"Du hast gewusst, dass irgendwann der Tag kommen würde. Und dann ist es nur konsequent, dass du das hier beendest. Ein Vater muss seine Kinder ziehen lassen."
Pia hatte ihre Hand auf meinem Arm und führte sie sachte zu dem kleinen Schalter, der die Verbindung zu den neuronalen Chips meiner beiden ältesten Töchter mit dem Klinikserver unterbrechen konnte. Danach würde ich keine Signale mehr von ihnen empfangen. Ob es ihnen gut ging oder schlecht. Ob sie glücklich waren oder traurig. Ob sie in Gefahr waren oder ihr Leben in ruhigen Bahnen verlief. Ich würde es nicht mehr direkt mitbekommen.
Ich hatte gerne die Kontrolle, das muss ich zugeben. Ich war ja schon sehr perfekt darin, mich selber zu kontrollieren. Auch Pia und ich hatte so einen Chip, auch von uns wurden Daten in den Hauptcomputer gespeist und gaben unserem Projekt Daten um Daten, wie Körper sich bewegten. Wann welcher Muskel in welcher Situation welche Reize bekam, sich zu bewegen. All das hatten wir gebraucht, um die zerstörten Nervenbahnen unserer Töchter wieder künstlich neu zu erzeugen. Erst nur bei unserer Tochter Jannet, die bei dem Unfall einen Arm und beide Beine verloren hatte, dann bei Jaqueline, deren kleiner Körper in den Trümmern des LKWs zerquetscht worden war und der wir einen kompletten Ersatztorso hatten bauen müssen. Es war uns gelungen. In den letzten 5 Jahren war keine Fehlfunktion mehr aufgetreten. Aus medizinischer Sicht brauchte es keine Dauerverbindung zu unserem Server.
"Aber wenn nun doch was passiert", fragte ich mit einem zweifelten Unterton.
"Da passiert nichts. Und wenn etwas passiert, dann werden sie dich zuerst anrufen. Deine Töchter hängen zu sehr an dir, als das sie wegen sowas sich schämen würden, anzurufen."
"Aber wenn denen was anderes passiert. Kein Technikdefekt, ich meine was wirklich schlimmes."
"Martin van Düren. Wesen Töchter haben sich denn vor fünf Jahren mit ihren zarten siebzehn Jahren mit deinen perversen Gästen angelegt und haben die alle zusammen hinter Gitter gebracht? Wer hat Merl angegriffen? Hmm? Wer hat diesen Spinner in diesem Bauernhof im Westerwald ausgehoben, der die jungen Frauen und auch Jaquelines Mutter in einem Stall gehalten und als Zuchtmaschinen missbraucht hat? Wer war das?"
"Jannet und ihr Freundinnen", sagte ich zerknirscht. "Aber Jessica ist nicht mehr bei ihnen."
"Weil sie jetzt statt in einer WG in einem Apartmenthaus leben? Ich bitte dich, Martin. Das ist doch noch immer fast eine WG. Außerdem haben die vier alle Männer, die sind jetzt für die Überwachung zuständig. Du kannst sie loslassen."
Ich war immer noch voller Zweifel. Die Welt war noch immer ein gefährlicher Ort. Sie würde es auch immer bleiben. Das lernte man auf jedem Elternabend der Schule, die nun auch unsere Jüngsten besuchten. Pia saß ja nach einer Spende, die sie getätigt hatte, im Elternbeirat. Und jetzt sah sie mich sehr ernst an.
"Vertraust du mir?", wollte sie wissen.
"Ich vertraue dir mein Herz an. Es ist doch eh schon deins."
"Und ich vertraue den Kindern. So und nun trennst du die Verbindung und verhältst dich endlich wieder wie der Mann, den ich mal geheiratet habe."
Das saß. Ich drückte die beiden Schalter runter, die die Verbindung zu meinen Töchtern lösten. Dann sah ich Pia streng an. "Auf die Knie, Weib", sagte ich streng. "So viele Frechheiten bedürfen mal wieder einer Bestrafung."
"Endlich", sagte Pia grinsend, bevor sie einen demütigeren Gesichtsausdruck annahm und wie befohlen auf die Knie ging.