Es dauerte eine ganze Weile, bis Holz gesucht, ein Feuer gemacht und die Hütte aufgebaut war. Doch Marc war geschickt und es machte ihm sogar Spass. „Wir machen ein Schwitzhüttenritual in sehr kleinem Rahmen,“ erklärte Snake man ihm, während der Arbeit. „Während des Schwitzens wird nicht gesprochen, ausser du hältst es nicht mehr aus und musst raus. Natürlich aber ist es Ziel einige Runden und Aufgüsse durchzustehen, das stärkt den Geist und den Körper. Jede Runde steht für ein Thema: Danken für alles was einem geschenkt wurde, das Bitten für sich und andere und um Einsicht. Dann geht es um das Geben, das was man verschenke, versenden möchte und schliesslich folgt die Visionsphase, wo man sich für Eingebungen der geistigen Welt öffnet und nach Erkenntnis sucht. Man macht bei der ersten Runde 4, bei der zweiten 7, bei der dritten, 10 und in der letzten Runde „unendlich“ viele Aufgüsse. Das ist ziemlich anstrengend aber es lohnt sich stets. Danach bist du wie neu geboren. Nach dem Inipi Ritual kannst du dich im Fluss abkühlen.“ Im Fluss abkühlen, zu dieser Jahreszeit? Marc erschauderte bei dem Gedanken. Er konnte noch nicht ahnen wie sehr er die Kälte dieses Flusses noch schätzen lernen würde...
„Wenn wir die Hütte aufgebaut haben,“ fuhr Snake man fort „und alles weitere erledigt ist, werden wir zusammen noch einige Säckchen mit Kräutern anfertigen, in jedes Säckchen solltest du einen guten Gedanken knüpfen. Diese hängen wir dann über unseren Köpfen auf. Also wohlan! Machen wir dass wir fertig werden!“
Schliesslich war es endlich so weit. Ein Teil der 32 Steine, die sie zusammen ausgesucht hatten lagen im Feuer und Jack kümmerte sich darum. Währenddessen entledigten sich Snake Man und Marc ihrer Kleider. Nur ein Tuch bedeckt noch ihre Scham und sie setzten sich in die kleine, ziemlich enge Hütte. Marc war sehr aufgeregt und liess sich nochmals alles durch den Kopf gehen, was Weise Schlange gesagt hatte. Dann kam Laufender Hirsch mit den heissen, rotglühenden Steinen. Er transportierte sie auf einer Astgabel aus jungem Holz. Als er fertig war schloss er wieder leise den nach Westen liegenden Eingang (Westen ist nur bei den Lakotas üblich, sonst nach Osten). Nun wurde es dunkel wie im Bauch einer Kuh. Marc sah nur noch die glühenden Steine, über die nun auf einmal Funken tanzten. Weise Schlange hatte Kräuter darauf gestreut und ein intensiver Geruch erfüllte die Luft, den Marc aber als angenehm empfand. Irgendwie erschien es ihm, als würde dadurch die ganze Atmosphäre gereinigt. Wärme breitete sich aus. Er war froh darüber, denn er hatte doch ziemlich gefroren. Mit der Zeit jedoch würde die Hitze immer unerträglicher werden. Sein Lehrmeister hatte ihm gesagt, dass man manchmal nahe einer Ohnmacht sein konnte, doch das öffne auch den Kanal für überirdische Wahrnehmungen. Marc war gespannt wie es ihm ergehen würde, da er gar nicht an solche Hitze gewöhnt war. Snake man goss nun Wasser auf die Steine, was ein lautes Zischen zur Folge hatte und kurz darauf war die Hütte ganz von weisslichem Dampf erfüllt. Das Ritual begann!
Marc versuchte sich an die Worte von Snake man zu erinnern. Es folgte nun die erste Runde bei der es ums Danken ging. Für was sollte er danken? Irgendwie wusste er nicht so recht, für was man in so einem Ritual alles dankte. Viele Dinge erschienen ihm zu banal, zu selbstverständlich, als dass er sie hier hätte erwähnen wollen. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, er machte sich wieder vielzuviele unnötige Gedanken. Die Hitze nahm stetig zu, langsam wurde es etwas unangenehm. Es fiel dem jungen Mann immer schwerer einen klaren Gedanken zu fassen, das Hirn wollte ihm irgendwie den Dienst versagen. Er atmete schwer und schon bald sehnte er sich nach der Kühle da draussen. Irgendwie beunruhigte es ihn, dass er die Kontolle zu verlieren schien. Der irdische Verstand war für ihn die oberste Instanz. Wenn er aber ausgeschaltet wurde, was blieb ihm dann noch? Es konnte ihm alles entgleiten und das machte ihm wohl die allergrösste Angst. Warum nur war er hier? Warum hatte er sich auf diese Sache eingelassen? Eine Frage die er sich die letzten Stunden immer wieder stellte. Doch dann fiel sein Blick auf die glühenden Steine, die in der Mitte der Hütte wie rote Edelsteine leuchteten. Es kam ihm auf einmal vor als würden sie in der Hitze wie Herzen pusieren. Sein Lehrmeister hatte ihm auch gesagt, dass die Schwitzhütte wie der Bauch einer schwangeren Frau sei, die auf der Erde liegt. „Durch dieses Ritual kehrst du sozusagen in den Bauch der Mutter, auch in jenen der Mutter Erde zurück und verbindest dich dadurch auch wieder mit der göttlichen Mutter. Es findet eine Erneuerung und eine Neuschöpfung deiner Lebensenergie statt.“ War das wirklich wahr? Wenn ja, dann war die Ausbuchtung mit den Steinen wie das Herz der Grossen Mutter, dem mütterlichen Aspekt Gottes? Wenn Marc aber so nahe beim Herzen Gottes war, wie konnte ihm hier Gefahr drohen? Diese Gedanken kamen ihm einfach so. Sie entsprangen aus seinem tiefsten Innern, und aus einer nie versiegenden Quelle des Göttlichen, die nichts mehr zu tun hatte mit seinem irdischen Verstand.
Der Geruch der Kräuter und die dampfende Hitze die die Hütte erfüllte, benebelten seine Sinne. Er hatte sich ohne es zu merken dem heiligen Fluss anvertraut, der alles Leben erhielt und durchdrang und... plötzlich wusste Marc wofür er danken wollte. Es gab so Vieles und nicht davon war banal oder unwichtig, alles hatte seine Berechtigung und nichts aber auch gar nichts war selbstverständlich! Marc hatte es geschafft sich von der Schwere seines irdischen Verstandes zu lösen und befand sich in einem veränderten Bewusstseinszustand, der wundervoll war. Alles stand auf einmal in ganzer Klarheit vor ihm. Schliesslich wurde die nächsten Ladung Steine vom Feuermann gebracht. Wieviel Aufgüsse es bisher waren, konnte Marc nicht mehr sagen. Als die frischen Steine ihre Hitze zu verbreiten begannen, wurde es ihm wieder bewusst, wie enorm diese feuchte Hitze hier war. Man konnt kaum atmen und langsam breitete sich Schwäche in seinem Körper aus. Doch dann erinnerte er sich daran, dass es im Ganzen vier Runden waren, die so ein Schwitzhütten- Ritual beinhaltete. Diese vier wollte er einfach schaffen, denn er wollte bis zur Visionsphase kommen. Angetrieben von diesem Entschluss, mobilisierte er Kräfte, von denen er nicht mal gewusst hatte, dass er sie besass. Was war nun also das nächste? Ach ja, das Bitten! Das fiel ihm schon leichter als das Danken, was ihn selbst etwas nachdenklich stimmte. Er bat für seine Freund und Angehörige und auch noch für einige sonstige Anliegen. Der Dampf in der Hütte wurde immer dichter, begleitet vom Zischen der heissen Steine.
Plötzlich geschah etwas Seltsames! Ein besonder grosser Funken löste sich von den Steinen und flog direkt auf ihn zu. Unmittelbar über seinem Kopf zerplatzte er in Einzelteile und erhellte für kurze Zeit sein Gesichtsfeld. Marc wusste nicht, ob er sich das nur einbildete, doch es war ihm, als würde dieses Leuchten noch eine Weile im Raum stehen bleiben und auf einmal erlebte er eine weitere, ungewöhnliche Erleuchtung! Er bat den Grossen Geist, Manitou, die Göttliche Macht, oder wie man es auch nennen mochte um die Erleuchtung und das Erkennen seines Weges. Von einer nie gekannten Demut, Liebe und Sehnsucht erfüllt, schloss er seine Augen...
Und dann... geschah es! Vor seinem inner Auge tauchte auf einmal eine riesige Libelle mit schillernden Regenbogen- Flügeln auf, die den ganzen Raum einzunehmen schien. „Ich bin die Zerstörerin von Illusionen!“ sprach sie mit mächtiger Stimme, die mehr nach einem Drachen, als als nach einer zarten Libelle klang. Sie flog mit gewaltiger Schnelligkeit auf Marc zu, so dass er zurück zuckte und drang dann in ihn ein, wie ein glühender Speer! Dieser Speer durchbohrte sein Herz und seine Seele. Er schrie unvermittelt auf, dann verlor er das Bewusstsein...