Ich fühlte mich an den Tag unseres ersten Abgriffs in der Tota zurückversetzt. Chris sagte kein Wort, zog nur an seiner Zigarette bis sie verglühte und schnippte den Filter gegen ein Verkehrsschild, das auf den Beginn einer Spielstraße hinwies. Für ihn war es sicher ein Heidenspaß, wie ich mir den Kopf darüber zerbrach, wohin es gehen sollte. Dass ich ein wenig emotionale Vorbereitung brauchte, schien dabei egal zu sein.
Je weiter wir liefen, desto unruhiger wurde ich. Noch mehr, als wir den Ortskern hinter uns gelassen hatten und nun in eine Richtung unterwegs waren, um die wir eigentlich einen großen Bogen machen sollten. Ich erwartete ständig, dass er in eine andere Straße ausscherte, aber als sich der weitläufige Parkplatz vor uns erstreckte, war unmissverständlich klar, was er anpeilte.
Nur wenige Autos standen auf der gerasterten Asphaltfläche, die meisten direkt vor Schraders Ladentür. Der alltägliche Einkaufsmarathon der Wittelshainer würde erst gegen Abend stattfinden. Trotzdem schlugen alle Alarmsirenen in mir an, die mir bedeuteten, schleunigst von hier zu verschwinden. Ich streckte den Hals und ließ die Augen über den Eingang bis zu den Einkaufswägen unter den Plastikhäuschen wandern. Von Gregor war hier draußen nichts zu sehen, aber was hieß das schon. Chris hingegen schlenderte in aller Seelenruhe über die weißstrahlenden Parklinien.
„Was sollen wir hier?“, fragte ich nervös. „Du darfst da doch gar nicht mehr rein.“
Er grinste mir breit entgegen.
„Muss ich gar nich.“
Mein Herz rutschte ein ganzes Stück tiefer. Ich sollte da hineingehen? Mit Einkaufstasche und Geld wäre das kein Problem, aber das war es auch nicht, was ihm vorschwebte.
Er drehte mich in Richtung des Eingangs und massierte mir die Schultern wie bei einem Boxer vor dem Kampf.
„Also“, sagte er. „Augen nach vorn, Fäuste hoch und gib ihm. Ne, jetzt mal ohne Witz: Geh einfach rein und zieh's durch. Und wenn's brenzlig wird: Abhauen is besser als kämpfen.“
Dann gab er mir einen Klaps auf den Po, damit sich meine Beine in Bewegung setzten. Widerwillig fügten sie sich. Jetzt war es soweit. Ich hatte das Spiel mitspielen wollen und musste nun beweisen, dass ich es auch beherrschte. Auch wenn ich nicht gedacht hätte, es alleine durchziehen zu müssen. Während ich auf Schraders zuging, spulte mein Verstand alle Regeln des Abgriffs herunter, um die Aufregung in Schach zu halten.
Ein letztes Mal noch drehte ich mich zu Chris um, aber ohne von meiner Anspannung Notiz zu nehmen, zuckte der nur lächelnd mit dem Kinn in Richtung Eingang. Ich atmete tief ein und straffte die Schultern.