Was zuletzt geschah:
Zu zweit in einer kleinen Einzimmerwohnung zusammenzuleben, sollte anstrengend sein. Entsprechend überrascht stellt Marco fest, dass er die aktuelle Situation ziemlich genießt, und seine gemeinsamen Wochen mit Drago wie im Flug vergehen.
Kapitel 43
Zum Glück zog Drago morgen aus. Nicht, weil Marco ihm überdrüssig war. Im Gegenteil. Er genoss die sich zwischen ihnen einspielende Routine viel zu sehr.
Aktuell lag er in seinem Bett, gute fünf Minuten bevor sein Wecker klingelte, und lauschte dem Öffnen und Schließen der Wohnungstür, dem leisen Rascheln als Drago seine Laufschuhe auszog und dem Klang seiner nackten Füße, die über den Boden trapsten. Zeitgleich mit dem Schrillen des Weckers, gurgelten die Rohre im Bad und das Wasserrauschen der Dusche setzte ein.
Marco hievte sich aus dem Bett und zu seiner Küchenzeile, wo er die zweite Hälfte der Banane, die Drago vor seinem morgendlichen Lauf aß, in Stücke schnitt, gefolgt von einem Apfel. Die Fruchtstücke mischte er mit einer Handvoll Haselnüssen, Müsli und Joghurt. Damit wäre für Dragos Frühstück gesorgt, wenn dieser aus der Dusche kam. Was bald der Fall sein dürfte, sofern Marco den Gesang, der daraus hervorschallte, korrekt deutete.
Marco schmunzelte. Im Leben hätte er Drago nicht für jemanden gehalten, der gerne sang. Dass er es die meiste Zeit unbewusst tat, machte die Angewohnheit umso charmanter. Wüsste Drago, dass Marco ihn durch die Badtür hörte, würde er sicher augenblicklich verstummen, nur, um wenig später erneut anzusetzen.
Zumindest lief es so, wenn er sich am Schreibtisch auf sein Abschlussprojekt konzentrierte, während sich Marco ebenfalls im Raum aufhielt. Er startete mit leisem Summen, das in angedeutete Worte überging, bis sich ein klar erkennbarer Song daraus entwickelte. Irgendwann realisierte er, was er tat und stoppte abrupt. Diese Stille hielt dann einige Minuten an, bis er erneut in leises Summen verfiel und der Kreislauf von vorne begann.
Marco hatte ihn nie darauf angesprochen, aus Angst, ihn zu verschrecken. Das wäre schade, denn Drago hatte eine angenehme Stimme. Nicht übermäßig kräftig, dafür klar und unerwartet emotional.
Dragos Gesang erstarb zeitgleich mit dem Wasserrauschen der Dusche, und er verließ das Bad. Wie jeden Morgen trug er lediglich ein Handtuch um die Hüften gewickelt. Sein nur grob trockengerubbeltes Haar verteilte feine Wassertropfen auf seiner Haut.
Anfänglich hatte Marco angenommen, dass sich Drago schlicht in seinem Körper wohlfühlte und sich nichts weiter dabei dachte, fast nackt durch die Wohnung zu spazieren. Nachdem er allerdings das eine oder andere verstohlene Lächeln aus dem Augenwinkel beobachtet hatte, glaubte er, doch ein wenig mehr Taktik hinter Dragos knapper Bekleidung zu erkennen.
„Du kannst ins Bad“, sagte Drago, ohne sich anmerken zu lassen, ob er wusste, dass Marco wusste, was für ein Spiel er spielte.
Marco widerstand der Versuchung, ihm das Handtuch wegzuziehen, hauptsächlich, weil er wenig Lust hatte, sich von seinem Chef für die Verspätung anmaulen zu lassen. Wobei seine Vernunft nur knapp siegte.
Als er zurückkehrte, saß Drago vor seinem Laptop. Auf dem Küchentresen wartete derweil ein Tässchen Espresso. „Grazie.“ Das würde Marco am allermeisten fehlen. Einen frischgebrühten Espresso zu genießen, ohne vorher einen Finger dafür krummgemacht zu haben. Zumal Drago ihn exakt so hinbekam, wie Marco ihn am liebsten hatte, seit er sich die Zubereitung einmal hatte zeigen lassen.
Generell funktionierte der Rhythmus zwischen ihnen einfach. Ohne, dass sie es bewusst geplant hätten, griff ihr Tagesablauf ineinander und sie erleichterten sich ihren Alltag mit kleinen Aufmerksamkeiten.
Ein gesundes Frühstück nach der morgendlichen Joggingrunde, frischer Espresso kurz vor dem Start in den Arbeitstag. Ein Putzlumpen, der gereicht wurde, bevor man danach gefragt hatte und der Vorrat an Lieblingssnacks, der sich auf geheimnisvolle Weise immer wieder auffüllte.
All das würde Marco vermissen, wenn Drago morgen in die WG zurückkehrte. Scheiße, Marco würde ihn vermissen. Seine Nähe, seine aufmerksame Art, die erstaunlich langen und tiefgründigen Gespräche, die sie manchmal miteinander führten. Und genau deshalb war es richtig, dass ihre kurze Phase des Zusammenlebens hier endete. Marco hatte keine Lust auf das gebrochene Herz, das mit jedem Tag unausweichlicher schien.
Dennoch wollte er ihre letzte gemeinsame Nacht nicht ungenutzt lassen. „Hast du heute schon was vor?“ Mit seinem Espresso bewaffnet, schlenderte er zu Drago, der sich bei der Frage zwar nicht umdrehte, aber immerhin aufhörte zu tippen.
„Das hängt davon ab, ob meine Kommilitonin heute oder erst am Sonntag Zeit hat, damit wir unsere Abschlussarbeiten durchsprechen können. Warum fragst du?“
Eine Hand an Dragos Nacken beugte sich Marco vor, bis seine Lippen fast dessen Ohr berührten. „Weil ich Pläne für dich habe.“ Er hörte den kleinen Hüpfer in Dragos Atmung und wusste, dass er den richtigen Ton getroffen hatte.
„Ich schreibe ihr, dass wir uns erst am Sonntag treffen.“
„Tu das.“ Fast zu spät widerstand Marco der Versuchung, Drago einen Kuss auf die Wange zu drücken. Technisch gesehen würde er damit nichts falsch machen – Dragos Mund lag ja noch einige Zentimeter entfernt – aber sie beide wussten, dass es bei diesem Tabu mehr um Intimität als exakte Körperstellen ging.
Und da Drago seit seinem Einzug keinerlei weitere Kussversuche gestartet hatte, verzichtete Marco ebenfalls darauf. Zumal er fürchtete, spätestens damit die Büchse der Pandora weit aufzustoßen, anstatt wie bisher durch einen schmalen Spalt zu linsen.
Nein, es war definitiv gut, dass Drago morgen auszog.
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Auf leisen Sohlen schlich Marco durch seine Wohnung. Er wusste nicht, ob Drago schlief, oder lediglich seine Ruhe brauchte; so oder so, wollte er ihn nicht stören. Zumal ihm das Zeit gab, die vergangene Stunde zu verarbeiten.
Sie hatten den Rohrstock ausprobiert. Wobei „probiert“ es nicht traf. Sie – nein, Marco – hatten ihn eingesetzt. Obwohl er sich zuvor erneut Dragos explizites Einverständnis abgeholt hatte, hatte ihn der erste Schlag gehörig Überwindung gekostet, gleichzeitig gehörte er zum Aufregendsten, das er jemals getan hatte. Jetzt noch fühlte Marco das Echo seines Herzschlags, der gegen seine Brust hämmerte.
Sie mochten keinen Sex gehabt haben, jedenfalls nicht im klassischen Sinne, und dennoch hatten sie an diesem Abend einen ihrer bisher intimsten Momente miteinander geteilt. Dragos Hingabe und die Verantwortung, die er Marco übertrug, verwandelten jeden Atemzug, jedes Zucken, jedes halbgeflüsterte Wort in eine Botschaft. Nie hatte sich Marco einem Menschen verbundener gefühlt als in der vergangenen Stunde.
Der dicke, rote Vorhang, der Marcos Bett vom Rest der Wohnung abtrennte, öffnete sich einen Spalt. Das Signal, dass Drago seine Nähe wollte.
Er lag ausgestreckt auf dem Bauch, den Kopf auf seine Arme gebettet und Marco bemühte sich, beim Anblick der roten Striemen, die seinen Po und seine Oberschenkel überzogen, nicht zusammenzuzucken. Immerhin war er dafür verantwortlich, da sollte er wenigstens hinsehen können. „Wie fühlst du dich?“
„Entspannt.“
„Keine Schmerzen?“
„Keine unwillkommenen.“
„Das ist prima, ich wette nämlich, dass du noch die nächsten Tage was davon haben wirst.“
„So war es geplant.“ Drago drehte den Kopf, um Marco über seine Schulter hinweg zu mustern. „Bereust du es?“
Die ungeschönte Frage überrumpelte Marco. „Wirke ich so?“
„Du benimmst dich anders als sonst.“
Tja, das hätte Marco wohl ahnen sollen. Wenn er Drago mit jedem Tag leichter durchschaute, funktionierte das vermutlich auch andersherum. „Ist nicht so, dass ich irgendwas bereue“, sagte er. „Das heute war nur anders als alles, was wir davor probiert haben. Heftiger. Wie zum ersten Mal vögeln, wenn man davor immer nur geknutscht hat.“
Ein flüchtiges Lächeln kräuselte Dragos Lippen. „Kann ich nicht beurteilen.“
Natürlich nicht. Drago küsste ja nicht. Jedenfalls fast nicht.
Gelegentlich fragte sich Marco, ob er seine damalige Reaktion auf den Kussversuch fälschlich als Zurückweisung oder Desinteresse interpretiert und deshalb niemals einen nüchternen Versuch gestartet hatte. Eigentlich wollte Marco ihn ungern in diesem falschen Glauben lassen, letztlich war es jedoch besser so. Kein gebrochenes Herz für Marco. Schlimmstenfalls ein angeknackstes, und das würde er überleben.
Drago drehte den Kopf wieder nach vorne, tastete dafür aber mit einem Arm blind nach Marco. Es brauchte weder einen Hellseher noch überdurchschnittliche Menschenkenntnis, um zu verstehen, worauf er hinauswollte. Marco legte sich neben ihn, einen Arm über seinem Rücken, darauf achtend, nicht versehentlich Dragos geschundene Kehrseite zu streifen. Langsam wanderte er mit der Hand Dragos Wirbelsäule nach oben, bis in seinen Nacken, wo er mit den Fingern winzige Kreise zog.
Irgendwann, Marco konnte nicht sagen, wie lange sie schon so beieinanderlagen und es interessierte ihn auch nicht, solange sie nicht so schnell damit aufhörten, nahm Drago einen tiefen Atemzug, der nahtlos in ein Seufzen überging. „Ich würde heute Nacht gerne hier im Bett schlafen.“
Marco verschluckte sich beinahe an seiner hastig gemurmelten Zustimmung. In all der Zeit, in der Drago bei ihm wohnte, hatten sie nie eine Nacht im selben Bett verbracht. Das hatte durchaus Gründe: Marcos Bett war klein, Drago groß und noch dazu ein unruhiger Schläfer. Wobei sich letzteres möglicherweise auf das nur bedingt bequeme Feldbett zurückführen ließ, auf dem er sich wälzte.
So oder so hatten sich ihre Wege nach dem Sex bisher immer einvernehmlich getrennt und bis zu diesem Moment hatte sich Marco nie daran gestört. Nun jedoch, von Dunkelheit umhüllt, einen warmen Körper an seiner Seite, merkte er, dass er gerne jeden Abend so einschlafen würde.
Er konnte es kaum erwarten, bis Drago endlich auszog.
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Eine Bewegung neben Marco weckte ihn. Träge blinzelnd öffnete er die Augen und blickte auf einen nackten, knackigen Po, der auf bestem Wege war, in allen Farben des Regenbogens zu erstrahlen. Drago stand vor dem Bett, den Vorhang zurückgezogen, umspült von blass-grauem Licht, das durch die Fenster kroch. Die Sonne konnte noch nicht lange am Himmel stehen.
„Wie spät ist es?“, murmelte Marco, seine Stimme rau und belegt.
„Fünf Uhr zweiunddreißig.“
Marco verkniff sich ein Lächeln. In dieser Antwort steckten einfach hundert Prozent Drago. Nicht ‚noch verflucht früh‘, nicht einmal ‚kurz nach halb sechs‘. Nein, die exakte Uhrzeit, als machte jede Minute einen Unterschied. Weil sie es für Drago tat. „Hast du heute viel zu tun?“
„Nein.“
„Dann komm zurück ins Bett.“ Im hellwachen Zustand hätte Marco diese Bitte eher nicht geäußert, gerade reichte seine Hirnleistung allerdings lediglich dafür, sie eine Sekunde später zu bereuen, und das auch nur, bis Drago widerstandslos unter die Bettdecke glitt. Er holte zischend Luft, als sein malträtierter Po gegen Marcos Beckenknochen rieb, machte jedoch keine Anstalten, mehr Abstand zwischen sie zu bringen.
Das große Löffelchen zu sein, wenn der Partner einen um etwa dreißig Zentimeter überragte, hatte Vor- und Nachteile. Die Sauerstoffzufuhr klappte zum Beispiel nur bedingt und die Frage, wohin mit dem unteren Arm, ließ sich lediglich unbefriedigend beantworten. Andererseits gab es keinen Teil von Marcos Vorderseite, der Drago nicht berührte, und das allein wog alles andere auf. Wohlig brummend presste er die Nase gegen Dragos Rücken, inhalierte den sauberen Duft seiner Haut, und glitt zurück in einen oberflächlichen Schlaf.
Dieser endete auf die angenehmste Art, die sich Marco vorstellen konnte. Mit seiner Erektion zwischen Dragos Oberschenkeln, und Dragos Erektion in seiner Hand. Zu faul für jeglichen Schnickschnack, ließen sie sich gemächlich von der Nähe des anderen in einen sanften Höhepunkt treiben. Marco hätte nichts dagegen, jeden Tag so zu beginnen.
Was in absehbarer Zukunft nicht passieren würde. Patrick zog heute aus der WG aus, Drago wieder ein, und damit hatte sich das Thema bis auf weiteres erledigt. Andernfalls käme Daniel womöglich auf die Idee zu fragen, wo Drago seine Nächte verbrachte, und sie wussten beide, dass er dieses Risiko nicht einging.
Nicht zum ersten Mal ertappte sich Marco bei dem Gedankenspiel, wohin ihre Beziehung wohl führen könnte, wenn Drago geoutet wäre. Wie immer schob er den Gedanken rabiat von sich. Hätte hätte Fahrradkette brachte am Ende nichts als Frust.
Letztlich lockte das Blubbern des Espressokochers in Verbindung mit seinem herrlichen Duft Marco aus dem Bett. Nach einem kurzen Umweg ins Bad nahm er dankbar das Tässchen entgegen, das Drago ihm reichte. „Gehst du heute gar nicht Laufen?“
„Doch, eine lange Runde. Deshalb habe ich dir den Espresso davor gemacht.“ Noch während Drago antwortete, schlüpfte er in seine Laufkleidung. „Wenn ich in meiner üblichen Zeit bleibe, brauche ich ungefähr eineinhalb Stunden. Bist du da, wenn ich zurückkomme?“
„Wahrscheinlich nicht. Ich wollte zum Sport, und danach mal wieder im Tässchen vorbeischauen. Habe ich in letzter Zeit beides ziemlich schleifenlassen.“ Was nur halb stimmte. Zugegebenermaßen hatte Marco die vergangenen Abende bevorzugt mit Drago verbracht, schon allein, weil er diese Gelegenheit so schnell nicht wieder bekommen würde. Trotzdem quatschte er regelmäßig mit Manni und Hugo. Völlige Funkstille zwischen ihnen, wie in den Wochen nach Weihnachten, wollte er nie wieder durchmachen.
Auch das Boxstudio sah ihn strenggenommen häufiger als noch vor einiger Zeit, woran Drago ebenfalls eine Mitschuld trug. Egal, wie oft dieser Marco sagte, dass er seinen Körper exakt so mochte, wie er derzeit aussah – und er hatte es seit dem ersten Mal mehrfach wiederholt, vielleicht weil er spürte, dass Marco diese Bestätigung guttat – zu erleben, wie er Tag für Tag an sich arbeitete, motivierte Marco, es ihm gleichzutun.
Also trieb er mehr Sport, zumindest an den Tagen, an denen er nicht völlig erledigt aus der Arbeit schlurfte, zu erschöpft, um noch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er achtete darauf, beim Rasieren keine Stelle zu übersehen – wenn Drago seinen gesamten Körper perfekt haarlos halten konnte, schaffte es Marco ja wohl bei seinem Gesicht. Gelegentlich verwendete er sogar die Bodylotion, die ihm Erik irgendwann in die Wohnung geschleppt hatte und die seit seinem Umzug nach Berlin unbenutzt herumgestanden war.
Kleinigkeiten, die dennoch einen Unterschied machten. Marco fühlte sich wohler mit sich selbst. Gleichzeitig fragte er sich, weshalb er diesen Aufwand nie Erik zuliebe betrieben hatte. Schließlich hatte er sich ihm gegenüber oft genug minderwertig gefühlt, und trotzdem nichts dagegen unternommen. Stattdessen war er in einen ungesunden Trotz verfallen, hatte im Stillen sich selbst und Erik Vorwürfe gemacht, ohne einen Versuch zu starten, die Situation zu ändern.
Weshalb also jetzt?
So paradox es klingen mochte, lag es möglicherweise daran, dass Erik mit Verständnis auf Marcos Unzulänglichkeiten reagiert hatte, immer bemüht, sie anzunehmen, vermutlich, weil er sich dasselbe für seine eigenen wünschte. Deshalb hatte sich Marco niemals sicher sein können, ob er Erik wirklich genügte, oder dieser das ihm und sich selbst vorgaukelte. Keine gute Motivation, an sich zu arbeiten.
Was nicht bedeutete, dass Marco nicht sein Bestes gegeben hatte, Erik ein anständiger Partner zu sein. Das hatte er, doch dabei war es um ihre Beziehung gegangen, weniger um ihn als Person. Vielleicht machte das den Unterschied aus. Jetzt arbeitete er zwar wegen Drago an sich selbst, aber nicht für ihn.
Drago stand an der Wohnungstür, bereit, zu seiner Laufrunde aufzubrechen. Entweder, er freute sich nicht allzu sehr darauf, oder irgendetwas anderes verhagelte ihm die Stimmung. Allerdings schien er nicht gewillt, darüber zu sprechen, denn er sagte lediglich: „Ich lege dir den Wohnungsschlüssel auf den Schreibtisch, falls du noch unterwegs bist, wenn ich am Abend zurück in die WG ziehe.“
„Nah, kein Stress. Schadet nicht, jemanden zu haben, der mich notfalls in meine Wohnung lassen kann, sollte ich mich mal aussperren. Davon ab bin ich eh nicht so lange weg. Ich dachte, ich koche eine Kleinigkeit für uns, bevor du aufbrichst. Wie klingt das?“
„Soll ich dafür einkaufen gehen?“ Zusammen mit dem fast unsichtbaren Lächeln, das Dragos Augen wärmte, bedeutete das: ‚Klingt sehr gut.‘
„Musst du nicht. Ich hole alles auf dem Heimweg.“ Andernfalls käme Drago ihm zu schnell auf die Schliche.
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Drago sprang vom Schreibtisch auf, als Marco zur Tür hereinkam. „Ich helfe dir.“
„Lass dich nicht von deiner Abschlussarbeit abhalten.“
„Daran arbeite ich gerade nicht. Ich … zeichne nur für mich.“
Marco stellte seine Einkäufe auf dem Küchentresen ab. „Trotzdem. Das meiste brauche ich eh gleich zum Kochen. Dafür musst du echt nicht extra helfen.“ Zumal ihm ein kurzer Blick durch die Wohnung verriet, dass Drago in seiner Abwesenheit alles andere als untätig gewesen war.
Die Campingliege stand zusammengeklappt neben dem Sofa und Marco verwettete seine dürftigen Ersparnisse darauf, dass im Keller eine Waschmaschine voll Bettwäsche durchlief. Seine Böden, Fenster und Oberflächen glänzten, und der harzige Geruch nach Möbelpflegemittel hing in der Luft. Selbst die Sofakissen wirkten flauschiger als wenige Stunden zuvor. „Du hättest mir sagen können, dass dir meine Wohnung zu unordentlich ist“, witzelte er. Halb.
Drago, der sich eben wieder seinem Zeichenblock zugewandt hatte, drehte sich erneut um, mit einem Ausdruck in den Augen, den Marco selten bei ihm sah. Verunsicherung. Es dauerte eine Weile, bis er die Worte gefunden hatte, die er sagen wollte. „Es war nicht meine Absicht, dir diesen Eindruck zu vermitteln. Ich hatte gehofft, dir eine Freude zu bereiten. Als Dank dafür, dass du mich hier hast wohnen lassen. War ich übergriffig?“
Marco konnte seinem Herz nicht einmal einen Vorwurf für den schmerzhaft intensiven Hüpfer machen, zu dem Dragos Reaktion es verleitete. Dafür stand er zu offen, zu ehrlich, zu verletzlich vor ihm. „Warst du nicht. Also wirklich gar nicht. Ich dachte nur … Du sollst dich hier wohlfühlen, und wenn du das nicht tust, weil ich dir zu unordentlich bin“, ein Satz, von dem Marco bis vor Kurzem nicht gedacht hätte, ihn jemals zu äußern, „dann will ich das wissen, damit ich was daran ändern kann.“
„Ich fühle mich nicht unwohl“, stellte Drago klar. „Du bist der ordentlichste Mensch, mit dem ich je zusammengewohnt habe, und obwohl die Einrichtung nicht mein Stil ist, finde ich sie sehr ästhetisch.“
Marco hätte sie ‚gemütlich‘ genannt, kannte Drago inzwischen jedoch gut genug, um zu wissen, dass bei ihm ‚ästhetisch‘ das wesentlich größere Kompliment bedeutete. Was sein Herz erneut zu einem dieser ekelhaften Holperer animierte. „Du sagst mir trotzdem, wenn dich etwas stört, ja? Zum Beispiel, weil ich die Fernbedienung mal wieder nicht parallel zur Tischkante hingelegt habe.“ Das gehörte zu den ersten Eigenheiten, die Marco nach Dragos Einzug bemerkt hatte. Die Fernbedienung, die auf magische Weise immer an exakt dieselbe, perfekt ausgerichtete Stelle wanderte.
„Tut mir leid.“
„Muss es nicht. Ich finde das …“ Süß, dachte Marco, und sagte: „Witzig.“
Anstatt zu lächeln, verzog Drago das Gesicht. „Dieser Perfektionismus ist nichts Positives. Er ist anstrengend. Für mich selbst kann ich ihm nicht entkommen, aber ich kann zumindest versuchen, ihn anderen nicht aufzubürden.“
„Okay, aber Drago, ich will, dass du deine Maßstäbe an mich anlegst. Keine Ahnung, ob ich sie erfüllen kann, aber ich möchte es zumindest versuchen und dafür muss ich sie kennen. Wenn die Fernbedienung also an einer bestimmten Stelle liegen soll, dann sag mir das. Das heißt nicht, dass du die ganze Zeit an mir rummeckern sollst, und ich verspreche auch nicht, allen deinen Wünschen zu folgen, nur gib mir zumindest die Chance, es richtig zu machen.“
Drago starrte ihn an. „Wieso ist dir das so wichtig?“
Weil du mir wichtig bist. Die ehrlichste, in ihrer aktuellen Situation aber vielleicht nicht klügste Antwort. Also versuchte sich Marco an einem nonchalanten Schulterzucken. „Ich will einfach, dass sich Leute bei mir wohlfühlen. Ist das so ungewöhnlich?“
Darauf schien Drago keine Erwiderung zu haben. Er wandte sich wieder seinem Zeichenblock zu, murmelte jedoch: „Die Packung Taschentücher auf dem Couchtisch richte ich auch immer parallel aus.“
Marco schmunzelte. „Werde ich mir merken.“ Da er nicht erwartete, dass Drago ihr Gespräch fortführte, machte er sich daran, das Abendessen zuzubereiten. Zunächst legte er sich dafür das Rezept an eine gut sichtbare Stelle und überflog zum wiederholten Mal die Zutatenliste, um sicherzugehen, dass er auch wirklich nichts übersehen hatte.
Normalerweise kochte er nicht nach Rezept. Die Gerichte seiner Mutter hatte er ohnehin auswendig im Kopf, und seinen Arbeitsfluss zu unterbrechen, um auf ein Stück Papier zu starren, verhagelte ihm meist den Spaß am Kochen. Heute blieb ihm jedoch kaum eine Wahl, denn zum einen hatte er das Gericht nie zuvor zubereitet, und zum anderen wollte er dem originalen Geschmack so nahe wie möglich kommen. Also studierte er alle Angaben genau und bemühte sich, sie exakt zu befolgen.
Marco schaffte es, unbehelligt Zwiebeln und Hackfleisch anzubraten, doch als er den Behälter mit den eingelegten Sauerkrautblättern öffnete, spürte er Dragos Blick auf sich. Er begegnete ihm mit einem milden Lächeln. „Ist was?“
„Was kochst du?“
„Hm? Warum fragst du? Ich dachte, es ist dir egal, was ich koche, Hauptsache, du musst dir nicht den Kopf darüber zerbrechen.“
Der Bewegung seiner Lippen nach zu schließen, lagen Drago gleich mehrere Erwiderungen auf der Zunge, von denen ihm jedoch keine gut genug zu gefallen schien, um sie laut auszusprechen. Ohne ein Wort zu verlieren, wandte er sich wieder seiner Skizze zu.
Amüsiert, aber auch ein bisschen vom schlechten Gewissen geplagt, weil er ihn gar so triezte, begann Marco damit, die Sauerkrautblätter mit Hackfleisch zu füllen und aufzurollen. So, wie es das in Dragos penibler Handschrift verfasste Rezept beschrieb.
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Marco hätte jeden Samstagnachmittag so verbringen können. Das Abendessen – Sarma, serbische Kohlrouladen, zubereitet nach dem Rezept von Dragos Mutter – köchelte zugedeckt vor sich hin und Marco nutzte die freie Zeit, um an seiner Spieluhr für Giulia weiterzuarbeiten. In sein Schnitzwerk vertieft, saß er an einer Ecke seines Arbeitstisches, während Drago an der anderen zeichnete, eine angenehme Stille zwischen ihnen.
Hin und wieder erwischte er Drago dabei, wie dieser ihn intensiv musterte. Daran hatte er sich in den letzten Wochen gewöhnt. Es schien eine von Dragos Eigenarten zu sein, alle Details seiner Umgebung genau zu studieren. Marco zählte eben dazu, genauso wie die Efeutute auf der Fensterbank neben ihm.
Nach einer Weile stand Drago auf, streckte sich und schlurfte ins Bad. Marco nutzte die Gelegenheit, um etwas zu tun, das er eigentlich nicht sollte. Er warf einen Blick auf die unfertige Zeichnung.
Filigrane Linien bildeten ein Netz, das sich zu Marcos Wohnung zusammensetze. Er erkannte seine an den Dachbalken befestigten Kräutertöpfe, die Küchenzeile, und dahinter seine Couch, seinen Boxsack und die Tür zum Badezimmer, durch die Drago eben verschwunden war. Jeder Strich trug Dragos kühle Präzision in sich, seine Vorliebe für harte Kanten und klare Formen.
Bis auf den Mann im Zentrum des Bilds. Er war nicht besonders detailliert ausgearbeitet, die Gesichtszüge lediglich angedeutet, doch Drago hatte ihm mit warmen, ineinanderfließenden Erdtönen Leben eingehaucht. Dunkles Haar, breite Schultern und ein offenes Lächeln, das wie eine Aura über das gesamte Bild strahlte. Betrachtete sich Marco gerade durch Dragos Augen?
Eilig setzte er sich zurück auf seinen Platz. Er fühlte sich wie ein Spanner, der etwas gesehen hatte, das nicht für ihn bestimmt war. Was vermutlich der Wahrheit entsprach. Das Bild fügte sich nahtlos in die Reihe an Indizien ein, die Marco glauben ließen, dass Drago mehr in ihm sah als einen engen Freund, mit dem es zufällig auch im Bett klappte.
Dass Marco diese Gefühle teilte, machte die Sache zwischen ihnen nur leider kein bisschen einfacher. Nicht, wenn sie nicht offen zueinander stehen durften. Nicht, wenn Drago weiterhin plante, seine Sexualität – und damit seine Beziehung zu Marco, wie auch immer diese letztlich aussehen mochte – geheim zu halten.
Ach, verdammt. Marco musste endlich aufhören, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, schon allein, weil mit jedem Mal die Versuchung wuchs, Drago die Schuld an ihrer Situation in die Schuhe zu schieben. Dabei hatte dieser von Anfang an klar kommuniziert, was Marco von ihm erwarten konnte und was nicht. Es lag an Marco, einen Weg zu finden, damit umzugehen.
Wie aufs Stichwort kam Drago aus dem Bad, kehrte jedoch nicht sofort zu seiner Zeichnung zurück, sondern blieb an der Küchenzeile stehen und beäugte argwöhnisch den darauf stehenden, mit einem Deckel verschlossenen Bräter. Inzwischen ahnte er sicher, was sich darin verbarg.
„Wie geht’s dem Hintern?“, fragte Marco, bevor Drago das Gespräch aufs Abendessen lenken konnte. Er deutete auf das dicke Kissen, das seinen Weg auf Dragos Stuhl gefunden hatte. „Sehr schlimm?“
„Aushaltbar.“ Ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte Dragos Lippen. „Er erinnert mich an gestern.“
Oh, dieses verräterische Herz!
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Marco stellte den Bräter auf die Küchenzeile, die Hitze der Griffe selbst durch seine dicken Ofenhandschuhe spürbar, und hob den Deckel ab. Der würzig-rauchige Duft der serbischen Sauerkrautwickel füllte seine Nase. Aus dem Augenwinkel beobachtete er Drago, der wie hypnotisiert im Raum stand, die Teller, mit denen er eben den Tisch hatte decken wollen, vergessen in seiner Hand.
„Wusstest du, dass es in der Nähe vom Tässchen einen Laden gibt, der sich auf Balkanlebensmittel spezialisiert hat?“
Drago schüttelte den Kopf.
„Den Tipp hat Hugo mir gegeben. Ziemlich klein, aber richtig nette Leute. Die hatten zwar nicht exakt das da, was im Rezept deiner Mutter steht, aber sie konnten mir zumindest helfen, ein paar Alternativen zu finden. Also mal sehen, was ich hier fabriziert habe.“
„Du hast dir viel Arbeit gemacht.“
„Nah, so aufwändig war es jetzt auch wieder nicht. Außerdem probiere ich gerne hin und wieder was Neues aus. Jetzt komm, setz dich, und sag mir, ob ich es total vermasselt habe.“
Das tat Drago dann auch. Also, er setzte sich. Mit seiner Kritik hielt er sich zurück, bis Marco mit Hackfleisch gefüllte Krautwickel, Räucherfleisch und Kartoffelpüree aufgetischt und ihm Gelegenheit gegeben hatte, den ersten Bissen zu kosten.
Marco gab sich große Mühe, Drago nicht allzu erwartungsvoll anzustarren und scheiterte kolossal. „Und? Was sagst du?“
„Es schmeckt nicht wie zuhause.“
Obwohl sich Marco auf genau diese Worte vorbereitet hatte – verdammt, er wusste doch selbst nur zu gut, dass niemand kochte wie Mamma – machte sich Enttäuschung in ihm breit.
Drago schloss die Augen. „Aber es ist deutlich näher dran als ich erwartet hatte.“ Danach schwieg er, gänzlich mit seinem Abendessen beschäftigt. Er aß langsam, genussvoll, und nahm sich Nachschlag. Nicht einmal, sondern zweimal.
Marco konzentrierte sich auf seinen eigenen Teller, andernfalls hätte er Drago vermutlich durchgehend beobachtet, all die kleinen Regungen auf seinem Gesicht analysiert. Die Fältchen, die sich in seinen Augenwinkel bildeten, die Bewegungen seines markanten Kiefers, das Zucken seiner Mundwinkel zwischen zwei Bissen, nicht ganz ein Lächeln, aber fast.
Am Anfang hatte er Drago für jemanden gehalten, der sich selbst wenig gönnte. Drago ging streng mit sich um, stellte hohe Ansprüche an seinen Körper, seine Leistungen an der Uni, seine gesamte Lebensgestaltung. Bei genauerem Hinsehen entsprach das jedoch nur der halben Wahrheit. Drago wählte seine Laster lediglich mit Bedacht.
Er besaß wenige Klamotten, doch die, die er trug, waren aus hochwertigen Stoffen gefertigt, die sich weich gegen seine Haut schmiegten und auf deren korrekte Pflege er penibel achtete. Beim Essen mochte er heikel sein, aber Gerichte, die ihm schmeckten, aß er mit Genuss. Und wenn sie miteinander schliefen, gab er sich Marco ganz und gar hin. Was er tat, tat er mit Haut und Haar.
Marco wiederum bereitete es Freude, diese kleinen Momente gezielt für ihn zu kreieren. Ihm gefiel es, die Veränderung in Dragos Gesicht zu sehen, wenn er alles andere vergaß und sich dem Augenblick hingab. So wie jetzt.
Am Ende, den Teller bis auf den letzten Krümel leergegessen, legte Drago sein Besteck zur Seite und blickte zu Marco. „Was sagst du? Schmeckt es?“
„Du bist der Experte“, erwiderte Marco.
„Ich kenne meine eigene Meinung. Meine Frage ist, ob du es magst.“
Marco schmunzelte. Er verstand den Wunsch, Essen, das man liebte, mit anderen zu teilen. „Tut es. Grazie, dass du es mir gezeigt hast.“
Ein Lächeln breitete sich auf Dragos Gesicht aus, begleitet von den roten Flecken auf seinen Wangen, die ihn immer ein wenig schüchtern wirken ließen.
Uff. Hoffentlich litt Marco schlicht an Herzrhythmusstörungen, die das schmerzhafte Wummern in seiner Brust erklärten. Heute wollte es gar nicht mehr aufhören. „Äh … Ich pack dir mal die Reste ein, dann kannst du sie mit in die WG nehmen, ja?“
Dragos Lächeln verschwand, aber er nickte und erhob sich. „Ich spüle ab, bevor ich mich auf den Weg mache.“
Still standen sie nebeneinander, Dragos Hände verteilten Spülmittel auf benutztem Geschirr, Marcos übriggebliebene Krautwickel in Vorratsdosen. Beide arbeiteten auffallend langsam, und dennoch rückte ihr Abschied unaufhaltsam näher. In wenigen Minuten würden sie Dragos Sachen in Marcos Auto verfrachten und damit das Ende ihres kurzen Zusammenlebens besiegeln.
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„Ist das alles?“, fragte Daniel. „Oder ist noch was im Auto?“
„Nein.“ Drago stellte die Kiste, die seine Zeichenmaterialien und sein Grafiktablett enthielt, neben dem Schreibtisch ab, ließ die Laptoptasche von seinen Schultern gleiten und sah sich um, als wollte er sichergehen, dass es sich noch immer um sein Zimmer handelte. „Patrick ist weg?“
„Definitiv, ja. Hat gestern den Wohnungsschlüssel in den Briefkasten geworfen.“
Ein kleines bisschen Anspannung wich bei diesen Worten aus Dragos Schultern und Marco freute sich ehrlich, dass die WG wieder zu einem sicheren Ort für ihn geworden zu sein schien.
„So“, sagte er laut. „Wenn ihr keine Hilfe mehr von mir braucht, würde ich wieder fahren.“
„Schon?“, fragte Daniel. „Willst du nicht noch bleiben? Ich habe extra Bier kaltgestellt.“
„Nah, ein andermal. Ich muss an der Spieluhr für meine Schwester arbeiten. Nicht, dass am Ende das Baby vor dem Geschenk fertig wird.“
Das stimmte sogar halbwegs. Da Dragos Laptop und Materialien einen guten Teil von Marcos Schreibtisch blockiert hatten (und er nicht alles mit Sägespänen hatte einstauben wollen), hatte er sich in den letzten Wochen mit ein paar kleineren Feinarbeiten begnügt. Allerdings plante er nicht, daran heute viel zu ändern. Er wusste lediglich nicht, wie lange er es hier aushielt, ohne laut auszusprechen, wie sehr er Drago vermissen würde. „Also dann …“
Drago wandte sich ihm zu. „Danke für alles.“
Sie standen sich gegenüber, Marcos Verlangen, Drago zum Abschied an sich zu drücken, schmerzhaft intensiv. Und warum eigentlich nicht? Schließlich war eine Umarmung unter Freunden nichts ungewöhnliches, Daniel würde kaum mehr in diese Geste interpretieren. Doch Drago bewegte sich nicht und Marco wollte ihn nicht in eine unangenehme Situation bringen. Also setzte er sein bestes Lächeln auf und verabschiedete sich.
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Es sollte nicht so schwierig sein. Drago wohnte keine fünfzehn Minuten Fußweg entfernt. Sie würden sich regelmäßig sehen, so wie sie es eben schon vor ihrem befristeten Zusammenleben getan hatten. Gelegenheit zum Vögeln fanden sie sicher ebenfalls.
Nur davon, bis tief in die Nacht eng umschlungen auf seinem Bett zu liegen, zu reden, oder einfach still die Nähe des anderen zu genießen, mussten sie sich wohl verabschieden. Sie würden keinen gemeinsamen Morgen mehr teilen, Marco keinen nach seiner Dusche auf ihn wartenden Espresso vorfinden. Kein ausgedehntes Frühstück am Wochenende, kein geteilter Abwasch, kein banaler Alltagskram, der zu zweit schlicht mehr Spaß machte.
Frustriert fuhr sich Marco durchs Haar. So konnte es nicht weitergehen. Er musste endlich seine Gefühle in den Griff bekommen, andernfalls machte ihn die Situation auf Dauer kaputt.
Mit hängendem Kopf und schmerzendem Herzen betrat er die Stille seiner Wohnung. Zum Glück war Drago heute ausgezogen.