Hinweis: die kursiv gedruckten Zeilen stammen aus dem deutschen Libretto "Rebecca" aus der Feder von Michael Kunze und Sylvester Levay (Auszüge aus Kein Lächeln war je so kalt)
Es war eine Gratwanderung.
Für Jan fühlte es sich an, als würde er auf einem Drahtseil entlang spazieren. Ohne Auffangnetz, ohne doppelten Boden.
Obwohl Isabelle und er sich zusammengerauft hatten, verschwanden keine Albträume oder Panikattacken. All seine Kraft und Energie bündelte er in die Proben. Abends war er erschöpft, aber er fand wenig Ruhe. Erholsamer Schlaf Fehlanzeige. Dazu David, der sich weigerte in seinem Bett zu schlafen und in der Tagesbetreuung trotzte. Nochmal konnte Jan den Arzt zu einem Rezept überreden. Alex war da gewesen und hatte sich einen Eindruck verschafft. Dabei hatte er Jan mit der Tatsache konfrontiert, dass er für die Herbstsaison Probleme sah. Er sprach es nicht aus, aber Jan begriff, dass diese Premiere wichtiger für ihn war, als er vermutlich ahnte. Erstmals hatte Robert in dieser Woche ungehalten reagiert. Die Mischung aus einem latent überforderten Hauptdarsteller, dessen quengeligem Kind auf der Probebühne und die fortschreitende Zeit tat ihr Übriges. Für Jan fühlte sich das Mittagessen mit Alex und dem Regisseur wie ein kleiner Krisengipfel an. Technisch, das hatte Robert betont, hatte er nichts zu kritisieren. Die zusätzlichen Einheiten mit dem musikalischen Leiter hatten sich ausgezahlt. Grundsätzlich war sein Schauspiel solide. Doch Robert erwartete mehr. Und Jan konnte einfach nicht loslassen. Die Auseinandersetzung mit der Rolle triggerte sein Unterbewusstsein. Manchmal fiel es ihm schwer, seine echtes und sein fiktives Leben auseinander zu halten. Bevor Alex München verließ, appellierte er als Freund an ihn. Bot ihm ein offenes Ohr sowie jegliche Unterstützung an.
An diesem Abend griff Jan zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder zu Zigaretten. David übernachtete bei Gina, die als Babysitterin eingesprungen war. Im Apartment war es zu still. Unruhig war Jan durch das Wohnzimmer getigert und hatte sich schlussendlich auf den Balkon verzogen. Isabelle war mit einer Freundin im Kino. Er wartete sehnsüchtig darauf, dass sie endlich anrief. Noch zwei Nächte ohne sie. Er hoffte so sehr, dass er an ihrer Seite etwas besser schlafen würde. Wie gut es dann tat, ihre Stimme zu hören. Sie erzählte voller Begeisterung von dem Film. Dem Grunde nach war es Jan egal, was sie sagte. Hauptsache sie hörte nicht auf zu reden. Trotz zweier Tabletten warf er sich anschließend stundenlang von links nach rechts und kam erst in der Dämmerung ein bisschen zur Ruhe. Doch erbarmungslos holte ihn der Wecker kurz vor Neun in den Tag. Mit Kopfschmerzen verließ Jan die Wohnung und traf wie an fast jedem Morgen an der nächsten Ecke auf Ariane und Gina, die David dabei hatten. Der Kleine begrüßte ihn freudig und erzählte aufgeregt, dass Gina ihm abends Gespenstergeschichten erzählt hatte. Schmunzelnd beteuerte die Italienerin, dass diese natürlich harmlos gewesen waren. Der Kurze griff schon wieder nach ihrer Hand und während die beiden etwas zügiger voran gingen, folgte Jan mit Ariane langsamer. Es war die Ältere, die das Schweigen durchbrach.
"Was war da gestern los?", fragte sie vorsichtig und spielte auf die Probe an. Jan war zunehmend unkonzentriert gewesen. Gegen Ende hatte er mit einer jungen Kollegin sein Duett geprobt. Jan hatte gefühlt alles gegeben und sich darauf eingelassen, doch er hatte wieder so viele eigene Bilder in den Kopf bekommen. Umso tiefer er in die Rolle vordrang, umso schwieriger wurde es. Die Gefühle, die in ihm tobten, konnte er schlecht kontrollieren. Da er in Gegenwart der Kollegen keine Schwäche zeigen wollte, hatte er es anders kanalisiert. Er war unglaublich wütend geworden. Auf sich selbst hauptsächlich. Als Robert ihn daraufhin etwas kritisiert hatte, war Jan laut geworden. Später hatte er sich entschuldigt, aber die Probe war gelaufen gewesen.
Jetzt schüttelte er den Kopf und dachte mit Unbehagen daran, dass es noch Szenen gab, vor denen er einen Heidenrespekt hatte. Jede körperliche Annäherung versetzte ihn in Panik. Wie er es in den nächsten zehn Tagen schaffen sollte, mit Femke ein Liebespaar zu geben, war ihm ein Rätsel. Mit Robert und Alex hatte er am Vortag vereinbart, dass er mit Robert intensiv am Schauspiel arbeiten sollte. Die wenigen Lücken im Probenplan waren für Jan somit auch gefüllt. Der freie Samstagnachmittag verkürzt und nur der Sonntag blieb ihm zum Durchatmen.
Ariane musterte ihn von der Seite, als sie auf den Innenhof des Theaters abbogen. Gina stand schon an der Bühneneingangstür und David drehte sich ungeduldig zu seinem Vater um. Ariane hielt Jan zurück.
"Jan, warte noch einen Moment", bat sie ihn. Überrascht blieb er stehen.
"Es tut mir leid und ich weiß, dass ich Femke erschreckt habe. Wird nicht wieder vorkommen", meinte er schnell.
Doch Ariane schüttelte den Kopf.
"Das meine ich nicht. Ich wollte dir anbieten, dass ich dir gerne zuhöre, falls dir was auf der Seele brennt. Du weißt, dass ich selbst vor einigen Jahren an meine Grenzen gekommen bin. Ich habe Augen im Kopf, Jan. Ich erkenne gewisse Muster durchaus wieder." Weiter ließ er sie nicht kommen. Er wandte sich schnell ab und beschleunigte seine Schritte. Dabei atmete er tief durch.
Nun war also auch die Kollegin hellhörig geworden. Er musste dringend daran arbeiten, dass er sich wieder in den Griff bekam. Irgendwie musste er Diana und das, was sie getan hatte, aus seinem Kopf bekommen. Es war wie ein Kartenhaus und Jan hatte Angst, dass es beim nächsten Lufthauch zusammenbrechen würde.
Das miese Gefühl war dann einfach da. Von einer Sekunde auf die andere hatte es Jan fest im Griff. Es kroch in ihn und legte sich wie ein Schleier um sein Herz. Er fühlte sich mit einem Mal unsagbar hilflos, traurig und unzufrieden zugleich. Mit voller Wucht drückte es auf sein Gemüt.
Genervt versuchte er es zu ignorieren, aber gegen Mittag wusste er, dass es nicht verschwinden würde. Egal was er tat. Am Liebsten hätte er das Theater einfach verlassen und wäre in die Wohnung gegangen. Sein Bett erschien ihm einfach zu verlockend. Einfach da liegen und das ganze Potpourrie an Gefühlen zu lassen. Robert entließ das Ensemble gerade in eine Kaffeepause und rief anschließend Jan zu sich. Geduldig wartete der Regisseur ab, bis alle den Raum verlassen hatten und deutete dann auf einen Stuhl vor der Probebühne.
"Setz dich mal", bat er Jan freundlich und zog sich einen weiteren Stuhl heran. Ruhig musterte er den langjährigen Weggefährten. Jan blinzelte und versuchte zu ignorieren, was da in ihm tobte. Er wollte unbedint vermeiden, dass der die Fassung verlot.
"Jan, hast du darüber nachgedacht, wie wir deine Rolle nachher nochmal durchsprechen? Das hier eben war ein schönes Beispiel. Deine Anlage ist gut, deine Ausarbeitung aus der Vorbereitung sehr passend und entspricht sehr meiner Wunschvorstellung. Aber deine Umsetzung ist leider fahrig."
Kommentarlos und ohne eine Miene zu verziehen sah Jan Robert an. Der nahm das Libretto in die Hand und blätterte darin. Er schlug die Szene auf, die sie mehrfach geprobt hatten an diesem Vormittag. Morgen schon sollte der erste Durchlauf sein, eine Kostümanprobe war angesetzt und Jule würde zum Team stoßen. Roberts Blick ruhte fest auf Jan.
"Astrid wird nachher mit dir da nochmal einsteigen. Ich weiß, dass du das kannst. Wir haben aber nicht mehr viel Zeit."
Robert lächelte ihn an und Jan konnte sehen, dass er kurz davor war, tiefer nachzubohren. Eine Welle der Panik erfasste ihn.
"Ich bekomm das hin", murmelte er daher schnell.
Endlich an der frischen Luft. Die meisten Kollegen saßen vor der Kantine in der milden Märzsonne. Jan hatte sich in den Innenhof verzogen und ließ sich auf eine der Bänke dort fallen. Er hasste dieses Gefühl in sich. Wie ein großer Stein, der sich auf sein Herz legte. In der Tat hatte er beinahe das Gefühl nicht atmen zu können und von innen zu verbrennen. Er wollte weg, einfach seine Ruhe haben. Sich alleine verkriechen und darauf warten, dass es ihn wieder los ließ. Der Tag würde länger werden als er befürchtet hatte und schon jetzt saß die Müdigkeit wie ein Stachel in ihm. Er hatte keine Wahl. Er musste zurück und seine Arbeit machen, so schwer es heute auch war.
Sie steckten fest, kamen dann langsam in eine ordentliche Dynamik und gegen Ende der szenischen Probe mit allen Beteiligten klatschte Robert Beifall. Und entließ den Großteil des Ensembles in einen vorgezogenen Feierabend.
Jan dagegen betrat mit einem heftigen Ziehen in der Magengegend den kleinen Raum, in dem er sich normalerweise einsang. Astrid, Roberts Assistentin, hatte ihn dort hin bestellt, damit sie eine besonders anspruchsvolle Stelle gemeinsam durcharbeiten konnten. Nur er und sie. Verbunden mit der Hoffnung, dass Jan hier und heute einen Weg fand. Sie besprachen die Szene, Astrid begleitete ihn dann nur auf dem Klavier. Verlangte, dass er sich einließ und solo spielte. Und dann war es ein Stichwort, dass ihn stolpern ließ. Astrid las den Text vor und Jan zog es die Füße weg
Ich weiß, sie lässt dich niemals los. Du liebst sie zu sehr
Urplötzlich sah Jan Isabelle vor sich, die ihn traurig anblickte. Sein Herz zog sich zusammen. Er wollte mit ihr glücklich sein.
Sie lieben.
Ihr all das zurückgeben, was sie ihm schon gegeben hatte.
Bedingungslos.
Er reagierte mechanisch mit seinem Text, stieß ihn wütend hervor und dachte zeitgleich an Diana. Da war nur noch blanker Hass.
....durch und durch verdorben. Zur Liebe war sie gar nicht fähig.....
Nein. Diana wusste vermutlich nicht einmal, was lieben bedeutete. Immer nur hatte sie ihren eigenen Vorteil im Kopf gehabt. Und was sie nicht haben konnte, durfte auch niemannd anderes haben.
.....kein Lächeln war je so kalt, es nahm mir den Verstand. Vielleicht vergess ich ihr Gesicht, jedoch ihr Lächeln vergess ich nicht........
Niemals würde er diese Fratze vergessen, dieses hämische Lachen. Es hatte sich tief in seiner Seele eingebrannt und er wollte es so gerne vergessen. Wie eine hässliche Clownsmaske tauchte es jedoch immer wieder vor seinem inneren Auge auf.
Ja, sie hatte gewusst, wie sie ihn erpressen konnte. Hatte ihn an seinem wundesten Punkt erwischt und es eiskalt ausgenutzt. Und noch nicht einmal, weil sie sich persönlich etwas davon versprach, sondern ausschließlich weil sie ihn zerstören wollte. Natürlich kannte sie ihn gut genug um zu wissen, dass er schweigen und daran zerbrechen würde.
Er brachte den Gesang mit viel Wut im Bauch zu Ende und Astrid führte ihn zurück in den Dialog.
....Mich an Rebecca erinnern? Mein Gott, als ob das nötig wäre......
Er sah Diana überall. Im Spiegel lachte sie ihm dreist über die Schulter. Des Nachts konnte er ihre Anwesenheit permanent spüren und er sah sie in seinem Sohn. Tag für Tag. Nochmal straffte er die Schultern. Sang den letzten Part, beschrieb die Tat seiner Rolle und konnte jenen so gut verstehen.
....Sie hat mich besiegt, sie gewinnt noch im Tod. Kein Lächeln war je so kalt.....
Heftig atmend sank er in sich zusammen. Ja, sie hatte gesiegt. Es gab für ihn keinen Ausweg. Astrid sprach in die Stille ihre nächsten Zeilen und Jan spielte die Szene automatisiert zu Ende. Nach dem letzten Ton ließ er sich auf den Boden gleiten und schlug die Hände vor sein Gesicht. Er hatt gar nicht bemerkt, das ihm die Tränen liefen, bis Astrid ihn ansprach. Sie wollte wissen, was er hatte.
Jan schüttelte den Kopf. Weg, er wollte nur noch weg. Nun war es auch egal, sollten sie ihn rauswerfen. Doch Astrid räusperte sich nur kurz und schlug eine kleine Pause vor. Eilig flüchtete Jan aus dem Raum und eilte zum Innenhof. Doch dort saßen noch Kollegen. Hektisch änderte er die Richtung und verkroch sich in einer Nische. Mit zitternden Händen zündete er sich eine Zigarette an und zog gierig daran. Nach den ersten beiden Zügen entspannte er sich. Vielleicht sollte er das Engagement hinwerfen. So weit er das beurteilen konnte, machte die Zweitbesetzung einen guten Job und könnte einspringen, bis Robert einen Ersatz gefunden hatte. Er drückte die Zigarette aus und traf eine Entscheidung.