Aufmerksam ließ Derin seinen Blick über die Leute gleiten. Er selbst stand etwas Abseits in den oberen Rängen der Kathedrale, um das Geschehen im Auge zu haben.
„Das kann ja heiter werden“, seufzte er, als er sah, wie viele Leute sich bereits versammelt hatten. Überall standen sie, die Würdenträger und wichtigen Personen der Länder, die jahrelang miteinander im Krieg gelegen hatten. Sie unterhielten sich miteinander, manche laut in Gruppen, andere standen an der Seite und redeten mit gedämpften Stimmen.
So lange hatten sie gegeneinander gekämpft, und heute war der Tag, an dem es endlich vorbei sein sollte. Der Frieden war nahe.
Leicht genervt zupfte er an seiner Uniform. Ich hätte lieber meine Rüstung getragen, dachte er sich im Stillen. Aber da heute ein Akt des Friedens stattfinden sollte, wollten die Herrscher beider Reiche niemanden in einer Rüstung sehen. Viel zu leichtsinnig. Wenn etwas passiert, dann sind nicht mal die Soldaten geschützt. Und ohne meine Rüstung fühle ich mich irgendwie nackt.
Vor allem störte Derin es, weil er damit beauftragt worden war, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen. Zumindest im Inneren der Kathedrale. Draußen vor den Toren stauten sich die Menschenmassen. Dort waren die Bürger und Bürgerinnen, die so lange in Angst gelebt und die ihre Männer, Brüder und Söhne in den zahlreichen Kämpfen verloren hatten.
Für was eigentlich? Es mag jetzt Frieden bald herrschen, aber niemand bringt die Gefallenen wieder. Dabei dachte er auch an seinen Bruder. Dieser war vor zwei Jahren während eines Scharmützels gefallen, und nichts und niemand würde ihn je wiederbringen können.
Lass dich nicht ablenken, schallte er sich in Gedanken und richtete seine Konzentration wieder auf seine Aufgabe.
Sein Blick schweifte nach oben. Keiner der Gäste wusste, dass dort oben im Gebälk eine Gruppe Armbrustschützen hockte, die im Notfall von dort aus etwaige Angreifer unter Beschuss nehmen konnten. Sie hatten sowohl Sicht nach draußen als auch in den Innenraum der Kathedrale.
„Sir?“
Derin zuckte überrascht zusammen und drehte sich um. Er hatte Hannah nicht kommen hören und sah sie plötzlich vor sich stehen, seine treuste und beste Offizierin.
„Was gibt es?“
„Wir haben die Vorbereitungen draußen abgeschlossen“, berichtete sie im nüchternen Tonfall. Wenn sie das Zucken bemerkt haben sollte, sagte sie jedenfalls nichts dazu.
„Sehr gut, dann sollten wir die Feierlichkeiten jetzt starten lassen. Sorge dafür, dass es draußen ruhig bleibt.“
Sie nickte und machte auf dem Absatz kehrt, während Derin seinen Blick wieder auf die Menge in den Sitzreihen richtete.
Dabei schaute er auch auf das Podest, und von seiner Position aus konnte der das Pergament erkennen, welches dort zusammengerollt lag.
Unglaublich. Ein kleines Pergament mit ein paar Zeilen, eine Unterschrift, und schon soll ein Krieg, der so lange ausgefochten wurde, einfach vorbei sein.
Natürlich würde man die Folgen des Krieges in beiden Ländern noch jahrelang spüren. Die zerstörten Felder, die Löcher in den Staatskassen, und leiden musste darunter die Bevölkerung. Die Minister und Regenten würden es sich weiterhin gut gehen lassen, ohne auf die Leute Rücksicht zu nehmen. So war es vor dem Krieg schon gewesen, und so würde es auch weiter gehen.
Derin hob die Finger an die Lippen und pfiff laut. Der Soldat, der unten am Podest stand und den Friedensvertrag bewachte, hob den Kopf. Derin bedeutete ihm mit einer Geste, dass es gleich losgehen würde.
Kurz darauf kehrte Ruhe in die Kathedrale ein.
Die Tür hinter dem Podium wurde geöffnet. Derins Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Gleich würden die beiden Könige vor den versammelten Leuten stehen. Dort waren sie ungeschützt und leicht angreifbar. Ein kurzer Blick nach oben versicherte ihm, dass auch die Schützen im Gebälk sich jetzt ganz auf das Podium und die Sitzreihen konzentrierten.
Dann traten die Regenten auf die Tribüne. Beifall brandete durch die Kathedrale, die Regenten winkten ihnen mit einem herrschaftlichen Lächeln zu und zeigten sich ganz offen.
Das schmeckt mir gar nicht, dachte Derin grimmig.
Doch auch nachdem der Beifall abebbte und wieder Ruhe einkehrte, und sogar während die Regenten ihre Reden hielten, passierte nichts. Die Menschen blieben ruhig, hörten ihnen zu, klatschten sogar an einigen Stellen.
Anscheinend gab es niemanden, der den Frieden im letzten Moment verhindern sollten.
Dann war es soweit. Die Regenten setzten jeweils ihre Unterschrift unter den Vertrag, hielten ihn mittig zwischen sich, sodass jeder ihn sehen konnte, und reichten sich die Hand. Erneut brandete Beifall auf, und Derin seufzte dieses Mal erleichtert. Auf die kommenden, glorreichen Zeiten.
Die Regenten winkten noch einmal den Menschen zu, legten den Vertrag vorsichtig auf das Podest zurück dann machten sie sich auf den Weg zum Ausgang hinter dem Podium.
Auch Derin drehte sich um. Das war ein ruhiger Tag. Wird Zeit, meine Leute zusammenzurufen.
Doch dann ließ ein lauter Aufschrei ihn herumfahren.