„Verdammt wo zur Hölle steckst du? Ich hab schon hundert Mal versucht dich anzurufen!“, brüllte ich wütend in mein Handy und hoffte, dass Lucas eine andere Erklärung, als Emma, parat hätte.
„Du weißt, dass ich bei Emma bin.“
„Und du weißt, dass wir heute verabredet waren, also schwing deinen Arsch hier her!“
„Ich kann nicht, lass uns das Treffen auf Morgen verschieben.“
„Bist du Wahnsinnig? Ich sitz ins deiner Bude und werde von deiner Schwester angestarrt, als wäre ich der Papst persönlich!“
„Du kannst dir das Blut nehmen und Morgen trinken wir es wieder zusammen, versprochen.“
„Einen Scheiß werd ich! Steck dir dein Versprechen sonst wo hin und komm gefälligst her oder ich verschwinde und dann wars das. Entscheide dich. Sie oder ich?“, zischte ich und versuchte das aufkommende Bedürfnis, etwas zerstören zu wollten, unterdrücken zu können. Er konnte sie doch unmöglich mir vorziehen? Wir kannten uns vielleicht noch nicht so lange, aber wir wussten viel über den anderen. Das müsste doch wohl ausreichen, um diese Zicke loszuwerden, die mit Sicherheit nicht so viel über ihn wusste, wie ich.
„Ich werde mich für nichts entscheiden.“
„Gut, dann bin ich weg und erwarte bloß nicht, dass ich auch nur noch ein Wort mit dir reden werde!“ Enttäuscht nur diese Antwort bekommen zu haben, sprang ich von seinem Bett auf und lief auf den Türrahmen zu.
Wie eine Wache stand sie davor und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. Sie wollte mich von Anfang an nicht hier haben, warum sollte sie mich dann aufhalten wollen? Ein lautes Seufzen drang durch den Hörer und ließ mich aufmerksam werden.
„Na gut, ich bin in zehn Minuten da“, murmelte er mürrisch und legte auf.
„Was ist?“, zischte ich seiner Schwester entgegen und musterte sie mit genervten Blicken.
„Willst du schon verschwinden?“
„Vielleicht, aber ich denke nicht, dass es dich irgendetwas angeht.“
„Das denke ich schon. Nimm es Lucas nicht übel, er trifft oft schlechte Entscheidungen und bemerkt es erst, wenn es zu spät ist. Bitte mach wenigstens du ihm klar, dass er diese Emma unbedingt loswerden muss.“
Erstaunt, dass sie in einem Punkt die gleiche Meinung, wie ich hatte, starrte ich sie misstrauisch an. Vielleicht hatte ich zu schnell über sie geurteilt? Sie wollte Lucas mit Sicherheit nur beschützten. Vielleicht hatte sie ja eine zweite Chance verdient.
„Du kannst sie also auch nicht leiden?“
„Diese billige Hure? Eher würde ich mir einen Arm abhacken.“
„Sorry für meine Wortwahl.“
„Schon in Ordnung, über dieses Mädchen kann man kaum anders sprechen. Ich frage mich echt, ob er so blind ist.“
„Ja das frage ich mich auch. Er sollte eher etwas mit dir anfangen, du scheinst nett zu sein.“ Perplex starrte ich sie an. Erst wollte sie mich aus dem Haus ekeln und plötzlich wollte sie mich mit ihm verkuppeln? Diesem Frieden konnte ich nicht trauen.
„Ähm... danke, aber Lucas und ich sind nur Freunde“, sagte ich knapp und hoffte sie würde nicht näher darauf eingehen, doch diesen Gefallen tat sie mir nicht. Ich hatte wirklich keine Lust, mich ein weiteres Mal für die vergangenen Nächte zu rechtfertigen. Weder vor ihr, noch vor sonst jemanden.
„Was nicht ist, kann ja noch werden.“
„Eher nicht, ich habe einen Freund“, rief ich, als sie schweigend in den nächsten Raum verschwand. Ich kehrte wieder um und lief in die Mitte des Raumes, als Lucas plötzlich vor mir stand. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ich ihn und verschränkte wartend die Arme vor der Brust. Jetzt war ich aber gespannt, wie er sich aus dieser Sache rausreden wollte.
„Und?“, fragte ich fordernd, da er sich mir nur still gegenüber gestellt hatte und mir einen Blutbeutel reichen wollte. Seufzend starrte ich das frische Blut an. Auch, wenn ich mich langsam daran gewöhnt hatte, fiel es mir immer noch schwer, nein zu sagen. Oder damit aufhören zukönnen. Lucas wusste das ganz genau und versuchte diese Schwäche auszunutzen. Ich wollte diese Emma nicht mögen und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass er mich vom Gegenteil überzeugen könnte. Für mich war sie ein arrogantes Miststück, das ihm offensichtlich genügend Honig ums Maul geschmiert hatte, damit er nach ihrer Pfeife tanzte.
„Und was?“
„Seit wann seid ihr zusammen? Und warum hast du mir nichts davon erzählt?“
„Erst seit ein paar Tagen und... ich schätze, weil ich wusste, dass du sie nicht leiden könntest...“ Er seufzte und schloss die Tür.
„Da hast du Recht, ich kann sie nicht leiden und ich werde es auch nicht versuchen.“
„Das dachte ich mir, aber da machst du einen gewaltigen Fehler. Wenn man sie näher kennt, dann kann sie ein echter Engel sein.“
„Lucas? Warst du vorhin überhaupt anwesend?“, fragte ich fassungslos und verabschiedete mich vorerst von dem Gedanken, das köstliche Blut auf meiner Zunge schmecken zu können. Ein Engel? Glaubte er seinen Worten überhaupt selbst? Sie? Ein Engel? Das ich nicht lache! Seufzend setzte er sich neben mich aufs Bett und lächelte mich entschuldigend an. Doch dieses Lächeln blockte ich stur ab und drehte mich weg von ihm.
„Natürlich war ich das und ich habe mit ihr drüber gesprochen. Deswegen habe ich dich überhaupt versetzt.“
„Du hast mit ihr über mich gesprochen?“
„Ich habe ihr erklärt, dass du einfach meine beste Freundin bist und sie sich wegen dir keine Sorgen machen müsse...“
„Warte. Beste Freundin?“, hakte ich schmunzelnd nach und verlor mit einem Mal, all die Wut, die sich in den letzten Minuten aufgestaut hatte. Er sah mich als seine beste Freundin an? Ich sah ihn auch als besten Freund, nur hatte ich gedacht, ich wäre zu voreilig gewesen.
„Bild dir bloß nichts darauf ein, ich habe einfach niemand anderen, den ich so bezeichnen könnte“, sagte er kalt, doch das leichte Funkeln in seinen Augen verriet, dass er es ganz und gar nicht so meinte.
„Schon klar. Und was hast du zu ihr gesagt?“
„Ich meinte, dass du mir sehr wichtigst seist und ich nicht wolle, dass sie dich so behandelt. Ihr müsst ja keine Freunde werden, es würde mich schon zufrieden stellen, wenn ihr euch nicht bei jeder Begegnung an die Gurgel geht.“
„Da verlangst du aber ganz schön viel von mir.“
„Ich weiß, aber sie hat mir versprochen, sich bei dir zu entschuldigen und ich hoffe damit könntet ihr einen Neuanfang starten?“
„Das wird sich zeigen, ich denke trotzdem, dass sie nicht gut genug für dich ist. Sie ist einfach zu oberflächlich und gemein. Weißt du, ich kenne sone Mädchen, ziemlich gut sogar und das hast du nicht verdient.“
„Gib ihr einfach eine Chance, bitte.“
„Ja ist ja gut, aber nur damit das klar ist, ich werde mich nicht wegen ihr zusammenreißen.“
„Süß.“
„Ja, ja. Können wir jetzt endlich das Blut trinken?“, drängte ich mürrisch und nahm ihm einen Beutel aus der Hand, bevor er etwas dagegen sagen konnte.
„Ich hätte mir auch ernsthafte Sorgen gemacht, wenn du das frische Blut verschmäht hättest.“
„Wie schön für dich.“ Mit großer Vorfreude, ließ ich meine spitzen Eckzähne hervortreten und riss die Hülle auf.
„Wie oft muss ich´s dir noch sagen? Es gibt einen Verschluss!“, sagte Lucas vorwurfsvoll und schraubte seinen Beutel dagegen vorbildlich auf.
„Kann ja nicht jeder so langweilig sein, wie du“, lachte ich und machte mich bereits am nächsten Getränk zu schaffen. Das hatte einen wärmeren, intensiveren Geschmack und ohne zu schummeln, war mir klar, dass es sich nur um „0 Negativ“ handeln konnte. Es war einfach weicher, fühlte sich in der Kehle so geschmeidig an und hinterließ den Eindruck, als hätte man seinen Rachen mit Babycreme eingeölt. Es war fantastisch rein.
„Tja, in der Zeit wo du dich mit Emma vergnügt hast, habe ich meine Zeit sinnvoll genutzt“, fing ich an und versuchte damit seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu bekommen. Es klang vielleicht selbstverliebt, aber ich war stolz auf mich, dass ich bei dem Gespräch mit Leandro so ruhig geblieben war. Einige seiner Vorwürfe hatten mich fast zum Ausrasten gebracht und er wusste genau, womit er mich so richtig auf die Palme bringen könnte.
„Ach ja? Hast du deine Zeit etwa mit Matheaufgaben vergeudet?“, fragte er verächtlich und trank einen weiteren Schluck.
„Nein, die muss ich noch machen. Aber kurz was anderes, vorhin an der Tafel, wusstest du das eigentlich wirklich?“
„Natürlich nicht. Ich bin ein Vampir. Der Scheiß interessiert mich nicht im Geringsten und deshalb nutze ich Valeries schlaue Gedanken“, sagte er stolz.
Eigentlich verachtete ich mittlerweile das Schubladendenken, aber bei diesem Mädchen konnte man einfach nicht anders denken. Alles was ich an ihr mögen konnte, war der Name. Der Rest fuckte einen nur ab.
In jeder Klasse gab es doch diese Person, die dem Lehrer in den Arsch kroch und den ganzen Tag mit überflüssigen Faktenwissen um sich schlug, was sie sich doch nur angeignet hat, weil sie sonst nichts spannenderes in ihrem Leben zu tun hatte. Valerie kleidete sich auch noch, wie der passende Streber. Sie trug eine viereckige, schwarze Brille. Hatte fast jeden Tag ihre langweiligen, brauen Haare zu einem strengen Zopf gebunden und zu allem Überfluss auch noch eine ganze Landschaft an Pickeln in ihrem Gesicht, die nur ihre rechte Wange verschonten, da dort ein riesiger Leberfleck war. Sie hatte immer unpassende Sachen an. Ihre Outfits waren von irgendwelchen Katzen- und Herzmustern übersät, die von den hohen Socken, in den Bergsteigerschuhen abgerundet wurden. Über ihre eigenartige Weise sich zu kleiden, könnten die meisten Leute wohl hinwegsehen, wenn sie nicht so furchtbar unausstehlich wäre. Sie petzte jede einzelne Kleinigkeit und war nicht bereit zu helfen. Sie wollte immer Extraaufgaben, nutzte jede Gelegenheit, um mit ihren Noten anzugeben und versuchte jeden in ihrer Klasse in die Pfanne zu hauen. Kurz gesagt, eine furchtbare Person. So erzählte es mir jedenfalls Lucas. Auch, wenn ich auf die Vorurteile von anderen eigentlich nicht übernehmen wollte, so fiel es mit bei Valerie ziemlich schwer und ich hatte Lucas Meinung, über sie, schon längst angenommen.
„Das ist schon ein bisschen unfair.“
„Warum? Sie ist ein Eckelbrocken.“
„Mag ja sein, aber sie bemüht sich und lernt für ihre Noten, vielleicht solltest du das auch mal tun.“
„Du willst mir erzählen, dass du von deinen Kräften keinen Gebrauch machen willst? Bist du irgendwie krank?“
„Quatsch. Ich finds einfach nur unfair den anderen gegenüber.“
„Du bist ja ein echter Spießer.“
„Bin ich gar nicht!“, verteidigte ich mich mit zusammengekniffenen Augen und boxte ihn gegen den Arm.
„Ist ja gut, ein wenig dann eben nur.“ Unzufrieden atmete ich schwer aus und trank den letzten Tropfen Blut.
„Ich werde es trotzdem nutzen und wenn du das nicht tust, dann bist du selbst Schuld dran. Ich sehe es doch nicht ein, mich in Physik bloßstellen zu lassen. Die alte Schrulle kann mich mal!“
„Ja okay, das kann ich verstehen, aber in Fächern wo es dir leicht fällt, könntest du wenigstens deine Hausaufgaben machen.“
„Du bist wirklich nervig Alex Lang.“
„Ich weiß“, lachte ich und zusammen ließen wir uns aufs Bett fallen. Immer wieder aufs Neue benebelte mich das Blut und ich brauchte einige Zeit, bis meine Gedanken wieder völlig klar wurden. Seinen Arm um mich gelegt, lagen wir beide eine Weile einfach so da und starrten die Decke an. Wenn Leandro mich so nur sehen würde, wären seine Sachen in wenigen Minuten gepackt. Mit Sicherheit würde er mich dafür verurteilen, dabei machten wir gar nichts. Ich lag doch nur in seinem Arm. Warum also fing ich an mich schuldig zu fühlen? Leandro würde mich nicht nur dafür hassen, sondern auch wegen des Blutes. Und da wollte mir Lucas erzählen, dass ich ein Spießer sei?
Heute hatte ich zwei Beutel weniger getrunken und sie unbemerkt in meinem Rucksack verschwinden lassen. Ich hatte erwartet, dass mir das schwerer fallen würde. Doch ich kam auch mit der kleineren Ration klar und bemerkte fast keinen Unterschied. Alles was ich hatte, war Appetit auf mehr, doch das könnte ich gut genug ignorieren.
„Und wo bekommst du deine Hausaufgaben her?“, fragte ich in die Stille hinein und brachte Lucas damit zum Seufzen.
„Du kannst es nicht lassen oder?“
„Nö!“
„Ich habe Valerie manipuliert und so schreibt sie die Hausaufgaben einfach doppelt und in den Pausen verändere ich sie gelegentlich, nicht das es noch auffällt. Natürlich nur in den Fächern, wo die Lehrer noch rumgehen und sich alles ganz genau ansehen.“
„Können wir jetzt bitte das Thema wechseln? Also was hast du jetzt so geheimnisvolles getrieben?“, fragte er neugierig und legte seinen freien Arm auf meinen.
„Du hast die schlechte Stimmung zwischen Leandro und mir sicher mitbekommen?“
„Na klar, die konnte man ja nicht übersehen.“
„Jedenfalls habe ich ihn um ein Gespräch gebeten und tatsächlich hat das etwas gebracht. Denke ich jedenfalls.“
„Wirklich? Das ist fantastisch!“, rief er plötzlich etwas zu laut und drückte mir eine Umarmung auf, die sich im Liegen ziemlich schwierig gestaltete.
„Ist ja gut“, murmelte ich fast zerdrückt und stieß ihn wieder von mir runter.
„Es geschehen noch Wunder!“
„Jetzt übertreib mal nicht.“
„Und was ist dabei rausgekommen?“
„Wir haben uns versöhnt, also so richtig. Er hat mich endlich wieder geküsst und mich in den Arm genommen. Ich denke,... ich kann wieder mit ihm reden,... über die Dinge, wo ich dachte, ich könnte sie nur mit dir besprechen.“
„Das freut mich wirklich sehr für dich, ich habe ja gesehen, wie sehr du ihn vermisst hast und wenn er dich nicht vermisst hätte, dann wäre bei dem Typen definitiv eine Schraube locker.“ Ich musste lachen. Herzhaft und lauthals lachte ich, womit ich ihn ansteckte und wir schließlich schreiend nebeneinander lagen und uns kaum einkriegten. Es war große Erleichterung, die von mir abfiel, erst jetzt, wo ich unsere Versöhnung so richtig verstanden hatte. Endlich hatte ich Leandro wieder, für mich ganz allein und das, was ich dachte verloren zu haben, habe ich nun umso stärker wieder bekommen. Es fühlte sich plötzlich so an, wie am ersten Tag. Ich war frisch verliebt und die wenigen Minuten, die wir getrennt verbrachten, riefen in mir Sehnsüchte hervor. Sehnsüchte nach ihm und seinen starken Umarmungen, nach seinen sanften Lippen und seiner beruhigenden Stimme. Wie konnte ich das all die Zeit über nicht gemerkt haben? Egal was es gewesen war, ich war froh, dass ich ihn wieder hatte und ich schwor mir, dass ich ihn nicht mehr gehen lassen würde!
„Keine Sorge, beim ihm ist nichts locker.“
„Gut und wo war er in den ganzen Nächten?“
„In England, er hat dort die Gräber seiner Familie besucht.“
„Scheiße, bis nach England ist er gerannt? Er muss Topp fit sein.“
„Ja das ist er.“
„Wer aus seiner Familie ist denn,... tot?“
„Alle, seine Mum, sein Dad und seine Schwester. Ich denke, dass die Trauer für ihn einfach zu viel wurde und er hatte keinen zum Reden, das dachte er jedenfalls, genauso wie ich.“
„Ihr seid ja vielleicht komisch. Da habt ihr das gleiche Schicksal und redet nicht mit einander?“
„Hmm, das haben wir auch festgestellt, aber wir wollen es jetzt ändern und die nächste Zeit werde ich ihn ausfragen. Ich will, dass er mir endlich alles erzählt. Mir sagt was ihn beschäftigt, worüber er nachdenkt und sich mir endlich richtig öffnet. Das gehört schließlich zu einer gesunden Beziehung.“
„Das stimmt wohl. Ich kenne ihn nicht und unsere erste Begegnung war alles andere als positiv, aber wenn ich sehe, was er mit dir anstellt, dann passt ihr wohl echt gut zusammen. Du kannst ja gar nicht mehr aufhören zu grinsen“, sagte er schmunzelnd. Erschrocken fasste ich mir ins Gesicht und bemerkte erst jetzt, dass ich die ganze Zeit über wirklich wie ein Honigkuchenpferd gegrinst haben musste. Wie ätzend!
„Und die ganzen Schwierigkeiten habt ihr auch überstanden“, sagte er unterstützend und sah mir fröhlich in die Augen. Es war ungewohnt, dass sich jemand so sehr für mein Glück freute, aber es fühlte sich großartig an.
„Sie hätten nur nicht sein müssen, wenn wir beide nicht so misstrauisch und stur gewesen wären.“
„Habt ihr denn einen Grund zu misstrauen?“
„Er nicht, aber ich,... schätze schon.“
„Ach ja? War was zwischen euch in der Vergangenheit oder krallst du dich an Vermutungen fest, die niemals bestätigt wurden?“, antwortete er zögernd.
„Es gab eine Menge in unserer Vergangenheit und das waren nicht nur Vermutungen, aber das ist geklärt und ich will auch nicht darüber sprechen. Beziehungsweise will er nicht, dass ich dir davon erzähle.“
„Wieso?“
„Er denkt wohl, dass du dann schlecht von ihm denken würdest. Scheint so, als würde er doch wollen, dass ihr euch gut versteht.“
„Hm gut, das musst du selbst wissen. Und was weiß er jetzt über mich?“
„Über dich? Ein paar Sachen, wo du her kommst und...“
„Nein, ich meine eigentlich, ob er weiß, dass du alle Nächte bei mir warst und was wir gemacht haben?“, unterbrach er mich schnell und streckte seine Arme in die Luft, um diesen zum Knacken zu bringen.
„Ja er weiß, dass ich bei dir war, aber das mit dem Blut habe ich ihm weiterhin verschwiegen. Er würde es mir nur ausreden wollen und dann hätte er erst recht einen Grund, warum er wütend auf dich sein könnte.“
„Denkst du es ist wirklich so gut, ihm nichts davon zu erzählen?“
„Eigentlich nicht, aber fürs Erste behalten wir das für uns. Ist das klar?“, fragte ich drohend, setzte mich aufrecht und richtete meinen Zeigefinger mahnend auf ihn.
„Ja, ich werde nichts sagen“, antwortete er ruhig und richtete sich ebenfalls auf.
„Okay, ich denke ich muss langsam los. Du weißt Mathe ruft und ich will Leandro nicht so lange warten lassen“
„Verstehe. Ich bring dich noch nach Hause.“
„Musst du nicht, den Weg finde ich alleine“, versuchte ich ihn abzuwimmeln, doch er ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.
„Ich bring dich aber gerne.“ Seine Worte waren gefallen und damit auch die Entscheidung. Schnell zogen wir uns die leichten Jacken über und verließen das Haus. Es war ein weiterer verregneter Nachmittag. Das kleine Sonnenloch von vorhin war längst verschwunden und stattdessen war es draußen kühler geworden.
Der Regen wurde allmählich heftiger und so teilten wir uns den Regenschirm, an den Lucas glücklicher Weise gedacht hatte. Zusammengequetscht liefen wir der Abenddämmerung entgegen und krochen immer enger zusammen. Kurz vor meinem Haus angekommen, blieben wir unter einem großen Baum stehen und wollten uns verabschieden. Ich war froh, dass Lucas es akzeptierte, mich nicht reinbringen zu dürfen. Schließlich wollte ich Leandro nicht unnötig provozieren. Das mit Lucas müsste sich langsam entwickeln. Offensichtlich passierte nichts über Nacht.
„Ich habe mich vorhin sogar mit deiner Schwester angefreundet“, verkündete ich stolz, nachdem wir uns eine Weile schon, nur schweigend in die Augen geschaut hatten. Stille zwischen uns war eigenartig, sie ließ mich immer denken wir hätten uns gestritten, dabei war es nur natürlich, sich nicht immer zu unterhalten. Mit anderen hatte ich da auch nicht so ein Problem,... nur bei ihm fühlte sich das eigenartig an.
„Du hast was?“, stellte er verblüfft fest, spannte den Regenschirm zusammen und lehnte ihn gegen den Baumstamm. Dann machte er noch einen Schritt auf mich zu und legte seine eiskalten Hände auf meine erwärmten Schultern.
„Ja sie hat anscheinend die gleiche Meinung, wie ich, was deine Freundin zumindest angeht und plötzlich war sie ungewöhnlich freundlich zu mir.“
„Du lässt echt Wunder geschehen. Oder hast du ihr etwas in den Kaffee gemischt?“
„Nein ganz bestimmt nicht.“
„Sie kann dich wohl gut leiden.“
„Anscheinend. Sie würde mich auch gerne als deine Freundin sehen, aber ich habe ihr natürlich gleich gesagt, dass daraus nichts werden wird.“
„Wie nett von dir“, lachte er und schaute für einen Moment verlegen zu Boden. Diese Verlegenheit nahm ich aus unerfindlichen Gründen an und so begann ich nervös in meinen Haaren herumzuspielen.
„Was ist?“, fragte ich verdutzt, als Lucas müde Augen plötzlich weit aufgerissen waren. Sie strahlten eine Mischung von Besorgnis und Fassungslosigkeit aus, für dessen Ursache ich keinen Grund finden konnte. Stand da etwas beängstigendes hinter mir? Zögernd drehte ich mich um, doch blickte nur dem finsteren Wald entgegen.
„Was ist los?“, fragte ich ein weiteres Mal und machte einen Schritt auf ihn zu, als er sich langsam von mir entfernen wollte. Doch in diesem Moment griff er mir an den Hals, drehte mich mit einem Ruck und stieß mir ohne Gnade, die harte Rinde des Baumes, in den Rücken.
„Was soll das?“, keifte ich und versuchte mich aus seiner Gewalt zu befreien, doch er war stark und hielt mich fest, als wäre es ein Kinderspiel für ihn. Sein Blick beunruhigte mich zu tiefst, trotzdem verspürte ich keine Angst. Es war Lucas, er würde mir nicht wehtun. Was zur Hölle hatte er gesehen, dass er mich so anging? Ich hatte extra darauf geachtet die Verbände an meinen Armen zu verdecken. Auch Lucas wollte ich davon nichts erzählen. Wahrscheinlich wäre er, wie Leandro, nur unnötig besorgt und würde denken, er müsse mir helfen. Doch das war völliger Schwachsinn! Beide könnten sie nichts tun und würden sie nur mit ihrer aufbrausenden Art verärgern...