Es ist eine laue Sommernacht, keine übermäßige Hitze und auch kein Regen. Ich bin müde und schwanken zwischen schlafen und einem weiteren Schreibprojekt, was unbedingt am heutigen Tage noch fertig werden muss. Aber eigentlich ist schon Schlafenszeit, wenn ich die Abfahrt der Odyssey nicht verpassen will und zeitgleich "ausgeschlafen" erscheinen möchte. Ich schwanke gähnend ins Bad und bin eigentlich bereit nun nach meinem Toilettengang ins Bett zu wandern. Der weiß geflieste Raum ist hell erleuchtet und ich sehe mich noch ein wenig um, während die Toilettenspülung einen lauten Strudel erzeugt. Gelegentlich kommt es vor, dass sich bei uns Insekten in unser Badezimmer verirren, insbesondere beim Lüften. Da die anderen in den WG eher vor solchen "Monsterchen" reiß ausnehmen, nehme ich mich ihrer gerne an. Tatsächlich entdecke ich noch eine ziemlich große Hausmutter (Noctua pronuba) an der Gardinenstange. Schwer zu erreichen, ich könnte mich auch einfach ins Bett legen. Schlafen. Aber so viel Zeit hat dieser Nachtfalter vermutlich nicht. Ich gehe zurück, in mein Zimmer nehme ein Glas und ein Blatt Papier zur Hand und kehre wieder ins Badezimmer zurück. Es gelingt mir nicht direkt beim ersten Versuch das Tier einzufangen, dafür hat sich der Nachtfalter eine zu ungünstige Postion ausgesucht. Aber durch diesen ersten Fangversuch konnte ich die Hausmutter an die Fensterscheibe lotsen, wo ich dann mein Glas über sie stülpen konnte. Wild flatterte der bräunliche Schmetterling in meinem Glas und spuckte sogar braunen Nektar-Magensaft aus um seinem transparenten Gefängnis zu entkommen. Rasch schiebe ich das Blatt Papier zurück und Presse es an die Glasöffnung. Mit schleunigen Schritten und ruhigen Worten für den Nachtfalter gehe ich aus dem Badezimmer, um das Licht auszumachen. Schließlich soll beim Freilassen nicht wieder eine tolle, große Lichtquelle den armen Nachtfalter von seinem natürlichen Biotop abbringen. Auch im Dunkeln sage ich der Hausmutter, dass ich verstehe, dass sie Angst hat, aber gleich alles wieder gut ist. Sie versteht es vermutlich nicht (ich bin mir da sogar relativ sicher), aber es fühlt sich richtig an, es auszusprechen. Ruhig sitzt der Schmetterling im Glas und hat sich seinem Schicksal ergeben. Ich öffne mit einer Hand das Fenster und beuge mich heraus. Rasch und doch vorsichtig ziehe ich das Blatt Papier von der Glasöffnung weg. Frische Luft strömt hinein und muss bei der Hausmutter für eine gewisse Irritation sorgen. War das Raubtier doch nicht in der Lage sie zu fangen? Vorsichtig bewege ich das Glas, schüttel es leicht um sie zu animieren, es zu verlassen. Ihre Flügel vibrieren und sie beginnt zu flattern. Kaum realisiere ich, dass sie im Begriff ist zu fliegen, hat sie mein Glas auch schon verlassen.
Ich schließe das Fenster und ziehe die schwere Gardine vor. Mit wenigen Schritten verlasse ich das Bad und mache noch einmal kurz das Licht an um zu sehen, ob ich nicht noch einen Gast übersehen habe. Aber nein alles friedlich, ich könnte jetzt schlafen gehen oder noch diesen Moment festhalten.
Hausmütter sind in Deutschland noch ungemein häufig und gelten nicht als gefährdet. Da sie aber zu den Fluginsekten, insbesondere zu den Schmetterlingen gehören, ist es nicht verkehrt sie einzufangen, wenn sie sich in die eigenen vier Wände verirrt haben. Schließlich haben wir in den letzten Jahren gut 80 Prozent unserer Fluginsekten verloren.
Schmetterlingseffekt
Der Schmetterlingseffekt ist ein Phänomen der Nichtlinearen Dynamik. Es ist nach diesem Effekt nicht vorhersehbar, wie sich beliebig kleine Änderungen einer Anfangsbedingung eines Systems langfristig auf dieses auswirken. Oder um in dem Bild von Edward N. Lorenz zu bleiben, es stellt sich die Frage, ob der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann.
Was also, wenn der eingefangene und wieder freigelassene Hausmutter eben eine solche Bedeutung zukommt und ihre Flügelschläge etwas in der Zukunft auslösen, was wir noch nicht erahnen können?
Schneeballeffekt
Der Schneeballeffekt besitzt teilweise mit dem Schmetterlingseffekt Ähnlichkeiten, auch hier führen kleine Effekte über eine Kettenreaktion bis zu großen Ereignissen und Katastrophen. Im Gegensatz zum Schmetterlingseffekt sind diese aber im Zusammenhang absehbar. Sagen wir zum Beispiel die Temperatur steigt um 0,5 °C an, dann scheint es für uns nur ein kleiner Effekt zu sein, doch wenn daraus resultiert, dass die Meeresspiegel steigen. Die im Kapitel Domino Day erwähnten Domino Steine/Kippelemente führen nicht zum Domino-Effekt, wo alles fällt aber gleich schlimm bleibt, sondern zu eben diesem Schneeballeffekt. Immer größer und gefährlicher, mit immer größeren und gefährlicheren Folgen.
Massenaussterben
Wenn wir an Aussterben durch den Klimawandel denken, denken wir als erstes wohl an den Eisbären (Ursus maritimus), schließlich wird er zu großen Teilen, wenn nicht sogar gänzlich am Ende des Jahrhunderts verschwunden sein, wenn wir die Klimakatastrophe nicht irgendwie abmildern können.
Doch der Eisbär ist nicht das einzige Opfer des menschengemachten Klimawandels, 19 Prozent aller Tierarten, welche heute schon auf der roten Liste stehen, sind durch den Klimawandel bedroht. Das sind nach aktuellem Kenntnisstand fast 2900 Tierarten, die durch den Klimawandel aussterben könnten.
Könnten, heißt ja nicht, dass es bereits vorgekommen ist, dass durch den Menschen gemachten Klimawandel eine Art ausgestorben wäre...
Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte
Die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte (Melomys rubicola) erreichte eine Kopf-Rumpf-Länge von 14 bis 16 Zentimetern, eine Schwanzlänge von 14,5 bis 18 Zentimeter und ein Gewicht von 100 Gramm. Ihre Oberseite war einfarbig kastanienbraun und ging über die heller werdenden Flanken in ein Gelbbraun über, bis ihr Fell an der Unterseite weiß wurde. Der Schwanz war lang, dünn und rau, die Ohren waren klein.
Die Verbreitung der Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte war auf Bramble Cay beschränkt, eine Koralleninsel mit 5 Hektar Gesamtfläche, wovon etwa 2,2 Hektar mit Vegetation bedeckt sind. Nur hier in der Torres-Straße, im äußersten Norden des Great Barrier Reefs existierte dieses Nagetier. Sie gehörte zu den am stärksten isolierten Säugetierarten der Welt.
Noch im Jahr 2008 klassifizierte die IUCN die Art als von Aussterben bedroht, damals lebten noch etwa 50 geschlechtsreife Tiere auf der Insel. Die damalige Schätzung basierte auf Beobachtungen aus den Jahren 2002 und 2004.
Bei einer Suchexpedition im Jahr 2011 konnte kein Exemplar mehr nachgewiesen werden. Ein Jahr später wurde sie als möglicherweise Ausgestorben betrachtet.
2014 erfolgte eine weitere Suchaktion, erneut erfolglos.
Im Juni 2016 wurde die Bramble-Cay-Mosaikschwarzratte von der IUCN
als ausgestorbene Säugetierart eingestuft. Sie ist damit das erste Säugetier, dass durch den Menschen verursachten Klimawandel ausgestorben ist.
Denn in der Torres-Straße war der Meeresspiegel seit 1993 jährlich um 6 Millimeter gestiegen, bis 2010 waren das 10,2 Zentimeter. Was zu Veränderungen in den Wetterverhältnissen führte, wie Zyklone. Diese tropischen Stürme vernichteten 97 Prozent des Lebensraums der Tiere, in einem Zeitraum von 10 Jahren. Wir wissen nicht wie alt die Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte wurde, war ihre Lebenserwartung ähnlich der Hausmaus, so waren es nicht mehr als drei Generationen, welche den Schwund ihres Lebensraums und ihrer Art miterleben mussten. Aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels und der höheren zyklonischen Aktivität kam es zu häufigeren Überflutungen der Insel. Etwas womit die kleinen Nager in früheren Jahrhunderten durchaus umzugehen wussten, doch der Menschengemachte Klimawandel hatte die Bedingungen so sehr verschärft, dass sie von der Insel verschwanden. 2014 wurde zudem festgestellt, dass nur noch zwei von ursprünglich elf Pflanzenarten auf der Insel heimisch waren. Auch sie wurden Opfer des steigenden Meeresspiegels und der neuen Bedingungen.
Die Regierung von Queensland forderte dazu auf, andere Orte auf eine mögliche Population zu untersuchen, sieht diese Suche aber als nahezu aussichtslos an.
Im Februar 2019 wurde die Bramble-Cay-Mosaikschwarzratte auch vom australischen Umweltministerium in die Liste der ausgestorbenen Säugetiere aufgenommen.
Schlußwort
Es steht außer Frage das durch vermeintlich kleine Begebenheiten, die größte Ereignisse erwartbar seien können und werden. Das menschengemachten Aussterben von Arten ist genauso in den Angiff zu nehmen, wie der menschengemachte Klimawandel. Verantwortung übernehmen und handeln, nicht nur für uns, sondern auch für andere.
Quellen
- https://www.nabu.de/news/2017/10/23291.html Abgerufen am 2.07.2021
- Edward N. Lorenz: The Essence of Chaos. University of Washington Press, Seattle (WA) 1993, ISBN 0-295-97270-X.
- https://www.scinexx.de/news/geowissen/schneeballeffekt-potenziert-oekologische-klimafolgen/ Abgerufen am 2.07.2021
- https://www.iucn.org/resources/issues-briefs/species-and-climate-change Abgerufen am 2.07.2021
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37749/umfrage/artenvielfalt-tiere-auf-der-roten-liste/ Abgerufen am 2.07.2021
- Peter Menkhorst: A Field Guide to the Mammals of Australia. Illustrated by Frank Knight. Oxford University Press, South Melbourne u. a. 2001, ISBN 0-19-550870-X, S. 176.
- Ronald Strahan (Hrsg.): The Mammals of Australia. Revised edition. Smithsonian Institution Press, Washington 1995, ISBN 1-56098-673-5, S. 637–638.
- Andrew Burbidge, John Woinarski, Peter Harrison: The Action Plan for Australian Mammals 2012 Csiro Publishing, 2014. ISBN 978-064-310-873-8.
- https://web.archive.org/web/20190220085716/https://www.environment.gov.au/minister/price/media-releases/mr20190218a.html Abgerufen am 2.07.2021
- https://www.iucnredlist.org/species/13132/195439637 Abgerufen am 2.07.2021
- Jan Dönges: Erstes Säugetier durch Klimawandel ausgestorben Spektrum vom 14. Juni 2016, https://www.spektrum.de/news/erstes-saeugetier-durch-klimawandel-ausgestorben/1413510 Abgerufen am 2.07.2021
- AFP/Stuttgarter Nachrichten, Erstes Säugetier durch Klimawandel ausgestorben in: Stuttgarter Nachrichten, 19. Februar 2019, https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.bramble-cay-mosaikschwanzratte-erstes-saeugetier-durch-klimawandel-ausgestorben.29185273-6a0f-4cc5-b4c6-716434fd790a.html Abgerufen am 2.07.2021
- Michael Slezak, Revealed: first mammal species wiped out by human-induced climate change in: The Guardian, 14. Juni 2016, https://www.theguardian.com/environment/2016/jun/14/first-case-emerges-of-mammal-species-wiped-out-by-human-induced-climate-change Abgerufen am 2.07.2021
- Ian Gynther, Natalie Waller, Luke K.P. Leung, Confirmation of the extinction of the Bramble Cay melomys Melomys rubicola on Bramble Cay, Torres Strait : results and conclusions from a comprehensive survey in August – September 2014, Government of Queensland, Queensland University, Juni 2016, https://www.ehp.qld.gov.au/wildlife/threatened-species/documents/bramble-cay-melomys-survey-report.pdf Abgerufen am 2.07.2021
- Queensland Government, Department of Environment and Heritage Protection, Bramble Cay melomys https://www.ehp.qld.gov.au/wildlife/threatened-species/endangered/endangered-animals/bramble_cay_melomys.html Abgerufen am 2.07.2021
- Daily Mail: Rodent becomes first 'climate change extinction': Australia officially declares the Great Barrier Reef's Bramble Cay melomys is no more vom 19. Februar 2019, https://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-6719849/Aussie-rodent-climate-change-extinction.html?fbclid=IwAR3H8asdOC5q37V9k7uCufknUUynxJ7aCdY8T-2eMS9s_LSWdvWWPBTAJFE Abgerufen am 2.07.2021