Was zuletzt geschah:
Weil Marcos schlechtes Gewissen ihn aufzufressen droht, beichtet er Manni und Hugo die wahren Gründe für Eriks Fernbleiben an Weihnachten. Wie erwartet finden die beiden ein paar deutliche Worte für sein Verhalten, schwerer aber wiegt die Nachricht, dass auch sie seit einer Weile nichts von Erik gehört haben. Halb verrückt vor Sorge, versucht Marco trotz aller Ängste selbst Kontakt mit Erik aufzunehmen, scheitert jedoch. Das kann kein gutes Zeichen sein.
Kapitel 29
Erik wollte die Erde unter den Füßen des Postboten küssen. Nach ewigem Hin und Her, angeblich versendeten Briefen, die nie ihren Weg zu ihm gefunden hatten, mehreren Fehlbuchungen und diversen Diskussionen mit diversen Kundenservicemitarbeitern, hielt er seine neue SIM-Karte in den Händen.
Seinen spontanen Entschluss, dem Gemecker seiner Tante nachzugeben, und sich einen funktionierenden Festnetzanschluss zu organisieren – und bei dieser Gelegenheit gleich seinen Anbieter zu wechseln – hatte er bald bereut.
Zunächst hatte die als unkompliziert angepriesene Rufnummernmitnahme nicht funktioniert, anschließend absolut gar nichts mehr, nicht einmal das Internet. Gute zwei Wochen hatte er sich gefühlt wie auf einer einsamen Insel verschollen, ohne Kommunikationsmöglichkeiten mit der Außenwelt. Besäße er einen Volleyball, er hätte ihm ein Gesicht gemalt.
(Ja, gut. Es gab natürlich die Unibibliothek und das dort mehr schlecht als recht funktionierende WLAN, aber das ersetzte einfach nicht den Luxus, sich abends mit seinem Laptop auf die Couch zu kuscheln. Und sein Handy ersetzte es schon zweimal nicht, da sein kompletter Freundeskreis entschlossen schien, sich dem technischen Fortschritt im Allgemeinen und Smartphones im Speziellen zu widersetzen.)
Sich selbst die Daumen drückend, fummelte Erik die SIM-Karte in die dafür vorgesehene Öffnung und startete sein Handy. Einige bange Sekunden später jubelte er auf. Netz! Er hatte Netz!
Nun musste er nur noch sein Adressbuch durchgehen und allen relevanten Personen seine neue Nummer mitteilen, was, seinem überschaubaren Bekanntenkreis gedankt, kaum mehr als ein paar Minuten in Anspruch nehmen dürfte.
Die ersten Namen ließen sich tatsächlich schnell abhaken. Einige Kommilitonen, Arbeitskollegen und Doris Černá, falls diese ihn kurzfristig wegen Schichtänderungen erreichen musste. Danach folgten Einträge, die mehr Überwindung kosteten. Aisha, Charlotte, seine Tante. Manni und Hugo.
Seit Marcos Bitte, dem Tässchen über Weihnachten fernzubleiben, hatte Erik die Kontaktversuche seiner Freunde mit nichtssagenden Plattitüden abgewehrt, und mit jedem Tag nagte das schlechte Gewissen mehr an ihm. Es brauchte keinen Hellseher, um zu wissen, dass sie sich seinetwegen sorgten, schließlich wäre es kaum das erste Mal, dass sein Rückzug auf eine Krise hindeutete. Und es stimmte ja, Marcos Nachricht hatte ihm erneut den frisch zurückeroberten Boden unter den Füßen weggerissen.
Doch allmählich besaß Erik Übung darin, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Er füllte seine Tage mit Dingen, die er liebte – seinem Studium, Schwimmen, Yoga, guten Büchern – und rief sich regelmäßig die wunderbaren Menschen in Erinnerung, auf deren Unterstützung er bauen durfte.
Dennoch hatte ihm lange die Kraft gefehlt, sich bei ebenjenen Menschen zu melden. Zu viele Emotionen wollten zuvor sortiert, benannt und durchlebt werden. Wie sollte er andere an sich heranlassen, solange er sich von sich selbst fernhielt?
Deshalb war ihm der Hickhack mit seinem Mobilfunkanbieter anfänglich wie ein Segen erschienen, der sich schnell zum Fluch gewandelt hatte. Erik fühlte sich bereit, wieder Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, trotz der tiefsitzenden Angst, mit seinem letzten Rückzug endgültig eine Grenze überschritten und all seine Freunde vergrault zu haben.
Bevor er jedes einzelne Horrorszenario in seinem Kopf durchspielen konnte, versendete er sämtliche Nachrichten – übersprang allerdings Marco, da er sich nicht sicher war, ob dieser überhaupt von ihm hören wollte – legte sein Handy mit dem Display nach unten aufs Sofa und stand auf, um sich seinen Vorlesungsfolien zu widmen. Er kam nicht weit. Den Hintern noch nicht auf dem Schreibtischstuhl, durchbrach bereits ein Schrillen die Stille seiner Wohnung.
Mit hämmerndem Herzen las Erik einen der Namen, vor denen er sich am meisten fürchtete und nahm den Anruf an. „Hey.“
„Hi, Erik“, begrüßte ihn Hugo am anderen Ende gewohnt warmherzig. „Danke für deine Nachricht.“
Erik schluckte gegen seinen plötzlich engen Hals an. „Ah, ja, kein Problem. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“
„Auf das Wetter, die Deutsche Bahn und Mobilfunkanbieter haben wir Normalsterblichen eben keinen Einfluss.“
„Ich hätte euch aber über Facebook Bescheid sagen können. Oder kurz im Tässchen anrufen oder so. Es sind ja nicht plötzlich sämtliche Telefone in meiner Umgebung in Rauch aufgegangen und an der Uni habe ich kostenloses Internet. Ich … konnte nur nicht.“
„Das ist okay, Erik. Du hast dich jetzt gemeldet, und das ist alles, was zählt.“
Erik nickte, obwohl im klar war, dass Hugo das durchs Telefon nicht sah. Mehr gab seine Stimme nicht her.
„Magst du mir erzählen, wie es dir geht?“
„Ganz gut.“ Erik lachte in sein eigenes Schluchzen. „Auch wenn es gerade vielleicht nicht so klingt.“
„Du weißt, dass du immer zu uns kommen kannst, ja?“, fragte Hugo. „Heute, morgen, und auch an Heiligabend wäre das der Fall gewesen.“ Nach einer kurzen Pause sagte er: „Marco hat uns erzählt, warum du nicht da warst. Deshalb wollte ich nochmal klarstellen, dass er, bei allem Verständnis, kein Recht hat, zu bestimmen, wer im Tässchen willkommen ist und wer nicht.“
Erik hatte noch nie so viel Zorn in Hugos Stimme gehört. Genaugenommen erinnerte er sich nicht, ihn überhaupt jemals zornig erlebt zu haben, und wenngleich sich dieser Zorn gegen jemanden richtete, der ihn sehr verletzt hatte, schien er Erik nicht gerechtfertigt.
„Marco hätte vielleicht etwas taktvoller sein können, aber ... Nach der Trennung wollte ich von der Welt erstmal nichts hören und nichts sehen, ganz besonders nicht von ihm“, sagte Erik. „Nur, weil ich das inzwischen anders empfinde, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es Marco genauso geht. Sollte er also noch nicht bereit für ein Wiedersehen sein, hat er es verdient, dass ich das respektiere. Andernfalls hätte ich ihn gar nicht erst fragen brauchen. Und ich kenne Marco. Er hätte nicht um Abstand gebeten, wenn er ihn nicht bräuchte.“ Bevor Erik angefangen hatte zu reden, hatte er gar nicht so genau gewusst, was er eigentlich sagen wollte, abgesehen vom vagen Bedürfnis, Marco zu verteidigen. Doch mit jedem Satz fühlten sich seine Worte richtiger an.
Marco wäre niemals so grausam, Erik von seinen Freunden fernzuhalten; wäre niemals so grausam, eine Freundschaft anzubieten, die ihn in Wahrheit gar nicht interessierte. Wann hatte er Erik überhaupt das letzte Mal um etwas gebeten? Wie schwer es ihm gefallen sein musste, ausnahmsweise nicht derjenige zu sein, der charmant lächelte, mit den Schultern zuckte, und sich eine weitere Last aufbürdete. Nein, Marcos Bitte um Abstand bedeutete exakt eins: Er hatte ihn dringend nötig.
Am anderen Ende der Leitung seufzte Hugo in den Hörer. „Vielleicht sollte ich mehr Verständnis für Marco aufbringen. Trotzdem finde ich es überhaupt nicht gut, wie er die Situation gelöst hat. Warst du über Weihnachten wirklich ganz allein in Berlin?“
„Schon, aber spätestens dafür trägt Marco keine Verantwortung. Er hat mich ja nur gebeten, nicht an Heiligabend ins Tässchen zu kommen. Dass ich dann gar nicht nach Stuttgart gefahren bin, war allein meine Entscheidung.“ Erik zögerte, unsicher, ob er den wesentlichen Grund laut aussprechen sollte.
Einerseits fürchtete er, Hugo damit zu verletzen, andererseits wollte er ihm gegenüber aufrichtig sein. „Um ehrlich zu sein, und bitte versteh das nicht falsch, was ihr im Tässchen leistet, ist absolut fantastisch … Ich habe nur realisiert, dass es für mich einfacher ist, Weihnachten so weit wie möglich zu ignorieren. Meine Tante oder das Tässchen zu besuchen, völlig egal wie schön es ist, erinnert mich unvermeidlich an das Weihnachten, das ich mir eigentlich wünsche und nie wieder haben kann. Mich in der Arbeit zu vergraben, bis alles vorbei war, hat mir erstaunlich gut getan.“
„Wenn das so ist, dann hast du die richtige Entscheidung für dich getroffen. Obwohl wir dich natürlich gerne gesehen hätten.“
„Ich hätte euch auch gerne gesehen und ich komme bestimmt bald nach Stuttgart“, versprach Erik. „Ich weiß nur noch nicht, wann genau.“
„Das ist einfach“, erwiderte Hugo. „Wann immer es sich gut für dich anfühlt.“
Hugos Fähigkeit, ihn mit offenen Armen zu empfangen, ohne dabei Druck aufzubauen, erfüllte Erik mit tiefer Dankbarkeit. „Wie geht es eigentlich Manni? Und was ist sonst so passiert, während ich, ah, Kräfte gesammelt habe?“
Als Erik eine gute halbe Stunde später auflegte, fühlte sich sein Herz so leicht an wie seit Wochen nicht.
~~~~~~~~~~
Das verschmitzte Lächeln, bei dem die abgebrochene Ecke eines Schneidezahns hervorblitzte, fesselte Eriks Aufmerksamkeit mehr als das, was der zugehörige Mund sagte. Nach einer verschämten Sekunde tippte er gegen sein Ohr, um zu signalisieren, dass er eine Wiederholung brauchte.
Das Lächeln weitete sich. „Zwei Becks und drei Jägermeister!“
Den Blick artig auf seine Hände gerichtet, damit er sein Gegenüber nicht länger anstarrte wie die Katze den frisch eingezogenen Wellensittich, bereitete Erik die Drinks zu und tauschte sie gegen einen Geldschein. Anstatt sich zurück ins Getümmel zu stürzen, deutete der Typ zu den für Tequilas vorbereiteten Orangenschnitzen. „Krieg ich einen?“
Auf Eriks Nicken hin beugte er sich nach vorne, die Hände voll mit den eben gekauften Getränken, öffnete seinen Mund einen Spalt und blickte Erik auffordernd entgegen.
Kühler Saft rann Eriks Finger herunter, als er einen Orangenschnitz an weiche Lippen legte, und für einen Sekundenbruchteil streifte eine Zunge seine Fingerkuppen. Das Verlangen, das dabei unerwartet durch ihn hindurchjagte, hob Erik fast von den Füßen. Sein Magen rumorte, als hätte jemand einen Whirlpool hineingestopft.
Deutlich zufrieden mit dieser Reaktion, zwinkerte Eriks Gegenüber ihm zu und verschwand im Halbdunkel des Clubs.
„Flirten während der Arbeitszeit!“, tadelte Nathalie kopfschüttelnd. „Ich hatte mehr von dir erwartet.“
„Ich auch“. Erik wusste nicht genau, wie ernst er das meinte. „Ich verspreche dir, du wirst nie wieder Zeugin solch unprofessionellen Verhaltens. Ab jetzt reduziere ich meinen Spaß während der Arbeit auf ein Minimum.“
„Ist besser so, ja.“ Sie knuffte ihm in die Seite. „Das ist also dein Typ?“
War er? Das charmante Lächeln teilte er sich definitiv mit Marco, andererseits ließ sich Erik derzeit gefühlt von jedem zweiten männlich aussehenden Wesen ablenken. Sei es vom seidig glänzenden Haar des Kommilitonen in der Reihe vor ihm, den eleganten Händen eines Verkäufers, der Eriks Waren übers Band zog, oder schlicht einem knackigen Po in enger Jeans, der an ihm vorbeilief. Eriks Libido schien aus ihrem trennungsinduzierten Winterschlaf zurückgekehrt und grollte hungrig in ihm.
„Nur ein kleiner Tipp“, sagte Nathalie, zwischen zwei Getränkebestellungen. „Es ist echt einfach, sich hier jemanden aufzureißen, aber die Erfahrung zeigt, dass es manchmal gar nicht so geil ist, wenn die danach wissen, wo du arbeitest.“
Erik nickte brav, hatte allerdings ohnehin keinerlei Pläne, sich ‚jemanden aufzureißen‘. Völlig egal, wie laut seine Libido deshalb weinte. Dennoch erwischte er sich den Rest des Abends wiederholt dabei, suchend über die Tanzfläche zu blicken, immer in der Hoffnung, ein umwerfendes Lächeln zu entdecken, das einen abgebrochenen Schneidezahn einrahmte.
~~~~~~~~~~
Allein ins Kino zu gehen entpuppte sich als erstaunlich entspannend. Niemand, der über Eriks Filmauswahl murrte, ihm das halbe Popcorn wegfutterte, und noch vor Ende des Abspanns zu quasseln begann. Was also hatte ihn so lange davon abgehalten?
Die Angst, einsam und verzweifelt zu wirken.
Nun, im Foyer des winzigen Kinos, den eben gesehenen Film frisch in Erinnerung, pfiff Erik darauf, was andere über ihn dachten. Sollten sie doch, was änderte es für ihn? Er bedauerte höchstens, in der Zwischenzeit so viele gute Filme verpasst zu haben.
Euphorisch vom Gefühl der gewonnenen Freiheit, verließ er das Kino. Wohin als nächstes? Nach Hause wollte er definitiv nicht. Allein Essen gehen? Nein, das erschien ihm dann doch seltsam. Vorerst. Mit einer ganzen Tüte Popcorn im Magen, rebellierte dieser außerdem ziemlich bei der Vorstellung, sich weiter vollzustopfen.
Vermutlich schadete schon deswegen ein Spaziergang nicht. Dafür, dass er bereits Monate in Berlin lebte, hatte Erik bisher erstaunlich wenig von der Stadt gesehen. Also klappte er seinen Mantelkragen nach oben, um sich vor dem beißenden Wind zu schützen, schob die Hände tief in seine Taschen und marschierte los. Möglicherweise fand er auf dem Weg ja Inspiration für seine restliche Abendgestaltung.
Einige Straßen weiter und ziemlich durchgefroren – inzwischen erschien ihm seine Idee, zu Fuß nach Hause zu laufen, gar nicht mehr so clever – traf ihn die gesuchte Inspiration in Form des Duos. Mit seinen getönten Scheiben und den davorstehenden Menschengrüppchen, sah der Club warm und einladend aus (fairerweise hätte aktuell alles außer einer Kühlkammer warm und einladend ausgesehen), allerdings wusste Erik nicht, ob er sich wirklich in dieses Getümmel stürzen wollte.
Zu seiner Schande überzeugte ihn letztlich ein junger Mann in wetteruntauglich knapper Bekleidung, der ihm über die Köpfe seiner Freunde hinweg schöne Augen machte. Nicht, dass Erik plante, auf diesen Flirt einzugehen. Oder vielleicht doch. Ein bisschen. Ganz harmlos. Also erwiderte er das Lächeln des Fremden, flüchtete jedoch in die Sicherheit des Clubs, bevor er den Mund öffnen und einen Schritt weitergehen konnte.
Die Hitze im Inneren traf ihn wie eine Wand. Eine alkoholgeschwängerte, schweißfeuchte Wand. Körper drängte sich an Körper, Musik wummerte – nicht unbedingt laut, dafür mit Bässen, die Eriks Ohren überfielen und sich tief in seinen Magen gruben. In Trance schob er sich am Rand der Tanzfläche vorbei zur Bar, sein Herz vom fremden Rhythmus erfüllt.
Obwohl ihm sein frisch ergatterter Cocktail – marzipanartig, mit leicht bitterem Nachgeschmack, in einer Geschwindigkeit geliefert, die er nur bewundern konnte – etwas zum Festhalten gab, fühlte er sich in der Masse verloren.
Wollte er tanzen, musste er sich damit anfreunden, den Männern, die sich bereits auf der Tanzfläche tummelten, sehr nah zu kommen. Eine Vorstellung, die ein Teil seiner Anatomie durchaus verlockend fand, sein Kopf allerdings weniger. Nicht einmal in sein übliches Eckchen im hinteren Bereich des Clubs konnte er flüchten.
Unauffällig über den Rand seines Glases schielend, beobachtete Erik das dort an der Wand lehnende Pärchen. Nicht, dass die beiden ihn bemerkt hätten, dafür waren sie zu sehr miteinander beschäftigt. Moment. Hatte einer von ihnen seine Hand an …? Ja. Ja, hatte er.
Peinlich berührt wandte sich Erik ab. Er störte sich nicht an öffentlichen Zuneigungsbekundungen, zog es allerdings vor, wenn die Hände dabei oberhalb der Gürtellinie, oder wenigstens außerhalb der Hose blieben.
In seinem Versuch, dem Pärchen in der Ecke den Anschein von Privatsphäre zu gönnen, ließ Erik seinen Blick über die Tanzfläche schweifen und sah Metall im flackernden Clublicht aufblitzen. Dazu ein blonder Wuschelkopf, und ein feingliedriger Körper, von dem er genau wusste, wie es sich anfühlte, ihn auf eine zwei Meter hohe Mauer zu hieven, während man vor einem Schlägertrupp flüchtete.
Wie oft kam der Kerl in den Club? Und viel wichtiger: Warum zur Hölle drehte er sich immer exakt dann in Eriks Richtung, wenn dieser ihn mal wieder anstarrte?
Verlegen nickte Erik ihm zu. Nach ihrem Abenteuer vor einigen Wochen schien ihm das angemessener als ertappt wegzugucken. Erneut.
Piercing-Typ erwiderte Eriks Gruß mit einem breiten Grinsen, das ihm verdammt gut stand, und bedeutete ihm mit einem Ruck seines Kopfes, auf die Tanzfläche zu kommen.
Erik zögerte. Ihr letzter Kontakt hatte in einer Verfolgungsjagd und einem Kuss geendet, den er so schnell nicht vergessen würde. Selbst jetzt glaubte er, das kühle Metall der Lippenpiercings auf seiner Haut zu spüren, ganz zu schweigen von dem Kribbeln in seinem Magen, das er damals energisch zurückgedrängt hatte. Wegen Marco. Nun, dieser Grund hatte sich vor gut zwei Monaten von ihm getrennt. Wie war das mit der neugewonnenen Freiheit? Zeit für ein wenig Mut.
Mit rasendem Herz schob sich Erik über die Tanzfläche zu Piercing-Typ. „Hey.“
Das flackernde Licht reflektierte in Piercing-Typs Augen und, nun ja, Piercings. Eins in seiner linken Braue, eins zu jeder Seite seiner Unterlippe, dazu mehr in den Ohren, als Erik auf die Schnelle zählen konnte. Sie umrahmten ein Gesicht, das noch nicht völlig aus seinen jugendlichen Rundungen herausgewachsen war.
Schmal und weich, mit Stupsnase, dünnen Lippen und langen, geraden Wimpern. Piercing-Typ musste mindestens volljährig sein, andernfalls würde er am Türsteher des Duos scheitern, doch Erik bezweifelte, dass er bereits eine Zwei vor seinem Alter trug.
Prima, jetzt starrte Erik schon wieder. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen – was genau, musste er sich noch überlegen – als eine Hand an seiner Hüfte ihn zusammenzucken ließ. Piercing-Typ hob die Brauen, eine stumme Frage in den Augen, die Erik beantwortete, indem er sich nach einem tiefen Atemzug in die Berührung lehnte.
Die Worte, die Piercing-Typ ihm ins Ohr rief, gingen in dröhnenden Bässen und dem Hämmern seines Herzschlags unter. Nur das Fragment „… boyfriend …?“ erreichte Erik.
Er schüttelte den Kopf. Ob er damit andeutete, die gestellte Frage nicht richtig verstanden zu haben, oder eine Antwort gab, ließ er offen. Piercing-Typ schien so oder so zufrieden. Seine Hand wanderte von Eriks Hüfte zu seiner Taille, zog ihn näher, bis sich ihre Körper berührten. Eriks Cocktail versagte gänzlich dabei, seinen plötzlich staubtrockenen Mund zu befeuchten.
Immerhin durfte er nun nach Herzenslust starren. Er bemerkte die im Clublicht beinahe unsichtbare Röte, die über Piercing-Typs Wangen kroch und die Augen, die mit geweiteten Pupillen zurückstarrten. Dann bemerkte er nichts mehr, außer den fremden Lippen, auf die er seine eigenen drückte, die Piercings, die sich unter der Berührung erwärmten und, lieber Himmel, das Zungenpiercing, mit dem er nicht gerechnet hatte.
Erik stoppte den Versuch, die auf ihn einprasselnden Empfindungen zu sortieren, und gab sich ihnen einfach hin. Genoss die Reibung des Körpers, der sich an ihn schmiegte, die Hände, die seinen Nacken, seinen Rücken, seine Hüften, und hin und wieder seinen Po erkundeten, den Mund, der sich ihm bereitwillig öffnete, ihm Zugang zu einer weichen Zunge mit harter Metallkugel gewährte. Er hatte den Geschmack nach Alkohol erwartet, doch er fand künstliche Süße und darunter die Reste von kaltem Zigarettenrauch.
Nach einer gefühlten Ewigkeit trennten sie sich voneinander. Erik erhaschte gerade noch ein Lächeln auf Piercing-Typs Lippen, bevor sich dieser umdrehte und sich mit dem Rücken gegen ihn presste. Seine Hüften bewegten sich im Takt der Musik, rieben an Eriks kaum mehr zu verheimlichenden Erektion. Wenn Piercing-Typ so weitermachte, würde sich Erik mitten im Club massiv blamieren.
Vernünftig wäre, ihn wegzuschieben, durchzuatmen, sein Gehirn wieder die Führung übernehmen zu lassen. Vernünftig funktionierte in Piercing-Typs Nähe offenbar nicht. Erik zog ihn zu sich, drückte seine Nase in weiches Haar, seine Lippen gegen harte Ohrringe und seine Hände gegen einen flachen Bauch.
Piercing-Typ drehte den Kopf weit genug zur Seite, um seinen Mund an Eriks Ohr zu bringen. „… fuck me?“
Erik musste kaum den ganzen Satz verstehen, um dessen Inhalt zu entschlüsseln. Sein Körper reagierte, bevor sein Gehirn die Chance bekam, die Frage zu überdenken. Atemlos nickte er.
Kurzentschlossen nahm Piercing-Typ Eriks Hand und zog ihn von der Tanzfläche. Beinahe zu spät realisierte Erik, dass er ihn nicht nach draußen führte, sondern in Richtung der Toiletten. Himmel! Nicht einmal geil bis zu den Haarspitzen, würde Erik das bringen. Er stoppte, ohne Piercing-Typ loszulassen. Als sich dieser zu ihm umdrehte, schüttelte er den Kopf und deutete zum Ausgang, dann auf sich selbst. Zu mir?
Piercing-Typ schien ihn zu verstehen. Oder vielleicht interessierte es ihn schlicht nicht sonderlich, wo sie sich vergnügten, solange sie es überhaupt taten. Erik stellte sein halbvolles Cocktailglas ab, suchte seinen Mantel am übervollen Garderobenhaken am Eingang, und verließ zusammen mit Piercing-Typ den Club.
~~~~~~~~~~
Tyler.
Irgendwo auf dem Weg vom Club zu seiner Wohnung, hatte Erik beschlossen, Piercing-Typ nicht ewig Piercing-Typ nennen zu wollen, und ihn nach seinem Namen gefragt. Nun hallte dieser in seinem Kopf, gab der surreal erscheinenden Situation einen Anker.
Eriks Wohnungstür fiel hinter ihnen ins Schloss. Kurz wünschte er sich, vor seinem Aufbruch aufgeräumt zu haben, dann streiften hungrige Lippen seinen Hals und der Gedanke verpuffte. Die Hände an seinen Hüften, drängte Erik Tyler durch den Wohnraum, in Richtung Schlafzimmer, wo er nach einigen verwaist auf der rechten Seite des Betts liegenden Klamotten grabschte und sie auf den Boden beförderte. Dann hielt er inne, plötzlich unsicher, wie er von hier weitermachen sollte.
Er, besser gesagt seine zunehmend übermächtig werdende Libido, schien sich erfolgreich mitten in einen One-Night-Stand manövriert zu haben, von dem er weder so genau wusste, ob er ihn wirklich wollte, noch, wie man sich in so einer Situation verhielt. „Ah, willst du was trinken?“
Tyler presste sich fester gegen Erik, rieb ihre unter Stoff versteckten Erektionen aneinander. Das bedeutete wohl ‚Nein‘. Erik schob sämtliche Zweifel in eine hintere Ecke seines Gehirns und konzentrierte sich auf das Feuerwerk, das die Berührungen in seinem Körper zündeten. Er wollte Sex, dafür brauchte er sich nicht schämen, und wenn Tyler sich danebenbenahm, dann schmiss er ihn eben aus der Wohnung. Kein Grund, sich schon jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen.
Da er weder das Bedürfnis verspürte, sich jemals wieder das Herz brechen zu lassen noch den Rest seines Lebens enthaltsam zu verbringen, musste er sich früher oder später ohnehin an bedeutungslosen Sex mit fast Fremden gewöhnen. Damit konnte er genauso gut heute beginnen.
Eriks Mund traf auf Tylers, seine Finger gruben sich in Haarsträhnen, verklebt von irgendeinem Stylingprodukt. Eng umschlungen taumelten die beiden aufs Bett, Tylers Hände auf Eriks Rücken, dann unter seinem Hemd, das Gefühl fremder Fingerspitzen eine feurige Spur auf Eriks Haut.
Mit einem Knurren, das er kaum als seines erkannte, packte Erik Tylers Handgelenke und fixierte sie über dessen Kopf, hielt jedoch einen Augenblick inne, um sicherzustellen, dass sich Tyler mit dieser ruppigen Behandlung wohlfühlte. Lust verschleierte Augen antworteten ihm. Gut. Erik verlagerte sein Gewicht, schob ein Bein zwischen Tylers Schenkel und erntete damit ein Keuchen, in dem ein enthusiastisches „Yes!“ mitschwang. Besser.
Erik wollte die Kontrolle über diesen Moment. Erik brauchte die Kontrolle über diesen Moment.
Tyler schien mehr als gewillt, sie ihm zu überlassen. Sein Puls klopfte gegen Eriks Lippen, beschleunigte unter Küssen und sanften Bissen, doch seine Hände blieben bewegungslos über seinem Kopf, sogar nachdem Erik seinen Griff löste, um andere Regionen zu erkunden.
Unter Tylers Shirt fand er nackte Haut, weich und eiskalt. Kein Wunder, Tylers vergessen auf dem Boden liegende Jacke hatte den frostigen Temperaturen wenig entgegenzusetzen.
Sich allzu bewusst, dass seine eigenen immerkalten Hände höchstens für Wärme sorgten, indem sie Tylers Kreislauf in Schwung brachten, setzte Erik seine Erkundungstour fort, streichelte über eine schmale Taille und spürbar hervortretende Rippen, weiter nach oben zu– Oh. Vermutlich hätte Erik damit rechnen sollen, dass sich Tylers Vorliebe für Piercings nicht auf dessen Gesicht beschränkte. Er schob das T-Shirt nach oben, um einen besseren Blick auf das zu erhaschen, was seine Hände bereits ertasteten.
Im Halbdunkel seines Schlafzimmers hoben sich Tylers Brustwarzen kaum sichtbar von seiner blassen Haut ab, die beiden Piercings darin dafür umso deutlicher. Behutsam strich Erik darüber, fasziniert von dem Übergang von Haut zu Metall.
Tyler stützte sich auf seine Unterarme und hob den Kopf. „Nicht so schüchtern. So schnell machst du nichts kaputt.“
Erik nahm diese Information auf und tat das nächstbeste, das ihm einfiel. Er beugte sich vor und ließ seine Zunge über Piercing und Brustwarze tanzen, knabberte sanft mit den Zähnen. Abgesehen von geringfügig beschleunigter Atmung, schien er damit allerdings keine große Reaktion auszulösen. War er der einzige Mann auf dieser Welt, den selbst leichte Berührungen an dieser Stelle in ein sabberndes, inkohärentes Etwas verwandelten? Oder stellte er sich einfach dumm an?
Bevor er sich zu lange den Kopf darüber zerbrach, erkundete er lieber den Rest von Tylers Körper. Ohne die Lippen von seiner Haut zu nehmen, wanderte er tiefer, folgte dem harten Rippenbogen bis zur Vertiefung des, wie er milde überrascht feststellte, piercingfreien Bauchnabels.
Sobald seine Zunge in die verführerische Kuhle dippte, drängte sich ihm Tyler entgegen. Ah. Diese Reaktion gefiel Erik deutlich besser. Tylers Hand fand sein Haar, Nägel kratzten über seine Kopfhaut, Finger ziepten an einzelnen Strähnen. Erik widerstand dem Reflex, ihn wegzuschieben. Obwohl er nicht sonderlich darauf stand, beim Sex an den Haaren gezogen zu werden, war er zum Glück weit davon entfernt, in die Panik zu verfallen, die das Gefühl früher bei ihm ausgelöst hatte.
Also widmete er sich Tylers Bauchnabel, bis Tyler kein klares Wort mehr herausbrachte. Erst dann erlaubte sich Erik, tiefer zu wandern. Die Hand bereits an Tylers Reißverschluss, stoppte er. „Darf ich?“
„Fuck! Ja! Please!“
Zittrig vor Nervosität und Erregung, öffnete Erik Tylers Hose und entschied spontan, dessen Unterwäsche bei dieser Gelegenheit ebenfalls loszuwerden. Alles mehr oder weniger sorgsam auf dem Boden verstaut, wandte er sich um, um den nun nackten Mann auf seinem Bett zu betrachten und erstarrte.
Tyler warf einen kurzen Blick auf sein Gesicht und brach in schallendes Gelächter aus. „Surprise!“
An der Spitze seiner Erektion glänzte ein Metallring. Automatisch streckte Erik die Hand danach aus, zog sie jedoch rasch wieder zurück. „Ah, darf ich?“
„Please.“
„Muss ich irgendwas beachten?“
„Nicht daran reißen.“
„Danke, darauf wäre ich niemals von allein gekommen.“ Ohne Tyler aus den Augen zu lassen, umfasste Erik dessen Erektion und strich sanft mit dem Daumen über das Piercing. „Okay so?“
„Es ist ein Schwanz mit Extra. Du kriegst das schon hin.“ Ermutigend legte Tyler seine Hand auf Eriks, zeigte ihm, was sich gut für ihn anfühlte. Offenbar bekam Erik es tatsächlich hin, denn nachdem er seine anfänglichen Berührungsängste überwunden hatte, dauerte es nicht lange, bis Tyler ihm erneut das Ruder überließ und sich zufrieden seufzend in die Kissen zurücklehnte.
Einhändig fummelte Erik seine eigene Hose auf, während er versuchte, Tylers Erektion weiterhin die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Zu sehr genoss er den Körper, der sich unter ihm wand, das abgehackte Keuchen, die Brust, die sich mit raschen Atemzügen hob und senkte. Oh, Himmel, Erik wollte ihn.
Als hätte Tyler diesen Gedanken gehört, spreizte er seine Beine, gewährte Erik Zugang zu Stellen, die ihm bisher verborgen geblieben waren. Zögerlich ließ Erik seine Hand dazwischen gleiten und beobachtete Tylers Reaktion.
Diese fiel recht eindeutig aus. „Yes!“
Blöderweise hatte Erik ab hier nicht die geringste Ahnung, was er tat. Marco hatte von Anfang an klar gemacht, dass er beim Analsex ausschließlich den aktiven Part einnahm, und jede Berührung in diesem Bereich abgelehnt. Also konnte Erik nur von dem ausgehen, was er an sich selbst mochte, und musste hoffen, dass Tyler ähnlich empfand. „Ah, im Nachtkästchen rechts von dir sind Gleitgel und Kondome.“ Oder ging er damit bereits drei Schritte zu weit?
Offenbar nicht. Tyler streckte sich, um die Schublade zu öffnen. Nach kurzer Suche warf er Erik beides zu.
Das Herz im Hals und seine Erektion irgendwo am Bauchnabel, benetzte Erik seine Finger mit Gleitgel, und legte sie sanft an Tylers Öffnung, berührte ihn mit all der zärtlichen Behutsamkeit, die er sich selbst von einem Partner wünschte. Immer wieder musste er dabei seine Ungeduld und das zunehmend lauter schreiende Verlangen, Tyler endlich zu spüren, zurückkämpfen. Nein, er würde nicht hetzen. Jeder hatte es verdient, dass man sich Zeit für ihn nahm.
Tylers Körper öffnete sich seinen Fingern. Fiel es anderen Männern immer so leicht, sich zu entspannen? Eilig schob Erik den aufkeimenden Frust über sich selbst beiseite und konzentrierte sich auf Tyler, auf seine Bewegungen und den Klang seines Atems. Weniger abgehackt als zuvor. Machte Erik etwas falsch? „Ah, bin ich zu schnell?“
Tyler lachte. „Du bist süß! Nicht viel Erfahrung, was?“
Das tat weh. Vermutlich mehr, als es sollte. „Ich, ah, war bisher immer“, Erik gestikulierte vage, „unten.“
Tyler verlor sein Schmunzeln nicht, doch Erik hatte den Eindruck, dass seine Züge weicher wurden. Dann hatte er den Eindruck, mit überraschender Kraft gepackt und auf den Rücken befördert zu werden. Überrumpelt blinzelte er gegen die Decke. Über ihm schwebte ein blonder Wuschelkopf mit zahlreichen Piercings, dessen Gewicht Erik in die Matratze drückte.
„Dann eben so.“ Tyler machte sich daran, Eriks Hemdknöpfe zu lösen.
Kälte kroch über Eriks Rücken, formte einen eisigen Ball in seinem Magen. So hatte er das nicht gemeint! Er wollte, er konnte keinen fast fremden Typen in sich lassen!
Tylers Hände stoppten auf Höhe von Eriks Bauchnabel. „You alright?“
Erik holte Luft und konzentrierte sich darauf, seine Bedürfnisse klar zu formulieren, anstatt halbwahre Beschwichtigungen zu stottern. „Nur weil ich bisher immer, ah, passiv war, bedeutet das nicht, dass ich das heute wiederholen möchte.“
Im ersten Augenblick wirkte Tyler verwirrt, es dauerte jedoch nicht lange, bis sich erneut ein Lächeln auf seine Lippen stahl. Er beugte sich zu Erik herunter und raunte: „Don’t worry. Ich plane fest, mich von dir ficken zu lassen.“
Eriks Ohren planten, das Blut in seinem Körper zu nutzen, um tomatenrot anzulaufen. Eriks Penis protestierte, dass er deutlich sinnvollere Einsatzorte dafür kannte. Am Ende setzte sich der untere Teil seiner Anatomie durch.
Das blieb Tyler nicht verborgen. Flink knöpfte er die verbleibenden Hemdknöpfe auf und wandte sich anschließend Eriks Jeans zu. Augenscheinlich zufrieden mit dem, was er dort vorfand, leckte er sich über die Lippen und hauchte einen Kuss auf Eriks Penisspitze, bevor dieser das Wort ‚Kondom‘ auch nur denken konnte.
„Dein Shirt“, murmelte Erik rau. Er hatte es vorhin lediglich nach oben geschoben, was bedeutete, dass es zwischenzeitlich wieder heruntergerutscht war und Tylers Oberkörper verdeckte. Eriks Hirn mochte die Arbeit weitestgehend eingestellt haben, für den Gedanken ‚Ich will ihn nackt sehen!‘ reichte es aber noch. Als Tyler nicht sofort reagierte, nahm er die Dinge selbst in die Hand und zerrte am störenden Stoff, bis Tyler gehorsam die Arme ausstreckte und sich ausziehen ließ. Besser.
Über Erik kniend, blickte Tyler auf ihn herunter. „Willst du mich ficken?“
Sichtlich amüsiert von Eriks atemlosem Nicken, rollte Tyler ein Kondom über dessen Glied und krönte es mit einem kräftigen Klecks Gleitgel. Einen zweiten verteilte er auf seinen Fingern. Nach vorne gebeugt, eine Hand auf der Matratze abgestützt, die andere an Stellen, die Erik aus seiner Position heraus verborgen blieben, schloss er die Augen, während sich sein Mund einen Spalt öffnete. Sein Atem beschleunigte und seine Brauen zogen sich zu einem Ausdruck zusammen, als fragte er sich, warum das Leben nicht immer so simpel sein konnte.
So sieht er also aus, wenn man es richtig macht. Erik prägte sich diesen Gesichtsausdruck gut ein, denn in Zukunft wollte er derjenige sein, der ihn auslöste.
Die Augen weiterhin fest geschlossen, und ohne diesen umwerfend weggetretenen Ausdruck zu verlieren, umfasste Tyler Eriks Glied und sank langsam darauf herab.
Oh, Himmel! Instinktiv schossen Eriks Hände nach vorne, packten Tylers Hüften. Nur mit viel Willenskraft konnte er sich davon abhalten, tief in ihn zu stoßen. Das Gefühl, von samtiger Hitze umschlossen zu werden, drohte, seinen Verstand zu Brei zu kochen. Glücklicherweise brauchte Tyler keine Ermutigung. Problemlos nahm er Erik vollständig in sich auf.
Und dann musste Erik ihn doch festhalten, nicht, um ihn anzutreiben, sondern weil er fürchtete, innerhalb weniger Sekunden zu kommen, wenn Tyler sich auch nur einen Millimeter rührte.
Tyler grinste. „That good, huh?“
Halb fluchend, halb lachend, und obendrein zutiefst verlegen, nickte Erik.
„Ab wann, denkst du, darf ich mich bewegen?“
„Sorry.“ Erik ließ von Tylers Hüften ab und erntete dafür prompt lauten Protest.
„Ist schöner, wenn du mich anfasst.“
Diesen Hinweis nahm sich Erik zu Herzen. Spielerisch federte er mit den Fingerspitzen seiner linken Hand über Tylers Innenschenkel, über den weichen Flaum zwischen Bauchnabel und Schambehaarung, und weiter zur anderen Seite, wo er das Spiel wiederholte. Die ganze Zeit spürte er dabei Tylers Blick auf sich, die Enge, mit der er ihn umhüllte und das gelegentliche, ungeduldige Zucken seiner Muskeln.
Als Erik glaubte, sich einigermaßen unter Kontrolle zu haben, schloss er seine Hand um Tylers Erektion. „Du, ah, kannst dich bewegen, wenn du willst.“
Ab da passierte ziemlich viel gleichzeitig. Eriks Welt explodierte in einem Meer aus Sinneseindrücken. Lustvolles Stöhnen füllte seine Ohren, eine fremde Zunge seinen Mund; und als Haare seine Finger kitzelten, realisierte er, dass er es gewesen sein musste, der Tyler für einen Kuss zu sich gezogen hatte.
Außer Atem lehnte sich Tyler zurück in eine Position, die ihm mehr Bewegungsfreiheit ermöglichte. So umfing er Erik, umhüllte ihn mit Seide und Hitze, trieb ihn erneut an den Rand eines Höhepunkts. Eriks Hand passte sich Tylers Tempo an, massierte dessen Erektion, während er ihn aus halbgeschlossenen Lidern betrachtete. Den schmalen Körper, die gepiercten Brustwarzen, das wie ein Heiligenschein auf und ab wippende Haar, und der weltvergessene Gesichtsausdruck, in dem nichts als Lust existierte.
Plötzlich warf Tyler den Kopf in den Nacken, ein stummer Schrei auf seinen Lippen. Heißer Samen benetzte Eriks Hand, sprenkelte Bauch und Brust; die ohnehin nahezu unerträglich intensive Enge zog sich noch weiter zu. Ah, Himmel, shit, oh Gott, ohgottohgott! Erik gab sich dem unvermeidbaren Höhepunkt hin.
Das Zimmer verschwamm. Er wusste nicht, ob Sekunden oder Minuten vergingen, bis er wieder halbwegs zu Sinnen kam. Irgendwann verschwand der warme Körper über ihm und die unerwartete Kälte bewegte ihn dazu, die Augen zu öffnen.
Tyler kniete auf dem Bett, Brust und Wangen gerötet, das Haar vollständig zerzaust. Er sagte etwas, doch Erik brauchte zwei weitere Anläufe, um ihn zu verstehen. „… Taschentuch?“
„Ah, ja. Sorry. Warte.“ Widerwillig – er hätte die nächsten drei Jahre im post-koitalen Nebel auf seiner bequemen Matratze liegen können – wälzte sich Erik zur Seite, um Tyler und sich selbst mit Taschentüchern aus seinem Nachtkästchen zu versorgen. Nachdem sie das Gröbste an Körperflüssigkeiten entfernt hatten, ließ sich Tyler von Erik den Weg ins Bad zeigen. Erik blieb derweil gedankenverloren auf dem Bett sitzen.
So fühlte sich Sex also als Top an. Nicht übel, obwohl er sich sicherlich ziemlich blöd angestellt hatte. Definitiv stressfreier als andersherum, jedenfalls für ihn.
Er sah Tyler vor sich, nackt und losgelöst. Kein innerer Kampf, kein Anflug von Scham, keine minutenlange Wartezeit, bis er sich auch nur ansatzweise ausreichend entspannen konnte, um halbwegs schmerzfrei zu sein. Kein einziges Anzeichen, dass er nicht jede Sekunde voll auskostete.
Wenn das die Norm war, brauchte sich Erik kaum zu wundern, dass Marco den Sex mit ihm als anstrengend und unbefriedigend empfunden hatte. Nicht, dass er das jemals laut ausgesprochen hätte, doch Erik hätte schon blind sein müssen, um zu übersehen, wie sehr sich Marco zurückhielt. Oder nicht zu bemerken, wie ihr Sexleben immer mehr einschlief. Klar, Blasen und Handbetrieb hatten sie einigermaßen regelmäßig hinbekommen, aber anal? Nur, wenn Erik extrem deutlich gemacht hatte, dass er sich danach sehnte.
Nichts davon durfte er Marco vorwerfen. Meistens hatte Erik exakt diese Rücksichtnahme gebraucht, die Geduld, die Marco für ihn aufbrachte, das Verständnis, wenn sich Erik einmal mehr nicht auf Sex einlassen konnte. Es schmerzte lediglich, zunehmend klarer zu erkennen, dass er einen Menschen, den er eigentlich lieben und unterstützen wollte, so runtergezogen hatte.
Im Gang erklangen Schritte und er zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht, bevor Tyler das Zimmer betrat. „Hey.“
Tyler erwiderte Eriks Lächeln, musterte ihn allerdings lange genug, um Erik fürchten zu lassen, dass er es ihm nicht ganz abkaufte. Nachdem sich das Schweigen zwischen ihnen eine Weile gezogen hatte, fing er an, seine Klamotten vom Boden aufzusammeln.
„Du kannst über Nacht bleiben“, bot Erik an, obwohl er es vorgezogen hätte, mit seinen Gedanken allein zu sein. Ein Rausschmiss erschien ihm dennoch unhöflich.
Erneut lächelte Tyler. Er zog sich sein T-Shirt über den Kopf und hauchte einen Kuss neben Eriks Mundwinkel. „Du bist süß.“ Wenig später fiel die Eingangstür hinter ihm ins Schloss.