Jede Person hat seine Vorzüge. Du musst nur die Rose unter den Blumen entdecken.
-Rosie-
Ich machte mich wieder auf den Weg zu dem eisernen Becken. Als ich die Küche erreichte, hatte ich ein verschwitztes Lächeln im Gesicht. Plätschernd floss das Wasser. Langsam füllte sich diese mit dem erfrischenden Element.
Auf dem Rückweg entdeckte ich Hera, die sich gerade hinter einem kleinen Zaun befand. Als ich mich diesem näherte, konnte ich einen kleinen Kräutergarten entdecken. Dieser beherbergte verschiedene Kräuter, Beeren sowie Früchte. Es war ein schöner Anblick, da jede Pflanze in einem leicht verwilderten und dennoch satten Grün erstrahlte.
Als ich vor dem Zaun des Gartens stand ging Hera auf mich zu. Sie lief den kleinen Kiesweg entlang. Denn dieser befand sich in der Mitte zwischen den Beeten und führte sie zu einem kleinen offenen Eingang des Gartens.
"Du musst noch das Becken füllen. Daher komme bitte wieder, wenn du die Aufgabe erledigt hast. Das Tragjoch kannst du dann im Anschluss neben dem Wagen ablegen", erklärte Hera mir.
Sie kniff dabei die Augen etwas zusammen. Doch ein kurzes Lächeln, welches aber mit einem strengen Blick abgerundet war, ließ mich zögern. Ich war über mein eigenes Verhalten ein wenig erstaunt. Anders kannte ich sie doch nicht:
-harte Schale, weicher Kern-.
Sie mochte es anscheinend nicht, wenn sie schwach in ihrer Umgebung wirkte. Nur wenn wir allein mit ihr waren, konnte die junge Frau etwas entspannen. Vielleicht musste sie so sein als Trainerin? Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich öffnete meinen Mund und wollte etwas sagen. Doch Hera würgte meinen Versuch ab.
"Gretel, gehe jetzt auf der Stelle wieder zum Brunnen. Du kannst unmöglich das Becken mit nur zwei vollen Ladungen schon gefüllt haben", sprach sie in strengem Ton zu mir.
Enttäuscht machte ich mich wieder auf den Rückweg. Ich wollte doch nur nach einer kleinen Verschnaufpause nachfragen. Auch verspürte ich eine trockene Kehle.
Wieder am Brunnen angekommen, stand Dornröschen immer noch auf dem Balken. Schritt für Schritt ging sie über den Balken. Das Buch auf dem Kopf schien etwas zu wackeln bis sie eine kleine Pause einlegte. Sie richtete ihre Haltung wieder und ging weiter. Während ich die Eimer wieder in die Höhe kurbelte, beobachte ich Aurora weiter bei ihrer Übung. Sie schaffte es schließlich das Ende des Balkens zu erreichen.
"Sehr gut. Jetzt könntest du dir einen kleinen Schluck genehmigen", sprach Rosie, die Trainerin von Aurora. Ihre welligen, langen, violette Haare spielten etwas im leichten Wind, der sich vor ein paar Minuten gebildete hatte. Zur jetzigen Mittagszeit stand die Sonne hoch am Himmel, da die Wolken vom sanften Wind davongetragen wurden. Sie bewegten sich wie kleine Schafe, die ihrer Herde folgten.
Sie hielt der Prinzessin ein Wasserglas hin, welches mit erfrischendem Wasser gefüllt war. Der Hals des Glases war in sich geschwungenen und verspielt. Aurora nahm das Glas vorsichtig in ihre zarten Finger und streckte dabei wieder ihren kleinen Finger weg.
Mein Blick verfolgte ihre Bewegungen und da passierte etwas Unerwartetes. Ich nahm den befüllten Eimer und stieß ihn auf den Boden. Das Wasser floss aus diesem heraus und versickerte im Kiesbett. Mit entfachter Wut ging ich auf die Prinzessin zu. Ihr ansonsten weißes Gesicht war nun kreidebleich vor Furcht. Mit sicheren Händen versuchte ich ihr Glas zu entwenden. Rosie ihrerseits saß nur auf der Bank und beachtete uns gar nicht. Schließlich schaffte ich es Aurora von der Bank zu schupsen. Sie lag nun im Dreck. Dabei entwendete ich ihr das Glas im freien Fall. Siegessicher hielt ich das Glas in die Höhe.
"Warum hast du das getan, Gretel? Warum musstest du mir das Glas mit Wasser stehlen?", Tränen lagen nun auf ihrem Gesicht.
"Das ist doch eine einfach Frage für das ich mein gemeines Können nicht unter Beweis stellen muss. Ich bin von den Bösen", ein fieses Grinsen zierten meine Lippen.
Rosie schaute mich daraufhin nur freundlich an. "Möchtest du auch etwas trinken, Gretel? Es ist heute ziemlich heiß."
"Äh... Was?", fragte ich verdutzt und musste immer wieder etwas blinzeln. Das Bild vor mir wurde etwas klarer.
Aurora und Rosie saßen immer noch auf der Bank. In den zierlichen Fingern befand sich noch das edle Glas. Rosie hingegen hielt mir einen Trinkbeutel hin, der aus Leder gefertigt worden war. Ich musste mir das gerade eingebildet haben. Das Angebot klang verlockend.
Als ich in die Nähe von der Frau gelangte, lief ich gegen eine Wand aus Rosenwasser. Er war fällig übertrieben aufgetragen, doch das Verlangen nach Wasser war stärker. Ich nahm den Trinkbeutel und trank gierig aus diesem. Immer wenn ich kurz Luft holte, roch ich etwas von dem Rosenduft ein. Langsam gewöhnte ich mich an den Geruch.
Nachdem ich das herrliche Wasser getrunken hatte, durfte ich mich sogar zwischen den beiden auf die Bank setzen. Dabei stütze ich meine Ellenbogen auf meinen Oberschenkeln ab und mein Kopf ruhte auf den Handflächen.
"Überhaupt keine königliche Haltung. Kein Wunder, das du die Rolle bekommen hast", sprach Aurora eingenommen zu mir.
"Dafür habe ich die nette Rolle bekommen. Gretel ist doch schließlich nett und freundlich?", erwiderte ich auf ihre Aussage.
Keiner von uns sagte in dem Moment noch etwas.
Rosie holte daraufhin ein Buch heraus. Sie setzt sich eine kleine Brille auf ihre Stubsnase. Der Titel des Buches lautet: Die Geheimnisse der Rosenliebe.
"Hach, wie ich Romantik liebe. Es ist immer so Herz erwärmend", sprach sie eher zu sich selbst als zu uns beiden.
Aurora und ich saßen im Sonnenschein und ließen uns etwas Sonnen. Wir hatte für diesen Moment Frieden geschlossen. Es hätte so den ganzen Tag bleiben können, doch ich musste meine Aufgabe noch beenden. Daher erhob ich mich nach ein ungefähr fünfzehn Minuten von der Bank.
"Ich muss mich wieder auf dem Weg machen. Danke nochmal für das Getränk und die Pause. Rosie, du bist sehr nett und freundlich. Leider habe ich mit Hera kein Glück. Sie ist sehr fordernd im Moment", sprach ich niedergeschlagen. Wobei nicht nur meine Worte, sondern auch meine Körpersprache negatives ausstrahlte.
Rosie drehte sich mit einem Lächeln zu mir und sprach: "Jede Person hat seine Vorzüge. Du musst nur die Rose unter den Blumen entdecken."
"Ich werde darüber nachdenken", antwortete ich auf ihre Aussage nun etwas hoffnungsvoller.
So machte ich mich wieder mit dem Tragjoch auf den Weg. Der Hin- und Rückweg wurde immer beschwerlicher. Während ich immer wieder hin und her lief, dachte ich über die Vorzüge von Hera nach. Schließlich kam ich zu dem Entschluss, dass Hera durch ihren Arbeitseifer uns gut getan hatte. Sie versuchte uns schließlich auf das Märchendorf vorzubereiten. Auch wenn sie nicht die netteste Person unter dem Personal des Märchendorfs.
Nach gefühlten Stunden, schaffte ich es doch noch das Becken zu befüllen.
Ich fühlte mich, als ob ich einen Marathon gelaufen wäre. Völlig ausgelaugt.
Hera trat kurz darauf heran und war über meine Arbeit zufrieden. Sie gab mir aus einem ähnlichen Trinkbeutel, den schon Rosie besessen hatte, etwas zu trinken. Das kühle Nass stillte meinen Durst.
Auch Charles kam aus dem Garten hervor. Er hielt einen kleinen Korb, der aus Hyazinthe geflochten worden war. Beeren verschiedener Art wurden im Kork aufbewahrt bewahrte der Korb auf.
"Ihr beiden habt heute wirklich großartiges gemeistert. Ich bin stolz auf euch und das könnt ihr auch sein. Bevor wir aber eure Eltern besuchen, werde ich noch bei einem guten Freund vorbei schauen", informierte uns Hera mit begeisterter Stimme.
Zusammen machten wir uns wieder in die bekannten Gegenden der Trainingsräume und Sporthallen. Doch vorher wurden uns wieder die Augen verbunden. Hera führte uns durch das Labyrinth, welches uns nicht ersichtlich war hindurch.
Schließlich nahm sie uns die Augenbinden ab. "Es ist nur für die Sicherheit gedacht", erklärte die junge Frau, die vor einer geöffneten Dornenhecke stand. "Bitte geht hindurch."
Charles und ich wurden von Hera unserer Trainerin durch die Dornenhecke geführt. Es war wie ein unterschied von Tag und Nacht. Unsere normale Welt wie ich sie kannte am heiligsten Sonnenschein und hier befand sich die rabenschwarze Nacht in diesen dunklen Mauern. Die alten Gänge deren zwar auch mit kostbaren Kronleuchtern und Wappen verziert worden, doch es machten einen gewaltigen Unterschied zu dem, was ich aus der jetzigen modernen Umgebung kannte. Hera entzündete die Kerzen des silbernen Kronleuchters, damit wir in der unendlichen Dunkelheit überhaupt etwas erkennen konnten. Ich hatte das Gefühl als ob wir in den Schlund eines Ungeheuers laufen würde, ein Maul, dass uns nie wieder entkommen ließ. Meine schwitzenden Hände suchten die von Charles. Es schien ihm auch nicht anders zu ergehen.
„Folgt mir bitte zügig zum Büro des Märchenerzählers und bleibt dicht hinter mir, wenn ihr hier aus diesem Irrgarten entfliehen kommt. So mancher Mitspieler ist hier bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen."
Wir sind also nicht die ersten Teilnehmer in dieser verrückten Show. Ob es einen Weg hier raus gibt oder sind wir für immer gefangen wie auf einer einsamen Insel?
Bei jedem Schritt fühlte ich meine zittrigen Knie und Unwohlsein in der Magengrube. Nur geschützt durch Hera, die wie eine entschlossene Anführerin mit einem Kronleuchter bewaffnet in den Kampf zog gegen die Dunkelheit. Der Wind pfiff durch die Mauerritzen gepaart von einem melancholischen Klavierspiel, die zusammen Hand in Hand im Schloss spukten.
Ist das ...?
„Die erste Bewegung der Mondschein Sonate von Beethoven", flüsterte Charles mir so leise ins Ohr, dass ich es fast nicht mitbekam.
Nach einer gefühlten Ewigkeit die wir hinter unserer Trainerin herliefen erreichten wir unser Ziel. Das Büro von dem Märchenerzähler. Die Tür hatte einen Drachenkopf als Türklopfer. Der metallische, schimmernde Ring lag im Maul des Drachens. Mein Blick starrte in seine Augen bis eine weibliche Hand den Türklopfer umklammerte und zweimal kräftig hämmerte. Das Klavierspiel hörte auf, die Tür schlug aus den Angeln und eine Windböe presste meinen Körper zurück. Ich versuchte noch irgendwie dagegen anzukämpfen, aber es hatte keinen Sinn. Der Windzug überfuhr mich und transportierte meine Hülle auf einen Stuhl, der vor der Tür stand.
„Ihr beiden müsst draußen warten. Hier hat nur befugtes Personal zutritt." Mit diesen Worten schlug sie die Tür zu und ihr Mantel wirbelte dabei ein wenig auf.
Wir beide dürfen natürlich nicht mit, aber immerhin haben wir auf einem Tischlein brennende Kerzen, Gläser und Wasser. Moment... Vielleicht kann ich so an wichtige Informationen ran kommen, da man einfach nichts versteht was darin abgeht.
„Sam? Was hast du...?"
Ich legte nur meinen Zeigefinger auf meinen geschlossenen Mund. Mehr musste ich nicht tun, damit Charles wusste was zu tun war.
Es spricht zuerst Hera: „Ich habe dir deine Medizin gegen die Schmerzen mitgebracht: Getrocknete Anemone."
Der Märchenerzähler bedankt sich daraufhin: „Das fühlt sich schon besser an. Es ist fürchterlich einsam in diesem Raum festzustecken."
„Das kann ich mir vorstellen. Ich hoffe die Vorbereitungen laufen gut voran. Die Statisten sind immerhin schon gut genährt und die meisten begleiten uns während den Essenszeiten z.B. war es letztens ein dicklicher Junge am Esstisch. Weißt du noch was er für eine Rolle spielen soll?"
„Das weiß ich leider nicht mehr, aber wenn du schon mal hier bist, dann kannst du die Vitrine etwas mehr bedecken. Ich kann es nicht ertragen es anzusehen - dieses Ding was mein Leben komplett in diese traurige Einsamkeit gezogen hat."
Hera antwortet daraufhin: „Ich habe da ein paar Fragen und Unklarheiten, die mir Gesine nicht beantworten möchte."
„Bitte. Fahr fort"
„Warum rufen die Eltern, der entführten Jugendlichen z.B. die beiden Kinder vor der Tür nicht die Polizei? Warum bleiben die vorherigen Teilnehmer einfach da?"
„Das ist eins der größten Errungenschaften und Flüche, die in den Tiefen der vergilbten Märchenwelt steckt. Weißt du warum wir eine Fee genommen haben als Symbol für unsere Show? Es ist das Symbol um in das Schicksal der Menschen einzugreifen und diese neu zu weben. Ähnlich wie eine Wollknäuel, der sich verknotet hat und von den Menschen vergessen wurde, so können die Feen diesen Faden folgen, aufheben und neue Wege damit finden. In diesem Fall sehen die Menschen das hier als normale, freiwillige Sendung an und die Charaktere der Geschichte und das Wesen der Jugendlichen verschmelzen ein wenig an der Oberfläche. Es ist nicht viel, aber es reicht ein wenig aus um den Charakterzug anzupassen."
„Was denkst du warum dieses Buch in Ketten liegt?"
„Ich habe keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Vielleicht um den Fluch einzudämmen?"
„Sehr richtig. Es ist sozusagen mein Schicksal dieses Buch in Schach zu halten. Ein dritter Beobachter würde wahrscheinlich sagen, dass es anders herum ist, aber das weiß nur der liebe Gott oder welch andere höhere Mächte es in dem Universum gibt. Ich habe..."
Es gab einen lauten Schlag der wahrscheinlich Staub aufgewirbelt hatte, da kurz darauf von beiden Personen ein Hustenanfall der sich gewaschen hatte zu hören war. Da war ich mir sicher.
„Diesen Brief überreicht ihr bitte Gesine und vergesst nicht sie davon zu unterrichten. Ich möchte das alles aus den geschrieben Zeilen umgesetzt wird. Schon schlimm genug, dass diese Märchenwelt bezaubernd und doch voller Gefahren steckt. Aber wie ich dich einschätze Hera. Wird das Buch seine Wahl deiner Schützlinge wahrscheinlich als Siegerteam erweisen, aber nur wenn sie auch wirklich auf dem Platz vor der Tür sitzen bleiben und jetzt gehe bitte wieder. Ich habe dir alle Fragen beantwortet, die du gestellt hast. Es wird Zeit die Dekoration anzubringen. Die Zeit ist fast abgelaufen und es gibt noch viel zu lernen und zu tun."
Hera: „Eine Frage habt ihr aber noch nicht beantwortet. Warum bleiben die Jugendlichen hier wenn sie verloren haben? Warum müssen sie weiter für die Show arbeiten?"
„Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten, denn die Antwort darauf kennen nur die Hinterbliebenen und das Buch."
Mit diesen letzten Worten hörtest du Schritte, die immer näher kamen.
Schneller Sam! Schnell weg. Behutsam nehme ich das Glas von der Tür und sprintest wieder auf den Sitzplatz neben Charles. Irgendwie versuchst du an etwas langweiliges zu denken, aber es will dir nichts einfallen. Mach einfach ein gutes Gesicht und einen blöden Eindruck. Irgendwie unauffällig.
Im Augenwinkel fällt dir Charles auf, der dir dauernd seine Hände wie eine Krabbe auf und zu macht. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaust du ihn fragend ins Gesicht.
Was meinst du?
Das metallische Knarzen der Tür ist zu hören. Unverständlich senkst du deinen Blick und entdeckst etwas, dass eigentlich nicht dorthin gehörte.
Das Glas!
Schnell stellst du das Glas zurück, ein Schritt ertönt und mit einem Lächeln eines Engelchen setzt du dich wieder gerade hin.
„Alles klar bei euch? Wie ich sehe..."
Mit einem forschenden Blick fährt sie mit einem Blick einer Katze über unsere Kleidung. Mein Herz pumpt wie verrückt und der Stresspegel steigt innerlich wie ein kochender Wasserkessel an.
Hera schweift am Ende ihren Blick nach Links und Rechts. Lächelt kurz uns zu und sagt schließlich: „... seid ihr beiden brav gewesen. Machen wir uns auf den Rückweg."