Vorwort:
Bevor es los geht, möchte ich nur kurz anmerken, dass diese Geschichte auf wahren Ereignissen beruht, die mir wirklich so passiert sind. Ich habe das Stichwort "Zusammenbruch" jetzt dafür genommen, mir etwas von der Seele zu schreiben.
In dem Moment, als ich das Geschäft betrat, in dem ich seit ein paar Monaten arbeitete, wusste ich, dass es ein Fehler war, heute zur Arbeit gekommen zu sein. Gut, eigentlich wusste ich es auch schon vorher. Seit dem Aufstehen hatte ich schon diese Magenkrämpfe. Und ich wäre froh gewesen sagen zu können, dass die nur heute dagewesen wären, aber ich hatte sie jeden Tag wenn ich an die Arbeit dachte.
Als ich schon die vergrätzten Gesichter meiner sogenannten Kollegen sah, wusste ich, dass heute wieder was nicht in Ordnung war.
Ich mochte sie nicht einmal Kollegen nennen, aus guten Gründen.
Nach Außen hin sollten wir alle wie eine Art Familie wirken, die sich alle mochten und wertschätzten. Das sollte die Kunden dazu verleiten, hier gerne einzukaufen.
Aber im Innersten war diese Familie verrottet und vermodert. Überall stank es nach Selbstsucht und Verrat, denn es wurde keine Gelegenheit ausgelassen, über andere Kollegen zu lästern oder ihnen etwas anzukreiden, was sie vielleicht gar nicht getan hatten. Und das nur, um die eigene Position in diesem Ränkespiel zu stärken und andere auszuspielen. Sie aus dem Spiel zu nehmen, und damit auch aus ihrem Leben.
Der Zusammenhalt war nur eine Farce, ein großes Schauspiel, und jeder musste mitmachen. Wer sich nicht daran hielt, dem drohte eine Abmahnung.
Aber so inflationär wie hier mit Abmahnungen um sich geworfen wurde, machte das auch schon keinen Unterschied mehr.
Ein falsches Wort gegenüber einem Kunden gegenüber, der sich selbst wie ein falscher König benahm? Abmahnung.
Die Zigaretten nicht aufgeschlossen, wenn man die Kasse besetzte? Oder wieder abgeschlossen wenn man die Kasse verließ? Abmahnung.
Und dieses Spiel konnte man immer weiter führen. Man konnte hier für beinahe alles eine Abmahnung kassieren.
Im Prinzip war alles ein großes Spiel, und es war darauf ausgelegt, den normalen Mitarbeiter zu zermürben. Pardon, Arbeiter. Denn ein Mitarbeiter war ja jemand, dem man noch Rechte zugestand. Aber hier musste man spuren, oder man war seinen Job los.
„Es gibt tausend andere, die deinen Job übernehmen können“, hörte ich die Worte des Marktführers in meinen Gedanken.
Innerlich zermürbt ging ich durch das Geschäft, die Umkleide als Ziel.
Was hatte ich denn für eine andere Wahl? Ich brauchte diesen Job, und ich musste zeigen, dass mir etwas daran lag, diesen auch zu behalten.
„Nun beeil dich mal ein wenig!“, hörte ich die vertraut giftige Stimme einer „Kollegin“ hinter mir. „Wir haben heute viel zu tun!“
Es musste natürlich ausgerechnet die „Kollegin“ sein, mit der ich schon von Tag 1 an nur Probleme und Streit hatte.
Ich atmete tief ein und schaute auf meine Uhr. Wie immer war ich zwanzig Minuten früher gekommen, um mich in Ruhe umziehen und noch einen Kaffee trinken zu können. Was also wollte sie von mir?
„Warum heute dieser Stress?“, fragte ich sie, nachdem ich mich zu ihr umgedreht hatte, und versuchte dabei ruhig zu bleiben.
„Wir haben schon einen Teil der Ware bekommen. Fünfundzwanzig Paletten, zehn Tiefkühler und fünf Rollis. Und die müssen weg, bevor heute Abend der nächste Teil kommt!“
Der nächste Teil? Wie viel sollte denn da noch kommen?
Ich schaute mich um, und mich beschlich ein ganz mieses Gefühl.
„Wo sind die Packer?“, fragte ich, aber irgendwas in mir sagte mir, dass ich die Antwort bereits kennen würde.
„Die kommen heute nicht. Zwei sind krank, die anderen haben irgendwelche Prüfungen in der Schule.“
„Und wie viel soll heute Abend noch kommen?“, stellte ich die entscheidende Frage.
„Noch mal so viel.“
Ich spürte, wie etwas in mir zerbrach. Das konnten wir gar nicht ohne Hilfe schaffen.
„Ach und noch was“, fügte sie mit ihrem schleimigen Grinsen und einem selbstgefälligen Unterton hinzu. „Das muss alles heute eingeräumt werden. Anweisung vom Chef.“
Ich fragte mich noch, was sie dazu veranlasste, so dumm zu grinsen. Natürlich wusste sie, dass ich mit der ganzen Firmenpolitik nicht einverstanden war, aber dann realisierte ich erst den wahren Grund. Sie war gar nicht für die Arbeit angezogen, sondern machte Feierabend!
„Schönen Tag noch“, säuselte sie und hatte bereits auf dem Absatz Kehrt gemacht.
Damit war mir auch das letzte Bisschen Motivation abhanden gekommen, und als ob das nicht genug gewesen wäre, erhaschte ich einen Blick in das bis zum bersten zugestellte Lager.
Ich hatte jetzt neun Tage am Stück jeweils 14 Stunden arbeiten müssen. Immer gab es noch was zu tun, wofür niemand anderes anscheinend in Frage kam, und immer, wenn etwas außer der Reihe anlag, sollte ich mich darum auch noch kümmern. Dafür musste ich aber die eigentlichen Aufgaben vernachlässigen, womit ich mir wieder Ärger von den drei verschiedenen Schichtleitern einhandelte. Es war ganz egal, wie ich es machte, ich machte es falsch, und das würde sich auch nicht mehr ändern. Denn niemand verstand, dass ich einen Quereinstieg in den Einzelhandel gewagt hatte.
Aber ich brauchte diesen Job, also musste ich die Zähne zusammenbeißen. Oder?
Auf dem Weg zur Umkleide kam ich am Pausenraum vorbei. Zwei weitere „Kolleginnen“ unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Wahrscheinlich tratschten sie wieder über jemanden.
Als sie mich bemerkten, verstummten sie sofort und wendeten ihre Blicke ab. Sie hatten über mich gelästert.
Dabei bemerkte ich die Pillen, die beide gerade einnahmen. Ich wusste genau, was das für Pillen waren, denn ich nannte sie die „Scheiß-Egal“-Pillen. Beinahe jeder hier nahm sie, mit Ausnahme von mir und den zwei Azubis. Sie sorgten dafür, dass dir am Ende wirklich alles egal war und du einfach wie eine funktionierende Drohne deine Arbeit verrichten würdest.
Schon als ich hier anfing wurde mir schnell klar, dass das hier ganz normal war. Deshalb beschwerte sich auch niemand. Und ich wusste auch, dass ich das niemals machen würde. Ich wollte keine Pillen oder andere Dinge nehmen, um den Arbeitstag zu überstehen.
Letzten Endes war das vielleicht die falsche Entscheidung gewesen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls saß ich – bereits für die Arbeit umgezogen – alleine im Pausenraum, als mir der Gedanke kam. Vielleicht nur eine Pille? Nur heute, damit ich diesen Alptraum überstehen würde?
„Nein!“, schrie ich plötzlich, einem Impuls heraus folgend, und schaute mich schnell um. Anscheinend hatte niemand den kurzen Ausbruch mitbekommen.
Es machte mir Angst, dass ich diese Idee überhaupt in Betracht zog, und ich fühlte wie meine Wangen vor Scham brannten.
Langsam wurde es Zeit, mich an die Arbeit zu machen. Und das tat ich auch.
Es waren bereits einige Stunden vergangen, und ich spürte, wie matt und kraftlos ich mich fühlte. Es fühlte sich an, als ob sich eine schwarze Aura um mich herum aufgebaut hätte, die meine Emotionen nach außen trug.
Die Waren wurden einfach nicht weniger, dazu kamen die unfreundlichsten Kunden. Niemand grüßte, sie stellten Forderungen als seien wir in einer Art Königreich, und ich wäre die einzige Sklavin, die sich um alles kümmern müsste. Ich hörte mir die Beschwerden der Kunden an, ohne sie wirklich aufzunehmen.
Warum hatten wir diese Ware nicht mehr im Angebot? Wo blieb die Bestellung, die vor zwei Tagen aufgegeben worden war? Warum war das im Preis gestiegen?
Wie zur Hölle sollte ich das denn alle beantworten?!
Dann wurde plötzlich alles Schwarz. Mein Körper hatte seinen Dienst eingestellt, die letzten Reserven an Kraft, die ich noch hatte aufbringen können waren aufgebraucht. Ich erlitt einen Zusammenbruch, körperlich wie auch seelisch. Ich konnte diese Belastung, diese Bürde, die ständigen Drohungen und Aufforderungen, einfach nicht mehr tragen. Es war einfach keine Kraft mehr da, das alles zu verarbeiten und hinzunehmen.
Die ganzen letzten Wochen hatte ich mich schon merkwürdig gefühlt, ständig dieses Gefühl einer ausbrechenden Krankheit mit mir herumgeschleppt. Aber ich durfte mir nicht erlauben, krank zu werden, sonst hätte ich den Job verloren. Anspruch auf Urlaub hatte ich auch noch keinen. Das hätte sowieso ein fatales Bild erzeugt, und ich hätte den Job ebenfalls verloren. Also hatte ich mich zusammengerissen, mir meinen Arsch aufgerissen und für diesen verfluchten Laden mit seinen Ränkespielen und seiner giftigen, widerlichen Atmosphäre alles getan. Ich wollte, nein, ich MUSSTE zeigen, dass mir etwas an dieser Arbeit lag, doch immer schien ich alles falsch gemacht zu haben. Es gab kein Wort der Bestätigung, oder dass ich etwas gut gemacht hätte. Alles war zu schlecht oder zu langsam!
Jede Nacht wachte ich auf, ständig mit einer Übelkeit die an mir nagte, und ich weinte. Ich weinte mich zurück in den Schlaf, ich weinte beim Aufstehen, bei dem Gedanken, später wieder dort zu sein, aber ich hatte doch keine andere Wahl, weil ich diese Arbeit brauchte.
Doch schlussendlich hatte mein Körper von selbst die Reißleine gezogen. Ich war während der Arbeit zusammengebrochen.
Meine Ärztin erklärte mir später auch, dass die Angstzustände und der Stress – eine sehr gefährliche Mischung – dafür gesorgt hätten.
Ein paar Tage später bin ich dann wieder zur Arbeit gefahren. Ich musste mit dem Chef sprechen, dass es so nicht weitergehen konnte.
Aber ich denke, ihr könnt euch denken, wie es ausging. Er warf mich raus, mit den Worten, dass ich nur eine „Sozialschmarotzerin“ wäre die nur „zu faul zum Arbeiten“ wäre, und ich auf „ewig eine Looserin“ bleiben würde. Ich hätte „ja keine Ahnung, was richtiger Stress und richtige Arbeit“ wären.
Natürlich nagen die Folgen noch heute an mir. Ich haben selten gute Laune, ich bin leicht zu stressen und mein Nervenkostüm liegt beinahe immer blank. Ich bin ständig aufgekratzt, und habe seit dem Zusammenbruch eine Konzentrationsstörung. Auch die Angstzustände sind nicht besser geworden, sie beziehen sich jetzt nur auf die Zukunft, nicht mehr auf die alte Arbeit. Trotzdem versuche ich nach außen hin nicht so zu wirken und verstecke es so gut ich kann.
Aber das interessiert auf dem Arbeitsmarkt niemanden. Ich muss eine neue Arbeit finden und auch dort den Anforderungen gerecht werden, egal wie viel Kraft es kosten mag. Sonst werde ich mir nie ein eigenes Leben aufbauen können.
Und so geht die Suche weiter.