Im Bett wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, schob meine zig Decken von mir und zog sie wieder an. Eine unerklärliche Anspannung hielt mich vom Schlafen ab. Es war, als hätte ich noch etwas Dringendes zu erledigen, wusste aber nicht, was. Im Kopf ging ich meine Hausaufgaben durch, die anstehenden Klassenarbeiten, den Stoff für die Nachhilfe. Alles war erledigt, nichts liegengeblieben. Wie auch. Meine Mutter scherzte oft genug, wie gerne sie sich meine schier unerschöpfliche Energie ausleihen würde. Doch während sie abends erschöpft in einen tiefen Schlummer fiel, schien mein Körper noch lange keine Ruhe zu brauchen.
Vielleicht könnte ich schon den Einkauf für Übermorgen planen? Ich knipste das Licht an und sofort erfüllten die Umrisse meiner Errungenschaften die Schwärze. Auf dem weißlackierten Wandregal glänzten kleine Metalltrophäen zwischen Silber- und Goldmedaillen, Andenken früherer Sportleistungen. Daneben hingen in Glasrahmen verewigte Artikel der Lokalzeitung, auf jedem ein übergroßes Foto von Mahlers Café - mal von innen, mal von außen, mal weihnachtlich geschmückt, mal vollgestopft mit Kindern im Prinzessinenoutfit, doch alle mit mir und meiner Mutter darauf – und versehen mit lobenden Überschriften wie „Für einen guten Zweck - Mahlers Cafè startet erfolgreich 3. Spendenaktion“ oder „Dem Schicksal zum Trotz: unschlagbares Mutter-Tochter-Gespann“.
Ich griff über einen Stapel Universitätsbroschüren nach dem Notizblock und schrieb darauf los. Die Liste war beachtlich gewachsen, bis ich an einem Wort hängenblieb. Batterien...
Eingeschweißt zwischen glänzendem Plastik und bedrucktem Karton. Eine kleine Packung, die im Regal hing. Man musste einfach nur zugreifen, schon gehörten sie einem. Sofort hatte ich wieder den Jungen vor Augen. Sein selbstgefälliges Grinsen, seine Hand, die sich danach ausstreckte.
Längst hatte ich den Block beiseitegeschoben und ließ meine Finger über den weichen Pyjamastoff wandern. In Gedanken pflückte er sich wieder die Trauben ab, die in seinem Mund verschwanden. Mein Körper bebte leicht, als ich unter den Hosenbund glitt. Ich konnte das Elektroregal direkt vor mir sehen. Dort hingen sie fein säuberlich. Eine leichte Beute, für jedermann erreichbar. Ich ließ meine Finger spielen, wie mein Kopf mit dem Gedanken, nach der Packung zu greifen. Seine schmalen Hände streckten sich danach aus. Hol sie dir. Ich unterdrückte einen Seufzer. Er umfasste die Packung, löste sie von den Metallstäben. Nimm sie, nimm sie. In Zeitlupe ließ er die Batterien in seine Hose gleiten.
Ich biss ins Kopfkissen. Unnötigerweise, denn das gleichmäßige Schnarchen meiner Mutter im Zimmer gegenüber übertönte alle anderen Geräusche. Sie hatte mich nie dabei gehört. Womöglich konnte sie es sich nicht einmal vorstellen, dass ihre süße Tochter unruhige Nächte auf diese Weise zubrachte. Und obwohl die Scham danach mich immer eines Besseren zu belehren versuchte, wusste ich doch, dass es mir beim Einschlafen half. Nur das ich dieses Mal an einen Jungen aus Wittelshain dachte – nicht an irgendwelche Schauspieler oder anderer Menschen, denen ich niemals begegnet war – was eine angenehme Aufregung in mir hinterließ.
Vielleicht sollte ich schon morgen wieder zu Schraders.