28. Kapitel
„Meine Güte, das war ein unglaubliches Gefühl!“ schwärmte Nathalie als sie zurück zum Auto gingen. „Ein Schwan zu sein, tatsächlich fliegen und so gut schwimmen zu können. Einfach toll!“
„Ja, Schwäne sind auch ganz besondere Wesen,“ bestätigte Jonathan und legte den Arm um die junge Frau. „Dieses Tier passt sehr gut zu dir. Es entspricht deiner eigenen, Grazie, Anmut und Schönheit.“
Nathalie lachte und gab ihm einen leichten Knuffen. „Du Schmeichler!“
„Ich schmeichle dir nicht, das weisst du. Mir ist das Ganze sehr ernst.“ Nathalie strahlte und gab ihm einen Kuss.
„Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass du die Gestaltwandlung so schnell lernst,“ mischte sich nun Wandernder Bär ins Gespräch. „Sonst geht so eine Ausbildung, meistens Jahrzehnte lang. Und du… hast es bereits geschafft und sogar ohne, dass du wirklich eine Vision Quest gemacht hast.“ „Vielleicht ist ja mein ganzes Leben eine Vision Quest,“ meinte Nathalie schmunzelnd.
„Sieht fast so aus. Die Frage ist jetzt nur, ob du so eine Verwandlung willentlich herbeiführen kannst, ohne dass eine Extremsituation den Ausschlag dazu gibt.“
„Ach Grossvater!“ rief Weisse Feder. „lass doch Nathalie erst einmal ihren Erfolg geniessen! So oder so hat sie etwas Besonderes vollbracht.“
Sie seufzte bedauernd: „Hach, ich hätte die Verwandlung von Nathalie in einen Schwan so gern gesehen. Aber Sally und ich waren vor allem damit beschäftigt, das Boot unter Kontrolle zu bringen. Es war wirklich ein sehr besonderes Erlebnis, von einem Schwan gezogen zu werden und dazu noch von einem gewaltigen Fisch gestützt zu werden.“
„Den grossen Fisch fand ich zuerst sehr gruselig,“ beteiligte sich nun auch Sally an dem Gespräch. „Ich dachte wirklich er will uns fressen.“
„Tut mir leid, wenn ich euch erschreckt habe,“ erwiderte William. „Aber ich musste gross genug sein, um euch auf diese Weise anheben zu können.
Ich bat die Geister dieses Landes darum, mir dabei zu helfen, die passende Gestalt zu finden und so wurde ich zu einem… Wels, einem Fisch, der auch in schweizerischen Gewässern in beachtlichen Grössen vorkommt. Irgendwo im Meer wäre es vielleicht ein Delfin oder Wal gewesen.“
„Man kann also auch die Unterstützung der Geister anrufen, wenn man sich verwandeln will?“ fragte Nathalie interessiert.
„Ja. Oftmals ist das sogar unerlässlich. Du kannst nur zu einem Tier werden, dass es auch in den Breitengraden gibt, in denen du dich gerade befindest. Sonst würdest du viel zu sehr auffallen.“
„Also könnte ich hier in der Umgebung gar nicht zu einem Wolf werden?“ „Du könntest schon, aber es würde sicher einiges Aufsehen erregen, da die Wölfe hier in der Schweiz erst gerade daran sind sich wieder anzusiedeln und es noch nicht so viele von ihnen gibt. Auch haben die Menschen in der Schweiz oft Angst vor Wölfen, verachten sie sogar. Darum besteht bei so einer Gestalt auch immer die Gefahr, dass man erschossen wird oder dergleichen.“
„Das…hättest du mir auch früher sagen können,“ meinte die junge Frau etwas vorwurfsvoll, während sie alle wieder ins Auto stiegen und ihre Taschen und das defekte Boot im Kofferraum verstauten. „Das könnte ja richtig gefährlich werden.“
„Ich dachte ja auch nicht, dass du das Gestaltwandeln so schnell erlernst,“ rechtfertigte sich Wandernder Bär. „Hätte ich das geahnt, dann hätte ich dir schon viel mehr beigebracht. Nun aber, werde ich dir einiges an neuem Wissen vermitteln. Ich bin wirklich sehr stolz auf dich!“ Mit diesen Worten drückte er liebevoll Nathalies Schulter, dann fuhren sie los.
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Während meiner Zeit beim Fischotterklan, erlebte ich viele wundervolle Stunden und ich möchte hier nochmals ein paar Zeilen über mein Leben hier, in diesem Buche niederschreiben. Tatsächlich wurden Patani und ich zu einem Paar. Wir kamen uns ziemlich schnell näher und der wundervolle Mann, mit den strahlenden Augen, erfüllte mein Leben nun mit neuem Glück und neuer Freude. Ich konnte dank ihm und seinem Klan, der immer noch enge Kontakte mit dem Ältestenrat und den meisten anderen Klans pflegte, sogar die Verbannung, welche einst ja vor allem über Kangi verhängt worden war, umgehen und wurde wieder in den Stammesverband aufgenommen. Patani war zwar kein Allessehender, konnte sich also nicht in ein Tier verwandeln, wie ich, aber er war dennoch ein respektiertes, sehr geliebtes Mitglied des Otterklans und einer seiner besten Krieger und Jäger.
Schliesslich wurden sogar die abtrünnigen, boshaften Schlangen unter Braunhaut, dank einem Mädchen aus dem Spechtklan, dass sich Katola nannte, dingfest gemacht und für ihre schrecklichen Taten zur Rechenschaft gezogen. Sie wurden in eine tiefe Grube geworfen, welche dann mit Steinen und Erde zugedeckt wurde.
Durch ihre Verurteilung, wurde Kangi entlastet und sein guter Ruf konnte wieder hergestellt werden. Das war einer der glücklichsten Momente meines neuen Lebens. So konnte ich viel besser den Frieden mit all den schrecklichen Ereignissen machen und mein Herz für eine neue Liebe öffnen. Patani und ich lebten seither glücklich zusammen. Noch lange an einem Seeufer, das uns mit allem Nötigen versorgte. Viele der unterschiedlichsten Klans, zerstreuten sich mehr und mehr, denn die Welt, in der wir uns nun befanden, stellte ganz neue Herausforderungen. Einige von ihnen hatten ein schweres Los, besonders die grossen Fleischfresser. Von schrecklichen Hunger getrieben, erlegten sie viel zu viele unserer pflanzenfressenden Tiergeschwister und einige wurden sogar zu Menschenfressern.
Der kleine See, an dem ich jedoch mit dem Otterklan lebte, lag gut geschützt, in einem verborgenen Tal, am Fusse eines sprudelnden Wasserfalls. Die meisten Vogelvölker wussten zwar von diesem Ort, doch sie verrieten ihn nicht, denn wir pflegten eine gute Freundschaft mit ihnen. Besonders mit dem Rabenklan, dem Kangi einst angehört hatte. Sie und wir bildeten sogar eine Art Allianz und während wir sie bei ihrer Nahrungssuche unterstützten, bewachten sie unsere Heimat als Späher, die uns jeweils sofort warnten, wenn Gefahr drohte.
Auch mit dem Adler, dem Wolf und dem Bärenklan, verband uns eine enge Freundschaft. Die Adler mochten ebenfalls Fisch und natürlich teilten wir unseren Reichtum mit ihnen. Auch einige der Bären kamen manchmal zu Besuch und fischten an unserem See. Dafür beschützten sie uns auch vor anderen, weniger gut gesinnten Eindringlingen.
Patanis und mein Ehegelübde wurde dann sogar noch, wie in alten Zeiten, vor dem Grossen Rat der Tiere abgelegt und von diesem gesegnet.
Leider würde dies eine der letzten rituellen Handlungen sein, welche der Grosse Rat in dieser Form vollzog, denn die neue Welt forderte von vielen der uralten Tiere, seinen Tribut und ein Ratsmitglied nach dem anderen, trat von seiner Position zurück und entschied sich, die Reise in die jenseitigen Lande anzutreten. Lange wurde noch versucht, ihr Erbe weiterzutragen. Zuerst nahmen ihre besten Schüler, so gut es ging, ihre Positionen ein. Doch da sich unter ihnen auch viele Sternenkinder befanden, hörten viele ihrer Tierbrüder nicht mehr auf sie.
Auch ich war noch lange Teil des neuen Rates, doch der Verfall selbigen war schliesslich nicht mehr abzuwenden. Die neue Welt war anders als die Alte. Die Tiere und Menschen waren anders geworden und darum gab es immer mehr Zwietracht zwischen ihnen. Viele trauten einander nicht mehr, hassten einander sogar oder fürchteten sich voreinander. Eine neue Zeitepoche begann und schliesslich werden die goldenen Zeiten, die wir noch erleben durften, nur noch als blasse Nebelschwaden, unsere Erinnerungen durchziehen. Mein Haar ist mittlerweile grau geworden und ich habe mich, zusammen mit Patani, ganz von der Welt zurückgezogen. Wir leben nun allein, in einem kleinen, benachbarten Tal des Otterklans, in einem Tipi aus Häuten und Fellen. Unsere Kinder, sind bereits gross geworden und gehen nun ihre eigenen Wege. Möge der grosse Geist ihre und auch die Wege der zukünftigen Generationen, stets segnen und behüten. Onsimalaye (sei gnädig Gott)!“