Nachdem der Sturm sich einige Stunden lang zusammengebraut hatte, war er nun in vollem Gange. Der Donner grollte über die Ebene, Blitze erhellten die Nacht, heller noch als der Mond dies geschafft hätte. Ab und zu schlug auch einer in die Berge oder auf der Ebene ein. Beinahe schien es, als ob die Blitze einen eigenen Willen hätten.
Der Sturm peitschte den Regen über das Land und traf so auch den Kommandanten, der mit sturem Blick auf die Stadt der Ketzer schaute, welche sich kilometerweit unter ihm auf der weiten Ebene bis zum Horizont erstreckte.
Diese degenerierten Wesen werden ihre gerechte Strafe bekommen, dachte er, während seine gepanzerte Hand zu einer Faust ballte.
Die Geschichte wiederholt sich immer wieder, doch dieses Mal wird sie einen anderen Ausgang nehmen.
Die Stadt, die beinahe sein ganzes Sichtfeld einnahm, war in Form eines Kreises aufgebaut, welcher in weitere Kreise unterteilt war. Während in den äußeren Bezirken die Gebäude eher flach waren und weiter gefächert standen, wurden sie zur Mitte hin immer höher und enger. In der Mitte schließlich standen Türme dicht an dich, die mehrere hundert Meter in die Höhe ragten.
Es gab zwei Besonderheiten an dieser Stadt. Die erste war klar ersichtlich, denn die gesamte Stadt war aus weißem Stein erbaut. Einem gleißenden Lichtschein gleich stand sie dort, und nirgends war auch nur eine Laterne oder Lampe zu sehen. Sie stand dort wie ein vergessener Lichtschein mitten in der Nacht.
Und dann gab es noch eine weitere Besonderheit an der Stadt, die die Ketzer „Nocturna“ nannten, und diese erzürnte den Kommandanten. Denn die Stadt war von einem Deflektorschild umgeben, den diese Häretiker mithilfe gestohlener Technologie aufgebaut und aktiviert hatten.
Überall dort, wo der Regen auf den Schild traf, glitzerte die Luft in einem schwachen Blau.
Doch der Kommandant hatte ein Grinsen im Gesicht, trotz seines Zornes über die Untaten dieser Wesen. Denn er wusste, dass die letzte Zuflucht der Ketzer heute Nacht fallen würde.
Erst widersetzen sie sich der Heilung ihrer Seelen durch den Gottimperator, den durch Gott selbst bestimmten Führer der Menschheit, und dann stehlen sie auch noch unsere Technologie und setzen sie gegen uns ein. Das wird ihnen teuer zu stehen kommen.
Der Kommandant fühlte Stolz in sich aufwallen, als er daran zurückdachte, wie er eine Einladung des Gottimperators erhalten hatte. Das war die höchste Ehre, die einem Menschen zuteil werden konnte. Und der Gottimperator selbst hatte ihn dazu auserkoren, diese Ketzer zu jagen. Und sollten sie sich weigern, von ihm durch die Kraft des Gottimperators geheilt zu werden und damit zum Rechten Pfad zurückzufinden, so dürfte er jede Maßnahme ergreifen, die er für angebracht hielt.
Mit Freuden hatte er diese Aufgabe angenommen, denn so konnte er seinem Herrn am besten dienen. Und wäre der Gottimperator mit ihm zufrieden, dann wäre es Gott selbst auch, das wusste er. Denn nichts wollte der Kommandant lieber, als dass nach seinem Tod seine Taten ihn dazu berechtigten, in die heiligen Hallen einzutreten und dort mit jenen zu feiern, die dem Herrn treu gedient hatten.
Er dachte an die Geschichten zurück, die er in den Büchern gelesen hatte. Die Geschichten über Glaubenskriege vor so vielen tausend Jahren auf seiner Heimat, der Erde. Doch sie waren es falsch angegangen, und das hatte auch der Gottimperator erkannt. Dieses Mal würde sich ihnen nichts in den Weg stellen.
Der Sturm zerrte am Kommandanten und ließ seinen schwarzen Umhang wehen, der an den blutroten Schulterplatten seiner schneeweißen Rüstung befestigt waren. Auf dem Umhang prangte stolz das Emblem des Erdenreiches. Jeder sollte erkennen, mit welch mächtigem Feind er es aufnehmen wollte, und vor Angst sollten sie erzittern und ihren Irrglauben erkennen, sie hätten eine Chance, ihm und seiner Armee zu entkommen.
„Kommandant Greif?“
Als der Kommandant die durch den Vocoder des Helms verzerrte Stimme seines Hauptmanns hörte, der gerade neben ihm aufgetaucht war, drehte er sich zu ihm um. „Was gibt es, Hauptmann?“
Der Hauptmann salutierte zackig und stand kerzengerade vor ihm. Der Regen prasselte auch gegen seine Rüstung und seinen Helm, das Visier war voll von kleinen Tröpfchen. „Kommandant, alle Bataillone sind bereit und erwarten ihren Befehl!“
„Sehr gut, Hauptmann. Warten Sie hier.“
„Zu Befehl!“
Der Kommandant genoss es, wie jeder einzelne Soldat auf ihn hörte und seine Befehle bis ins kleinste Detail befolgte.
Mit einer erhabenen Haltung drehte er sich nun ganz um und schaute auf sein Heer. Vor ihm versammelt war seine Invasionsarmee. Hunderttausende Soldaten, alle in glänzenden, schneeweißen Rüstungen, die alle auf seine Befehle warteten. Dahinter erstreckten sich die Reihen der Panzer. Stahlkolosse, die jederzeit bereit waren, Tod und Zerstörung zu bringen. Am Ende standen seine Mörser und die Artillerie, die gleich ihren ersten Befehl bekommen würde.
Ein leichter Schauer der Vorfreude lief durch den Körper des Kommandanten.
Langsam schritt er die Reihen seiner Soldaten ab, überprüfte die Rüstungen und Waffen mit geübtem Blick, doch wie erwartet fand er keine Fehler.
Er musste unweigerlich an die alten Geschichten zurückdenken. An die Generäle, die ebenso wie er durch die Reihen ihrer Kämpfer gingen und dabei Reden hielten, die die Motivation und den Mut der Soldaten steigern sollten. Ihren zeigen sollten, dass sie für eine gerechte Sache kämpfen. Doch er brauchte das nicht.
In den Rüstungen steckten nicht nur Soldaten von der Erde. Doch das war dem Kommandanten Recht, denn jeder einzelne von ihnen hatte seine Seele vor den Augen des Gottimperators heilen lassen. Sie würden jeden seiner Befehle ohne Widerworte ausführen. Er konnte ihnen sogar befehlen, sich selbst das Leben zu nehmen und sagen, es wäre Gottes Wille. Und jeder würde es tun. Doch das hatte er nicht vor. Er würde keine Leben verschwenden. Und würde sich doch einmal jemand gegen seinen Befehl stellen, gab es noch den kleinen Chip, den die Ärzte des Reiches den Soldaten in den Nacken eingepflanzt hatten. Diese würden für den nötigen Gehorsam sorgen.
Schließlich stellt er sich weder an die Spitze seines Heeres und zog seinen Säbel, den er immer an seinem Gürtel trug. Von dem Teil der Geschichte konnte er sich nicht wirklich lösen, zu sehr gefiel ihm diese Idee, mit „rasselnden Säbeln“, in die Schlacht zu ziehen. Dafür hatte er sich diesen Säbel extra in einer Schmiede anfertigen lassen. Er war ein Unikat seiner Art, der einzige, der noch im Einsatz war und nicht in einem Museum nutzlos an einer Wand hing, um einfach nur angeschaut zu werden.
Auch wenn er vom Rang her ein Kommandant war, sah er sich doch eher als ein Admiral, und seine Armee war das Schiff, mit dem er in die Schlacht segelte und die Feinde mit schierer Wucht zermalmte. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er den Kampf liebte.
Endlich ist der Moment gekommen.
Der Kommandant setzte seinen eigenen Helm auf, der anders als der der Soldaten blutrot war. Dann hob seinen Arm und ließ den Säbel mit der Spitze geradewegs in Richtung Himmel zeigen. Blitze zogen sich durch die Wolken, spiegelten sich auf den Mauern der Stadt, auf den Rüstungen der Soldaten und der Klinge seines Säbels. Der Donner grollte, als ob er dem Vorhaben zustimmen würde.
Neben ihm übersetzte der Hauptmann über Funk den Befehl. Zufrieden hörte der Kommandant, wie die Artillerie und die Mörser ihre Plasmagranaten und die kleinen nuklearen Sprengköpfe luden und sich zum Feuern bereit machten.
Ich werde euch die Heilung bringen, ihr degenerierten Ketzer.
Dann ließ der Kommandant seinen Arm nach unten schnellen, der Hauptmann übersetzte erneut, und nur kurz danach feuerten die schweren Maschinen ihre todbringenden Geschosse auf die Stadt ab.
Der Kommandant schaltete seine Anzeigen im Visier des Helmes aus, sie störten ihn nur beim Anblick dessen, worauf er sich so lange gefreut hatte.
Über die Köpfe der Invasionsarmee hinweg zogen die Granaten und Sprengköpfe und hinterließen dabei Leuchtspuren am Himmel, der immer wieder durch die Blitze erhellt wurde. Mit einer gewaltigen Kraft trafen die Geschosse auf den Deflektorschild der Stadt, da schossen die Artillerie und Mörser erneut, während der Schild der Stadt in einem kräftigen Blau aufflackerte und die Zerstörung der Stadt hinauszögerte.
Der Hauptmann stand neben dem Kommandanten und schaute durch sein Fernglas. „Kommandant, der Beschuss zeigt keinerlei Wirkung auf den Schild. Unsere Geschosse werden abgefangen, und die Bürger der Stadt stehen auf den Mauern und schauen sich das alles an.“
Bürger der Stadt, dachte der Kommandant angeekelt und verzog unter dem Helm das Gesicht. Degenerierte Wesen, mehr sind sie nicht.
„Keine Sorge, Hauptmann. Das ist nur eine Ablenkung. Der richtige Angriff ist gerade in Vorbereitung.“
„Sie haben einen Plan, den Schild zu durchdringen, Kommandant?“
„Aber natürlich“, antwortete Kommandant Greif gelassen und aktivierte dann seinen eigenen Funk.
„Kommandant Greif an Arrowhead, bitte melden.“
„Hier Admiral Andulla von der Arrowhead, Kommandant. Höre Sie klar und deutlich“, kam die zackige Antwort des Admirals.
„Freigabe zum Eintritt in die Atmosphäre, Admiral.“
„Verstanden.“ Danach endete der Funkkontakt. Der Kommandant wandte sich seinem Hauptmann zu. „Schauen Sie nach oben.“
Der Hauptmann schaute hinauf zum bewölkten Himmel, gerade rechtzeitig, als ein großer Teil der Wolken von einem Zerstörerschiff beiseite geschoben wurde.
Der Zerstörer war ein Koloss von einem Raumschiff mit mehr als einhundert Kilometer im Durchmesser. Er hatte die Form einer Pfeilspitze, weshalb er auch den Namen „Arrowhead“ trug. Doch die Spitze des Schiffs war ein abgeschnittener, flacher Teil, in dem eine neue Erfindung des Gottimperators eingebaut war.
Die Artillerie deckte den Schild der Stadt noch immer mit ihrem Beschuss ein, sodass die Bewohner nicht sehen konnten, was dort auf sie zukam.
„Arrowhead, feuern Sie, sobald Sie bereit sind“, gab der Kommandant per Funk an den Admiral des Schiffes durch.
„Verstanden, Kommandant.“
Die Arrowhead begann damit, den vorderen Teil des Schiffes nach unten zu neigen. Ein tiefes Brummen erfüllte die Luft, als das Schiff begann, die Kanone, die in der Spitze des Schiffes angebracht war, aufzuladen. Kleine, orangene Partikel sammelten sich in der Luft und formten sich zu einem gewaltigen Energieball, dann schoss ein Strahl purer Energie aus diesem Ball heraus und traf den Schild der Stadt direkt in Zentrum.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall wurde der Deflektorschild zerfetzt, überall regnete es kleine, blaue Funken. Ein gewaltiger Aufschrei war aus der Stadt zu hören, und der Kommandant grinste breit.
Das war es für euch.
Dann gab er der Artillerie, die zwischenzeitlich das Feuer eingestellt hatte, erneut das Zeichen zum Angriff.
Die Geschosse trafen die Stadt mit voller Kraft.