Im Grundgesetz solle die neue "Gemeinschaftsaufgabe Naturschutz" verankert werden. Eine Forderung von über 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, von denen einige Regierungsberater sind. Die damit aussprechen, was sich noch mehr Menschen denken. Das Orientierungspapier für diese Umsetzung wurde bereits dem Sachverständigenrat für Umweltfragen und beim wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung vorgelegt.
Wieso ist Naturschutz (noch) nicht im Grundgesetz verankert?
Vielleicht hat sich ja jemand beim Lesen dieser Neuigkeiten dieselbe Frage gestellt. Denn eigentlich ist doch Naturschutz im Grundgesetz verankert, oder nicht?
Im Grundgesetz-Artikel 20a wird festgelegt:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Auf den ersten Blick scheint, dass eine Definition für grundgesetzlichen, staatlichen Naturschutz zu sein. Schließlich sollen künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen (Pflanzen, Pilze, Ökosysteme) und die (Wild)Tiere in Berücksichtigung weiterer (Grund)Gesetze berücksichtigen.
Allerdings ist das kein Naturschutz, sondern Umweltschutz.
Naturschutz vs. Umweltschutz
Es scheint auf den ersten Blick nicht weiter als eine Wortspielerei, doch die Unterschiede zwischen Natur- und Umweltschutz sind mehr als nur ein paar Buchstaben.
Sowohl Naturschutz als auch Umweltschutz sind Aktionen, umfassender Maßnahmen zur Erhaltung der Biodiversität (also der Artenvielfalt, Ökosystemvielfalt und genetischen Vielfalt).
Doch der Unterschied ist nicht, in dem was getan wird, sondern warum es getan wird.
Das Ziel des Umweltschutzes ist es die natürliche Umwelt für den Menschen zu bewahren. Es können demnach auch Eingriffe in die Natur vorgenommen werden, um den Nutzen für den Menschen zu steigern.
Das Ziel des Naturschutzes geht weiter, ist strenger, Naturschutz will die Natur vor dem Menschen bewahren. Im Naturschutz ist es unmöglich ein Naturschutzgebiet zu verkleinern, um Windparks zu errichten oder eine Straße zu bauen, egal wie hoch der wirtschaftliche Faktor und der Nutzen für den Menschen ist.
Das ist sicherlich auch ein ideal und nicht immer umsetzbar, aber dem ist sich der Naturschutz bewusst. Naturschutz in seiner realistischen Betrachtung ist ein strenger Umweltschutz und auch Klimaschutz.
Argumente gegen den Naturschutz
Nachdem wir verstanden haben, worum es im Kerngedanken geht, sollten wir uns die Frage stellen, was spricht gegen und was für Naturschutz?
Im Kern sind es zwei Argumente, die gegen Naturschutz sprechen, wobei das zweite Argument in unterschiedlichen Betrachtungen erfolgen kann und somit mehrere Argumentationsebenen abdeckt.
- Das ökonomische Gegenargument gegen den Naturschutz sind damit verbundene Ausgaben/Kosten, sowohl für den Staat, als auch Unternehmen. Diese wiederum sparen Kosten durch eine nötige Umstrukturierung und dem Verlust von Arbeitsplätzen.
- Das kulturgeschlichtliche Gegenargument gegen den Naturschutz, verweist auf die Bewahrung von Kulturlandschaften, welche nicht natürlichen Ursprungs sind. Ein Beispiel dafür ist die abgeholzte Lüneburger Heide, die jahrhundertelang von Schafen so abgefressen wurde, dass dort nur Heidekräuter wachsen. Seit die Schafzucht nicht mehr lohnt, tritt eine Verbuschung ein, eine Vorstufe der natürlichen Waldbildung. Bedeutet ein Naturschutz, diese Gebiete nur dann zu erhalten, wenn sie in Nutzung sind, oder ist die Natur des Kulturlandes auch schützenswert?
- Sowohl das ästhetische, wie auch das pädagogische Gegnargument lassen sich mit einer ähnlichen Gegnargumentation, wie das kulturgeschichtliche Gegenargument begründen. Der Schutz von Kulturlandschaften gegenüber dem strengen Naturschutz besitzt einen pädagogischen und ästhetischen Nutzen.
Hierzu sei gesagt, dass das Orientierungspapier, welches den Naturschutz im Grundgesetz fordert, die Bundesregierung zu biodiversitätsschonendem Handeln verpflichten will. Alle staatlichen Investitionen und regulatorischen Maßnahmen müssten demnach mit Blick auf die Auswirkungen auf die Biodiversität geprüft werden. Biodiversität ist die Artenvielfalt, dieses ist mit diversen verschiedenen Lebensräumen in der Regel höher, als bei einem einzigen Lebensraum (sofern sie intakt sind). Es stünde demnach nicht zur Debatte, ob nun alte Kulturländer geschützt werden müssten, sie wären von diesem Naturschutzgedanken (wenn auch nicht wirklich Natur im eigentlichen Sinne geschützt wird) ebenfalls erfasst und geschützt.
Argumente für den Naturschutz
Nachdem wir verstanden haben, worum es im Kerngedanken geht, sollten wir uns die Frage stellen, was spricht für Naturschutz?
Dabei sind mehrere Argumente zu nennen und zeigen, dass man sich dem Naturschutz von diversen Ebenen nähern kann.
- Das moralisch-ethische Argument für den Naturschutz ist der Umstand, dass alle Arten einen Existenzwert und ein Existenzrecht haben, nicht nur jene, die uns Menschen nutzen. Sondern wirklich alle.
- Das kulturgeschlichtliche Argument für den Naturschutz verweist darauf, dass Natur auch ein Kulturgut darstellt. Der Hambacher Forst beispielsweise wurde bereits im zehnten Jahrhundert urkundlich erwähnt und ist seitdem auch Teil deutscher Geschichte. Aber auch in kleinerem Maßstab mit weniger Historie, die Existenz von Wald, Watt, Hecken, Trockenrasen, etc. sind lebendiger Kulturgüter, die ebenso Denkmalschutz benötigen, wie ein Fachwerkhaus oder eine Kirche.
- Das ästhetische Argument für den Naturschutz ist aus der Sicht eines Wissenschaftlers vielleicht nicht das stärkste, aber Naturschutz ist eben auch der Schutz von Arten und Lebensräume, weil sie schön sind oder besser, weil sie als solche empfunden werden. Aus dieser empfundenen Schönheit können beispielsweise auch Kulturgüter wie Gemälde entstehen.
- Das gesundheitliche Argument für den Naturschutz begründet sich darin, dass Natur Wasser filtert, Luft reinigt, Sauerstoff produziert. Natur ist in diesem Argument ein Erholungsort, in dem Kräfte regeneriert werden können.
- Das psychohygenische Argument für den Naturschutz geht sogar noch etwas weiter. Natur wird besucht und dieser Besuch wird als gut empfunden, weil es der Natur gut geht. In diesem Argument stecken Lebensqualität, Heimatgefühl und auch Identitätsfindung. Natur als der Gegensatz zur Zivilisation und damit das Heilmittel aller Zivilisationskrankheiten.
- Das pädagogische Argument für den Naturschutz will die Natur als Anschauungsobjekt für Schulkinder (aber auch ältere) bewahren. Es macht einen Unterschied, Natur durch Erzählung, Bücher, Dokus zu erfahren oder Natur zu erfahren, wenn man sich in ihr befindet. Durch dieses andere Medium können Inhalte anders vermittelt werden.
- Das wissenschaftspraktische Argument für den Naturschutz ist eine Steigerung des pädagogischen Arguments, neues Wissen kann am ehesten aus intakter Natur generiert werden. Nicht alle Erkenntnisse lassen sich in einem Labor unter Laborbedingungen ermitteln, es braucht eben auch den Standort Natur um Wissen zu festigen oder zu erweitern.
- Das ökonomische Argument für den Naturschutz ist die Betrachtung ökonomisch bedeutender Ökosystemsleistungen. In einem Umfeld mit gesunder Natur, vielen Wildwiesen und damit vielen Wildblumen, leben diverse Bienen- und andere Insektenarten, welche eine Bestäubungsleistung erzielen können. Aufgrund der diversen Blumen ist die Ernährung dieser Tiere vielfältig, sie erscheinen gesünder und resistieren so besser Parasiten und erbringen eine höhere Leistung, was letztlich in einem höheren ökonomischen Ertrag gipfelt.
Fazit
Es braucht definitiv mehr Naturschutz und eine Erweiterung des Grundgesetz-Artikels 20a könnte demnach ein erster Schritt in diese Richtung sein. Die vielen Pro-Argumente des Naturschutzes sprechen dafür schon allein für sich. Die Sorge um schützenswerte Kulturlandflächen ist berechtigt und auch diese sind, insbesondere mit einem Alter, wie die Lüneburger Heide, insoweit etabliert, als sie als schützenswert zu betrachten sind. Auch wenn der Begriff "Naturschutz" für diese eher unzutreffend ist und man eher von einem "Kulturlandschutz" sprechen müsste. Beachtet man diesen Umstand gibt es nur noch ein Gegenargument, was gegenüber dem Naturschutz versucht Bestand zu halten. Der Schutz von Arbeitsplätzen ist gewiss eine wichtige Betrachtung, aber mit Subventionen, welche ausgezahlt werden würden, um den Wechsel in eine Naturschützende Unternehmensstruktur zu wechseln (mit dem Zusatz, dass Arbeitsplätze dabei erhalten bleiben müssen) könnte ggf. eine Lösung sein.
Kosten für den Staat gibt es im Bereich Naturschutz gewiss, aber es kommt uns teurer, wenn wir alles immer wieder aufbauen müssen, weil uns der Naturschutz zu "teuer war".
Quellen
- Michaela Arndörfer: Wie viele Arten braucht der Mensch? : eine Spurensuche, Wien ; Köln, Weimar: Böhlau-Verlag 2010 Reihe: Österreich / Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft: Grüne Reihe des Lebensministeriums, Band 22, ISBN 978-3-205-78516-3
- Klaus-Dieter Hupke: Naturschutz - Ein kritischer Ansatz, Springer-Sepktrum-Verlag 2015, ISBN 978-3-662-46903-3, S. 29 - 37
- https://www.spiegel.de/politik/naturschutz-soll-ins-grundgesetz-a-7701a311-b6aa-4699-a2bf-90b305d107c9 Abgerufen am 15.10.2021
- https://dejure.org/gesetze/GG/20a.html Abgerufen am 15.10.2021
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/pro-und-kontra-naturschutz.950.de.html?dram:article_id=137552 Abgerufen am 15.10.2021