Texel.
Jan hatte sie darum gebeten.
Dabei hatte er ihr in die Hand versprochen, dass er auf Texel reden würde. Danach hatte er sie hingebungsvoll und vorsichtig geliebt. So gut es eben ging mit dieser Naht.
Erst hatte es so ausgesehen, als würde ihm der Arzt der Familie den Ausflug über Silvester nicht erlauben. Eine Rötung, erneute Schmerzen und Fieber hatten ihm Sorge bereitet. Jan hatte sich an die strenge Schonung gehalten und schlussendlich grünes Licht erhalten.
Nun sah sie sich gespannt in dem Ferienhaus der Familie um.
Von der Veranda konnte man das Meer sehen und hören. Irgendwo kreischten ein paar Möwen und es ging ein ordentlicher Wind. Im Inneren blieb sie begeistert stehen. Jan lächelte und zog sie weiter durch den Flur in einen großen Raum. Eilig zog er die Gardinen auf und öffnete die Terrassentüren.
"Von hier hat man einen so wundervollen Blick.", sagte er und zog sie in seinen Arm. Flüsternd zeigte er auf das Meer und Isabelle schloss die Augen. Die Ruhe tat schon jetzt gut. Sie blieben einige Minuten draußen stehen, ehe ihnen zu kalt wurde. Aufgeregt zeigte Jan ihr den Rest des Hauses. Oben befanden sich zwei gemütliche Schlafzimmer, eines davon hatten Jans Eltern herrichten lassen. Die Betten waren frisch bezogen und Handtücher lagen auf der Decke. Paul hatte mit dem Verwalter auf der Insel noch am ersten Feiertag telefoniert und alles organisiert.
Das Badezimmer war klein, aber fein. Der große Raum im Erdgeschoss war ein sehr gemütliches Wohnzimmer mit einer integrierten Wohnküche. Das Highlight versteckte sich jedoch im Keller. Dort gab es eine kleine Sauna, einen Whirlpool und einen Relaxbereich mit bodentiefem Blick Richtung Meer. Jan lachte verschmitzt.
"Man kann uns von draußen hier drin nicht sehen, das ist sehr faszinierend gelöst.", erklärte er ihr. Zusammen stiegen sie die Treppe wieder nach oben.
"Schade nur, dass ich damit noch warten muss.", flüsterte er und zog sie an sich heran. Er lehnte am Treppengeländer und sah ihr in die Augen. "Gib mir ein bisschen Zeit.", flüsterte er und gab ihr einen zarten Kuss. Isabelle schlang die Arme um seine Mitte, legte ihren Kopf an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag.
"Die bekommst du. Aber ohne Antworten gehen wir hier nicht weg.", antwortete sie. Er seufzte und strich ihr über das Haar.
"Ich weiß."
Sie übte sich in Geduld. Sie hatte Jan zugestanden, dass er sich Zeit nehmen konnte um in seinem Tempo, in dem Moment auf sie zu zu kommen, wenn er soweit war. Immer wieder hatte sie den Eindruck, dass er kurz davor war und sich dann doch wieder zurückzog. Zumindest schonte er sich. Nach einer letzten Diskussion zu diesem Thema, hatte er es endlich eingesehen. Die ersten beiden Tage waren sehr entspannend gewesen. Viel Schlaf für beide, viel Ruhe und kurze, für Jan nicht zu anstrengende Spaziergänge an der frischen Luft. Isabelle war schon jetzt in die Insel verliebt und hoffte, dass sie im Sommer nochmal herkommen konnten.
Sie hatten auch heute in Ruhe gefrühstückt und lagen jetzt vor dem Panoramafenster auf der Couch. Endlich hatte Isabelle mal richtig Zeit zum Lesen gefunden. Und Jans Schlafbedürfnis fand offenbar keine Grenzen. Auch er hatte aber gerade gelesen und sah nun einigen Spaziergängern zu, die mit ihrem Hund am Strand unterwegs waren.
„Das würde David gefallen.“, meinte er lächelnd. Sein Kopf ruhte in ihrem Schoss, und gedankenverloren strich sie ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Buch hatte sie geschlossen und folgte seinem Blick.
„Der Hund oder der Strand?“, fragte sie.
Jan lachte leise.
„Beides, vermute ich. Aber Spielen am Strand kennt er noch gar nicht, das wäre was für ihn. Im Sommer kann man tolle Wattwanderungen machen und für die Kinder lassen sie sich hier richtig was einfallen. Im Winter sind übrigens viele Wanderwege zugänglich, die man im Sommer wegen der Vögel nicht betreten darf.“
Kurz darauf schlenderten sie eng umschlungen über die Promenade. Der Wind war heftiger geworden und sie kamen nicht so schnell voran. Wie immer in den letzten Tag kehrten sie in ein Café ein und stöberten auf dem Rückweg durch die wenigen Geschäfte. Die letzten Meter war Jan sehr schweigsam und wieder hoffte Isabelle, dass er aus seinem Schneckenhäuschen kommen würde.
Vergebens.
Im Haus zurück setzte sie Tee auf und machte sich an die Einkaufsliste für die folgenden Tage. Den morgigen Silvestertag wollten sie alleine verbringen. Isabelle freute sich auf einen romantischen Abend. An Neujahr selbst wollte Jan sie ausführen, so dass sie hierfür nichts planen musste. Am frühen Nachmittag packte Isabelle dann alles zusammen was sie für die kurze Fahrt brauchte. Jan war nicht gesprächiger geworden und sah seit einiger Zeit fern. Irgendwie hatte sie kein gutes Gefühl, ihn alleine zu lassen. Natürlich, sie war auch gestern kurz ohne ihn unterwegs gewesen. Für einen langen Spaziergang fehlte ihm einfach noch die Kraft. Seine Laune war aber heute auch deutlich wechselhafter. Seufzend griff sie nach der Jacke und packte sich warm ein. Mit einem sanften Kuss in seine Haare verabschiedete sie sich schließlich von ihm.
Als sie zwei Stunden später zurück war, saß Jan in einem Chaos am Boden. Bestürzt blieb sie stehen. Ihr Blick wanderte durch den Raum. Jan am Boden, die verteilten Bücher, der umgeworfene Karton und zwei Aufbewahrungsboxen auf dem Couchtisch. Eine stand direkt vor Jan. Der wiederum sah aus, als sei ihm der Tod persönlich begegnet. Unruhig spielte er mit dem Deckel dieser Box.
Mit einem Blick, der ihr beinahe das Herz brach, sah Jan sie an und öffnete den Mund.
"Ich schaff das nicht alleine."
Sie zögerte keine Sekunde, ließ die Einkäufe einfach stehen.
Behutsam ging sie neben ihm auf die Knie und griff nach seiner Hand.
Eiskalt.
"Was schaffst du nicht?", fragte sie.
"Das alles."
Jan deutete auf die Boxen und die verstreuten Bücher.
Was wollte er damit?
Was war das alles?
Jan seufzte und zog sie ihn seinen Arm.
"Ich liebe Dich, ich will dich nicht verlieren.", flüsterte er. Sie lehnte sich an ihn.
"Dann vertrau mir doch.", antwortete sie leise und schloss ihre Augen. Eine Weile hörte sie auf seinen Herzschlag und Atem.
"Isabelle, vielleicht bin ich ein hoffnungsloser Fall und du verschwendest nur deine Zeit an mich."
Mühsam schluckte sie einen Kloß in ihrem Hals herunter.
"Nein, Jan. Ich glaube einfach nur, dass du dich deiner Angst stellen musst." Immer noch hielt sie seine Hand im Schoß.
"Hast du mit Dr. Jäger darüber gesprochen?", wollte sie wissen.
Langsam nickte er.
"Sie hat mir klargemacht, dass ich auch das mit dir zerstöre, wenn ich mich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetze.", murmelte er hinter ihr. Sie atmete tief durch.
"Dazu müsste ich die kennen. Für meinen Teil gesprochen, machen mich dein Schweigen und diese Alleingänge unfassbar hilflos. Es ist nicht schön zu wissen, dass der Partner leidet und sich mir nicht anvertraut. Und dass ich dann nicht helfen kann, versteht sich von selbst. Und ja, das belastet mich und mein Gefühl für uns. Denn für mich ist eine Partnerschaft ohne Vertrauen einfach sinnlos."
Einige Minuten ließ sie ihre Worte wirken. Mehrfach war er deutlich zusammengezuckt.
"Bist du nie verletzt worden?", wollte er dann wissen.
Es entlockte ihr ein trockenes Lachen.
"Ach, Jan. Jeder von uns wird verletzt. Mit 12 ist meine geliebte Katze gestorben, nie wieder wollte ich eine haben. Als ich 15 war, habe ich mich mit meiner damals besten Freundin derbe zerstritten. Drei Tage lang wollte ich nicht aus meinem Zimmer kommen. Mike, mit dem ich zehn Jahre zusammen war, hat sich entliebt. Ich mich auch, aber es dauerte, bis ich darüber weg war. Und heute habe ich andere wunderbare Freundinnen, zwei sehr süße Katzen und ich möchte unbedingt mit dir zusammen sein."
Nachdenklich spielte sie mit seinen Fingergliedern.
"Enttäuschungen gehören zum Leben, man muss sie annehmen und dann erst recht weitergehen.", meinte sie. "Und im Übrigen hast auch du mich schon verletzt, mein Lieber. Immer dann, wenn du dich in deinem Schneckenhaus versteckst, anstatt den Mund aufzumachen.", ergänzte sie dann. Erst hatte sie Bedenken gehabt, aber es war nun mal die Wahrheit. Und zumindest sie würde schonungslos ehrlich sein. Nur dann machte aus ihrer Sicht dieses Gespräch Sinn.
Jan schwieg, hatte seinen Kopf an den ihren gelehnt.
"Irgendwie hatte ich noch nie so eine Beziehung.", sagte er dann leise. "Du musst bei mir bleiben, bitte.", er zog sie noch fester in seinen Arm. Sie führte seine Hand an ihren Mund und küsste jeden Finger einzeln.
"Möchtest du mir erzählen, was dich quält?" In ihrem Rücken schluckte er schwer. Mut. Rede, betete sie. Spring jetzt einfach über deinen Schatten. Irgendetwas sagte ihr, würde er es jetzt nicht tun, dann niemals.
"Ja.", hörte sie ihn flüstern und ihr fiel ein Stein vom Herzen.
Er hatte nicht gewusst, wo er anfangen sollte, daher bat er sie, mit ihm eine der beiden Boxen zu öffnen.
Darin waren auf den ersten Blick nur zahlreiche Erinnerungsstücke, die seine Eltern aufgehoben hatten. Von den meisten hatte Jan nicht mal gewusst, dass es sie gab. Eine Streichholzschachtel enthielt Milchzähne, seine ersten Schuhe als er Laufen lernte. Seine Zeugnisse aus der Grundschule. Dazu Fotos von ihm als Baby und kleines Kind. Meistens mit seinem Bruder oder seiner Mutter.
Lächelnd strich Isabelle ein paar unbeholfene Kinderzeichnungen glatt. Fassungslos starrte Jan nun auf einen Zeitungsausschnitt. Er fror und schwitzte gleichzeitig. Irgendwer hatte die Anzeige laminiert und damit haltbar gemacht. Gleichzeitig öffnete sich ganz leicht eine Tür in seinem Inneren. Wollte er das aber?
Vorsichtig nahm sie ihm das laminierte Papier aus der Hand.
"Dein Opa?", fragte sie und studierte die Todesanzeige.
Jan nickte.
"Du hingst an ihm?", fragte sie weiter. Er spürte ihren prüfenden Blick. Schließlich schluckte er. Sie griff nach seiner Hand und streichelte beruhigend die Handinnenseite. "Egal, was dir passiert ist, egal was du getan oder erlebt hast, du kannst mir alles erzählen."
Dann erzählte er von Jakob. Wie wichtig der Großvater für ihn gewesen war. Von dem schrecklichen Sommer, in dem er so krank gewesen war. Er stockte und weinte viel. Es dauerte, bis Isabelle alles verstanden hatte. Und sie litt mit dem Kind, das Jan gewesen war. Jan spielte mit einer Murmel, die er ebenfalls in der Box gefunden hatte.
"Damit fing alles an, glaube ich."
Isabelle dachte an die Worte von Jans Mutter. Dass er schwierig gewesen war. Und an ihre Andeutung, dass sie nicht richtig hingesehen hatten.
"Ich fühlte mich allein gelassen, verraten, todunglücklich." Verschämt wischte er sich eine Träne aus den Augen. "Verstehe mich nicht falsch, meine Eltern waren super für mich da. Und ja, ich verstehe auch ihre Beweggründe." Verständnisvoll sah sie ihn an. Sein Aufseufzen erinnerte sie an das Wehklagen eines verletzten Tieres. Erschrocken strich sie ihm über das Gesicht und ließ ihre Hand auf seiner Wange liegen.
"Doch es ändert nichts daran, dass du dich nicht verabschieden konntest.", fasste sie leise zusammen.
Sie schwiegen beide, während Jan die erste Box sorgsam verschloss und den Deckel der nächsten beiseite schob.
Hauptsächlich Fotos und Notenblätter. Die Musik war seine Therapie gewesen, erzählte er ihr. Und auch Anna, die hervorragend Klavier gespielt hatte, konnte nur beim Musizieren alles vergessen.
Isabelle sah in die Kiste und zog einen Stapel Fotos heraus.
Jan und Anna an einem Lagerfeuer.
Anna und Jan an der Abifeier.
Neben ihr zog Jan scharf die Luft ein.
Er selbst, so erklärte er ihr, hatte damals alle gemeinsamen Fotos vernichtet.
"Ihr seht beide so traurig aus.", meinte sie vorsichtig.
Scheu lächelte Jan und legte das Foto zurück in den Karton.
"Wir waren auch glücklich. Nur viel zu selten."
Sie wartete geduldig, während er mit geschlossenen Augen nach den richtigen Worten suchte. In seinem Gesicht spiegelte sich Verzweiflung.
"Weißt du, als ich letzte Woche mit Frau Jäger gesprochen habe, da wurde mir einiges klar. Woher meine Ängste kommen, jemanden zu verlieren zum Beispiel. Warum ich unbewusst niemanden näher an mich ran lasse. Immer wieder sind Menschen einfach aus meinem Leben gegangen. Das hatte ich diese Tage verstanden, dass vieles daher kommt. Egal ob es der Tod von meinem Opa war oder der miese Abgang von Diana."
Sie strich ihm beruhigend über den Arm. Das war gut, sehr gut. Endlich konnte sie mit etwas arbeiten. Jan hatte als Kind unter massiven Verlustängsten und Schuldgefühlen gelitten, die nie behandelt worden waren. Aber, vermutlich keine unlösbaren Probleme. Nichts, was man mit Geduld und Liebe nicht hinbekommen würde. Jan brauchte Verlässlichkeit, vermutlich die ein oder andere Bestätigung mehr und vor allem würde er immer wieder an seinem Defizit arbeiten müssen.
Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
"Wir bekommen das hin." Entschlossen drückte sie seine Hand.
"Ach, Isabelle.", murmelte er und sie spürte ihn zittern. "Und dann die Sache mit Anna." Behände setzte sich Isabelle auf.
"Du trauerst noch immer um sie.", stellte sie fest. Die Erkenntnis bestürzte sie. In Jans Augen schimmerten Tränen.
"Das ist es nicht nur." Mit einer Handbewegung deutete er auf die Bücher, die Isabelle zwischendurch eingesammelt und auf die dritte Box gelegt. In jener waren nur Kleidung und Spielsachen aus Jans Babyzeit gewesen. Mit bebenden Lippen ließ Jan seinen Tränen freien Lauf. Der letzte Rest der Mauer fiel.
Nur mit Mühe erfuhr sie, dass Inga ihm Annas Tagebücher mitgeben hatte. Dass er sich jahrelang damit gequält hatte, dass er nicht bei ihr gewesen war, als sie starb. Immer hatte er auch hier gefühlt, als hätte er sich nicht richtig verabschieden können. Erst jetzt, durch die Tagebücher, hatte er erfahren, dass dies der ausdrückliche Wunsch Annas gewesen war.
Jan weinte nicht nur, er tobte, schrie. Nach und nach hatten sie seinen Schmerz ans Tageslicht geholt und er war vor ihren Augen durch die Hölle gegangen. Sie hatte es verwundert, wie viel man verdrängen konnte. Immer wieder hatte sie ihm angeboten, dass sie es unterbrechen könnten. Doch zu ihrer Überraschung wollte er davon nichts wissen. Er hatte fast alles negative aus der Beziehung mit Anna verdrängt. Und erst in den Tagebüchern wiederentdeckt. Viele schmerzhafte Erinnerungen. Wie sie sich zerstörerisch geliebt hatten. Wie sie nicht nur einmal zusammen ihre Leben beenden wollten. Wie tief die gegenseitigen emotionalen Erpressungen saßen. Dass auch Anna ihn aus Angst nicht verlassen hatte. Sie hatte Angst gehabt vor dem, was sie sich antun könnte, wenn er nicht bei ihr war. Und gleichzeitig hatte sie befürchtet, er würde sich etwas antun. Dass es Jan genauso mit ihr gegangen war, hatte sie wohl nicht gesehen.
Doch alle hatten Annas Kampfgeist unterschätzt. Insbesondere Jan selbst. Es hatte ihn tief verletzt lesen zu müssen, dass sie nicht wegen ihm nach München gegangen war. Schon von zu Hause aus hatte sie ihre Therapie geplant und ihn erst eingeweiht, als sie stabil war. Stabil genug, um ihn zu verlassen. Anna hatte sehr viel früher erkannt, dass sie Jan gebraucht hatte, aber die Liebe irgendwann auf der Strecke geblieben war. Dass sie sich nicht mehr gut getan hatten, sah Jan damals irgendwann ein. Aber das Ausmaß der Situation hatte er nicht realisiert. Dass vieles von dem, was er glaubte zu wissen, völlig falsch war und er noch mehr einfach aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte, machte Jan Angst. Gleichzeitig ließ er dadurch endlich zu, was Isabelle verlangt hatte. Absolute Offenheit.
Erschöpft lag er in ihren Armen auf der Couch. Nur langsam hatte er sich wieder beruhigt. Isabelle hing ihren Gedanken nach und sah ihm immer wieder ins Gesicht. Es war fast Mitternacht, sie hatten den ganzen Abend gebraucht, um alle Puzzleteile zusammen zu setzten.
"Hilfst du mir?", fragte er heiser. Ohne zu antworten beugte sie sich zu ihm und gab ihm einen langen Kuss. Dass er überhaupt fragte.
"Lass uns schlafen gehen, das war ein anstrengender Abend für uns beide."
Die Nacht war für beide unruhig. Jan suchte immer wieder ihre Nähe und auch Isabelle musste alles erst einmal ordnen. Sie schliefen länger als sonst und sie blieb neben ihm liegen, bis auch er wach wurde. Als Jan die Augen aufschlug, kuschelte sie sich wieder an ihn.
"So würde ich gerne jeden Morgen aufwachen." Zärtlich strich ihr Jan eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zog sie noch enger an sich. Ihr Kopf ruhte in seiner Armbeuge. Es war ein friedlicher und zugleich gelöster Moment
"Lass uns zusammenziehen.", schlug er leise vor, wandte sich dann zu ihr und küsste sie auf die Stirn. Ihr stockte der Atem. War dass sein Ernst? Ließ er sie komplett in sein Leben? Damit schloss er Rückzüge seinerseits aus. Sie musste sich erst sammeln.
"Ich liebe Dich.", ergänzte er und streichelte ihr Gesicht. "Ich möchte, dass wir zusammenwachsen, gemeinsam. Einen perfekten Moment gibt es nicht, lass uns nicht auf ihn warten und ihn dann doch verpassen."
Wieder schluckte sie, es rührte sie. So viel hatte sich verändert. Natürlich hatte sie gehofft, dass sie irgendwann in ihrer Beziehung diesen Schritt gehen würden.
"Ich liebe dich auch.", flüsterte sie bewegt. "Und ja, ich finde die Idee zauberhaft." Jans Finger wanderte über ihr Schlüsselbein zu ihrem Hals.
"Das heißt, du bleibst bei mir?", wollte er schüchtern wissen.
Isabelle lachte leise.
"Weißt Du, Jan. Endlich hast du mich voll und ganz an dich rangelassen. Du hast gestern eine schwere Tür geöffnet und du hast mich dabei sein lassen. Es war nicht nur für dich wichtig, sondern auch für uns. Und wir werden zusammen daran arbeiten, dass die Narben auf deiner Seele heilen. Zum ersten Mal hast du mir das Gefühl gegeben, dass du Hilfe annehmen wirst und dass du mich dabei akzeptierst. Dafür danke ich dir." Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Jan schloss sie noch fester in seine Arme und fuhr mit einem Finger über ihre Lippen.
In diesem Augenblick war Isabelle einfach nur glücklich.
Es blieben ihnen nur wenige Tage, dieses Glück zu genießen.
Isabelle musste lernen, dass Jans Krankheit unberechenbar und das Schicksal ein mieser Verräter sein konnte.
An diesem Silvestermorgen aber, da glaubte sie felsenfest an die gemeinsame Zukunft.