Ich stolperte aus dem Zimmer, musste dem üblen Geruch aus Körperflüssigkeiten und Acrylfarbe entkommen. Dabei wäre ich am liebsten vor mir selbst geflüchtet. Was war ich nur für ein ekelhafter Mensch? Hatte mich tatsächlich dazu hinreißen lassen, im Bett meiner alten Nachbarin und mit deren Schmuck um den Hals Sex zu haben. Als ich gegen die Flurtapete schwankte, schlug etwas in mein Bewusstsein, dass ich lange Zeit über verdrängt hatte: Ich war erst Vierzehn. Ich sollte nicht in Wohnungen einbrechen, sollte keine fremden Sachen durchwühlen, und mich schon gar nicht dort bespringen lassen. Meine Hände begannen zu zittern. Unter meinem Rock pochte und brannte es. Orientierungslos blickte ich mich um, fühlte mich wie ein ängstliches Kind auf der Suche nach einem Erwachsenen. Irgendjemanden, der mir hier heraushelfen würde.
Chris Finger umschlossen mein Handgelenk, zerrten mich durch das verwüstete Wohnzimmer. Ich wollte, dass er mich losließ, konnte aber keinen Ton von mir geben, als er die Terrassentür öffnete und mich mit sich über den Rasen zog. Sein zufriedenes Grinsen machte deutlich, dass es ihm egal war, was er gerade getan hatte. Für ihn war alles ein riesiger Spaß gewesen.
Wir hatten fast das Gartentor erreicht, als er mich plötzlich in den Ginsterbusch stieß.
„Was zum- !?“, zischte ich, aber er drückte mir die Hand auf den Mund und blickte aus der Hocke heraus durch die gelben Blütenstängel.
Vor dem Zaun hörte ich nahende Schritte. Mein Puls beschleunigte. Wir hatten uns ungesehen ins Haus gestohlen, in der Wohnung ein Schlachtfeld hinterlassen und es ohne Weiteres wieder hinaus geschafft. Und nun würden wir, kurz vorm Überqueren der Grenze zum legalen Alltag, erwischt werden? Neben meiner Panik spürte ich Zorn in mir aufsteigen. Warum nur hatte sich Chris nicht mit unseren Ladentouren zufriedengegeben? Er hätte es verdient, von mir in die diebischen Finger gebissen zu werden, die sich wie ein Schraubstock an meinen Mund pressten. Zwischen den Ästen des Gebüschs erkannte ich vier Hosenbeine. Direkt vor meinem Gesicht blieben sie stehen. Mit konzentrierter Miene starrte Chris auf das Paar. Sein Atem ging leise und gleichmäßig, während ich das Gefühl hatte, die Lungen würden mir aus dem Brustkorb platzen. Mir wurde schwindlig. Die Männer tauschten ein paar Sätze aus, Worte des Abschieds wurden gesagt. Ich betete darum, es würde eine schnelle Trennung werden, damit ich wieder atmen konnte.
Endlich verschwanden sie und Chris ließ von mir ab, um über den Gingster zu spähen. Mit einer Geste bedeutete er mir, dass die Luft rein war. Wir sprangen über das niedrige Gartentor und ohne nachzudenken rannte ich los. Ich wollte einfach nur weg, weg von Frau Weigarts Haus und weg von Chris. In der Querstraße zu meinem Zuhause stoppte ich und beugte mich vollkommen erschöpft vornüber. Kurze Zeit später kam Chris neben mir zum Stehen, ich konnte das dumpfe Klimpern des Silberbestecks in seinen Taschen hören.
Keuchend schlug er die Arme über den Kopf.
„Was biste so gerannt? Waren doch safe.“
Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Von wegen safe, das war alles andere als sicher gewesen. Er setzte ein selbstgefälliges Lächeln auf, das ich ihm gerne aus dem Gesicht geschlagen hätte. Stattdessen richtete ich mich auf, straffte die Schultern und stampfte an ihm vorbei in meine Straße. Ich hoffte, er würde den Wink verstehen und mich in Ruhe lassen. Aber wie ein Hund haftete er sich an meine Fersen, hatte mich kurz vor der Haustür eingeholt und zog an meinem Ärmel, um mich zum Halten zu bewegen.
„Was'n los, Lis?“
„Nichts!“, zischte ich.
„Wegen der Alten, oder was?“
Energisch riss ich meinen Arm weg. Warum konnte er nicht einfach verschwinden? Er hatte doch, was er wollte. Eine schnelle Abfolge aus Verwunderung und Unmut durchzog sein Gesicht.
„Es hat dir doch gefallen. Weiß echt nicht, warum du jetzt auf Zicke machst.“
„Dir hat es gefallen“, sagte ich und rupfte mir die Kette vom Hals, um sie ihm vor die Füße zu schmeißen. „Was mir gefällt, interessiert dich doch gar nicht!“
Sein schiefes Grinsen kam zurück, dieser Ausdruck, der sagte, dass er es besser wusste. Mit einer lässigen Bewegung hob er das Schmuckstück auf und steckte es ein.
„Ihr Weiber seid doch alle gleich. Vornerum auf heilig machen und feucht werden, wenn's mal gefährlich wird. Ihr steht doch auf sowas.“
„Ach leck mich!“, gab ich wütend zurück und stampfte zur Haustür.
Er verstand es einfach nicht, und ich war keinesfalls bereit, diesem Vollidioten irgendetwas zu erklären.
„Nächstes Mal“, rief er mir scherzhaft nach.
Mit Wucht knallte ich die Tür hinter mir zu.