26. Kapitel
Das Festival wurde zu einem einzigartigen Erlebnis für Nathalie. Sie war so abgelenkt von dem farbenprächtigen Spektakel, aus Tänzen und Musik, dass sie dabei sogar vergass, dass sich Marc ebenfalls irgendwo herumtrieb. Andächtig lauschte sie den mythologischen Geschichten, welche Wandernder Bär zum Besten gab und erfreute sich an all den wundervollen kunstvollen Gegenständen, welche die Lakota für diesen Anlass gefertigt hatten.
Voller Stolz schaute sie ihrem Liebsten Jonathan zu, der sich anmutig und zugleich temperamentvoll zu den Schlägen der mächtigen Trommel und dem Gesang unzähliger Münder bewegte, stampfte und herumwirbelte. Die Federumhänge, wallenden Gewänder und Kopfschmücke wippten und rauschten, während alles zu einen bunten Farbenspiel, einem Meer aus regenbogengleich schimmernden Lichtern wurde. Es war wahrhaft magisch und Nathalie wurde von den ihr fremden und zugleich vertrauten Düften und Klängen so in Verzückung versetzt, dass sie in eine Art Trance verfiel. Sie wippte mit den Hüften zu den Trommelschlägen und fühlte sich Eins mit dem ewigen Urgrund, den tiefsten Tiefen ihres Seins. Manchmal sang sie mit oder ahmte die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen nach. Ihre Augen hielt sie dabei meistens, in tiefer Andacht, geschlossen.
Und auf einmal… hatte die junge Frau das Gefühl, dass sich ihr Bewusstsein unendlich auszudehnen begann, dass es keine Schranken mehr für sie gab. Sie schwebte durch die lichten Räume des weiten Himmels, tauchte ab in die tiefsten Tiefen der endlosen See, ritt auf den Winden über die weiten Steppen der Plains, sank hinab in den Schoss der Mutter Erde und ruhte an deren Herzen, welches wie ein Kleinod leuchtete. Als die Musik und der Gesang dann schliesslich endgültig verstummten, da war der Frau, als erwache sie aus einem wunderbaren Traum.
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Marc erging es ganz ähnlich wie Nathalie. Er fiel zwar nicht in Trance wie sie. Aber er nahm all die Eindrücke, dennoch tief in sich auf. Auch er bewegte sich im Takte der Musik und summte teilweise zu den Gesängen mit.
Die temperamentvollen Tänze der Männer, gefielen ihm besonders und auch wenn es ihm widerstrebte, musste er seinem Konkurrenten Jonathan, wahrlich Respekt für sein tänzerisches Können zollen. Er hätte dem sonst eher stillen, unauffällig erscheinenden Mann, so etwas gar nicht zugetraut. Doch wenn der junge Indianer tanzte, spürte man richtiggehend das Feuer und die Leidenschaft, welche unter seiner stillen Oberfläche brannten. Ein Feuer, das Nathalie vermutlich schon von Anbeginn in Jonathan erkannt hatte.
Wieder wurde Marc von Groll erfasst. Bestimmt hatte seine Angebetete bereits mit Jonathan geschlafen. Dabei hätte er- Marc, eigentlich seine Stelle einnehmen sollen. So viele Frauen hatte der junge Schweizer im Laufe seines Lebens schon in seinem Bett gehabt. Eigentlich jede die er wollte. Aber ausgerechnet Nathalie, welche er mehr als alles andere wollte, teilte nun das Bett mit diesem… Pferdeknecht!
Frustriert erhob Marc sich von seinem Platz und ging zu einem kleinen Snackstand, den man in der Nähe der Eingangstür aufgestellt hatte. Dort bestellte er sich einen Hotdog und dazu eine Cola. Einige kleine Bistrotische standen herum und Marc ass und trank, während er, mit finsterer Miene, Jonathan beim Tanzen beobachtete. Er beobachtete auch Nathalie, welche sich wie in Trance zu der Musik bewegte. Sie wirkte so glücklich, so in sich ruhend und das machte den jungen Schweizer noch zorniger. Wie nur konnte sie so glücklich sein, während er so unglücklich war?
Auf einmal wurde er von hinten angerempelt. Ziemlich ärgerlich drehte er sich um und wollte einen bissigen Kommentar abgeben. Vor ihm stand ein Mädchen mit blondem, langem Haar, braunen Augen und einem etwas kurvigeren, allerdings keineswegs molligen Körperbau. Sie trug ein braunes Indianergewand mit Holz und Silberschmuck dazu und um den Kopf ein Stirnband aus roten und braunen Federn. Ihr Gesicht war eher länglich, ihre Nase ziemlich spitz und die helle Haut voller Sommersprossen. Sie war ein hübsches Mädchen, wenn auch keine perfekte Schönheit. Doch irgendwie mochte Marc sie auf Anhieb und so verbiss er sich einen bösen Kommentar. Das Mädchen stammelte nun auch eine Entschuldigung und machte sich daran, den Kaffee aufzuwischen, den sie wohl in den Händen gehalten und der sich nun über den ganze Boden ergossen hatte.
„E… es tut mir leid. Ich hörte nur gerade, dass die Indianer als Nächstes den Adlertanz machen werden. Ich liebe alles was mit Vögeln zu tun hat und wollte deshalb nichts verpassen, da war ich wohl etwas unvorsichtig.“
Marc holte einige Servietten und beugte sich dann zu dem blonden Mädchen herunter, um diesem beim Aufwischen des verschütteten Kaffees zu helfen. Sie lächelte ihm dankbar zu.
„Du sagst du magst Vögel?“ fragte er schliesslich.
„Ja, ich weiss auch nicht warum. Aber sie faszinieren mich sehr. Besonders jene Vögel die in freier Natur leben. Ich mag natürlich auch Kanarienvögel oder Wellensittiche, aber viel mehr noch Adler, Spechte, Falken usw. Aber das ist für dich sicher nicht sonderlich interessant. Ich hoffe ich habe dir nicht wehgetan, als ich dich vorhin angerempelt habe.“
„Aber nein!“ lachte Marc. „Ich bin ziemlich hart im Nehmen.“
Das Mädchen lächelte etwas verlegen und wandte sich dann wieder der Bühne zu, wo nun ein melodiöser Gesang angestimmt wurde und einige Frauen, mit Schellenbändern an den Füssen, anfingen einen besonderen Takt zu stampfen.
Die Tänzer hatten sich vorhin kurz zurückgezogen, doch jetzt kehrten sie wieder zurück. An den Armen trugen sie wunderschöne, flügelartige Federschmücke und begannen nun erneut im Takt der Trommeln und der Schellen zu tanzen.
Sie bewegten sich wirklich wie Vögel, die über den Himmel segelten und ab und zu mit ihren Flügeln schlugen.
Auch Jonathan war erneut bei den Tänzern und zu Marcs Unmut, machte er das einmal mehr bravourös. Ab und zu stiessen der junge Indianer und die anderen Statisten Pfiffe aus, die sie mit einer besonderen Vogelpfeife erzeugten, die sie im Mund hatten. Es klang wie ein Adlerschrei.
„Das ist so anmutig und beeindruckend, findest du nicht auch!?“ rief das blonde Mädchen aus und seine Augen leuchteten dabei wie Sterne. Ihre Begeisterung berührte Marc und steckte ihn irgendwie an.
Schliesslich konnte er sogar seinen Groll auf Jonathan beiseitelegen und sich einfach nur an dem Schauspiel erfreuen. Als der Adlertanz vorbei war applaudierten er und das Mädchen, das sich ihm nun als Vanessa Meyer vorstellte, eifrig und johlten bewundernd.
„Dieses Festival ist einfach der Hammer!“ freute sich Vanessa.
„Ja, damit hast du recht,“ erwiderte Marc. „Wollen wir nochmals etwas zusammen trinken? Da du deinen Kaffee vorhin verschüttet hast?“ Die blonde Frau musterte ihn etwas prüfend, scheinbar wollte sie sein Wesen einschätzen. Dann sprach sie fröhlich: „Okay. Bin dabei!“
Nachdem die beiden zusammen nochmals einen Kaffee getrunken und ein Stück Kuchen dazu gegessen hatten, schauten sie sich noch etwas um. An den Marktständen wurden sehr schöne Schmuck und auch einige Alltagsgegenstände der Indianer verkauft. Vanessas Blick fiel auf einen breiten Silberring mit schönen Ziselierarbeiten und einem Vogel aus rotem Jaspis darauf.
„Ein sehr schöner Ring,“ sprach sie. „Aber leider viel zu teuer für eine Studentin wie mich.“
„Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Ring ganz nach deinem Herzen ist,“ lächelte Marc und spürte dabei, wie er versucht war, der jungen Frau, die er bereits sehr ins Herz geschlossen hatte, den Ring zu schenken. Doch das wäre wohl doch etwas zu übertrieben gewesen, da er sie noch kaum kannte. Sicherheitshalber jedoch steckte er eine der Visitenkarten des Künstlers ein, die neben der Auslage aufgelegt waren. Vielleicht würde er sie ja irgendwann nochmals brauchen.
Irgendwie war in ihm wieder der Jägertrieb erwacht und er wollte das blonde Mädchen, das ihn auch optisch sehr anzog, sehr gerne näher kennenlernen.
Kurz darauf verspürte er jedoch ein schlechtes Gewissen. Wie damals bei Nathalie, hatte er bei Vanessa nämlich das Gefühl, dass er sie nicht einfach für eines seiner kurzen Liebesabenteuer, missbrauchen durfte. Sie schien ziemlich sensibel zu sein und irgendwie fühlte er sich mit ihr auf besondere Weise verbunden.
Auf einmal musste er wieder an das denken, was ihm damals durch die Specht- Höhle offenbart worden war. Irgendwo musste es ein Mädchen geben, das ihn schon mehrere Leben hindurch liebte und damals dafür gesorgt hatte, dass die tückischen Schlangen, die ihn einst als Kangi ermordet hatten, ihrer gerechten Strafe zugeführt wurden. Ob Vanessa sogar dieses Mädchen war? Aber das war eher unwahrscheinlich. Warum sollte er sie ausgerechnet hier antreffen und gerade, nachdem er all das erst vor so kurzem erfahren hatte?
Nein! Das war Blödsinn. Nichtdestotrotz gefiel ihm dieses Mädchen und Dank ihm, konnte er sogar ein wenig seine Wut und Trauer über die Geschichte mit Nathalie vergessen. Das war schon eine ganze Menge Wert.