Vorbemerkung: Erst wollte ich bei dieser Erinnerung "ihr erstes Mal" draufschreiben. Aber dann dachte ich daran, was Dark Manor eigentlich für ein Geschichtenkanon ist und habe es dann gelassen. Sonst kommen zu viele Leute auf die falsche Idee. Die Geschichte spielt sechs Monate nachdem Jaqueline von Hirschberg in einer aufwendigen Operation ihren neuen Körper erhielt.
Jaqueline stand wie angewurzelt vor der Beamtin, die ihr den Stift hinhielt, mit der sie ihre Unterschrift in das elektronische Eingabegerät eintragen sollte. Aber statt diesen in die Hand zu nehmen, starrte sie die Frau nur vollkommen verunsichert an.
"Ich kann nicht", sagte sie.
"Ich habe ihn doch schon desinfiziert", sagte nun die Beamtin ungeduldig und bedrängte meine Tochter. "Jetzt müssen sie aber nun wirklich keine Angst mehr vor dem Stift haben."
Ich war noch zu weit weg, um sie sofort zu retten, aber ich lief in ausladenden Schritten durch das Rathaus hin zur Personalausweisstelle. Mir war es auch zu spät eingefallen, dass der sonst so starken und selbstbewussten Jaqueline hier nun eine riesige Hürde begegnen würde, die zu meistern sie nicht in der Lage war. Ein Stift. Ein kleiner unscheinbar Plastikpinn mit magnetischer Spitze, mit dem sie einfach nur eine Unterschrift setzen sollte. Aber so hatte sie noch nie geschrieben, geschweige denn, dass sie einen Stift in ihrer Hand gehalten hätte. Alles, was für die anderen normal war, hatte sie nie gebraucht. Erst jetzt würde es Teil ihres Lebens sein.
Ich sah ihren Versuch, zu fliehen. Sah, wie sie sich umdrehte und mich auf sie zu rennen sah. Ich sah die Tränen in ihren Augen, bevor ich sie in den Arm nahm und sie ihr Gesicht an meiner Brust verstecken konnte. Ich sah streng in die Augen der Beamtin, bevor ich diese aus dem Zimmer befahl, um mit meiner Tochter allein zu sein.
"Das dürfen die anderen nie erfahren", flüsterte Jaqueline in den Stoff meines Hemdes.
"Was denn?"
"Das ich eine Panikattacke wegen eines Stiftes bekommen habe."
"Sie werden es verstehen. Sie kennen dich!"
Ich hob mit der Hand ihr Kinn hoch und sah ihr in die vor Tränen schwimmenden Augen.
"Mädchen. Sag einfach, ich bin schuld. Weil ich dich alleine gelassen und nicht gewarnt habe."
"Aber das stimmt doch nicht. Ich wollte es doch alleine machen. Ich hab doch bis gerade alles alleine gemacht. Ich meine, das ist doch nur ein Stift. Die werden alle lachen. Bestimmt. das ist doch zu blöde."
"Du hättest Alex erste Unterschrift sehen sollen", bemerkte ich jetzt und bekam von Jaqueline einen Knuff in den Bauch. Alex war auch einer meiner Patienten gewesen und war ihr Freund. "Er hat knallhart ein X hingesetzt und gemeint, von ihm gäbe es nur elektronische Signaturen."
"Das will ich aber nicht", sagte Jaqueline mit einer kleinen Spur Trotz.
"Dann ...", und ich angelte nach dem Kugelschreiber und einem Blatt aus einem Ständer, "werden wir das jetzt üben."
"Jetzt?"
"Klar, du hast in drei Monaten das Laufen, in vier das selbstständige essen mit Messer und Gabel und Stäbchen gelernt. Da dürften ja wohl zehn Minuten reichen, um dir das Halten eines Stiftes und die Entwicklung einer Unterschrift reichen."
Ich drehte sie vor mich und legte ihre Hand in meine Hand. Dann setzte ich den Stift in ihre Hand und half ihr, ihn richtig zu fassen und führte sie dann durch die Buchstaben ihres Namens. Das machte ich einige Male, bevor ich sie es selber machen ließ. Sie lächelte mit jedem Mal mehr, bis nach einer Zeit das ganze Blatt mit ihrem Namen voll war. Und ganz zum Schluss hielt ich ihr das elektronische Ding hin, wo sie auch noch unterschrieb.
Als wir wieder draußen waren, sagte sie nur: "Danke Papa."