaut worden. Etwas weiter hinten, befand sich ein kleiner Gemüse- und Kräutergarten. "Ich glaube ich bin im Mittelalter", sprach ich zu mir selbst. Unsere Trainerin ging an dem Brunnen vorbei, um auf ein bestimmtes Gebäude zuzusteuern.
"Wir werden jetzt erst einmal uns die Waffen für den Kampf besorgen", sprach Hera zu uns. Ich musste bei dem Wort Kampf schlucken. Wir werden doch jetzt nicht etwa kämpfen? Ich hatte noch nie eine Waffe in der Hand gehalten.
Kurz darauf betraten wir ein Wohnhaus. An der Wand waren Schränke in denen sich Schwerter, Dolche und Äxte befanden. Diese konnte man durch eine Glastür begutachten. Hera hielt ihren Dienstausweis an die Tür. Diese gab ein Klacken von sich und wurde dann geöffnet.
Sie holte eine Axt heraus und nahm sie in die Hand. "Ich müsste einmal deine Armlänge nehmen, Gretel", sprach sie zu mir. Sie schaute ob der Stiel, genauso lang war wie mein Arm. "Das passt. Jetzt nimmst du bitte die Axt am Ende des Stiels in die Hand und halte sie Parallel zu deinen Beinen", erklärte sie mir. Das tat ich, indem ich das Beil in die Hand nahm und die Axt nach unten hängen ließ.
"Versuch bitte die Axt in die Höhe zu heben, und zwar aus dem Handgelenk." Dies ging ohne weitere Probleme. "Sehr gut. Dann ist das jetzt deine Axt. Hänsel benötigt noch seine", sprach sie während sie eine Axt aus dem Schrank holte. Auch Hänsel musste erst die Axt testen, ob sie für ihn passte.
Danach schloss sie wieder die Tür ab. Diese wurde wieder automatisch verriegelt. Als sie in unsere Gesichte erblickte erschien ein breites Grinsen auf ihrer Visage. "Das mit dem Kampf war ein Witz. Ihr werdet sie nur für die Arbeit benutzen und jetzt folgt mir", sprach sie erheitert, nachdem sie die Äxte wieder an sich genommen hatte.
Wir gingen dann wieder auf den Burghof. Nach ein paar weiteren Schritten kamen wir an einen kleinen Platz, auf dem zwei Holzblöcke standen. Dieser Platz war etwas abgelegen und durch ein kleines Vordach geschützt.
Hera nahm eine Axt und schlug sie mit Schwung in das Holz. Die Axt steckte daraufhin in dem Block fest. Die andere Axt nahm sie in beide Hände und hielt sie vor ihren Körper.
"Das ist eine sogenannte Spaltaxt. Diese wird verwendet, um Brennholz zu spalten. Der Hackklotz besteht aus Eiche, da dies besonders hartes Holz ist. Dieser wird benötigt, da ansonsten die Axt stumpf wird, wenn man auf den Boden trifft. Das Holz welches ihr klein schlagen müsst, muss weicher sein als der Block. Ich werde euch jetzt zeigen, wie ihr Holz schlagen müsst, damit ihr euch nicht verletzt und auch dieses klein bekommt", erklärte sie im ernsten Ton. Wobei eine leichte Vorfreude aus ihrer Stimme herauszuhören war.
Sie nahm ein Stück Holz aus einer Kiste, die in der Nähe des Blockes stand. Kurz darauf wurde das Stück Holz Senkrecht aufgestellt. Ihre Beine positionierte sie breitbeinig vor dem Holzblock. "Ihr müsst immer breitbeinig stehen, damit ihr nicht in den Fuß trifft, falls ihr abrutscht."
Eine Hand hatte sie an das Ende und die andere am Anfang des Schafts gelegt. "Wenn ihr jetzt das Holz hacken wollt, müsst ihr mit Schwung und Kraft arbeiten. Aber vorher zeige ich euch noch wie ihr die Axt in die Höhe hält."
Hera führte die Axt in die Höhe. Dabei führte sie die beiden Hände an den Anfang des Schafts, wo sich nicht der Kopf befand. Langsam führte sie nun den Kopf auf das Stück Holz zu. "Kommt bitte nun etwas näher heran. Ich möchte euch noch etwas zeigen."
Charles und ich stellten uns um den Hackklotz herum. Unsere Trainerin nahm die Axt in eine Hand mit der anderen Hand zeigte sie auf einen kleinen Spalt im Holz. "Wenn ihr so etwas habt, dann müsst ihr einfach nur den Spalt verlängern." Ihre Finger ging den Spalt entlang und kam an eine normale Stelle ohne Spalt. "Dies tut ihr indem ihr die Klinge, im 90 Grad Winkel, etwas weiter unten oder oben aufkommen lässt z.B. da wo mein Finger ist und jetzt macht mir bitte etwas Platz."
Hänsel und Gretel gingen ein Stück weg. Sie waren nun in Sicherheit. Hera führte die Schritte, die sie gezeigt hatte durch. Allerdings schnell. Als die Klinge das Holz traf, wurde es in zwei Hälften geteilt. Dabei viel eine Hälfte auf den Boden. Kurz darauf teilte sie die Hälft, die noch dastand. Es entstanden zwei dreieckförmige Holzscheite. Diese legte sie in einen leeren Korb.
Hera drehte sich in unsere Richtung und lächelte leicht. "Jetzt seid ihr beiden dran." Sie reichte uns die beiden Äxte, nachdem sie die eine Axt aus dem Holz herausgezogen hatte. Charles und ich nahmen jeweils eine an sich.
Ich ging zu dem linken Holzblock. Vorsichtig holte ich einen Holzscheit aus der Kiste und stellte ihn hochkant hin. Mit ausreichendem Abstand nahm ich meine Stellung ein. Was sollte ich nochmal machen? Ach ja, breitbeinig hinstellen. Nachdem ich meine Beine etwas auseinander hatte, hielt ich die Axt mit beiden Händen fest. Meine dominante Hand hatte ich ans Ende des Griffes getan. Die andere Hand war im Moment noch am Kopf der Axt. Ich hob die Spaltaxt in die Höhe und ließ sie mit Schwung nach unten sausen. Vorher führte ich die Hand vom Kopf der Axt nach unten zu meiner anderen Hand.
Mit einem lauten Krachen ging die Klinge der Axt durch das Holz. Das Holz zerfiel in zwei Hälfen. Die anderen beiden Hälften konnte ich auch zerteilen. Ich legte die Axt auf den Hackklotz, um die Scheite in den Korb zu legen. Ich nahm einen weiteres Stück und stellte es hin, um es zu Brennholz zu verarbeiten. Mein Blick ging hinüber zu Charles. Er schien ein richtiges Naturtalent zu sein. Er hatte schon ein Handvoll Scheite in seinem Korb.
Meine Konzentration richtet sich wieder dem Holz hacken. Ein weiterer Klotz hatte ich auf den Hackklotz gestellt. Die Axt hob ich wieder in die Höhe und schlug zu. Allerdings blieb die Klinge im Holz stecken. Ich versuchte diese wieder heraus zu bekommen, doch sie schien fest zu stecken.
"Warte einen Moment Gretel. Ich helfe dir dabei", sprach Hera im freundlichen Ton. Ihre Augen funkelten wie die eines kleinen Kindes. Anscheinend hatte sie sich die ganze Zeit auf diese Übung gefreut.
Als Hera näherkam, nahm ich meine Hände zu mir hin, damit sie die Axt nehmen konnte. "Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du schlägst nochmal mit der Axt zu, wie bisher oder du machst das so wie ich es dir zeige."
Hera nahm sich Gretels Axt und hob sie in die Höhe. Dabei drehte sie die Axt in ihrer Hand, so dass die Klinge Richtung Himmel schaute.
Im Anschluss schlug sie die Spaltaxt mit dem Kopf auf den Holzstamm und wie von Zauberer, viel das Holz in zwei Hälften. "Wir lassen einfach die Schwerkraft die Arbeit erledigen", sprach sie zu mir. Ich nickte freundlich mit dem Kopf.
So kam es das Charles und ich immer mehr Brennholz in unseren Körben lagerten. Hera hatte in der Zwischenzeit das Holz aus der Kiste zu einen kleinen Haufen zusammengestapelt. Ich nahm das Holz von der linken Seite und Charles nahm sich das Holz von der rechten Seite.
Am Anfang hatte ich meine Probleme mit dem Holz hacken, doch je mehr ich zu Brennholz verarbeitete, desto besser klappte es. Fast wie ein Uhrwerk schlugen die Äxte in das Holz ein. Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn und liefen langsam herunter. Hera reichte mir ein weißes Handtuch, mit dem ich den Schweiß abtupfen konnte.
Nachdem ich das Handtuch wieder meiner Trainerin gegeben hatte, ging ich zu dem Holzhaufen. Mein Blick war fest auf das oberste Stück gerichtet. Es hatte eine fast perfekte rundliche Form. Ich streckte meine Hand nach dem schönen Stück aus.
Plötzlich spürte ich etwas Warmes in meiner Handfläche und richtete meinen Blick nach oben. Es waren die Finger von Charles, die auch das Stück umklammerten. Sein Blick traf sich mit meinem. Wie versteinert verharrten wir in dieser Situation. Fast gleichzeitig zogen wir die Hände wieder an uns. "Nimm du das Stück", sprach ich zu ihm. "Nein, nimm du es", äußerte sich Charles. "Nein, du hattest es als erster angefasst", versuchte ich ihm zu erklären. "Nein, du hattest es zuerst", gab er von sich.
"Wir müssen noch das Holz lagern. Folgt mir daher bitte", funkte Hera dazwischen. So machten Hera, Charles und Sam sich auf den Weg um das Holz im Burghof zu lagern.