Marcs und Vanessas Blick begegneten sich nun und die junge Frau schien ebenfalls ziemlich überrascht, ihn hier zu sehen. „Du nimmst auch an der Schwitzhütte teil?“ fragte sie.
Snakeman antwortete an Marcs Stelle: „Diesmal ist Marc mein Assistent. Er hat schon mal an einem Schwitzhüttenritual teilgenommen und ist, wie gesagt, unser Feuer Mann. Am Ritual selbst nimmt er also diesmal nicht teil.“ Er jetzt wurde Marc so richtig klar, dass er gar nicht hier war, um nach einer weiteren Vision zu suchen, sondern er ganz einfach zum Handlanger von Frank und den anderen Teilnehmern degradiert worden war. Das ärgerte ihn erneut ziemlich, jetzt da Vanessa ebenfalls hier war, umso mehr. So hatte er ja gar nicht die Möglichkeit sie wirklich näher kennenzulernen. Dass sie ebenfalls zu diesem Ritual gekommen war, musste ja ein Zeichen sein. Dann kam ihm jedoch auf einmal der Gedanke, dass Frank dieses Treffen vielleicht sogar absichtlich eingefädelt hatte.
Als er diesen mal kurz allein erwischte fragte er ihn deshalb: „Ist Vanessa eigentlich von sich auch hergekommen oder hast du sie eingeladen?“
„Klar habe ich sie eingeladen!“ erwiderte sein Meister leichthin. „Warum fragst du?“
„Ich wollte einfach gerne wissen, ob du da deine Hände im Spiel hast. Dir ist aber hoffentlich klar, dass das noch lange nicht heisst, dass du uns beide verkuppeln kannst.“ „Wer weiss, wer weiss. Manchmal muss man dich zu deinem Glück zwingen Cinksi!“
„Als Feuermann werden sie und ich uns wohl kaum näherkommen,“ sprach Marc sarkastisch. „Wenn wir beide an dem Ritual teilnehmen würden, könnten wir wenigstens miteinander über unsere Erlebnisse austauschen. So aber… wird das ziemlich schwierig sein.“
Weise Schlange lachte: „Ach Junge, es ärgert dich doch nur, dass du diesmal der Feuermann sein musst. Dabei ist das eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe.“
„Ich hätte aber gerne selbst an dem Schwitzhüttenritual teilgenommen.“
„Darauf wirst du diesmal wohl verzichten müssen.“
Marcs Gesicht wurde immer länger und Snakeman meinte schliesslich: „Du hast mir doch eben erst versprochen, dass du in Zukunft auf mich hören und das tun wirst, was ich dir auftrage. Willst du dieses Versprechen jetzt doch wieder brechen?“
„Mann, das ist einfach unfair!“ knurrte Marc. „Nein, es ist nicht unfair. Der Feuermann zu sein, ist im Augenblick genau die richtige Aufgabe für dich. Also erfülle sie mit Ehre. Denn jede Aufgabe, sollte stets mit Ehre erfüllt werden. Eine wichtige Lektion für dich.“ Darauf wusste der junge Mann nichts mehr zu sagen und er wandte sich schnaubend wieder dem Feuer zu. Die anderen Teilnehmer machten sich währenddessen bereit und verschwanden dann einer nach dem andern, in der aus Weidenruten und Decken bestehenden Hütte. Marc schaute ihnen etwas wehmütig hinterher.
Vanessa hatte ihm noch eine Weile Gesellschaft geleistet und ihm viele Fragen über seine Aufgabe als Feuermann gestellt. Das rechnete er ihr hoch an und er schloss sie mehr und mehr ins Herz. Sie schien auch nicht wütend auf ihn zu sein, dass er sich noch nicht bei ihr gemeldet hatte. Bevor sie als letzte in der Schwitzhütte verschwand, kam sie noch einmal zu ihm und sprach: „Also viel Glück bei deiner wichtigen Aufgabe. Ich werde dir dann erzählen, was ich erlebt habe.“
„Wenn du es mir erzählen willst, natürlich gerne,“ gab Marc bewegt zurück. „Viel Spass und danke!“
„Danke dir!“ rief die Frau fröhlich und verschwand dann ebenfalls in der Hütte.
Nun wurde es für ihn Zeit, die Steine, die er mittlerweile gut erwärmt hatte ins Innere der Hütte zu tragen. Das erwies sich als eine ziemlich trickreiche Aufgabe. Es musste schnell gehen und immer mal wieder, fiel ihm ein Stein herunter. Zum Glück hatte er wenigstens ein Schaufel und nicht nur eine Astgabel, wie damals Laufender Hirsch, bei Marcs erstem Inipi Ritual. Die Hütte in der sich die anderen Teilnehmer befanden war ziemlich eng und er musste sehr aufpassen, dass er niemanden durch eine ungeschickte Bewegung versengte. Ausserdem war es drinnen sehr dunkel und nur das rote Glühen der Steine, erhellte diese Dunkelheit. Schliesslich fand er endlich das Loch, in welche er die Steine legen musste. Beim Hinausgehen stiess er allerdings mehrmals an einen der Teilnehmer und Frank quittierte das mit einem ärgerlichen Brunnen.
Marc murmele eine leise Entschuldigung, doch da die meisten schon tief in die Meditation versunken waren, gab keiner ihm eine Antwort. Kurz sah er, durch das nun von den glühenden Steinen erhellte Hütteninnere, das goldene Haar von Vanessa schimmern. Sie trug nur einen türkisfarbenen Bustier und eine dazu passende, eng anliegende kurze Trainingshose. Sein Herz klopfte auf einmal einige Takte schneller, doch er hatte keine Zeit länger zu verweilen. Neue Steine mussten erwärmt und reingetragen werden.
Tatsächlich erwies sich die Aufgabe als Hüter des Feuers als ziemlich verantwortungsvoll. Immer musste man schauen, dass dieses stets heiss genug war und die Steine eine ganze Weile darin liegen lassen, bis sie glühten. Einige Steine zersprangen auch von der Hitze, so dass Marc dann sogar noch neue beschaffen musste. Während dieser Suche kühlte das Feuer natürlich wieder ab und er musste es schnellstmöglich wieder anfachen.
Schliesslich kam dann auch noch ein ziemlich starker Wind auf und blies ihm Glut und Rauch ins Gesicht, so dass er einen Moment lang kaum mehr etwas sehen konnte. Bald brachte er dann wieder neue Steine herein. Diesmal stellte er sich schon etwas geschickter an und sein Herz klopfte wie rasend, weil er die anderen Teilnehmen, welche sich teilweise schon in tiefer Trance befanden, auf keinen Fall stören wollte. Es war mittlerweile unerträglich heiss in der Hütte geworden und als Frank dann noch, das mit Kräuteressenz versetztes Wasser, über die Steine goss, bildete sich dichter Dampf und die Hitze wurde noch unerträglicher.
Jetzt war Marc sogar froh, dass er wieder nach draussen gehen konnte. Die schreckliche Hitze in der Schwitzhütte, hatte ihm damals beim ersten Mal schon ziemlich zugesetzt. Er hatte es darum nicht sehr lange darin ausgehalten. Allerdings war seine Vision trotzdem sehr stark gewesen.
Mit Ehrfurcht dachte er an die gewaltige Libelle zurück, welche damals vor ihm erschienen und schliesslich in sein Herz geflogen war. Was hatte sie ihm damals gesagt? „Ich bin die Zerstörerin der Illusionen!“ Plötzlich fühlte der junge Mann sich wieder in jenen besonderen Moment zurückversetzt und eine tiefe Ehrfurcht und Rührung überkam ihn plötzlich. Die Libelle hatte von Illusionen gesprochen. Was meinte sie wohl genau damit? Er musste auch wieder an das besondere Gespräch denken, das er und Snakeman über diese Vision geführt hatten. Sein Meister hatten ihn damals sogar umarmt und gesagt:
„Ich freue mich sehr für dich mein Sohn. Ich weiss, du besitzt grosse Fähigkeiten. Die Libelle ist, wie sie ja selbst sagte, die Zerstörerin von Illusion und Selbsttäuschung. Sie ist ein Bote des Windes, der Erleuchtung und fordert dazu auf, das Alte zu durchbrechen. Es ist wundervoll, dass dir, ohne jegliche Übung, bereits so ein wichtiges Totem in der Vision erschien. Die Libelle ist nun in dein Innerstes eingedrungen. Sie hat dadurch etwas in dir wachgerufen, das lange verschüttet lag. Durch sie wirst du lernen, dich selbst immer weniger zu täuschen und dich in einem klarerem Licht zu sehen.“
„Irgendwie habe ich wirklich das Gefühl, etwas hat sich in meinem Inneren gewandelt,“ sprach Marc nachdenklich. „Es ist... als hätte ich mich für etwas geöffnet, für etwas, das ich bisher nicht kannte. Ihr müsst wissen, eigentlich war ich nie ein sehr gläubiger Mensch. Ich wusste wohl irgendwie, dass es einen Gott gibt, aber er hat mich nicht berührt. Es ist seltsam..., bei diesem Schwitzhütten- Ritual, scheint er mich auf einmal das erste Mal richtig berührt zu haben. Ich erkannte, dass dieser Gott, ein ganz anderer Gott ist, als ich bisher dachte. Er lebt um uns, in uns. Er ist kein ferner Gott. Er ist mir die ganze Zeit näher gewesen, als ich dachte. Er lebt im wärmenden Feuer, das die Steine der Schwitzhütte erhitzte, im plätschernden Wasser dieses Flusses hier, in der Erde, die unter unseren Füssen liegt und der Wind ist sein Atem. Er ist überall gegenwärtig, nicht einfach ein alter bärtiger Mann, der über uns im Himmel thront. Er ist... mehr als das. Er ist überall, doch ganz besonders in unserem Herzen. Das... habe ich gefühlt...“
Ja, damals hatte Marc ganz deutlich die Gegenwart einer wundervollen und liebenden Gottesmacht gespürt und alles war für ihn so klar gewesen. Jetzt da er daran zurückdachte, schämte er sich beinahe, dass er sich die letzten Wochen so unmöglich benommen hatte. Die Libelle hatte doch damals ganz deutlich zu ihm gesprochen und ihm gezeigt, dass er sich oftmals selbst täuschte. Täuschte er sich vielleicht auch jetzt wieder selbst? Blockierte er sich selbst und verlor dabei aus dem Augen, was das Leben ihm in jedem einzelnen Moment schenken wollte?
Gedankenverloren legte er nochmals etwas Holz ins Feuer. Er machte dies jetzt ehrfürchtiger, bewusste und achtsamer. Dabei schweiften seine Gedanken wieder zu Vanessa zurück. Sie war wirklich eine wunderbare Frau. Vielleich passte sie ja tatsächlich besser zu ihm als Nathalie. Stimmte es wohl wirklich, dass sich Nathalies Gefühle, einst, vor endlos langen Zeiten, so massgeblich verändert hatten? Er war damals als Kangi viel zu früh verstorben. So bekam er gar nicht mehr mit, was sich damals in Nathalies bzw. Sunas Leben, noch alles getan hatte. Hatte sie wirklich einen neuen Dualpartner in Jonathan gefunden? Und wenn ja, hätte Marc dafür nicht dankbar sein sollen? Immerhin hatte Jonathans altes Ich, sich Nathalies altem Ich, einst sehr liebevoll angenommen. Er selbst konnte, durch seinen frühen Tod, ja nicht mehr für sie sorgen. Was also war schlimm daran, dass Jonathan diese Aufgabe schliesslich übernommen hatte?“
Er riss sich selbst aus seinen Gedanken. Ach du meine Güte, es war ja Zeit, die neuen Steine reinzubringen! Sofort holte er die Steine aus dem Feuer und eilte rüber zur Hütte. Die Hitze in deren Innerem, hatte schon etwas abgenommen und er legte die Steine schnell in das dafür vorgesehene Loch. Der Blick von Snakeman fiel auf ihn. Auch wenn er ihn jedoch nur silhouettenhaft ausmachen konnte, merkte er, dass dieser ärgerlich war. Die durchdringenden Augen des Indianers, deren Weiss durch die Finsternis leuchtete, trafen die seinen und Marc senkte verlegen den Blick, ohne jedoch ein Wort zu sagen. Mit schlechtem Gewissen, verliess er dann die Hütte wieder. Wächter des Feuers zu sein, war wirklich keine einfache Aufgabe!