Das Licht der Zimmerlampe stach mir in den Augen und ich musste einige Male blinzeln, damit die Konturen vor mir schärfer wurden. Hinter dem Fenster war die Sonne bereits untergegangen. Ich hatte offenbar mehrere Stunden in meiner Höhle verbracht. Trotzdem fühlte ich mich alles andere als ausgeruht.
„Hey, mein Mäuschen“, drang die sanfte Stimme meiner Mutter an mein Ohr.
Sie hatte sich neben mich auf die Bettkante gesetzt und streichelte mir über Schulter und Oberarm. Ein schönes Gefühl, so vertraut, dass ich am liebsten geweint hätte.
„Lagst du den ganzen Tag im Bett?“
Ich schüttelte schwach den Kopf, aber selbst diese kleine Bewegung schien meinem Körper zu viel zu sein, denn zusammen mit meinem Verstand bahnten sich die Schmerzen einen Weg zurück in die Realität. Ich hätte weiterschlafen sollen, am besten ein paar Jahre, bis sich alles wieder gelegt hätte.
Meine Mutter blickte mitfühlend zu mir herunter, bevor sie sich eine verirrte Strähnen hinter das Ohr strich und das leergeräumte Regal sowie den zugeschnürten Müllsack bemerkte.
„Du hast aufgeräumt...?“
Ich antwortete nicht.
„Vielleicht können wir neue Wandfarbe besorgen?“, versuchte sie es weiter. „Das Lila ist ja jetzt schon hier seit du ein Baby warst.“
Schwermütig schloss ich wieder die Augen. Das Letzte, über das ich reden wollte, waren neue Dinge. Die Begeisterung dafür hatte mich schließlich erst in diese Lage gebracht. Neue Kleider, neue Farben, neue Melli. Auf alles konnte ich gerade gut und gerne verzichten.
Leise seufzte meine Mutter auf.
„Mel, wie das heute gelaufen ist, tut mir schrecklich leid.“
Meine Lider öffneten sich einen Spalt, um ihr trauriges Gesicht zu sehen. Mir tat es auch leid. Nicht dasselbe, dass sie meinte, denn der Rauswurf aus dem Café schien in weiter Ferne gerückt zu sein. Wie ein unangenehmes Ereignis, das in der Vergangenheit geschehen und nicht wert war, aufgerollt zu werden.
„Wenn du reden möchtest, bin ich hier“, sagte sie.
Gerne hätte ich mit ihr gesprochen. Zum Beispiel darüber, wie dumm ich doch gewesen war, mich auf Chris eingelassen zu haben. Oder über Lena-Marie, die sich aus meinem Leben verabschiedet hatte. Über die Schule, in der vollkommen alleine war, über Jansen, der mich nervte, über Mariell, die ich hasste... Aber meine Kehle war wie zugeschnürt und das Pochen in den Schläfen zu schmerzhaft.
Ein letztes Mal drückte sie tröstend meinen Oberarm und schenkte mir ein verständnisvolles Lächeln, bevor sie das Zimmer verließ. Mit leerem Blick starrte ich auf die ebenso leeren Wände. Es fühlte sich wie damals an, als ich mit ihr hätte reden sollen. Und wie früher konnte ich es nicht. Das Wissen, dass jedes Wort den Schmerz nur vergrößern würde, schob sich wie eine unüberwindbare Mauer zwischen uns. Zwar blieb ich alleine und stumm dahinter, aber meine Mutter könnte davor ihr Leben leben, ganz ohne Kummer und Sorgen. Aus diesem Grund durfte diese Grenze niemals überschritten werden, heute ebenso wenig wie vor vier Jahren.
Die Türklingel läutete, schrill und unheilvoll riss sie mich aus meiner Apathie. Sofort sprang ich aus dem Bett. Jetzt war es soweit, die Polizei stand vor unserem Haus. Ich hörte die eiligen Schritte meiner Mutter. Vor dem inneren Auge sah ich den alten Bäumer in Uniform, wie er ihr mit verschränkten Armen erklärte, weshalb er hier wäre. Ein heftiger Schwindel packte mich, als ich durch das Zimmer in den Flur stürzte.
„Nicht aufmachen!“, rief ich mit heiser Stimme, aber sie hatte bereits die Klinke heruntergezogen und dem Besucher die Tür aufgehalten.