Ellie Blackhorse und die etwas jüngere Sally Blackbird hatten, sogleich nachdem sie an dem kleinen Strand angekommen waren, das Schlauchboot, das Nathalie mitgebracht hatte, für sich beansprucht. Sie pumpten dieses auf und stachen dann damit in den herrlichen, abendlich leuchtenden See.
„Fahrt aber nicht zu weit weg!“ ermahnte sie Wandernder Bär noch. „Wir kennen die Strömungen hier noch nicht so wirklich.“
„Alles klar!“ riefen die beiden schwarzhaarigen Mädchen leichthin und ergriffen die Ruder. Kurz darauf, waren sie bereits ein Stück davongepaddelt.
Wandernder Bär machte sich keine grossen Sorgen, denn Ellie und auch Sally waren eigentlich ganz vernünftige Kinder. Deshalb setzte er sich mit unterschlagenen Beinen etwas an den Strand und verband sich ganz bewusst mit der gänzlich neuen Umgebung, in der er sich gerade aufhielt. Dieses Land hier, hatte eine ganz andere Energie, als sein zu Hause und seine Geister hatten ein etwas anderes Wesen. Kurz darauf war er in eine innere Zwiesprache mit diesen Geistern vertieft, ganz im Vertrauen darauf, dass Jonathan und Nathalie bestimmt ebenfalls ein Auge auf die beiden Mädchen da draussen haben würden.
Jonathan und Nathalie achteten allerdings nur mit halbem Auge auf die beiden Mädchen in dem Schlauchboot, schliesslich waren diese ja mittlerweile alt genug, um grösstenteils auf sich selbst aufzupassen und sie hatten sie ja ermahnt, nicht zu weit hinauszufahren.
Das Liebespaar war im Augenblick ganz in den Zauber versunken, der sie umgab. Der Himmel hatte die wundervollsten Schattierungen aus Orange- und Rottöne angenommen. Dieses Farbenspiel ging nun immer mehr in eine Symphonie von Rosé- und Lilatönen über. Die Farben des Abendhimmels spiegelten sich auf dem stillen See und weit und breit war niemand, ausser ihnen, zu sehen.
Als sie dann auch noch den nistenden Schwan erblickten und Jonathan seiner Liebsten diese zauberhafte Schwanenlegende erzählte, versank Nathalie ganz in ihren Träumereien. Deshalb nahm sie die verzweifelten Rufe, die an ihr Ohr drangen, zuerst gar nicht wahr.
Als sie allerdings begriff, dass diese Rufe von Sally und Ellie stammten, schreckte sie aus ihrer tiefen Andacht hoch. Die Mädchen riefen ihr und Jonathan irgendwelche verzweifelten Worte zu.
„Oh nein!“ hörte sie nun die Stimme ihres Geliebten. „Das Schlauchboot scheint Luft zu verlieren! Ausserdem scheint sie die Strömung abgetrieben zu haben. Sie sind schon zu weit draussen, um allein zurückschwimmen zu können. Ich muss ihnen helfen!“ Mit diesen Worten begann Jonathan wie verrückt zu crawlen und schwamm Richtung Schlauchboot davon.
„Warte Jonathan!“ rief Nathalie. „Es ist auch für dich zu weit und zu schwer, um mit beiden Mädchen zurückzuschwimmen!“
Verzweifelt folgte sie ihm, aber sie war einfach zu langsam. „Oh Gott!“ dachte sie bei sich „Was nur kann ich nur tun? Das Schlauchboot verliert immer mehr Luft. Wenn ich es nicht früh genug erreiche, dann werden sie alle ertrinken! Wenn ich nur schneller wäre, wenn ich irgendein Wassertier, oder ein Wasservogel wäre! Was nützt es mir eine Animalriderin zu sein, wenn ich den Menschen, die ich am meisten liebe, nicht helfen kann?!“
Und… auf einmal kam ihr wieder der Schwan in den Sinn, den sie vorhin gesehen hatten und sie dachte an die Legende, die ihr Jonathan über dieses Tier erzählt hatte. Der Schwan… er hatte Vertrauen gehabt, er hatte sich der ewigen Spirale übergeben und dadurch wundervolles Wissen und wundervolle Gnade erfahren und… auf einmal kehrte seltsame Ruhe in Nathalie ein und sie übergab sich ganz in die Hände des Grossen Geistes…!
Nathalie fühlte sich ganz leicht und unbeschwert. Und als sie an sich heruntersah, erkannte sie, dass ihr Körper sich verändert hatte. Dort wo einst ihre Haut gewesen war, befanden sich nun weisse Federn, die ihren Körper gänzlich bedeckten. Sie sah ganz anders aus als zuvor. Ihr Hals war lang und elegant und sie konnte weit um sich blicken. Unter sich sah sie die Wasseroberfläche vorbeiziehen, als würde sie auf einer Schiene dahingleiten. Sie musste sich gar nicht mehr anstrengen, um vorwärtszukommen. Es ging alles von selbst. Einem unbestimmten Impuls folgend, breitete sie ihre Arme aus. Doch diese Arme waren nun zu grossen, weissen Schwingen geworden. „Oh mein Gott!“ durchfuhr es sie. „Kann es sein dass… ich…“ Und dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag: Sie war tatsächlich zu einem weissen, stattlichen Schwan geworden!!