Seine Wut war grenzenlos. Und sie hatte sich auf der ganzen Strecke nicht gelegt. Ahnungslos hatte sie die Tür geöffnet und er hatte ihr keine Chance gelassen.
Sie hatte noch versucht, ihn nicht hereinzulassen, aber er hatte seinen Fuß so schnell in den Spalt geschoben, dass sie nicht mehr reagieren konnte.
„Vergiss es“, fauchte er sie an und schob die Tür wieder auf. Sie machte einen Schritt zurück und starrte ihn ungläubig an. Mit einem Satz war Jan in der Wohnung. Wieder wich sie vor ihm zurück.
„Was willst du hier?“, fragte sie unschuldig.
Er spürte, wie er vor Zorn zu zittern begann. Langsam ballte er die Fäuste und kam auf sie zu. Nun war sie an die Wand gestoßen und konnte nicht weiter.
„Was ich hier will? Bist du bescheuert? Lass deine dreckigen Finger von meinem Kind“, stieß er hervor. Ihr eiskaltes Lächeln raubte ihm beinahe den Verstand.
„Hat sie gepetzt, deine kleine Kindergartentante?“, höhnte sie.
Kurz schloss Jan die Augen. Flüsterte sich zu, dass er sich nicht zusätzlich provozieren lassen durfte.
„Nochmal, lass den Jungen in Ruhe. Verpiss dich aus unserem Leben.“ Er sah von oben auf sie herab. Auf die Frau, die er einmal geliebt hatte. Die ihm das wertvollste im Leben geschenkt hatte, was er besaß. Seinen Sohn. Die ihm alles genommen hatte, was ihn ausgemacht hatte. Die für all seine Qual verantwortlich war. Jan konnte spüren, wie ihm das Blut zu Kopf stieg.
„Ich bin nun mal seine Mutter“, antwortete sie.
„Ein Dreck bist du“, fauchte er und schob sich näher an sie heran. Der Drang, ihr weh zu tun, wurde beinahe übermächtig. Diana legte eine Hand auf seine Brust und schob ihn etwas von sich. Die Berührung brannte wie Feuer. Erinnerungsfetzen drängten sich vor sein inneres Auge.
Wie sie auf ihm saß.
Stöhnend.
Er schüttelte den Kopf. Er wollte das jetzt nicht sehen. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog die Hand weg. Sein Griff war fest, er wusste, dass er ihr damit weh tat.
„Lass das“, beschwerte sie sich. Gleichzeitig versuchte sie, sich loszureißen. Jan verstärkte den Griff nochmals. Schwer atmend funkelte er sie dabei an.
„Warum sollte ich?“, fragte er leise. Mit einem spöttischen Lächeln sah sie ihn jetzt an.
„Ach, Jan. Alles leere Drohungen. Ich kenne dich.“
Abrupt ließ er sie los und ließ seine Faust neben ihrem Kopf an die Wand knallen.
„Verdammt, Diana!“, schrie er sie an. Sie schlüpfte an ihm vorbei und blieb an der Küchentür stehen. Ihr Blick wurde wieder härter.
„Hat es dir eigentlich gefallen, unser kleines Spiel neulich?“ Ihre Zunge fuhr über ihre Lippen. „Ich sagte doch, du willst mich“, ergänzte sie. Mit einem Schrei drehte sich Jan um, stieß mit einer fließenden Bewegung Gegenstände vom Garderobenschrank. Klirrend zerbrach eine Vase.
Dianas Grinsen nahm noch zu. „Gewalt, Jan, ist doch keine Lösung. Was wohl das Jugendamt dazu sagt, wenn die erfahren, wie jähzornig du bist?“
Mit zwei großen Schritt war er wieder bei ihr und nur mit viel Mühe konnte er sich beherrschen. Er öffnete seine Hände, die sich unwillkürlich wieder zu Fäusten geschlossen hatten. Er durfte sich nicht gehen lassen. Keinesfalls zuschlagen oder schlimmeres. Das war er David schuldig.
„Lass uns in Ruhe! Quäle Karsten, deine Eltern, deine Schwester. Aber lass uns einfach zufrieden. Gönne David die Chance, glücklich zu werden.“ Vielleicht nützte der Appell ja etwas, hoffte er. Wieder schlug ihre Stimmung um. Süffisant lächelte sie wieder und legte eine Hand auf seine Wange.
„Bist du dir sicher, dass du in Ruhe gelassen werden möchtest? Unser letzter Akt sprach da aber eine ganze andere Sprache.“ Ihr Finger glitten über seine Schultern, den Bauch und dann zu seinem Po. Jan hielt die Luft an. Alles an ihr verursachte ihm Übelkeit. Wieder schob er die Hand weg.
„Du weißt, dass das nicht stimmt“, raunte er. Diana sah ihm in die Augen.
„Ups. Habe ich das etwas missverstanden? Entschuldige.“
Ihr Tonfall war zuckersüß. Ihr Augenaufschlag drehte ihm den Magen herum.
„Du bist ein solches Biest“, flüsterte er heiser. Sie zuckte gelangweilt mit den Schultern.
„Dann habe ich das wohl falsch gedeutet. Komisch, wo du doch so erregt warst. Und so schnell gekommen bist.“
Jan konnte den bitteren Geschmack der Galle schon auf der Zunge spüren. Heftig atmete er ein und aus. Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
„Halt die Klappe!“, schrie er sie an. Doch wieder lachte sie nur.
„Was, wenn ich behaupte, du hättest dich an mir vergangen?“
Fassungslos hielt Jan in seiner Bewegung inne.
„Das wagst du nicht.“
Es war kaum mehr ein Flüstern, was ihm über die Lippen kam.
Sie zuckte die Schultern und lehnte sich an den Türrahmen, „Was glaubst du denn, wem man glauben wird?“ Ihr Blick glitt über seinen ganzen Körper.
„Und als Folge dessen habe ich mein Kind verloren, ist das nicht unsagbar traurig?“
Jan wurde schwindlig. Mit einer Hand stütze er sich an der Wand ab.
„Und stelle dir mal vor, ich würde das jemandem erzählen. Was wäre dann wohl mit deiner Pseudo-Karriere?“ Diana kostete ihren Triumph voll aus.
„Was willst du?“, fragte Jan mit zusammengebissenen Zähnen. Sie löste sich vom Türrahmen und kam auf ihn zu.
„Mein Kind!“, sagte sie bestimmt.
„Niemals“, antwortete Jan.
Sie fuhr ihm mit einem Finger über die Lippen. „Bist du da nicht was voreilig?“, meine sie. Harsch stieß er sie weg.
„Fass mich nicht an!“, brüllte er.
Ihr Schmunzeln steigerte seine Wut. Als sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, sah er rot. Im letzten Moment konnte er verhindern, dass er zuschlug. Stattdessen machte er einen Schritt in die Küche und sah sich um. Auf dem Esstisch standen zwei Gläser.
Jan griff danach und schleuderte eines neben Diana an die Wand. Nun zuckte sie zusammen.
„Lass mich in Ruhe! Lass den Kleinen in Ruhe!“, schrie Jan weiter und das zweite Glas folgt.
Diana flüchtete auf die Wendeltreppe, die vom Flur aus nach oben führte.
„Du hast sie doch nicht alle“, ließ sie verlauten. In Jan legte sich ein Schalter um. Wütend und mit lauten Schreien zerlegte er in der Küche, was er in die Finger bekam. Ob Geschirr, Möbel oder Deko. Völlig ausgepumpt stand er danach mitten im Raum. Nein, es war noch nicht gut. Von Diana war nichts mehr zu sehen oder zu hören.
„Wo steckst du?“, rief er und wandte sich dem Wohnzimmer zu.
„Karsten wird gleich hier sein!“, warnte sie ihn. Ihre Stimme kam von oben. Im Vorbeigehen stieß Jan Bilder von den Wänden. Wieder splitterte Glas und wieder erinnerte es ihn an den Moment, als er zerbrochen war. Er blieb am unteren Ende der Treppe stehen. Sehen konnte er sie nicht, vermutlich hatte sie sich verschanzt.
„Behalte deine dreckigen Lügen für dich. Du weißt genau, was passiert ist. Keine Ahnung, was du mit deinem Kind angestellt hast. Aber du weißt ganz genau, dass du David bedroht hast und das du dich an mir vergangen hast. Du hast mich gezwungen und erpresst. Gegen meinen ausdrücklichen Willen. Du hast mich vergewaltigt. Und wenn es nach mir geht, wirst du dafür büßen.“ Er hielt sich am Geländer fest. Er zitterte am ganzen Körper und hatte keine Ahnung, ob er das hier durchstehen würde. Wenn hm doch nur nichtso schwindlig wäre.
„Und wer soll dir das glauben? Lachhaft, Jan“, antwortete sie. Jan schloss die Augen und presste den Mund zusammen. „Keiner wird dir glauben. Meine Geschichte dagegen, da wäre ich an deiner Stelle vorsichtig. Läuft nicht so gut, im Moment, oder?“ Ihm war zum Heulen zumute, aber er durfte es hier nicht. Keinesfalls.
„Ich werde nicht zulassen, dass du ihn jemals wiedersiehst!“, schrie er wieder. „David hat nicht vergessen, dass du ihn eingesperrt hast. Wie oft du ihn im Stich gelassen hast.“ Leises Lachen kommentierte das Gesagte. Er musste weg. Raus hier.
„Was ist hier los?“, hörte er eine Stimme hinter sich. Unbemerkt hatte Karsten die Wohnung betreten. Jan schnellte herum.
„Schatz, endlich. Ich hatte solch eine Angst!“, rief Diana von oben. Ihr Tonfall hatte sich gänzlich verändert. Karsten behielt Jan im Auge und bewegte sich langsam auf ihn zu.
„Stimmt das, was dein Ex hier lautstark durchs Haus brüllt?“, fragte er scharf.
„Glaub ihm kein Wort. Er ist hier einfach aufgetaucht und hat mich bedroht.“
Hilflos tastete sich Jan an der Wand entlang. Karsten blieb stehen und betrachtete stumm das Chaos in der Küche. Dianas Gesicht erschien am oberen Treppenabsatz. Sie deutete auf die beiden Dellen an der Wand.
„Und er hat mich mit Geschirr beworfen.“
Nickend beobachtet Karsten Jan. Mit einem Finger befühlte er die Wand.
„Hat er dich angefasst?“, fragte er.
Jan hielt die Luft an. Ihm war auf einmal speiübel. Unbewusst schüttelte er den Kopf.
„Er hat mir fast die Hand gebrochen, aber sonst nicht, nein.“
Warum gehorchten ihm jetzt seine Beine nicht? Er musste hier weg. Es war ein dummer Fehler gewesen, überhaupt her zu kommen. Sein Mund war ganz trocken und er bekam kein Wort mehr heraus. Der Andere ließ seinen Blick wieder auf Jan ruhen.
„Möchtest du ihn anzeigen, Diana?“ Noch während er fragte, hatte er das Handy aus seiner Tasche genommen. Jan starrte ihn an.
„Ich habe diesen Sander angerufen, wie du gesagt hast“, informierte Karsten.
Vorsichtig kam Diana die Treppe herunter. Sie warf Jan einen schnellen Blick zu und fiel dann Karsten in die Arme.
„Man hat euch bis auf die Straße gehört“, sagte Karsten und streichelte ihr über den Rücken.
„Du bist widerwärtig. Der abstoßendste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Voller Lügen und Hass. Was hast du davon, wenn du mein Leben zerstörst?“, meldete sich Jan lautstark zu Wort.
Diana löste sich von Karsten und funkelte ihn an. Doch Karsten hielt sie zurück.
„Ihr beruhigt euch jetzt beide“, empfahl er.
„Er nimmt mir meinen Sohn weg!“, erzürnte sie sich.
„Pah, das ich nicht lache. Wann hat dich denn David interessiert? Er war dir immer eine Last und du hast ihn wie Dreck behandelt. Immer war er dir im Weg. Und jetzt, auf einmal, tauchst du wieder auf und erhebst Ansprüche? Woher der Sinneswandel? Darf ich dich daran erinnern, dass du ihn bei eurer letzten Begegnung eingesperrt hast? Dass du ihn alleine dort hast sitzen lassen, während er geweint hat? Damit du mich erpressen konntest? Weil du wusstest, dass ich alles für ihn tun würde.“
Jans Stimme brach und er konnte nicht verhindern, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen. „Warum hast du uns das angetan?“, fragte er leiser und ließ den Kopf hängen.
Karsten sah irritiert zwischen den Beiden hin und her.
„Vielleicht sollten wir das in Ruhe besprechen und so, dass die Nachbarn nicht jedes Wort mitbekommen“, schlug er vor.
„Er lügt“, zischte Diana.
Wieder ballte Jan die Fäuste. „Das macht keinen Sinn“, flüsterte er. Dann sah er erstmals Karsten direkt an. „So wahr ich hier stehe. Sie hat mich unzählige Male verletzt, aber an diesem Tag ist sie zu weit gegangen. Sie hat erbarmungslos meine Liebe zu meinem Sohn ausgenutzt. Den Kleinen verängstigt und benutzt. Mich vergewaltigt, seelisch wie körperlich. Ausgenutzt, erpresst und wissentlich zerstört. Das Kind, dafür sorge ich, wird sie nie wieder sehen.“
Langsam hatte sich Jan in Richtung Tür bewegt, nun hielt er die Klinke in der Hand. „Wage es also nicht, dich ihm zu näher.“ warnte er sie. Diana stand mit verschränkten Armen neben Karsten. Der wiederum wirkte sehr nachdenklich. Jan lächelte bitter.
„Ich habe dich heute morgen angezeigt. Das hätte ich viel früher tun sollen.“
Ohne nochmal zurückzusehen eilte er die Treppe herunter und verließ das Haus.
**
Jan war kalt.
In ihm war nur noch Müdigkeit.
Gleichzeitig war es in seinem Kopf unendlich laut.
Er hatte nicht gewusst wohin.
In der Kita war niemand mehr gewesen.
Auch in der Wohnung hatte er niemanden angetroffen.
Seine ganze Selbstbeherrschung hatte er bei Diana aufgebraucht.
Jeden Mut und alle Kraft in diese Begegnung gelegt.
Wie lange er herumgelaufen war?
Er wusste es nicht.
Die Wunde am Arm brannte.
In seinem Brustkorb schien kaum Platz zum Atmen zu sein.
Immer wieder blinzelte er Tränen weg.
Wie lange er hier schon saß?
Er konnte es nicht sagen.
Die Kälte kroch ihm unter die Haut.
Der leichte Regen hatte sein dünnes Shirt schon durchweicht.
Wann das Wetter umgeschlagen hatte?
Er hatte keine Ahnung.
Da war so viel Angst.
Was, wenn Diana mit ihrer Version der Geschichte durchkam?
Was, wenn sie David zurückbekam?
Er hielt den letzten Gedanken kaum aus.
Aber Wut, nein, Wut war da keine mehr.
Nur noch diese unsagbare Angst.
Davor, dass Diana gewann.
Dass er David verlieren könnte.
Dass er nicht gesund werden würde.
Angst, vor dem Scheitern.
Angst, vor dem Leben.
Und noch größere Angst vor dem, was er sich antat, wenn er nicht bei Sinnen war.
Was sollte er nur tun?