In den nächsten Tagen verbrachte Jan viel Zeit bei seiner Therapeutin. Die Gespräche halfen, dazu neue Medikamente. Ein engmaschiger Terminplan war aufgestellt worden und auch während der anstehenden Tour musste Jan sich regelmäßig melden.
Sein Hausarzt hatte ihm endlich die Bescheinigung für München ausgestellt und bei Alex lag nun der unterschriftsreife Vertrag. Dazu eine Liste mit Wohnungen in Theaternähe nebst Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Diana hatte sich zum Sorgerecht nicht mehr geäußert. Weiterhin schien sie darauf verzichten zu wollen. Die Nachricht, dass sie ihren Sohn gerne über das kommende Wochenende nehmen wollte, besprach Jan mit seinem Anwalt. Ihm zog sich schon der Magen zusammen, wenn er nur daran dachte. Aber es war ihm wichtig, für den Kleinen einen fairen Umgang zu finden. Hatte der Junge nicht ein Anrecht auf Papa UND Mama? Auch wenn er und Diana kein Paar mehr waren?
Außerdem musste er sich mit den Konzerten beschäftigen, ein paar Texte lernen, zwei Klavierproben hatte er eingeschoben und für einen vollen Probetag mit allen Solisten galt es David unterzubringen. Hier bot sich Jule an, die ihr Patenkind vermisste.
Auch seine Eltern versuchte Jan auf dem Laufenden zu halten, so gut es nur eben ging. Er spürte, das sich besonders seine Mutter immer noch große Sorgen machte. Verdenken konnte er es ihr nicht. Noch immer schämte er sich für das, was er beinahe getan hätte.
Sein größtes Glück in diesen Tagen war Isabelle.
Die ihn einfach nahm, wie er war und sich nicht abgewandt hatte.
In jener Nacht hatten sie sich zärtlich geliebt, immer wieder. Jan hatte sie gar nicht mehr loslassen wollen. Die ganze Geschichte um Anna hatte ihn sehr aufgewühlt. Warum tat das alles so weh?
Isabelle hatte ihm zudem ein paar Versprechungen abgerungen. Er dachte an ihre blauen Augen, die so liebevoll auf ihm geruht hatten. Wie verlockend ihre Küsse geschmeckt und wie intensiv sie sich ihm hingegeben hatte. Sie hatte gesagt, dass sie sich verliebt hatte. Sie würde ihn nicht verlassen. Jan wünschte sich so sehr, dass er ihr all das irgendwann würde zurückgeben können. Außerdem hatte sie gesagt, dass sie es als Paar versuchen wollte. Keine Rede mehr davon, dass sie erstmal sehen wollte, wohin sie dies alles führen würde. Aus ihrem Mund hatte das alles so selbstverständlich geklungen. Kurz dachte er an die Anfangszeit mit Diana. Das ganze Hin und Her.
Er sah zur Uhr, streckte sich auf dem Sofa aus.
Freitagabend.
Diana hatte am Nachmittag David von der Kita abgeholt. Jan war dabei geblieben und hatte genau auf Davids Reaktionen geachtet. Diana hatte versöhnlich gewirkt und auf ihn den Eindruck gemacht, dass sie sich um einen neutralen Umgangston bemühen wollte. David hatte alles skeptisch beobachtet, war dann aber anstandslos mitgegangen. Verbunden mit dem Versprechen, dass Jan ihn sofort abholen würde, sollte er nicht bleiben wollen. Das war der Deal mit Diana.
Jetzt war es in der Wohnung ungewohnt ruhig.
Jan hatte sich ein wenig auf die Texte konzentriert und war offenbar dabei eingeschlafen. Die Medikamente machten unheimlich müde, ließen ihn aber in der Regel gut schlafen. Jetzt aber wurde er wach, weil Isabelle ihn sanft auf die Nase geküsst hatte. Verschlafen sah er sie an und zog sie zu sich.
"Mein Schöne", murmelte er. Isabelle musste kichern.
"Ich habe uns Pizza, einen billigen Rotwein und zwei alte Filme mitgebracht. Beide zum Lachen. Ein gemütlicher Abend schadet uns heute nicht."
Sie verbrachten diesen harmonisch kuschelnd auf der Couch. Jan schlief nach dem ersten Film wieder ein. Von dem Wein hatte er nur wenig probiert. Sein Kopf lag in ihrem Schoss und sie streichelte ihm durchs Haar. Mehrfach hatte er im Halbschlaf nachgefragt, ob sie denn auch wirklich bleiben würde.
Früher am Abend hatten sie vereinbart, dass sie am Samstag zu ihr fahren würden, da sie die Katzen nicht schon wieder alleine lassen wollte. Zudem hatte Isabelle mit Jule gesprochen und sie waren zum Essen in der Stadt verabredet. Von ihrer Wohnung aus war das deutlich näher.
Sie hatte keine Ahnung, wie viel Jan Jule erzählt hatte. Letztere war ein paar Tage beruflich nicht in der Stadt gewesen. Aber aus ihrer Sicht brauchte er dringend Ablenkung und sollte nicht nur zu Hause herumsitzen. Ausgehen, dazu mit Freunden, die ihm wichtig waren, war da keinesfalls ein Fehler. Und am Sonntag, er hatte sie fast etwas schüchtern gefragt, würde sie ihn ins Theater begleiten. Am Nachmittag stand die letzte Vorstellung der Produktion an und Jan musste sich dort blicken lassen.
Ja, sie freute sich darauf. Auch darüber, dass er sie dabei haben und seinem Manager und längstem Freund vorstellen wollte. Es fühlte sich alles richtig an. Sie sah zu ihm herunter, im Schlaf hatte er seine Arme um sie geschlungen und hielt sie fest.
Sie ließ ihn am Samstag lange schlafen. Mit einem guten Buch und einem Kaffee hatte sie es sich im Lesesessel bequem gemacht. Der Tag draußen war grau und ungemütlich. Erst kurz nach 11 stand Jan verschlafen in der Tür.
"Guten Morgen", begrüßte sie ihn. Er kam auf sie zu und gab ihr einen Kuss, als sie aufstand und ihn in den Arm nahm.
"Es war so still als ich wach wurde. Einen Moment dachte ich, du wärst weg", murmelte er ihr dann ins Ohr.
"Dummkopf", schimpfte sie lachend und wuschelte ihm durch die Haare. Er lächelte und küsste sie wieder.
"Frühstück?", fragte er dann. Isabelle nickte.
"Ich war Brötchen holen und habe nur auf meinen Langschläfer gewartet. Wenn Du magst, dann geh duschen, ich mache den Rest", bot sie an und wollte Richtung Küche gehen. Doch Jan hielt sie zurück und zog sie an sich.
"Du bist wunderbar, das wollte ich dir unbedingt sagen." Sanft küsste er sie wieder.
Das Wochenende tat ihm gut. Mit Jule und Tom verbrachten sie einen entspannten Abend bei einem Thailänder. Nicht nur, dass sich seine Freunde und Isabelle auf Anhieb gut verstanden. Nein, Jule eröffnete ihm überglücklich, dass sie schwanger war. Wie sehr er sich für sie freute. Immer schon hatte sie sich Kinder gewünscht. Schon in der Zeit, als er mit ihr zusammen gewesen war, hatte sie davon geträumt. Dass sie dann so lange hatte darauf warten müssen und es einfach nicht hatte klappen wollen mit Tom, hatte sie zwischenzeitlich sehr belastet. Und auch Tom strahlte über das ganze Gesicht.
Am Sonntagnachmittag konnte er Isabelle dann auch endlich Alex und Heike vorstellen. Auch hier passte die Chemie sofort. Das half ihm darüber hinweg, dass er sich seine eigentliche Derniere jetzt aus dem Publikum ansehen musste. Isabelle drückte hier und da seine Hand, lächelte ihm verstohlen zu und scherzte in der Pause mit Heike. Was ein Unterschied zur Zeit mit Diana. Sanders hatten es wirklich mehrfach versucht. Auch dann schon, als der Rest der Freunde schon aufgegeben hatte. Aber auch sie waren mit Diana nie warm geworden.
Auf dem Rückweg, so hatten sie es mit Jans Exfreundin vereinbart, wollten sie David abholen. Erstmals stand Jan also vor dem Loft, das Karsten bewohnte.
Als Diana die Tür öffnete und Jan begrüßte, kam David prompt auf ihn zugelaufen,
"Papa!", rief er freudig.
"Hallo mein Räuber!" Jan nahm den Jungen auf den Arm und gab ihm einen Kuss. "Bist du fertig?", fragte Jan seinen Sohn, der daraufhin eifrig nickte.
"Noch einen Moment", meinte dann Diana.
"Dein Vater und ich müssen noch was besprechen." Erstaunt sah Jan sie an und ließ den Kleinen runter. "Schau doch mal nach, ob Karsten mit deiner Tasche fertig ist", schlug Diana vor und wartete, bis David außer Hörweite war. Dann sah sie Jan an.
"Wann wolltest du mir das eigentlich sagen?", fragte sie dann mit einem vorwurfsvollen Unterton. Jan, der keine Ahnung hatte von was sie sprach, zuckte mit den Schultern.
"Was meinst du bitte?", fragte er daher nach. Sie lächelte spöttisch. Wieder fiel ihm auf, wie fertig seine Exfreundin aussah. Wie schon Freitag in der Kita.
"Na, von deiner Affäre. Wie lang geht das denn schon? Hat sie ein gutes Wort für dich beim Jugendamt eingelegt?", bombardierte ihn Diana.
Jan schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Er wusste, er durfte sich jetzt nicht provozieren lassen. Vor allem wollte er eine lautstarke Auseinandersetzung vor David vermeiden.
"Okay. Zum einen ist das keine Affäre. Zum anderen hat meine Beziehung zu Isabelle nichts mit der Entscheidung des Jugendamts zu tun. Wärst du zu dem Termin erschienen, wüsstest du das." Es kostete ihn viel Mühe ruhig zu bleiben, da Dianas eisige Blicke ihn irritierten.
"Da hast du dich ja schnell getröstet", sagte sie zynisch. "Von wegen große Liebe und so." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Jan seufzte.
"Du bist gegangen, nicht ich. Bis zu diesem Tag hätte ich alles für uns getan. Und das weißt du." Er spähte in Davids Richtung, der im offenen Wohnbereich seine letzten Spielzeuge mit Karstens Hilfe in der Tasche verstaute. Langsam machte er einen Schritt auf Diana zu.
"Lassen wir das Diana. Lass uns vernünftig miteinander umgehen. Das ist wichtig für David", bat er. Abschätzig sah sie ihn an.
"Woher weißt du es überhaupt?", fragte er dann. Diana deutete Richtung David.
"Er hat von ihr erzählt und als ich nachgefragt habe, hat er mir verraten, dass sie oft bei dir übernachtet."
Irgendwie wirkte sie jetzt nicht mehr wütend, nur noch erschöpft.
"Er hat sie gern", bemerkte sie dann leise.
"Diana, das mit Isabelle war nicht geplant. Es ist einfach passiert. Und ja, sie kommt klasse mit ihm zurecht." Versöhnlich sah er sie an.
"Wie war denn das Wochenende?", fragte er dann. David kam wieder angelaufen.
"Es war okay, am Freitag war er sehr zurückhaltend uns gegenüber. Die Nacht war ein wenig stressig. Gestern habe ich mit ihm einen Ausflug mit ihm gemacht; meine Eltern waren auch mit. Er hat dann ganz gut geschlafen. Naja, und heute wollte er dann wieder nach Hause." Sie seufzte. David zog Jan am Ärmel.
"Wir haben Kinderpunsch getrunken", erzählte er mit leuchtenden Augen. "Und den Nikolaus gesehen." Jan strich ihm durchs Haar. Diana nickte.
"Wir waren auf dem kleinen Weihnachtsmarkt am Schloss. Das hat ihm gefallen." Karsten brachte die Tasche und begrüßte Jan nur mit einem knappen Nicken. Dann ging er die Wendeltreppe nach oben. Dabei warf er Diana einen seltsamen Blick zu. Jan blieb eine gewissen Spannung zwischen dem Paar nicht verborgen. Diana holte Schuhe und Jacke des Jungen. Während der Kleine noch von all den schönen Dinge auf dem Weihnachtsmarkt erzählte, half ihm Jan beim Anziehen. Dann sah er Diana an, gleichzeitig zog er David die Jacke an. Schal und Mütze hielt er in der Hand.
"Okay, dann sprechen wir die Tage?" Sie nickte und gab David einen Abschiedskuss.
"Ja, wir fliegen aber vor Weihnachten noch nach New York. Verstehe das bitte nicht falsch, aber ob ich ihn nochmal ein ganzes Wochenende nehmen kann, weiß ich nicht." Sie sah ihn dabei nicht an. Jan schüttelte den Kopf.
"Was ich dazu sage ist ja das eine, Diana Viel wichtiger ist doch, wie sich das auf David auswirkt." Er seufzte. "Überlege dir, ob du ihn jetzt unter der Woche noch mal eine Nacht nehmen möchtest. Ab Freitag bin ich auf Tour. Und David kommt mit." Er zögerte. "Außerdem sind wir Weihnachten bei meinen Eltern", eröffnete er ihr. Doch entgegen seiner Erwartung, blieb sie ruhig. Wieder sah sie aber an ihm vorbei.
"Wir kommen erst nach Neujahr aus New York zurück", meinte sie kleinlaut. Er nickte. Zumindest würde es dadurch keinen weiteren Streit geben.
"Und sein Geburtstag? An dem Tag haben wir spielfrei und sind in der Stadt."
Diana nickte. "Ich versuche es Jan, versprochen" Sie senkte den Blick. David zog Jan am Ärmel. Er wollte los. Jan bedachte seine Exfreundin mit einem langen Blick, dann verließ er mit David an der Hand die Wohnung.
Die Probe mit den Kollegen war anstrengender als Jan im Vorfeld gedacht hatte. Ihm wurde deutlich bewusst, dass er weit weg von seiner Bestform war. Beim zweiten Durchlauf musste er sich schon arg konzentrieren. Die vier Kollegen wussten nur, dass er krank gewesen war und daher sein Engagement abgekürzt hatte. Nur einer der beiden Damen hatte Jan etwas mehr erzählt, er und Gina hatten einst eine Affäre unterhalten. Nur ein paar Wochen, nichts ernstes, was beiden immer bewusst gewesen war. Inständig hatte er auch Alex gebeten, nichts von den privaten Katastrophen oder gar seiner psychischen Labilität zu erwähnen. Es wurde einfach zu viel geredet in diesem Business. Die Konzerte würden ihm ganz bestimmt helfen, wieder Tritt zu fassen. Die Texte saßen, stimmlich hatte er noch viel Luft nach oben. Letzteres war durchaus in den Duetten mit den Kolleginnen aufgefallen. Doch Jan war Profi genug, um sich jetzt nicht verrückt zu machen. Nach dem gemeinsamen Abendessen, das den Tag abrundete, begleitete Jan Gina noch ein Stück. Ihr Bruder wollte sie am Bahnhof abholen und ein Spaziergang an der frischen Luft war genau das, was Jan nach dem langen Tag nun brauchte.
Er bot ihr den Arm an und sie hakte sich unter. Erst gingen sie schweigsam, dann musterte Gina ihn.
"Schaffst du die Tour?", wollte sie dann von ihm wissen. Wie so oft war sie einfach geradeheraus. Jan legte den Kopf leicht schief, ehe er antwortete.
"Ich denke ja. Gut, natürlich war das heute noch ausbaufähig, aber ich werde die Tage nochmal mit Maja proben können." Alex hatte schon organisiert, dass Jan weitere Probezeit mit Klavierbegleitung bekam.
"Und mit dem Kleinen? Wie läuft es?" Er wusste, bei Gina war es nicht die pure Neugier, sie war ehrlich interessiert.
"Natürlich ist es eine enorme Umgewöhnung. Überall muss ich ihn einplanen oder zumindest unterbringen", gab Jan zu. "Aber er gibt es mir mit seiner bedingungslosen Liebe echt 100-fach zurück."
Gina sah ein entspanntes Lächeln auf Jans Gesicht.
"Außerdem gibt es da jemanden", sagte er dann nach einer kurzen Pause. Während sie an einer Ampel warten musste, erzählte er weiter. "Das könnte was werden, Gina. Sofern ich es nicht kaputt mache." Ärgerlich zog sie ihre Nasse kraus.
"Du musst echt an deinem Selbstbewusstsein arbeiten, mein Lieber. Wie oft habe ich dir jetzt schon gesagt, dass dazu zwei gehören?" Unwirsch schüttelte sie den Kopf. "Und lass dir von Diana ja nicht einreden, dass sie keine andere Wahl gehabt hätte als sich von dir zu trennen. Die hatte sie. Und zwar bevor sie dich betrogen hat. Gut, du hättest damals auf deine Freunde hören und erst gar nichts mit ihr anfangen können, aber das ist nun mal nicht zu ändern."
Er nickte ergeben. Auf der anderen Seite würde es David dann heute nicht geben. Und das konnte er sich irgendwie auch nicht mehr vorstellen.
"Also, dann will ich jetzt alles über die neue Frau in deinem Leben wissen", wechselte Gina das Thema. Sie überquerten sie Straße und näherten sich langsam dem Bahnhof. Und Jan erzählte ihr von Isabelle.
Zwischendurch schmunzelte Gina immer wieder. Als sie an ihrem Ziel angekommen waren, ließ Gina ihren alten Freund los und stellte sich vor ihn. Dann sah sie ihn an und grinste.
"Du bist verliebt"
Sie fragte nicht, sie stellte es fest. War er das? Er hatte sich die Frage auch schon gestellt. Gina drückte ihn.
"Denk nicht so viel darüber nach. Genieße es, du hast es dir verdient." Dann drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange. Auch er umarmte sie.
"Danke", sagte er leise. "Es war schön dich zu sehen." Langsam hielt ein Auto am Gehsteig und hupte. Jan erkannte Ginas Bruder, der ihnen beide zuwinkte.
"Dann bis Freitag", meinte er.
"Bis Freitag!" Lachend ging sie ein, zwei Schritte, drehte sich dann um.
"Jan, lass es einfach mal zu, hörst du!" Dann ging sie weiter und stieg ins Auto.