Nach einer Mahlzeit die sich wakapapi nannte und aus gestampftem Fleisch, Mark und Trockenbeeren bestand, half Schwarzes Pferd Nathalie ihren Schlafplatz einzurichten. Sie erhielt einen Schlafsack und einige warme Decken aus farbiger Wolle. In einer Ecke des Stalles breiteten sie diese aus. Das Pferd beobachtete alles mit regem Interesse. „Ich werde diese Nacht bei dir schlafen Blackfeet,“ erklärte Nathalie ihm in Gedanken und wusste das sie willkommen war.
Als sie alles eingerichtet hatten, erhob sich Schwarzes Pferd und wandte sich zum Gehen. Er trug nun ein weisses, sportliches Hemd, mit kurzen Ärmeln, das seine kräftigen, bronzefarbenen Arme sehr gut zur Geltung brachte. Nathalie merkte erneut die Magie, die zwischen ihnen lag. Es war wie ein dauerndes Vibrieren der Luft und in ihr erwachten wieder die selsamsten Gefühle. Er sah sie an und in seinem Blick lag sehr viel. Er zögerte noch einen Moment, bis er wirklich ging, als würde es ihm besonders schwer fallen. Machte er sich womöglich Sorgen, oder war da sonst etwas? „Ich danke dir für alles was du für mich tust,“ sprach Nathalie leise. „Ich weiss gar nicht womit ich mich erkenntlich zeigen könnte.“ Sie trat näher zu ihm heran und es kam ihr vor als wären ihre beiden Herzen Magneten, die einander anzogen. Bisher hatte Nathalie das erst einmal erlebt, doch das schien ihr nun weit weg. Sie wollte einem Innern Impuls folgen, doch dann wurde ihr bewusst, dass es im Augenblick andere Prioritäten gab. So nahm sie einfach Jonathans Hände und küsste ihn liebevoll auf die Wange. Er senkte verlegen den Blick und wandte sich dann etwas zu schnell ab. „Vergiss nicht die Jacke anzuziehen!“ sprach Nathalie noch besorgt. „Es ist sehr kalt.“ Schwarzes Pferd nickte und zog seine Lederjacke über, dann verliess er den Stall. Noch einmal blickte er sich nach ihr um und in seinen Augen schien ein Glanz zu liegen, der es mit den aufgehenden Sternen hätte aufnehmen können.
Nathalie seufzte und wandte sich mit klopfendem Herzen ab. Wieder durchströmte diese Hitze ihren ganzen Körper. Diese Nacht war eine magische Nacht. Sie hätten weiter gehen können, sie wären bereit gewesen, doch sie war ja schliesslich hier um eine nähere Beziehung zu ihrem Mustang zu knüpfen. Dieser schaute sie mit seinen dunklen Augen wissend an und tat sich dann am Hafer gütlich.
So brach die Nacht herein und es wurde langsam immer kälter. Nathalie wickelte sich noch mehr in die Decken, ausserdem trug sie noch ihre Jacke und bequeme Hosen. Das war auch nötig, denn es gab ja keine Heizung hier. Blackfeet hatte mittlerweile aufgehört zu fressen und senkte nun seinen Kopf um zu ruhen. Nathalie sah ihn nun nicht mehr, sie hörte ihn nur atmen und ab und zu ein Rascheln, vermutlich von Mäusen. Zum Glück hatte sie keine Angst vor Mäusen. Allerdings musste sie sich doch an die neue Situation gewöhnen, fand also demzufolge noch lange keine Ruhe. Viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Sie dachte an das was sie mit Jonathan erlebte, an dieses wunderbar warme Gefühl, dass sie stets in seiner Gegenwart hatte. Was würden sie wohl noch zusammen erleben? Wieviele Entwicklungsschritte würde sie noch machen können, bis sie...wieder nach Hause zurück kehrte? Nach Hause...wo war denn eigentlich ihr Zuhause? In der Schweiz, in diesem alten Museum, dieser einsamen Wohnung? Oder doch hier in Amerika, wo noch der Geist ihrer indianischen Vorfahren lebendig war und sie sich so verbunden fühlte mit allen Geschöpfen?
Auf einmal erkannte sie in der Stille dieser Nacht, die nur vom regelmässigen Atem ihres Pferdes durchbrochen wurde, dass sie in ihrem bisherigen Dasein viel einsamer gelebt hatte. Natürlich waren da ihre Freunde, ihre Familie. Doch das Bewusstsein, dass sie hier erlangt hatte, führte weiter, über Familie und Freunde hinaus. Es war das Bewusstsein, Teil einer Weltfamilie zu sein. Es war ein einzigartiges Erlebnis und sie glaubte Gott, Wakan Tanka, dem Grossen Geist, oder was für Namen es sonst noch für ihn gab, in diesem Bewusstsein viel näher gekommen zu sein. Noch erahnte sie nur, was für ein Gefühl dieses Einssein war, doch sie musste zuerst lernen es auch wahrlich zu leben.
Sie wollte nicht nach Hause. So viel wartete hier noch auf sie, so viel gab es noch zu lernen, bis...sie wahrlich zur Animal Riderin werden konnte. Sie würde in die Schweiz zurückkehren müssen, schon wegen ihrem Job, wegen ihren Angehörigen usw.
Aber sie wusste, dass es nicht für immer sein würde. Sie war nun entschlossen den Weg der Animal Riderin zu gehen, was auch immer das noch für sie bereithalten mochte. Das konnte sie nur hier in South Dakota...Wieder dachte sie an Schwarzes Pferd und...irgendwie sagte ihr ein Gefühl, dass auch er eine wichtige Rolle in dieser Geschichte innehaben würde.
Langsam entspannten sich ihre Muskeln und Nathalie verspürte in sich auf einmal eine einzigartige Klarheit. Und dann...tauchte auf einmal erneut der Weisse Wolf auf!...
8. Kapitel
„Hilf mir ihn hinunter zum Fluss zu tragen!“ rief Snakeman Laufender Hirsch zu. „Er ist ohnmächtig geworden!“ Etwas Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit, waren sie doch erst bis zum Ende der zweiten Runde gekommen.
Laufender Hirsch kam ganz seinem Namen getreu herbeigeeilt und zusammen brachten sie den leblosen Körper von Marc hinunter zum Fluss, der eiskalt durch sein Bett floss. Sie legten Marc ins seichte Wasser und benetzten sein Gesicht immer wieder, bis die Lider des jungen Mannes zu zittern begannen und er die Augen langsam öffnete. Marc war es, als würde er aus einem ganz besonderen Traum erwachen, einem Traum, der ihm ein ganz anderes Bewusstsein vermittelt hatte. Er spürte unter sich die Steine des Bachbetts, die Festigkeit der Mutter Erde und das kalte, belebende Wasser, das seinen halbnackten Körper umspülte. Es war ein wahrlich wohltuendes Gefühl nach dieser Hitze in der Hütte, doch mit der Zeit war sein Körper genug abgekühlt und er begann langsam zu schlottern. Laufender Hirsch holte ihm ein Tuch und er wickelte es um sich. Dann schaute er die beiden Indianer mit leuchtenden Augen an. „Ich hatte eine Vision, also die hat mich glatt umgehauen! Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass das bei mir so schnell gehen würde. Ich kam ja nicht mal zur dritten Runde. Ich werde das wohl irgendwann nachholen müssen.“ „Du hattest tatsächlich eine Vision?“ fragte Weise Schlange erfreut. „Ja...anders lässt es sich wohl nicht beschreiben.“ Marc erzählte nun alles ausführlich und die Indianer hörten gebannt zu „...Als ich schliesslich den Grossen Geist - Gott bat, mir meinen Weg zu weisen, kam dann diese riesige Libelle! Sie drang mit solcher Wucht in mich ein, das ich total erschlagen war und wohl auch deswegen ohnmächtig wurde,“ endete Marc seinen Bericht. „Natürlich hat mir auch die Hitze zugesetzt. Ich bin ja schliesslich nicht daran gewöhnt. Doch ohne diese Vision hätte ich schon durchgehalten,“ fügte er zu seiner Verteidigung hinzu. Snakeman lächelte und umarmte seinen Schüler spontan. „Ich freue mich sehr für dich mein Sohn. Ich weiss, du besitzt diese Fähigkeiten. Die Libelle ist, wie sie ja selbst sagte die Zerstörerin von Illusionen und Selbsttäuschung. Sie ist ein Bote des Windes, der Erleuchtung und fordert dazu auf, das Alte zu durchbrechen. Es ist wundervoll, dass dir ohne jegliche Übung bereits so ein wichtiges Totem in der Vision erschien. Die Libelle ist nun in dein Innerstes eingedrungen. Sie hat dadurch etwas in dir wachgerufen, was lange verschüttet lag. Durch sie wirst du lernen, dich selbst immer weniger zu täuschen und dich in klarerem Licht zu sehen.“
„Irgendwie habe ich wirklich das Gefühl, etwas hat sich in meinem Innern gewandelt,“ sprach Marc nachdenklich,“ während er wieder die Jeans und den schwarzen Wollpullover über seinen Körper zog. „Es ist... als hätte ich mich für etwas geöffnet, für etwas, das ich bisher nicht kannte. Ihr müsst wissen, eigentlich war ich nie ein sehr gläubiger Mensch. Ich wusste wohl irgendwie, dass es einen Gott gibt, aber er hat mich nicht berührt. Es ist seltsam...bei diesem Schwitzhütten- Ritual, scheint er mich auf einmal das erste Mal richtig berührt zu haben. Ich erkannte, dass dieser Gott, ein ganz anderer Gott ist, als ich bisher dachte. Er lebt um uns, in uns. Er ist kein ferner Gott. Er ist mir die ganze Zeit näher gewesen, als ich dachte. Er lebt im wärmenden Feuer das die Steine der Schwitzhütte erhitzte, im plätschernden Wasser dieses Flusses hier, in der Erde, die unter unseren Füssen ist und der Wind ist sein Atem. Er ist überall gegenwärtig, nicht einfach ein alter bärtiger Mann, der über uns im Himmel thront. Er ist... mehr als das. Er ist überall, doch ganz besonders in unserem Herzen. Das... habe ich gefühlt...“ Auf einmal trieb es Marc Tränen in die Augen. Er wischte sie beschämt weg. Snakeman und Laufender Hirsch schienen sehr berührt und sein Mentor nickte Marc lächelnd zu.
„Dennoch“... fuhr dieser fort. „Ist das noch etwas das mich trennt von diesem grossen, unbegreiflichen Geist, den wir Gott nennen. Ich merke, dass da noch immer eine grosse Last ist, die mich eigentlich schon das ganze Leben lang begleitet. Etwas Schweres, für das ich noch keine Erklärung finde. Ich muss... dieses Schwere ergründen. Ich muss mich davon befreien, das habe ich deutlich gespürt. Eine Erkenntnis habe ich gewonnen, doch...da ist noch viel mehr das ich lernen will, das ich lernen muss, um alles...zu verstehen. Ich habe eine Aufgabe, eine Aufgabe die nur für mich bestimmt ist. Doch wie kann ich sie finden?“ Er wandte sich hilfesuchend an Snakeman. Dieser senkte den Blick und starrte eine Weile lang auf das schäumende Wasser des Flusses, das den steinigen Uferrand überspülte. Dann wandte er sich plötzlich wieder um und sprach: „Du musst werden wie Wasser, als Schlange Geborener ist das Wasser eigentlich dein Element. Doch dein Wasser ist noch immer kristallisiert, wie Eis im Winter. Du bist wie dieser Fluss, doch du kannst nicht wirklich fliessen. Du musst lernen zu fliessen, lernen dich zu befreien von diesen kristallinen Formen...“ Er hatte diese Worte in einem seltsamen Ton gesagt, als hätte irgendeine unsichtbare Macht es ihm eingegeben. Er legte Marc den Arm um die Schultern und führte ihn etwas abseits, um mit ihm allein zu sprechen. „Kannst du mir sagen wie Eis sich auflösen lässt?“ stellte er dann Marc die etwas rätselhafte Frage.