Eine Woche war es jetzt her, dass er Dianas Brief gefunden hatte.
Eine Woche, in der er durch eine Gefühlssauna gegangen war.
Jan kam es vor, als seien Monate vergangen.
Er hoffte, dass Diana dem Vaterschaftstest nach ihrer Rückkehr aus L.A. freiwillig zustimmen und der Weg über das Familiengericht ihnen erspart bleiben würde. Er fragte sich, was das Ergebnis für ihn bedeuten würde. Würde das irgendetwas an seinen Gefühlen gegenüber David ändern?
Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Vom ersten Moment an war da eine ganz besondere Bindung zwischen ihm und David gewesen; von Anfang an war David ein Papa-Kind, ließ sich schon als Baby besser von Jan beruhigen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Testergebnis darauf Einfluss nehmen könnte. Er war es doch, der stundenlang mit dem weinenden Kind durch die Wohnung gelaufen war als es zahnte oder krank war; er war es doch, zu dem David kam, wenn er Kummer hatte oder wenn er etwas wollte. Daran, da war sich Jan sicher, konnte nichts und niemand etwas ändern.
Es war richtig gewesen, dass er den Jungen bei Dianas Eltern weggeholt hatte. Der Kleine war völlig durcheinander gewesen. Jan atmete durch. Sein Sohn tobte glücklich durch die Blätter und Jan rief ihn zu sich. Mit roten Wangen stand der Kleine vor ihm und bettelte um einen Gang zum Teich. Jan nahm ihn erleichtert an die Hand. So lange der Kurze nur glücklich war. Die letzte Woche war furchtbar gewesen. Jan hatte sich nach diesen zwei Tagen zusammengerissen und jeden Tag auf die Bühne gegangen. Mit dem Regisseur und einem Kollegen hatte er dann endlich eine vernünftige Absprache getroffen. Zwei freie Abende immerhin. Und dank Isabelle hatte er eine Babysitterin gefunden, die David sofort akzeptiert hatte. Hoffnungsvoll machte er sich mit dem Jungen dann auf den Heimweg.
Wie konnte man gleichzeitig so glücklich und traurig zugleich sein?
Der nächste Morgen war windig; die Rollladen klapperten und Jan wurde davon sehr früh wach.
Er blieb mit geschlossenen Augen liegen und die Erinnerung an die Ereignisse vor genau einer Woche stahl sich in seinen Kopf. Er seufzte tief und grub sich in die Decke ein. Am liebsten würde er liegen bleiben. Einfach die Welt aussperren, sich einfach eine Weile vor der Realität verstecken. Er kramte in seinen Gedanken, ob er sich schon überhaupt einmal so niedergeschlagen gefühlt hatte. Du muss kämpfen, Jan, dachte er bei sich. Lass` dich nicht von der Dunkelheit verführen. Er öffnete die Augen. Gut so. Es war schon nicht mehr ganz dunkel draußen. Er wusste, er musste sich aufraffen. Er atmete tief durch und mobilisierte seine Kräfte. Schließlich wollte er David ein guter Vater sein.
Für den Abend hatte Jan bereits alles besorgt und die Wohnung auf Vordermann gebracht. Er freute sich auf Isabelle und einen Abend in Gesellschaft. Gerade räumte er mit David zusammen dessen Zimmer auf, beziehungsweise Jan räumte die Spielsachen, Bücher und Kleidung weg, und David zog einiges wieder heraus, als es klingelte. Isabelle war pünktlich, stellte er fest. Er sah David kurz an.
„Nun, dann musst du wieder in diesem Chaos schlafen“, meinte er schmunzelnd, und öffnete dann die Tür. Isabelle kam die Treppe hoch, sie hatte eine Flasche Wein dabei, und lächelte ihn an. Sie hatte sich hübsch gemacht, stellte er fest. Ein zartes Make-Up, welches ihre Augen betonte, die Haare hoch gesteckt, und sie trug bequeme schwarze Jeans mit einer lockeren blauen Bluse. Sie begrüßten sich mit einem Küsschen auf der Wange und er bat sie herein.
Es war ein schöner Abend. David hatte Isa sein Zimmer gezeigt. Zusammen hatten sie die Pizza belegt und dann gemeinsam gegessen. Dabei hatten sie sich über alles mögliche unterhalten, und Jan hatte zum ersten Mal seit Wochen einfach nur Spaß gehabt und gelacht. Nebenher leerten sie die Weinflasche und irgendwann brachte Jan seinen Sohn ins Bett. Dabei hatte sich Isabelle im Wohnzimmer umgesehen. Als er mit dem Babyphone den Raum betrat, saß sie auf dem Sofa und hielt eine CD in der Hand.
„Schläft er?“, fragte sie. Jan setzte sich.
„Ja, er war fast sofort weg und mit ein bisschen Glück schläft er auch durch. Die letzten Nächte waren sehr unaufgeregt.“ Ihr Blick verwirrte ihn. Er fand es unglaublich angenehm mit ihr hier zu sitzen und sich zu unterhalten. Er erfuhr, dass sie seit zwei Jahren Single, und davor fast zehn Jahre mit ihrem Exfreund zusammen gewesen war. Eine echte Jugendliebe, erzählte sie ohne Bedauern.
„Aber dann wurde er versetzt, war viel in London oder New York und wir haben uns dabei irgendwie verloren. Im Grunde, waren wir schon fast ein Jahr kein echtes Paar mehr und die endgültige Trennung war nur ein logischer Schluss.“ Isabelle nahm einen großen Schluck. „Jetzt lebt er in Dublin und ist dort mittlerweile verheiratet.“ Jan hörte ihr zu und beobachtete dabei ihre Mimik und Gestik. Keine Verbitterung war heraus zu hören und sie schien mit sich im Reinen zu sein. „Wir telefonieren noch oft und ich freue mich für ihn“, fasste sie dann zusammen.
Ob sie jetzt erwartete, dass er etwas über Diana erzählte? Innerlich wappnete er sich. Nein, das wollte er vermeiden. Er wollte diesen angenehmen Abend nicht mit seiner Verbitterung zerstören. Wieder hatte Isabelle ihn lange angesehen und irgendetwas verwirrte ihn zunehmend. Ihre Nähe? Ihre sanfte Stille?
Dann berührte sie wie zufällig seine Hand.
„An was denkst du?“, fragte sie.
Er sah ihr in die Augen.
An was er dachte?
Jans Gedanken waren sehr widersprüchlich.
Er fühlte sich in diesem Moment sehr wohl und war etwas überrascht von der Vertrautheit, die sich zwischen ihnen eingestellt hatte.
Dazwischen schob sich aber auch Dianas Gesicht.
Er verdrängte es und sah Isabelle in die Augen.
Sie war sehr anziehend. Strahlte Ruhe und Wärme aus. Sicherlich konnte man sich bei ihr gut fallen lassen, schoss ihm durch den Kopf.
Er dachte einen kurzen Moment, dass er sich in sie verlieben könnte, wenn er nur frei wäre.
Und, dass er sie jetzt am liebsten küssen würde.
Verwundert sah Isabelle ihn an. Dann nahm sie ihre Hand von seiner und seufzte leise. Sie stellte das Glas auf den Tisch und stand auf. Erst da reagierte Jan wieder.
„Was machst du?“, fragte er.
„Ich muss dann mal los, ich würde gerne die nächste Bahn nehmen.“ Sie ging voran in den Flur, Jan folgte ihr. Er half ihr in die Jacke und sie sah ihm nochmal in die Augen. Er wich ihrem Blick aus und räusperte sich dann. „Das war ein sehr schöner Abend, danke Dir“, meinte er fast etwas verlegen. An und für sich wollte er gar nicht, dass sie schon ging. Sie stand etwas unschlüssig an der Tür.
„Danke Jan, mir hat es auch sehr gefallen“, antwortete sie und versuchte seinen Blick einzufangen, lächelte ihn mit großen Augen an.
Sie hatte schon die Hand an der Türklinke als er reagierte und einen kurzen Schritt auf sie zu machte und sie am Arm berührte. Sie drehte sich herum. Ihr Gesicht war etwas gerötet und Jan registrierte sein eigenes Herzklopfen. Sanft zog er sie zu sich und hob ihr Kinn an. Sie sah hoch zu ihm, erwiderte seinen Blick und Jan spürte eine tiefe Sehnsucht. Seine Finger berührten ihre Lippen, dann beugte er sich langsam zu ihr herunter und küsste sie etwas schüchtern und vorsichtig. Überrascht erwiderte sie seinen Kuss und öffnete leicht die Lippen.
Sie seufze leise, dann erschrak er vor sich selbst. Hektisch löste er sich aus dem Kuss und brachte etwas Abstand zwischen sich und ihr.
Isabelle sah ihn erwartungsvoll, aber auch verwundert an. Jan machte noch einen Schritt zurück, stieß gegen die Wand.
„Ich....“, murmelte er leise. Isabelle schüttelte leicht den Kopf, er verstummte. Sie öffnete stattdessen die Wohnungstür.
„Schlaf gut Jan.“ Mit diesen Worten verließ sie die Wohnung und eilte zur S-Bahn.
Er lehnte noch immer am Türrahmen und starrte die Tür an, durch welche Isabelle verschwunden war. Herrje, was war nur los mit ihm? Wieso hatte er sich zu diesem Kuss hinreißen lassen? Er hatte doch bei Gott genügend Baustellen, die er dringend lösen musste. Und sein Kopf signalisierte ihm ganz klar, dass er in seinem Leben Ordnung schaffen musste und, dass eine neue Affäre oder Liebelei nicht zwingend förderlich dafür waren. Sein Herz hatte aber offenbar einfach die Führung übernommen. Er war in den letzten Wochen mit Diana stets zurückgewiesen worden und sehnte sich natürlich nach Nähe und Berührungen. Nach Geborgenheit.
Und Isabelle gefiel ihm, sie war hübsch und hatte eine so natürliche und offene Art. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und setzte sich zurück ins Wohnzimmer. Nur die beiden Kerzen brannten dort noch. Sollte er sie anrufen und sich entschuldigen? Für den Kuss an sich? Für seine dämliche Reaktion danach?
Nein, der Kuss selbst war schön gewesen. Nur hatte er gespürt, dass er es nicht hinbekommen würde, sich vollständig darauf einzulassen. Als sie ihre Lippen öffnete und ihm signalisierte, dass sie nicht abgeneigt war, hatte sein Verstand sich wieder gemeldet. Du kannst die Leere in dir nicht einfach durch eine andere Frau ersetzen, schimpfte sein inneres Ich mit ihm. Das hatte auch Isabelle nicht verdient. Er lag noch lange grübelnd im Bett.
Am nächsten Morgen war nur Hannah da, als er David in der Kita ablieferte. Vorsichtig erkundigte er sich nach Isabelle, die wohl ein Elterngespräch hatte. Hoffentlich ging sie ihm jetzt nicht aus dem Weg. Gerne hätte sich Jan erklärt, aber dies lieber im persönlichen Gespräch. In Ruhe. Keinesfalls zwischen Tür und Angel.
Am Vormittag wurden die Fäden im Fuß gezogen. Anschließend saß Hanno, sein Hausarzt, mit dem Krankenhausbericht aus der Notaufnahme vor ihm, und sah ihn stirnrunzelnd an. Sie kannten sich seit vielen Jahren, Hanno war war ein guter Freund von Jule und Tom.
„Sonst alles wieder okay bei dir? Bisschen blass um die Nase bist du ja noch.“ Hanno legte den Bericht in Jans Akte.
„Ist halt alles ein wenig viel gewesen. Aber mir geht es gut, ehrlich.“ Jan sah auf die Uhr, er musste sich beeilen. Alex wartete in der Agentur auf ihn.
Aber Hanno war noch nicht fertig.
„Jan, du weißt, dass ich dir jederzeit jemand empfehlen kann.“
„Alles ist gut Hanno, ehrlich“, wiegelte Jan ab.
Hanno schloss die Patientenakte und seufzte.
„Na dann, pass gut auf dich auf, hörst du.“
Mit Alex saß er fast zwei Stunden zusammen. Zwei Vorsingen standen an, für die sich Jan nicht wirklich motivieren konnte. Doch sein ältester Freund betonte mit ernster Miene, dass es langsam eng wurde. Das jetzige Engagement würde noch vor Weihnachten enden, für den Sommer hatte es bisher nur Absagen gehagelt. Jan murrte, stimmte dann aber zu, in der folgenden Woche nach München zu fahren. Aber er hatte anderes im Kopf. Immerhin stand Dianas Rückkehr an. Sie hatten nichts von ihr gehört, selbst dann nicht, als Jan in einer Nacht- und Nebelaktion den Jungen zu sich geholt hatte. Jan graute vor einer direkten Konfrontation, die sich aber vermutlich nicht würde vermeiden lassen. Schlecht gelaunt erledigte er den Einkauf und betrat am kurz nach Mittag die Kita.
Wieder war Isabelle nicht sehen.
Sein schlechtes Gewissen regte sich erneut.
Und wurde nicht besser, als er einige Stunden später David mit Kristina in der Wohnung zurückließ.
Zu seiner Überraschung traf er Jule am Theater, die eine Krankheitsvertretung übernommen hatte. Sie lächelte, als er am Garderobentisch Platz nahm und trat hinter ihn. Ihre Handgriffe waren nach all den Jahren routiniert und Jan erzählte ihr ein bisschen von David. Auch Jule sprang ab und an ein, damit David versorgt war, wenn Jan arbeiten musste. Nachdenklich kaute er auf seiner Unterlippe.
Sollte er Jule von dem Kuss erzählen?
Sie richtete das Mikro und führte das Kabel an seinem Nacken entlang, dann sah ihn im Spiegel an.
„Hast du was?“, fragte sie nach einer Weile.
Jan gab sich einen Ruck und erzählte ihr von Isabelles Besuch, dem unbeschwerten Abend und dem Kuss. Der von ihm ausgegangen war und den er so abrupt beendet hatte. Und dass Isabelle daraufhin mehr oder weniger geflüchtet war und er sie seitdem nicht gesehen hatte.
Jule hörte ihm zu, schminkte ihn dabei zu Ende. Sie sagte erst einmal gar nichts dazu. Erst als sie den Pinsel beiseite legte und mit der Maske fertig war, kommentierte sie das Gehörte.
„Und was fühlst du für Isabelle?“, fragte sie dann. Er stand auf und trat ans Fenster.
„Ich mag sie sehr....“, murmelte er dann. „Ich mag ihre Nähe“, ergänzte er dann.
„Weißt du Jan, ehe du was Neues anfängst, solltest du bereit dazu sein. Das heißt, dass du die Beziehung mit Diana und vor allem das unrühmliche Ende verarbeitet haben solltest.“ Sie packte die Utensilien zusammen und wischte den Tisch ab. „Ich finde, Isabelle klingt sehr nett. Also sei auch bitte nett zu ihr. Räum` dein Herz auf.“ Sie stellte sich neben ihn. „Lass im Notfall zu, dass dir dabei jemand hilft. Diana hat dich verletzt, das sollte niemand anderes ausbaden müssen.“ Jan sagte nichts, aber sie sah wie es in ihm arbeitete.
„Egal, was du da draußen auf der Straße so spannend findest, du musst dich losreißen“; neckte sie ihn dann um die Stimmung aufzulockern. „Einsingen, komm.“
Am nächsten Morgen kam Jan schwer in die Gänge. Er war müde, hatte kaum geschlafen. Die Vorstellung war anstrengend gewesen und er hatte bis weit in die Nacht überlegt, ob er Isabelle eine Nachricht schicken sollte. Doch noch immer wollte er unbedingt persönlich mit ihr sprechen.
Beim Frühstück alberte der Kleine nur herum und Jan musste seine ganze Geduld aufbringen. Es war kalt draußen und sie waren spät dran. Doch sein Sohnemann wollte dennoch die Enten ausgiebig füttern und quengelte, als Jan das Ganze schlussendlich abkürzte.
David war offensichtlich unzufrieden darüber, dass er so jäh von den Enten getrennt worden war und ließ ihn das bei der Ankunft in der Kita spüren. Jan kniete ungeduldig vor ihm. Doch der Kurze wollte sich partout nicht von Jacke und Schuhe trennen. Er begann zu weinen und setzte sich trotzig auf die Bank. Jan seufzte schwer.
„Meine Güte, wir machen das doch heute nicht zum ersten Mal.“ Offenbar hatte Davids Geschrei Wirkung gezeigt, denn plötzlich hörte er Isabelle hinter sich.
„Na, was ist denn bei Euch los?“, fragte sie erstaunt.
Jan hatte es endlich geschafft dem Kleinen die Jacke auszuziehen und hing diese gerade auf.
„Isa!“, rief David und rannte zu ihr.
„Keine Enten, Isa. Papa hat es nicht erlaubt“, jammerte er los. Entnervt stand Jan auf. Isabelle beugte sich zu dem Jungen, öffnete seine Schuhe.
„Aber jetzt bist du ja hier, und der Aaron wartet schon auf dich da drinnen. Und ganz bestimmt darfst du heute Mittag zu den Enten. Was meinst du, magst den Papa mal fragen.“ David sah Isabelle nachdenklich an und hörte auf zu weinen. Jan seufzte wieder. Danke, sagte er lautlos.
Seinem Sohn versprach er einen ausgiebigen Spaziergang nach der Kita, samt Enten füttern und Spielplatz. David schien sich damit zufrieden zu geben. Er hielt sich an Isabelle Hand fest, die sich wieder aufgerichtet hatte. Jan sah sie bittend an.
„Isabelle, können wir reden? Nicht hier natürlich.....“, fragte er vorsichtig. War sie sauer? Unsicher wartete er auf eine Antwort. Sie nickte.
„Ja, können wir. Was hältst du von einem Frühstück am Samstag?“, fragte sie versöhnlich. Jans Erleichterung kannte keine Grenzen. Am liebsten hätte er sie sofort in den Arm genommen. Er schluckte den Kloß im Hals herunter. „Danke. Frühstück klingt prima.“ Sie nickte im zu und ging mit David langsam davon.
„Ich bin um 9 bei Euch und bringe Brötchen mit.“ Erleichtert trat Jan in den grauen Morgen zurück und machte sich auf seinen Weg. Er konnte den Samstag kaum erwarten.
David hatte ihn früh geweckt und Jan saß noch im Pyjama mit dem Kleinen im Kinderzimmer und spielte mit ihm. Vor der heutigen Doppelvorstellung graute ihm fast. Mit dem Kind in der Garderobe und seiner Müdigkeit würde das kein Zuckerschlecken werden. Vielleicht ließ David ihn ja wenigstens morgen ausschlafen, dachte er gähnend. Er sah auf die Uhr. In einer Stunde würde Isabelle hier sein. Er überredete seinen Sohn zu einer Katzenwäsche, half ihm bei Zähneputzen und zog ihn fertig an. Jan verfrachtete ihn danach wieder ins Kinderzimmer und stellte in Kinder-Hörspiel an. Vielleicht würde ihn das eine Weile beschäftigen.
Er deckte den Tisch und wollte gerade unter die Dusche als es klingelte.
„Na, habe ich euch aus dem Bett geholt?“, begrüßte Isabelle ihn und musterte ihn dabei. Er bat sie herein und nahm die Bäckertüte in Empfang. „Nein, das nicht wirklich. David ist schon fertig und der Tisch auch. Nur mich hab´ ich da aus den Augen verloren“, antwortete er und ging voran in die Küche. „Ist das okay, wenn ich dir einen Kaffee mache und dann schnell unter die Dusche springe?“, fragte er sie. Sie nickte.
„Ja klar, wo steckt denn der Kleine?“ Jan deutete Richtung Kinderzimmer, während er eine Kaffeetasse aus dem Schrank nahm.
„Der spielt im Moment mal alleine.“ Er stellte den Kaffee vor sie und sah sie kurz an. „Ich beeile mich und ich freu mich, dass du gekommen bist“, sagte er dann mit etwas unsicherer Stimme. Isabelle lächelte sanft.
„Geh du mal duschen, lass uns dann frühstücken und über alles reden, okay?“
Als Jan zehn Minuten später in Jeans, Shirt und mit noch feuchten Haaren sowie barfuß in die Küche kam musste er schmunzeln. David saß mit einem Bilderbuch auf Isabelles Schoß und sie hatte ihm geduldig vorgelesen.
„Nimmt er dich in Beschlag?“ Er wuschelte im Vorbeilaufen seinem Junior durch die Haare. Er schenkte sich ebenfalls einen Kaffee ein und rührte David einen Kakao an.
„Das ist schon okay. Wir sind gerade fertig. Hast du Hunger, David?“
Der Kleine nickte und Jan nahm ihn ihr ab. Er setze David in seinen Stuhl und brachte dann die Brötchen an den Tisch. Er freute sich über die Gesellschaft beim Frühstück. David war schnell satt und wollte wieder spielen, so dass Isabelle und Jan noch alleine am Tisch sitzen blieben.
„Wann musst du los?“, fragte sie. Jan warf einen kurzen Blick zur Uhr.
„So gegen 12:45 sollte ich im Theater sein.“, antwortete er. „Isabelle, ich wollte mich entschuldigen für Dienstagabend.“ So, nun war es heraus und er wartete gespannt auf eine Reaktion. Sie verzog keine Miene, sah ihm aber in die Augen. Wieder wurde sie aus seinem Blick nicht schlau.
„Für was genau denn, Jan?“, fragte sie. „Für den Kuss musst du dich nicht entschuldigen. Der war.... wunderschön. Unerwartet, ja, aber ich habe es genossen.“ Sie sah ihm mit festem Blick in die Augen.
Er entspannte sich etwas.
„Aber ich hätte gerne gewusst, was dann passiert ist“, fuhr sie fort. „Der Kuss ging von dir aus und danach ziehst du dich komplett zurück, machst zu.“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „Das war alles ein wenig zu viel unerwartetes, weißt du.“
Er nickte.
„Davor schon, Jan, habe ich an dem Abend irgendetwas falsch gemacht?“
Er verneinte. Dann sammelte er sich.
„Der Abend war schön, bitte glaube mir, und ich habe mich in deiner Nähe so wohl und befreit gefühlt. Daher, dass mit dem Kuss, denke ich.“ Er zögerte. „Ich mag dich sehr, Isabelle. Ich laufe nicht durch die Welt und küsse jeden Tag irgendwelche Frauen. Aber die Trennung von Diana ist noch so frisch und es tut noch ganz schön weh.“ Er sah kurz weg. „Ich wusste in dem Moment einfach nicht, ob das richtig ist. Auch dir gegenüber“, schob er dann hinterher.
Endlich lächelte sie.
„Ich mag dich auch sehr Jan. Würdest du mir erzählen, was zwischen dir und deiner Ex passiert ist?“, wollte sie wissen. Er starrte in seine Kaffeetasse, als würde er dort die Antwort finden. Langsam schüttelte er den Kopf.
„Bitte verzeih mir, dass kann ich noch nicht. Aber du kannst dir sicher sein, dass ich sie nicht zurück will und im Moment nur ein Gefühl für sie habe. Und das ist kein besonders positives.“ Er hob den Kopf und versuchte ihre Miene zu deuten.
„Wo ist sie? David hat vorhin nach ihr gefragt.....“ Ihre Frage versetzte ihm einen Stich.
„Im Ausland, sie kommt Dienstag zurück“, erklärte er ihr. Sie schwiegen. Isabelle musterte ihn. Hatte er sie vergrault? Würde sie akzeptieren, dass er noch nicht den ganzen Schlamassel vor ihr auspacken wollte? Oder hatte er seine Chance bei ihr leichtfertig verspielt?
„Isabelle ich wollte dir nicht weh tun und ganz sicher wollte ich dich nicht benutzen oder die Situation ausnutzen.“ Er hatte die Arme auf den Knien abgelegt und vergrub seinen Kopf in seine Hände.
Er hörte, wie der Stuhl knarzte und dann kniete sie vor seinen Stuhl und nahm seine Hände.
„Das ist für mich okay. Ich würde dich gerne trotzdem öfter sehen, schauen wo uns das hinführt. Für dich da sein und dir helfen, da wo ich kann und du mich lässt.“ Sie sah ihm tief in die Augen. „Vor allem würde ich dich gerne öfter lachen sehen.“ Sie stockte kurz. „Der Kuss war doch ein guter Anfang, finde ich. Aber ich lasse dir gerne alle Zeit der Welt, falls du erst herausfinden musst, was du willst.“
Jan zog sie auf seinen Schoß und umarmte sie, hielt sie einfach fest. So saßen sie eine ganze Weile. Dann atmete Jan tief durch und Isabelle erhob sich.
„Dank.“, flüsterte er. Sie streichelte ihm kurz über die Schultern. Gab ihm einen zögerlichen Kuss in den Nacken.
„Komm, lass uns das hier aufräumen und mit David noch was rausgehen“, schlug sie vor.
Die frische Luft tat ihnen gut. Anschließend packte Jan für David Spielsachen, Bücher und Obst zusammen. Auf dem Weg zum Theater wollte er Isabelle bei ihrer Wohnung absetzen. Auf der Fahrt sprachen sie nicht viel.
„Was machst du denn heute noch?“, wollte er wissen, während er nach der richtigen Hausnummer Ausschau hielt.
„Da vorne ist es“, zeigte Isabelle ihm. „Oh, ich muss noch putzen heute und einkaufen; nichts besonderes.“ Er hielt an.
„Ich dachte eher an heute Abend.“ Er lächelte sie an. Sie schmunzelte.
„Ach so, da habe ich nichts vor. Ich wollte mit meiner Freundin Tina ausgehen, aber sie ist krank geworden.“ Er sah kurz in den Rückspiegel, David war voll und ganz mit seinem Spielzeug beschäftigt.
„Du kannst dir ja überlegen, ob wir uns heute Abend sehen wollen. Dann würde ich dich auf dem Heimweg abholen. Ich weiß, es ist dann ganz schön spät, bestimmt......“ Sie unterbrach ihn.
„Ach was, wir wären auch nicht früher losgezogen. Ich überlege es mir und schreib dir.“ Sie drückte kurz seine Hand und stieg dann aus.
Mehr als erleichtert saß Jan nach der Vorstellung in seiner Garderobe und schminkte sich ab. Jule hatte gerade leise das Kostüm abgeholt, denn David schlief endlich. Jan packte seine Sachen zusammen, nahm den Rucksack auf den Rücken und David behutsam auf seinen Arm. Zusammen mit Jule ging er zum Parkplatz. Isabelle hatte vor einer halben Stunde geschrieben. Und obwohl er müde war, regte sich Vorfreude. Als er wieder vor ihrer Wohnung hielt, wartete sie schon und sein Herz machte einen Satz, als sie in den Wagen stieg. Flüsternd begrüßten sie sich und Jan deutete nach hinten. David schlief tief und fest. Und auch Zuhause hatte er dann Glück. Der Kleine ließ sich ins Bett bringen ohne richtig wach zu werden.
Isabelle stand in der Küche und hatte zwei Weingläser gefüllt.
Sie wechselten ins Wohnzimmer, wo Jan ein paar Kerzen anzündete.
„Wie war dein Tag?“, fragte er Isabelle, die sich schon auf das Sofa gesetzt hatte.
„Ach, unspektakulär. Haushalt und Einkauf. Ein Telefonat mit meiner Mutter“, fasste sie zusammen. „Und bei dir?“, fragte sie zurück.
Jan schob eine CD in den Player.
„Ja, okay. Anstrengend. Bei der zweiten Vorstellung musste ich mich dann doch sehr konzentrieren.“ Er setzte sich zu ihr, während Mike Oldfield`s Songs from Distance Earth erklang.
Er setzte sich ebenfalls auf die Couch, etwas weg von ihr.
„Und am Abend?“, fragte er nach. Isabelle lachte.
„Auch unspektakulär. Ich habe mir was zum Essen beim Thai bestellt und irgendeinen Krimi gesehen. Der war gerade fertig als deine Nachricht kam.“ Sie nippte am Wein. „Hast du was gegessen?“, wollte sie dann wissen.
„Ich war mit David in der Kantine. Der wollte unbedingt Nudeln mit Tomatensauce, davon hatte ich den Rest.“ Sie schwiegen. Dann griff Isabelle nach seiner Hand und sah ihm in die Augen.
„Die Musik gefällt mir“, meinte sie nach einer Weile.
„Oh, die ist uralt. Gehört aber zu meinen liebsten CD`s", antwortete er leise. „Ewig nicht gehört“, seufzte er.
„Du hast morgen frei?“, erkundigte sie sich. Jan nickte.
„Und was hast du vor?“, fragte sie nach. Er zuckte mit den Schultern. Am liebsten, so dachte er, einfach nur schlafen. Er war dermaßen müde, dass ihn selbst der After-Show-Adrenalinspiegel nicht all zu lange wach halten würde. Er hatte sich schon gegen die Sofalehne sinken lassen.
„Nichts konkretes bisher“, meinte er erschöpft. Sie klopfte neben sich.
„Leg die Füße ruhig hoch“, sagte sie. „Ich beiße nicht“, schob sie schmunzelnd hinterher. „Das Wetter soll ja ganz gut werden. Warst du mit David schon bei diesem neuen Abenteuerspielplatz? Da ist auch ein Streichelzoo.“ Er verneinte. Das würde dem Kleinen sicher gefallen. Und vor allem könnte der sich an der frischen Luft austoben. Der Gedanke gefiel Jan direkt. Isabelle hatte seine Füße derweil auf ihren Schoß gebettet und streichelte diese leicht. Er schloss die Augen.
„Magst du denn mitkommen?“, fragte er schläfrig.
Er öffnete die Augen kurz und sah ihr kleines Lächeln. Sie nickte.
"Gerne."
Ja, er genoss ihre unaufgeregte Nähe. Sie plauderte noch eine ganze Weile über verschiedene Dinge. Jan entspannte sich weiter und hörte ihr irgendwann nur noch zu.
„Schläfst du schon? Jan?“, fragte Isabelle mit einem Mal. Er fuhr hoch. „Sorry.“ Sie lachte leise.
„Du bist todmüde, oder?“, fragte sie ihn. Er nickte entschuldigend.
„Dann rufe ich mir jetzt ein Taxi. Und wir sehen uns ja morgen.“ Sie griff nach ihrem Handy, dass sie auf dem Couchtisch abgelegt hatte. Doch Jan unterbrach sie mit einem Räuspern. „Wenn du willst, dann kannst du hier schlafen. Wir....ich habe im Arbeitszimmer ein Gästebett, also nicht falsch verstehen. Und ich meine, nur wenn du magst.... Ich habe auch irgendwo noch eine Zahnbürste für dich....“, stammelte er. War das jetzt zu viel? Aber allein der Gedanke, dass sie über Nacht und vor allem morgen früh da sein würde, fühlte sich unglaublich beruhigend an.