Schliesslich ging der erste Tag des Festivals zu Ende und die Tänzer/innen und Sänger/innen hatten Feierabend. Jonathan war sehr müde. Dennoch wollte er noch ein wenig mit Nathalie an den See herunter. Er und seine Stammesgenossen waren begeistert von der fruchtbaren Schweiz und auch dem idyllischen Bodensee. Es war heute ausserdem sehr warm und sie wollten noch ein Bad nehmen. Als Ellie und Sally das erfuhren, setzten sie sich in den Kopf das junge Paar zu begleiten. Auch Wandernder Bär schloss sich ihnen noch an. Am Ende waren es gesamthaft fünf Personen, die sich auf den Weg ans naheliegende Seeufer machten. Die Laune war gut und alle fühlten sich noch euphorisiert, nach dem erfolgreichen Auftritt.
„Das war einfach unglaublich!“ rief Ellie aus, als sie in Nathalies Wagen, Richtung See fuhren. „Die Zuschauer waren ja ausser sich vor Begeisterung.“ „Ja das ist wahr,“ stimmte ihr Sally zu. „Die Schweizer scheinen richtig beeindruckt von unserer Kultur zu sein.“
„Ihr habt recht,“ pflichtete Jonathan seinerseits bei. „Das hat mich wirklich sehr bewegt. Nur auf die vernichtenden Blicke von Marc, hätte ich gerne verzichtet.“
„Er hat dir vernichtende Blicke zugeworfen?“ wollte Nathalie entrüstet wissen.
„Ja. Aber ich durfte mich davon nicht allzu sehr ablenken lassen. Dennoch… es war, besonders anfangs, ziemlich lästig.“
„Das tut mir leid,“ sprach die Frau bekümmert. „Marc ist so ein Idiot! Aber vermutlich ist er auch etwas neidisch, denn du warst wundervoll! Du kannst soo gut tanzen!“ In ihrer Stimme lag ein schwärmerischer Ausdruck.
„Das ist so, weil ich mich beim Tanzen am besten mit dem Grossen Geist und all seinen Lebewesen verbinden kann. Darauf musste ich mich diesmal besonders intensiv besinnen und schliesslich gelang es mir sogar, Marc ganz zu ignorieren.“
„Ich war so vertieft in eure Musik und euren Tanz, dass ich sogar in eine Art Trance verfiel,“ berichtete Nathalie. „Da habe ich gar nicht mehr auf Marc geachtet.“
„Das war wohl auch besser so. Ausserdem hat der Gute dann zum Glück Anschluss gefunden. Da war so ein blondes Mädchen. Es trug indianische Gewänder und scheint ganz nett zu sein. Er und sie verstanden sich, wie es aussieht, ziemlich gut.“
„Da bin ich froh, dann wird sein Fokus vielleicht endlich wieder etwas von mir abgelenkt.“
Wandernder Bär mischte sich nun ebenfalls ins Gespräch: „Irgendwann wird Marc auch einsehen, dass ihr beide zusammengehört. Damals als Kangi, starb er viel zu früh, um eine neue Dualpartnerin zu finden. Dein Leben als Suna ging jedoch noch weiter und schliesslich trafst du Jonathans altes Ich. So ist das einfach und eines Tages sieht Marc das bestimmt auch ein.
Snakeman meinte, er müsste vielleicht mal mit ihm an einem Sonnentanz teilnehmen. Das täte Marc sicher gut.“
„An einem Sonnentanz?“ fragte Nathalie etwas erschrocken. „Ist das nicht… ein etwas gar blutiges Ritual?“
„Es geht so. Aber es ist schon ziemlich anspruchsvoll. Dennoch… vielleicht lernt Marc dann endlich seine festgefahrenen Ansichten zu überwinden. Beim Sonnentanz, an dem man vier Tage und Nächte ohne Nahrung und Wasser um einen Baum tanzt, sei es mit oder ohne Piercing, kann es manchmal zu todesnahen Zuständen kommen.
Bei Marc hat sich, durch den Schlangenbiss, der ihn damals beinahe getötet hätte und auch während des Schwitzhüttenrituals gezeigt, dass er meistens zu den wichtigsten Erkenntnissen findet, wenn er sich in einen Ausnahmezustand hineinbegibt.“
„Meinst du denn, Marc wagt es überhaupt den Sonnentanz zu machen?“ wollte Jonathan etwas skeptisch wissen. „Besonders für einen Anfänger und auch noch Europäer, ist das wirklich nicht ohne.“
„Hast du denn schon einmal an so einem Sonnentanz teilgenommen?“ fragte Nathalie neugierig.
„Ja, natürlich! Genaugenommen schon vier Mal, da man sich beim ersten Sonnentanz dazu verpflichtet vier Jahre in Folge einen weiteren Sonnentanz zu machen.“
(https://www.mystica.tv/peter-schliesmann-der-sonnentanz-der-lakota-video/)
„Ach du meine Güte! Ich glaube ich könnte das nicht!“ rief Nathalie.
„Das ist ja auch eher so ein Männerding,“ grinste Schwarzes Pferd.
„Du musst so etwas nie machen. Nur keine Sorge!“
„Nathalie hat da einen ganz anderen Weg,“ stimmte ihm William zu. „Sie ist schon von ihrem Wesen her viel offener für die grossen Weisheiten. Nicht umsonst ist sie im Zeichen des Wolfes geboren. Die Wahrheiten kommen auch so zu ihr, ohne dass sie sich wirklich anstrengen muss!“ Er lächelte versonnen.
„Soll ich das jetzt als Kompliment verstehen oder nicht?“ fragte die Frau etwas unsicher. „Natürlich als Kompliment!“ riefen Jonathan und Will gleichzeitig aus. „Dir sind schon so viele wundervollen Weisheiten zugflossen, einfach durch deine innere Bereitschaft und deine Verbindung zum Grossen Geheimnis und unseren Ahnengeistern. Das ist ein wundervolles Geschenk!“
„Und ihr meint bei Marc braucht es noch mehr, bis er die nötige Weisheit findet?“
„Es sieht ganz so aus,“ gab Wandernder Bär zur Antwort. „Er ist in vielem noch sehr fixiert und will manchmal einfach nicht von seinen Standpunkt abweichen. Er schafft sich oftmals seine eigene Wahrheit und nur diese zählt dann noch für ihn. Dabei verliert er den Blick für das Grosse Ganze.“
„So etwas Ähnliches sagte mir Snakeman heute auch,“ gab Nathalie zu bedenken. „Das kann ich mir gut vorstellen… Oh, wird sind ja schon da! Da drüben glitzert schon der See! Wie schön!“
„Wir befinden uns hier direkt an der Grenze zu Österreich, wusstet ihr das?“ sagte die Frau, irgendwie froh darüber, dass das Thema Marc nun vorerst beendet war. Sie wollte gerade gar nicht an diesen denken, denn sie ärgerte sich immer sehr über ihn.
Die Freunde parkierten den Wagen auf einem Kiesplatz und stiegen aus.
„Ich hätte sogar noch ein kleines Schlauchboot dabei,“ meinte Nathalie, an die beiden Mädchen gewandt. „Vielleicht mögt ihr ja etwas damit herumpaddeln.“
„Oh ja!“ jubelten Ellie und Sally „das wäre cool!“
„Dann nehmen wir es doch einfach mal mit. Sonst habt ihr alle Sachen dabei?“ Alle bejahten und so suchten sich die fünf einen schönen Platz, der sich etwas abgelegen neben einem Schilfgürteln befand. Hier gab es einen kleinen Kiesstrand. Die Sonne stand bereits ziemlich tief am Horizont und es herrschte eine wunderschöne Abendstimmung. Die Freunde zogen ihre Badehosen an und wateten dann hinein ins angenehm kühle Nass. Jonathan und Nathalie genossen es ihn vollen Zügen, umarmten sich immer wieder und bespritzte sich lachend. Als sie ein wenig weiter draussen waren, rief Nathalie auf einmal: „Dort drüben zwischen dem Schilf hat es sogar ein Schwanennest! Schau nur wie das weisse Gefieder des Schwans, der gerade am Brüten ist, im Abendschein rosa schimmert! Welch ein wundervolles, anmutiges Tier! Findest du nicht auch?“
„Ja! Schwäne sind wirklich besondere Vögel,“ pflichtete ihr der Indianer bei. „Wusstest du, dass der Schwan für Grazie und Gnade steht? Ausserdem steht er für die Macht der Frauen.“
„Wirklich? Nein, das wusste ich nicht. Aber ich kann es mir gut vorstellen.“
„Es gibt darüber eine schöne Legende, soll ich sie dir erzählen?“ „Natürlich gerne!“ „Also gut:
Es war einmal ein Schwan, der noch nicht ganz ausgewachsen war. Sein Gefieder war noch ziemlich grau und durch einen Zufall geriet er in die Anderswelt hinein. Hoch über dem naheliegenden Berg, erblickte er ein grosses, wirbelndes, schwarzes Loch. Die Libelle flog gerade vorbei und der Schwan fragte sie, was es mit dem schwarzen Loch auf sich habe. Die Libelle sprach: „Schwan, das dort ist die Tür zu den anderen Ebenen der Vorstellung. Ich war über viele Monate Wächter der Illusion. Wenn du dort hineinwillst, musst du um Erlaubnis fragen und dir das Recht dazu verdienen.“
Der Schwan war etwas unsicher und fragte, was es denn brauche, um die Erlaubnis zu erhalten.
Die Libelle erwiderte: „Du musst bereit sein, alles was du dort erblicken wirst, so anzunehmen wie es ist, ohne den Plan des Grossen Geistes verändern zu wollen.“
Der Schwan erwiderte: „Dann will ich das tun. Ich will mich sehr gerne dem Plan des Grossen Geistes fügen, was immer er auch für mich bereithält und nicht dagegen ankämpfen. Ich werde mich der Bewegung der Spirale überlassen und sehen, was mir gezeigt wird.“
Die Libelle war mit der Antwort des jungen Schwanes zufrieden und setzte den Zauber in Bewegung der die Illusion der irdischen Welt aufhob.
Nach vielen Tagen dann, kehrte der Schwan zurück. Er war nun schneeweiss und wunderschön anzusehn.
Die Libelle staunte sehr. „Schwan!“ rief sie „was ist mit dir geschehen?“
Der Schwan lächelte und sagte: „Libelle, ich habe gelernt mich und meinen Körper der Macht des Grossen Geistes auszuliefern und wurde dorthin mitgenommen, wo die Zukunft wohnt. Ich habe viele Wunder gesehen und weil ich geglaubt habe und bereit war anzunehmen, bin ich verändert worden. Ich habe gelernt den Zustand der Gnade anzunehmen…“
Jonathan schwieg nun, während er und Nathalie mit entspannten Schwimmbewegungen durch das, vom Abendrot schimmernde Wasser, glitten. Dann sprach er: „So lehrt uns die Schwanen Medizin also, mit allen Ebenen des Bewusstseins in Harmonie zu sein und auf den Schutz und die Führung des Grossen Geistes zu vertrauen.“ (Anmerkung der Autorin: Dieser Text über die Schwanenmedizin stammt aus einem Tierorakel, welches KARTEN DER KRAFT heisst. Allerdings handelt es sich dabei nicht unbedingt um eine Legende der Lakota Sioux, aber sie hat mich sehr bewegt und inspiriert.)
Nathalie nickte bewegt. Irgendetwas tief in ihr, klang bei dieser Geschichte an. Bisher hatte sie noch nie so intensiv so empfunden und ihr kam es auf einmal vor, als wäre diese Geschichte nur für sie geschrieben worden. Was hatte es damit bloss auf sich? Was wollte ihr das Ganze sagen? Die Antwort schien auf einmal zum Greifen nah, aber noch konnte sie die junge Frau nicht wirklich erfassen…