Karnas wich dem Hieb seines Gegners geschickt aus und holte zum Konter aus. Sein Schild prallte gegen den nackten Oberkörper seines Kontrahenten und stieß ihn zurück.
Gerne hätte Karnas nachgesetzt, doch sein Körper fühlte sich von Sekunde zu Sekunde schwächer an. Er wusste, irgendjemand musste ihm etwas in sein Essen gemischt haben. Seine Sicht verschwamm langsam, seine Beine zitterten, und auch in seinen Armen hatte er nicht mehr die gewohnte Kraft.
Sein Gegner fing sich wieder und lachte laut. „Na, was ist los, oh großer Krieger? Ich hab mehr von dir erwartet!“
Auch seine Anhänger lachten Karnas aus, doch er versuchte, sich nicht darauf zu konzentrieren. Er brauchte seine gesamte Konzentration für sich, denn nur sein Wille hielt ihn gerade auf den Beinen.
Mit einer schnellen Bewegung wischte er sich den Schweiß von der Stirn, und auch sein Blut, welches aus einer Schnittverletzung langsam in sein Auge zu laufen drohte. Der Schnitt alleine brannte wie die Hölle.
Grimmig fasste er den Griff seines Schwertes fester und stürmte mit einem lauten Brüllen, welches ihn selbst antreiben sollte, auf seinen Gegner zu. Schlag um Schlag ließ er folgen, in der Hoffnung, seinen Gegner an den Abgrund zu drängen, der die Arena der beiden Kämpfenden eingrenzte.
In Gedanken war er bei seiner Familie. Er hätte sich niemals auf den Kampf einlassen sollen, aber sein Herr hatte es ihm befohlen. Hätte er sich geweigert, wäre er schon längst durch das Schwert seines Herrn gestorben.
„Du solltest lieber aufgeben, Wurm!“, rief sein Gegner und trat Karnas so fest gegen die Brust, dass er zurückgeworfen wurde. Ein brennendes Stechen fuhr durch seine Brust. Irgendwas in seiner Brust war verletzt, keuchend lag er auf dem Boden und versuchte seine Fassung wiederzugewinnen.
Nur mit Mühe schaffte er es, sich auf die Seite zu drehen und dann mit den Armen aufzustemmen. Schweiß und Blut rannen ihm unaufhörlich den geschundenen Körper herab, tropften auf den Boden unter ihm. In seinem Kopf drehte sich alles.
Ich darf nicht verlieren. Ich darf nicht verlieren. Das war das Einzige, an das er gerade denken konnte.
Dieser Kampf konnte den Ausgang des Krieges entscheiden. Da beide Reiche sich ebenbürtig waren, was die Truppenstärke anbelangte, wurde entschieden, die zwei besten Kämpfer der jeweiligen Reiche gegeneinander antreten zu lassen.
Jetzt fragte er sich, warum niemand damit gerechnet hatte, dass der Gegner auf die Idee gekommen war, ihn zu vergiften. Es war einfach nur logisch. Und wen würde es am Ende interessieren? Wichtig war nur, wer gewinnen würde. Wie, das war egal.
Vor seinem inneren Auge sah er seine Frau und seine Kinder. Sicherlich waren sie krank vor Sorge um ihn. Er war hunderte Kilometer von Zuhause entfernt, um für einen Herrn, der nichts auf das Leben seiner Soldaten gab, einen Krieg zu gewinnen. Er alleine, von ihm hing alles ab.
Schnaufend stemmte er sich auf die Beine und brauchte einen Moment um seine Haltung zu finden.
„Hast du noch immer nicht genug?“, hörte er seinen Gegner hämisch fragen.
Dieser Klotz war ein Berg von einem Mann, und bisher waren alle Angriffe gegen ihn im Sande verlaufen. Da hätte er genau so gut mit einem Stock auf einen Stein einschlagen können.
Karnas entschied sich, mit einem Schnaufen zu antworten. Er wollte den Äußerungen seines Gegners, den Sticheleien und dem Hohn, keine Beachtung schenken. Und außerdem würde er in seinem Zustand sowieso keinen ganzen Satz zustande bringen.
Sein Gegner lachte laut auf. „Du willst ein großer Kämpfer sein? Dass ich nicht lache!“
Die Gefolgsleute des Hühnen stimmten mit in das Lachen ihres Anführers sein. Schön, dass Karnas ihnen zumindest eine gute Show bot.
„Weißt du was, Wurm? Du kannst es ganz einfach haben.“ Der Hühne drehte sich zur Seite und deutete auf den Abgrund. „Da wartet deine Erlösung auf dich. Spring hinein, sei ein guter Wurm.“
Die Soldaten begannen zu johlen und zu rufen. „Spring! Spring! Spring!“, riefen sie und lachten sich ihre Seelen aus dem Hals.
Karnas musste zugeben, dass er nicht abgeneigt war. Er könnte sich einfach fallen lassen. Einfach aufgeben. Ob es eine Schande war oder nicht, das würde ihn dann eh nicht mehr interessieren. Schließlich wäre er tot, sobald er auf den Boden auftreffen würde.
Denk nicht einmal daran, du Narr!, schallte er sich selbst und versuchte sich aufzurichten. Nein, er durfte seine Familie nicht im Stich lassen. Er tat dies alles nicht für seinen Herrn, der ihn dazu zwang, oder für sein Land, welches vom Krieg lebte. Er tat das alles für seine Familie. Sie sollte friedlich leben können. Seine Kinder sollten nicht auch zu Soldaten werden, wie er einer war. Befehle ausführen für ihren späteren Herrn, der wahrscheinlich genau so ein Sklaventreiber war wie sein derzeitiger.
Karnas richtete sich auf so gut er konnte, hob den Arm und bedeutete seinem Gegner, endlich weiterzumachen.
„Wie du willst, Wurm.“ Der Hühne kam schnell auf ihn zu und holte mit seinem Zweihänder aus.
Karnas duckte sich unter dem Schlag hinweg, Schwindel erfasste ihn und hätte ihn beinahe stolpern lassen, doch er fing sich auf, griff sich einen Stein und schlug mit diesem fest gegen das Knie seines Gegners.
Der Hühne jaulte fluchend auf und taumelte zurück. Sein Bein war etwas verdreht und hinderte ihn daran, einen festen Stand zu bekommen.
Karnas nutzte die Gelegenheit, gelangte hinter seinen Gegner und stieß mit Wucht sein Schwert durch den Rücken und die Brust des Hühnen.
Er stemmte sich gegen das Schwert und den vor Schreck erstarrten Gegner und trieb ihn immer weiter Richtung Abgrund.
„Du Bastard!“, rief der Hühne und versuchte sich mit wilden Bewegungen zu befreien, doch Karnas drehte das Schwert im Körper seines Gegner und riss es mit einem Schwung heraus.
Blut floss zu beiden Seiten aus dem Loch, welches Karnas‘ Schwert in den Leib des Hühnen gerissen hatte.
Ein beinahe unmenschliches Kreischen entfuhr dem Hühnen, der mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorne auf die Knie fiel und vergebens versuchte, sich das Loch in seiner Brust mit bloßen Händen zuzuhalten.
Karnas spürte, dass er sich beeilen musste. Seine Hand erschlaffte, und das blutverschmierte Schwert fiel zu Boden. In seinem Kopf hämmerte ein unerträglicher Schmerz.
Er taumelte mit letzter Kraft zu seinem Gegner und baute sich vor ihm auf.
„Wer ist jetzt der Wurm?“, presste er durch zusammengebissene Zähne hervor und trat dem Hühnen, der ihm mit vor Schreck aufgerissenen Augen anstarrte, gegen die Brust.
„Du Bastard!“, hallte er noch einmal aus dem Abgrund hervor, dann hatten die Schatten den Hühnen verschluckt.
Keuchend und grinsend beobachtete er die entsetzten Gesichter der feindlichen Soldaten, die den Verlust ihres besten Kämpfers erst noch überwinden mussten. Jetzt ist ihnen das Lachen doch noch vergangen.
Hinter sich hörte er seine Soldaten aufjubeln, bevor er zu Boden sackte und in den Himmel schaute. Das Gift hatte ihm alle Kräfte geraubt, die Verletzungen taten ihr Übriges dazu.
Trotzdem fühlte er sich erleichtert, und seine letzten Gedanken galten seiner Frau und seinen Kindern, bevor Schwärze ihn umfing.