"Junge Dame, auch wenn sie einen großen Namen tragen, sie können nicht einfach entscheiden, wen wir aus dem Hospiz entlassen und wen nicht."
"Aber sie entscheiden, wer sterben soll, oder was? Nach welchen Kriterium haben sie das entschieden? Nach der Dicke der Geldbeutel? So wie sie das schon früher gemacht haben?"
"Was wissen sie schon von früher, Fräulein von Hischberg?"
"Ich weiß, dass sie versucht haben, mich zu töten."
Ich saß vor der Tür des Büros meines alten Chefs der Klinik, in der einst Jacqueline von Hirschberg gelegen hatte und wo man über ihren und auch über meinen Kopf hinweg entschieden hatte, dass man keine Lebenserhaltenden Maßnahmen mehr finanzieren würde. Sie hatte sich geirrt. Wir hatten nach zwölf Jahren Forschung einen Weg gefunden, ihr wieder ein selbst bestimmtes Leben zu geben. Sie bedankte sich dafür damit, dass sie andere wie sie suchte, die man retten konnte.
"Jedes Leben ist wertvoll", sagte sie mir. "Heute können wir ihnen helfen, weil ihr mich geliebt habt."
Sie hatte wohl recht, aber auch wenn wir nun in der Lage waren, vielen Verletzten zu helfen, waren nicht alle anderen automatisch bereit, uns ihre Patienten zu überlassen. Wir waren mit unseren Methoden geschäftsschädigend. Und dann waren wir ja auch noch offiziell eine Schönheitsklinik. Unsere Frischzellenkur, wie man teilweise Abfällig es zu Formulieren tat, sei nur etwas für Superreiche. Im Prinzip hatten sie recht. Aber so hatten wir Geld, um so Menschen zu helfen, wie dem Jungen von Zimmer 307. Er war mit seinem Fahrrad von einem alten Sattelschlepper überfahren worden, noch einer von denen ohne Totwinkelsensor. Und da seine Eltern nicht zu den normal reichen Privatversicherten zählten, hatte man seinen Eltern gesagt, es sei Zeit, sich von ihm zu verabschieden. Jacqueline hatte wegen ihrem Praktikum keine zwei Meter daneben gestanden.
Sie hatte daraufhin den Jungen von einem Intensivbett in ein anderes verfrachtet, hatte mich angerufen und sich, als es dann raus kam, was sie getan hatte, mit ihrem und meinem ehemaligen Boss angelegt. Ich kam nur zu den letzten Ausläufern des Wortgefechtes dazu. Noch hatte mein Exchef, der nur einen Monat vor seiner Pensionierung stand, mich nicht gesehen.
"Man kann nicht alle retten", erklärte er jetzt. "Sie müssten das doch am besten wissen. Ihr Vater hat doch damals dieses Mädchen zu euch geholt, dass dann gestorben ist. Willst du, dass auch dieser Junge so lange leidet, wie sie damals?"
"Ich habe nicht gelitten", platzte es nach kurzer Pause aus Jacqueline heraus.
"Du hattest ja auch noch Glück. Aber die Kleine doch nicht. Wie hieß sie nur, ich habe den Namen vergessen."
"Jaqueline", half ihm Jaqueline auf die Sprünge.
Ich überlegte, ob ich ihm aus der peinlichen Situation heraushalf. Doch dann dachte ich wieder daran, wie er vor dreizehn Jahren den Ethikrat kontaktiert hatte, der dann den Tod von Jaqueline angeordnet hatte. Und die Adoption von ihr verhindert hatte. Sollte er sich ruhig jetzt noch etwas unter dem Angriff derer winden, die er damals für nicht lebenswert erachtete.
"Sie sind ...?"
"Genau die. Und nur weil mein Vater, der nicht über ihren Pragmatismus verfügt, lieber auf den Silberstreif am Horizont hoffte, habe ich überlebt."
"Und deshalb glauben sie jetzt, dass sie diesen Jungen retten können? Weil sie Glück gehabt haben?"
"Sie hören mir nicht zu. Ich hatte kein Glück." ... "Doch sie haben recht, ich hatte Glück. Ich hatte das Glück, dass mein Vater, meine Mutter und meine große Schwester solche Dickköpfe sind, dass sie einfach an meine Überleben geglaubt haben. Dass sie hier waren, als es kein andere war. So und jetzt bin ich das Glück für diesen Jungen. Wollen sie es ihm weiter verwehren?"
Soll ich sagen, dass ich stolz auf meine Stieftochter Jacqueline bin? Ich glaube, das muss ich nicht.