In jener Nacht bekam Jan kein Auge zu.
Um zu vermeiden, dass er erneut alleine auf Diana traf, hatte er am Abend Isabelle unter einem Vorwand gebeten, ihn zu begleiten.
Sie hatten David zu Meisters gebracht, Isabelle hatte im Wagen gewartet und tatsächlich hatte Diana nur im Kimono die Tür geöffnet. Spöttisch hatte sie zu Jans Freundin herüber gewunken und dann den aufgeregten Jungen freudig begrüßt. Kaum, dass der im Inneren des Hauses verschwunden war, hatte Jan losgewollt. Sie hatte eine Hand auf seine Brust gelegt und ihr Angebot vom Nachmittag wiederholt. Hektisch hatte er sich auf den Fahrersitz geflüchtet und Isabelle dann in die Pizzeria ausgeführt.
Ob sie etwas gemerkt hatte?
Er wusste es nicht, konnte ihr aber kaum in die Augen sehen.
Lange hatte er überlegt, ob er ihr alles erzählen sollte, aber er wollte sie nicht beunruhigen.
Müde lauschte er ins Dunkel. Wenn er die Augen schloss, dann sah er Diana vor sich. Er hatte jedes Wort an sie genau so gemeint, wie er es gesagt hatte. Sie hatte ihn verletzt und er konnte ihr das nicht verzeihen. Nicht, dass sie ihn betrogen hatte. Nicht, dass sie ihm notfalls ein fremdes Kind untergejubelt hätte. Und auch nicht, dass sie ihn ohne Aussprache verlassen hatte. Das ganze Hin und Her mit dem Kleinen. Ihre verletzenden Worte, immer und immer wieder. Und jetzt flehte sie ihn an, wollte ihn zurück? Liebte ihn gar? Er wusste einfach nicht, was er davon halten sollte. Und es machte ihn wahnsinnig, dass er sie nicht aus seinem Kopf bekam.
Hätte er sie noch deutlicher in ihre Schranken weisen sollen?
Er rollte sich auf die Seite und starrte zum Fenster. Durch die Vorhänge schien der Mond kurz hell herein, ehe diesen wieder eine Wolke verdeckte. Isabelle neben ihm atmete ruhig und gleichmäßig. Irgendwann gab er auf und verließ leise das Schlafzimmer. Leo huschte an ihm vorbei, als er das verwaiste Kinderzimmer betrat. Seufzend ließ er sich auf der Schlafcouch nieder. Griff sich eines der Stofftiere seines Sohnes. Hatte der nicht ein Recht auf Mama und Papa? Auf eine intakte Familie? War er egoistisch, weil er es nicht nochmal mit Diana versuchen wollte? Aber er liebte sie nicht. Er hatte sich in Isabelle verliebt und wollte mit ihr eine Zukunft aufbauen.
Über die Grübelei musste er eingeschlafen sein. Sein Rücken beschwerte sich über die unbequeme Position und auch die Operationswunde zog unangenehm.
Jan streckte sich, trank in der Küche ein Glas Wasser und ging dann wieder ins Bett. Doch auch jetzt kreisten seine Gedanken um her. Nur kurz fiel er in einen unruhigen Schlaf. In ihm setzte sich das Gefühl fest, dass sich irgendetwas zusammenbraute.
Isabelle hatte am nächsten Tag nur Gutes aus der Kita zu berichten. Diana hatte David pünktlich vorbeigebracht und auch wieder abgeholt. Der Kurze selbst wirkte fröhlich und zufrieden. Dennoch fühlte Jan nichts als Unruhe. Wieder fuhr er ziellos mit dem Auto umher und wusste nicht wohin. Zwei Stunden stand er auf einem Parkplatz über der Stadt.
Was erwartete man jetzt von ihm?
Was wollte er eigentlich?
Er blieb im Wagen sitzen und sah auf die Stadt hinunter.
Hier oben war es einfach still und friedlich.
Keiner der ihn störte.
Und wieder war da der kurze Gedankengang, der ihn immer wieder erschreckte und beschäftigte.
Seine Gedanken glitten zu Diana. Er glaubte ihr kein Wort. Das hätte er von Anfang an nicht tun sollen. All die geheuchelten Worte in all den Jahren. Wie hatte er so blind sein können? Oder war er so verzweifelt auf der Suche nach Liebe gewesen, dass er es wissentlich ausgeblendet hatte? Und wenn ja, was sagte dies über ihn aus? Hatte er sie je richtig geliebt? Oder hatte er das unbedingt glauben wollen, nur um nicht alleine zu sein? Die Worte seines Vaters kamen ihm in den Sinn. Liebe, so hatte der gesagt, sei das nicht gewesen.
Er sollte diesen Blödsinn mit ihr klären, ehe es ein Fiasko gab. Aber er war so unglaublich wütend auf sie. Warum nur, tat sie ihm das an? Was war er nur für sie? Ein Bauer in ihrem Schachspiel? Wertlos, wahllos einsetzbar?
Dann dachte er an Isabelle. Ihr langsames Kennenlernen und die dann so schnell folgenden Gefühle. Ihr Blick, wenn sie ihn an sah. Ihre Hingabe, wenn sie sich liebten. Ihre Augen, ihr Lachen, ihr Mut. All die kleinen Dinge, die er an ihr mochte. Wie sehr er sie nach ihrem Streit vermisst hatte. Wie sehr er sich gefreut hatte, als sie in München auf einmal vor ihm gestanden hatte.
Er liebte sie. Sie liebte ihn.
Es könnte so einfach sein.
Ihre beruhigende Art. Und immer wieder stieß er sie weg. Hatte Angst, sie mit seinen Gefühlen zu konfrontieren. Er spürte, er würde sie verlieren. Auch sie würde irgendwann gehen und wieder wäre es seine Schuld. Das würde er nicht aushalten. Wenn sie nicht an ihn glaubte, dann war er verloren. Dann würde er es nicht schaffen. Er lehnte sich im Sitz zurück. Drückte den Kopf an die Stütze und schloss die Augen, ließ seinen Tränen freien Lauf. Aber diesmal erleichterten sie ihn nicht. Sein Herz wurde immer schwerer und die fixe Idee manifestierte sich. Ohne ihn, oh ja, wäre sie besser dran.
Er leerte das Wasserglas in einem Zug, dann griff er nach der Teetasse und lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück. Es klopfte leise und er schloss kurz die Augen. Dann nickte er.
Dr. Jäger durchschritt den Raum und öffnete die Tür.
"Schön, dass Sie so schnell kommen konnten, kommen Sie herein.", hörte er sie sagen.
Isabelle musste geflogen sein. Sie hatte keine 20 Minuten von der Kita bis hierher gebraucht. Vermutlich hatte sie alles stehen und liegen lassen. Wegen ihm.
In ihrem Gesicht stand Sorge und Jan konnte erkennen, dass auch sie geweint hatte.
Wegen ihm.
Verflucht, er hätte nicht her kommen sollen. Was änderte das schon? Er ballte seine Fäuste.
"Hey.", sagte sie sanft und setzte sich in den nächsten Sessel.
Gut, dass Dr. Jäger das Reden übernahm, er bekam keinen Ton raus. Aber das ruhige Streicheln über seinen verkrampften Handrücken tat gut. Ganz langsam entspannte er sich ein wenig.
Er sah zum Fenster, während seine Therapeutin berichtete, dass er vor etwas mehr als zwei Stunden in die Praxis gekommen war. Aus Angst. Auf der Suche nach Hilfe. Jetzt erschien ihm das alles übertrieben. Er hätte sich nichts angetan, nein. Oder?
Es dämmerte schon. Der graue Januartag ging einfach in eine trübe Nacht über. Er senkte den Kopf, als Dianas Avancen beschrieben wurden. Neben ihm stöhnte Isabelle auf.
"Warum hast du denn nichts gesagt?", wollte sie wissen, als die Therapeutin geendet hatte. Sie betrachtete ihn nachdenklich.
"Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht belasten. Nicht schon wieder.", meinte er. Kopfschüttelnd nahm sie seine Hand, löste seine Faust und verschränkte ihre Finger mit seinen.
"Jan, ich muss so etwas aber wissen. Wir schaffen das doch nur zusammen. Und ich bin da für dich, verstehst du?", flüsterte sie.
Die Therapeutin räusperte sich und nickte Isabelle zu.
"Ich liebe dich nämlich. Du bist mir wichtig. Nichts auf dieser Welt musst du mit dir alleine ausmachen.", schob Isabelle nach.
Jan entfuhr ein Seufzen. Ja, in der Theorie wusste er all das.
Die ernsten Worte Dr. Jägers holten ihn in das Gespräch.
"Kann ich Sie ruhigen Gewissens über das Wochenende nach Hause gehen lassen?", fragte sie. Isabelle atmete neben ihm tief durch.
Jans Herz zog sich zusammen.
Was wäre denn die Alternative? Aber er sprach diese Frage nicht offen aus. Stattdessen nickte er und drückte Isabelles Hand. Notfalls würde er sich einfach an ihr festhalten. Bis David wieder zu Hause sein würde.
"Ja.", antwortete er heiser, als er den immer noch fragenden Blick auf sich spürte.
Mit vielen Empfehlungen durfte er dann gehen. Er sollte viel an die frische Luft, sich bewegen und ablenken. Aber eben auch mit den Briefen beschäftigen. Dr. Jäger hatte Isabelle aus dem Medikamentenschrank etwas mitgegeben, damit er abends Ruhe fand. Und ja, er sehnte sich nach Schlaf. Und er sprang über seinen Schatten, als Isabelle ihn nach Hause gefahren hatte. Er rief Diana an, ließ den Lautsprecher an und bat darum, kurz mit David sprechen zu dürfen.
Dem Kleinen ging es gut. Er lachte und erzählte von einem Ausflug in den Tierpark. Zwischen den Zeilen ließ sich heraushören, dass Karsten offenbar nicht von der Partie war. Und offenbar hielten sie sich ausschließlich bei Meisters auf. Jan vermutete, dass sich Karsten getrennt hatte. Was wiederum dazu passte, dass Diana dermaßen auf Tuchfühlung ging.
Das Wochenende entspannte Jan in der Folge zusehends. Dank der Medikamente konnte er schlafen und wirkte bereits am Samstag nachmittag deutlich ausgeruhter. Und vor allem auch fröhlicher. Er half Isabelle bei ihren Umgestaltungsideen und suchte auch immer wieder ihre körperliche Nähe. Als wenn er sich vergewissern wollte, dass sie bei ihm war.
Isabelle schloss den Deckel eines Kartons und ließ zufrieden ihren Blick durchs Wohnzimmer wandern. So langsam wirkte es hier richtig gemütlich und nichts erinnerte mehr an Diana.
Jan stand mit einem Glas Wasser in der Tür und sah sich ebenfalls um.
"Wir können uns auch was anderes suchen, wenn du magst.", sagte er. Isabelle schüttelte den Kopf und rückte ihre Bilder an der Wand neben dem Sessel zurecht.
"Nein, die Wohnung ist schön, liegt super und ist vor allem bezahlbar.", antwortete sie. Jan stellte das Glas ab und nahm sie in den Arm.
"Ich dachte, falls wir nicht dauernd an sie erinnert werden wollen."
Lächelnd umarmte auch sie ihn.
"Für mich ist das vollkommen in Ordnung. Falls du aber zu viele negative Erinnerungen hast, dann musst du mir das sagen." Schmunzelnd zog er sie auf die Couch. Dann deutete er zur Leseecke.
"Da drüben hat David seine ersten Schritte gemacht. Nebenan in der Küche hat er zum ersten Mal Papa gesagt. Nein, die positiven Erinnerungen überwiegen eindeutig. Vor allem haben wir uns hier zum ersten Mal geküsst und das erste Mal miteinander geschlafen." Er grinste wieder und zog sie auf sich. Tief atmete er ihren Geruch ein.
"Überzeugt.", lachte sie und küsste ihn. Eine ganze Weile lagen sie schmusend und küssend auf der Couch. Für so etwas hatten sie viel zu wenig Zeit gehabt. Isabelle ertappte sich bei dem Gedanken, dass es auch mal ganz schön war, wenn David nicht da war. So sehr sie den Kleinen mochte, ab und an tat das Alleinsein mit Jan einfach nur gut.
Behaglich kuschelte sie sich jetzt an ihn, Jan zog sie fest an seine Brust.
"Ich bin froh, dass du bei mir bist.", hauchte er und streichelte ihren Nacken. Langsam fuhr sie mit ihren Fingern unter sein Shirt. Sie zeichnete seine Muskeln sanft nach.
"Weil ich dich liebe.", seufzte sie. Behutsam schob sie sein Shirt hoch und bedeckte seinen Oberkörper mit Küssen. Jan schloss die Augen und genoss die Berührungen. Eine Gänsehaut durchlief ihn.
"Isabelle, ich habe verdammt viele Fehler gemacht." Er griff nach ihren Händen und stoppte sie in ihren Bewegungen. "Du bist mein Lebensretter, weißt du das eigentlich?" Sanft küsste er sie auf den Schopf. "Danke, dass mich nicht hast fallenlassen und dass du trotz allem immer für mich da bist." Er gab ihre Hände wieder frei.
Sie streichelte ihm durch sein Gesicht und ließ ihre Hand auf seiner Wange ruhen.
"Wir müssen mehr reden.", meinte sie. Sein Blick ruhte entspannt auf ihr, als er nickte.
"Ja.", seufzte er. "In der Theorie habe ich das verstanden."
Behutsam ließ sie ihre Hand von seiner Wange über den Hals und das Schlüsselbein wandern.
"Ein erster Schritt.", murmelte sie. "Wir wäre es, wenn wir uns jeden Abend vor dem Schlafengehen ganz bewusst eine Viertelstunde nehmen, nur um zu reden?", schlug sie vorsichtig vor. Jan lachte kehlig.
"Eigentlich sollte man sich da für etwas anderes Zeit nehmen.", meinte er albern und fuhr über ihre Seite. "Aber ja, klingt nach einer guten Idee.", stimmte er dann doch zu. Mit einem Augenaufschlag schob sie ihm schließlich das Shirt über den Kopf. Sein Herz schlug sofort schneller.
Seine Hände waren über ihre Hüfte an ihrem Po zum Liegen gekommen. Verlangend gaben sie sich einem Kuss hin, der beide aufstöhnen ließ. Immer schneller spielten ihre Zungen miteinander. Gleichzeitig fuhren seine Hände über ihrem Rücken, geschickt öffnete er ihren BH. Mit einer schnellen Bewegung war auch sie oben herum nackt. Er hielt sie fest an sich gedrückt, während sie sich wieder küssten. Ihre nackten Brüsten auf seiner heißen Haut ließen ihn wieder aufstöhnen. Forschend ließ Isabelle eine Hand nach unten gleiten und seine Erregung ertasten.
"Wollten wir nicht mehr reden?", stöhnte er leise, als sie von ihm herunterglitt und sich so besser neben ihn legen konnte. Jan keuchte kurz auf, als sie berührte.
"Nicht jetzt.", antwortete sie und hielt kurz inne.
Besorgt warf sie einen Blick auf seine Narbe.
Er schüttelte sanft den Kopf, alles war in Ordnung. Sein Atem ging unruhig, ihrer ebenso. Er beugte sich zu ihr und küsste alle Vorbehalte weg. Jetzt zählten nur sie. Er, sie und ihre Lust. Die viel zu kurz gekommen war. In diesem Moment wollte er sie nur noch spüren. Endlich lagen sie nackt nebeneinander, ineinander verschlungen.
Immer wieder drängte sie sich an seine Hüfte, was er als Aufforderung verstand. Mit einer schnellen, fließenden Bewegung war er in ihr. Es überwältigte ihn fast und er musste tief durchatmen.
Es fühlte sich unendlich intensiv an. Keuchend schloss er die Augen und hörte auf ihr Stöhnen, dann führte er sie gemeinsam über die Welle der Lust zum Abgrund. Ganz fest hielt er sie, als die Erlösung durch ihren Körper fuhr und ihn mitriss. Nie mehr loslassen. Für immer festhalten.
"Du bist wunderbar.", flüsterte Jan ihr ins Ohr. "Sanft wie ein Engel, und dennoch so stark. Dazu wunderschön und leidenschaftlich." Wieder küsste er ihren Nacken. "Ich wäre ein Narr, würde ich das aufs Spiel setzten."