Die Kirschblüte ist in Japan das Zeichen des Augenblicks, sie ist Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit in einem. Ein Sinnbild im Leben des Jetzt. Und wenn wir dieses Jetzt betrachten, sollten wir Grund zur Sorge haben. Denn die Schönheit verliert sich, der Aufbruch in ein düsteres Zeitalter hat begonnen und die Vergänglichkeit des Alten, wird es immer schwerer machen, wieder zurückzukehren. Bzw. ein Zurückkehren ist unmöglich, aber ein Leben unter ähnlichen Verhältnissen erscheint ebenfalls schwierig.
Was ist eigentlich die Kirschblüte?
Die Kirschblüte (jap.桜sakura) bezieht sich im engeren Sinne auf die Blüten des Yoshino-Kirschbaums (Prunus × yedoensis) und anderer in Japan heimischer Kirscharten.
Die Blütezeit variiert stark je nach Art und Region. Die ersten Blüten sind im südlichsten Teil von Japan zu erwarten: in der Präfektur Okinawa. Diese Subtropische Insel verzeichnet bereits im Januar die ersten Blüten der Art Taiwan-Kirsche (Prunus campanulata) Von dort aus wandert die Kirschblüte zwischen Mitte oder Ende März in Kyūshū bis in den Norden nach Hokkaidō, etwa Anfang Mai. Die Blütezeit ist mit zehn Tagen recht kurz. Da die meisten Kirschbäume Japans sich durch Klonung fortpflanzen, sind in einem Gebiet häufig alle Kirschbäumen derselben Art in ihrem genetischen Code gleich. Das bedeutet auch, dass sie sich völlig gleich verhalten. Blüht Baum A, blühen auch alle seine mit ihm verwandten Klone. In Japan stellen die Kirschblüten etwa 50 Prozent des Baumbestandes. Da Japan eine Walddichte von 60 Prozent hat, kann man davon ausgehen das fast ein Drittel des Landes mit Kirschblüten bestanden ist. Wenn also alle Kirschblüten eines Gebiets zeitgleich blühen, verwandelt sich die Umgebung rosa-weißes Blütenmeer. Das eine solche Entwicklung eine kulturelle Bedeutsamkeit und für den Tourismus hochbedeutsam ist, liegt wohl auf der Hand.
Blühen die Kirschblüten, feiert ein Großteil der Japaner ein Hanami mit Freunden, Kollegen oder Familie an geeigneter Stelle. Dieses "Volksfest" ist ein Picknick im freien, mit Bento, alkoholischen Getränken (vorrangig Sake und Bier) und auf einer blauen Decke oder Kunststoffplane sitzend. Dort isst man, ist zusammen und betrachtet die wunderschönen Kirschblüten.
Ein trauriger Rekord
Die immer weiter steigenden Temperaturen treiben die Kirschblüte viel früher durch Japan, als es vor einigen Jahren noch üblich war. In diesem Jahr blühten die Kirschblüten so früh, wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Diese werden fast seit 1000 Jahren geführt, noch nie war die Blüte so früh wie in diesem Jahr. In Kyoto erreichte die Blüte am 26. März ihren Höhepunkt, neun Tage früher als noch 2017. Auch im Durchschnitt ist das zehn Tage früher als in den vergangenen 30 Jahren. Und diese beunruhigende Entwicklung ist auch in vielen anderen Städten Japans zu beobachten.
Aus historischen Dokumenten, vor allem Tagebüchern von Kaisern, Geschäftsleuten und Mönchen kann man rekonstruieren, dass es auch in früheren Jahrhunderten frühe Ausreißer der Kirschblüte gegeben hat. Dabei sind vor allem die Jahre 1236, 1409 und 1612 zu nennen (für die Freunde der Statistik 1323 war am 4.05 die späteste beginnende dokumentierte Kirschblüte in Kyoto). In einer aufgezeichneten Geschichte von tausend Jahren sind dies aber seltene Ausreißer. Auch 2020 und 2021 reihen sich in die frühen Blütezeiten und nicht nur diese beiden Jahre, die meisten Frühblüten-Jahre, im Vergleich zu allen Jahren, liegen in den letzten 30 Jahren, davor praktisch nur die drei genannten Ausreißer.
Der japanische Wetterdienst führt die frühen Kirschblüten auf die globale Erwärmung zurück. Nach ihren Angaben lag die Durchschnittstemperatur im März 1953 bei 8,6 Grad Celsius, 2020 bei 10,6 Grad und 2021 bei 12,4 Grad. Das ist eine Steigerung von 2 Grad in 67 Jahren und innerhalb eines Jahres. Oder zusammengefasst eine Erwärmung Kyotos um vier Grad in den letzten 67 Jahren. Die letzte Kirschblüte, welche für Kyoto typisch, in der Mitte des Aprils stattfand, liegt ebenfalls in den 50ern. Die Entwicklung selbst ist anhand der Kirschblüten seit 1900 deutlich sichtbar und nimmt immer mehr an Fahrt auf.
Fünf Zentimeter pro Sekunde fällt eine Kirschblüte vom Baum.
Schönheit, Aufbruch, Vergänglichkeit.
Es liegt an uns, ob es bleibt.
Quellen
- https://www.japan-guide.com/sakura/ Abgerufen am 23.04.2021
- http://re-discoveryjapan.net/sakura-cherry-blossom-flowering-forecast-in-2017/ Abgerufen am 23.04.2021
- http://de.nextews.com/b75c0b2c/ Abgerufen am 23.04.2021
- https://taz.de/Klimawandel-in-Japan/!5764907/ Abgerufen am 23.04.2021
- https://www.jnto.go.jp/sakura/eng/index.php Abgerufen am 23.04.2021
- 勝木俊雄『桜の科学』p74 - p77、SBクリエイティブ、2018年、ISBN 978-4797389319
- 勝木俊雄『桜の科学』p82 - p84、SBクリエイティブ、2018年、ISBN 978-4797389319