Eure Wellensittiche sind nun eingezogen, leben in einem schönen und artgerecht eingerichteten Käfig, haben viel Freiflug und gesundes Futter. Sie vertragen sich untereinander super, spielen zusammen und sind glücklich. Dennoch gibt es etwas, dass sie hin und wieder in Argwohn oder sogar Furcht versetzt: Du! Riesig wie die Menschen nun einmal sind, stellen sie für solch kleine Tiere natürlich eine potenzielle Bedrohung dar. Das hängt auch von ihrer Herkunft ab und wie viel (positiven) Kontakt die Vögel bereits mit Zweibeinern gemacht haben. Nichtsdestotrotz bist du ihnen noch fremd und musst langsam ihr Vertrauen gewinnen.
Somit kommen wir in diesem Kapitel zu einem Thema, das sicherlich die allermeisten Wellensittichbesitzer beschäftigt: „Wie schaffe ich es, meine Wellensittiche zu zähmen?“
Dazu sollte man sich zuerst einmal selbst ein paar Fragen stellen.
Vor allem: „Was verstehe ICH unter dem Begriff "Zahm"?“
Denn ich kann mir vorstellen, dass jeder Welli-Halter sich etwas anderes darunter vorstellt, was ein zahmer Wellensittich überhaupt ist. Reicht es aus, dass man sich den Vögeln nähern kann, ohne, dass sie Angst bekommen? Sind kleinere Arbeiten im Käfig (Futter und Wasser Wechseln) möglich, während die Vögel sich im Käfig befinden, ohne, dass sie panisch werden? Oder bedeutet zahm für dich, dass du mit den Wellensittichen schmusen kannst, dass sie auf deine Hand kommen, sich auf deine Schulter setzen und dich als Schwarmmitglied akzeptieren?
Letzteres kann nicht garantiert werden. So viel schon mal vorweg. Bei einem einzeln gehaltenen Vogel ist das sicher einfacher zu erreichen, da der Sittich ja keine andere Möglichkeit hat, als dich als sein Partner anzusehen, um soziale Kontakte zu erleben. Das ist natürlich nicht gerade artgerecht und auch keine Garantie für ein inniges Vogel-Mensch-Verhältnis. Denn ein einzelner Wellensittich kann mitunter genauso scheu bleiben, wie ein ganzer Schwarm zahm werden kann. Das hängt immer vom Vogel ab und liegt manchmal gar nicht am Menschen oder der Haltung. Wellis sind eben Charaktertiere, für die es kaum allgemeingültige Aussagen gibt. Sie sind wie eine Schachtel Pralinen, du weißt nie, welchen Charakter dein Vogel hat, bis du ihn kennengelernt hast.
Außerdem ist es doch auch viel schöner, zu erleben, dass zwei oder mehrere Vögel zahm werden, WEIL SIE ES WOLLEN und nicht weil sie es MÜSSEN. Abgesehen von der Anzahl der Vögel musst du zwei Sachen auf jeden Fall mitbringen: Ganz viel Geduld und Kolbenhirse. Über Futter bekommt man in der Regel sehr schnell einen Draht zu den Tieren. Dazu kannst du noch eine ausrangierte Sitzstange zur Hilfe nehmen. Hände wirken auf die meisten Vögel anfangs sehr bedrohlich und Angst ist kein guter Weg, Vertrauen zu gewinnen.
Halte also die Sitzstange als Landefläche hoch oder führe sie vorsichtig in Richtung der Wellis. Wenn die Tiere verängstigt reagieren, entferne die Stange langsam wieder. Wichtig sind immer ruhige und fließende Bewegungen. Wenn die Sittiche sich allmählich an die Stange gewöhnen, kannst du sie behutsam und ohne sie zu bedrängen, unter den Bauch der Wellis führen. Bei den meisten Vögelchen wird dadurch das mir selbst völlig rätselhafte Verlangen ausgelöst, ein Füßchen auf die Stange zu setzen. Dann vielleicht auch noch das Zweite. Und schon hast du deinen Vogel/ deine Vögel schon mal ein wenig Vertrauen abgewonnen. Übe das regelmäßig und nimm immer mal wieder eine Hirse dazu. Dann verbinden die Piepmätze diese Übung – die Sitzstange und deine Anwesenheit – mit einem positiven Ereignis.
Hab auf jeden Fall viel Geduld mit deinen Wellis, sprich viel mit ihnen und gib ihnen das Gefühl, dass sie sich in deiner Nähe sicher fühlen können. Was deine Vögel am Ende daraus machen, kann niemand vorher sagen. Es sind Lebewesen mit einem eigenen Charakter und Willen. Zwingen kann man sie zu nichts. Stell dich darauf ein, eventuell niemals ganz zahme Vögel zu haben, und erfreu dich in diesem Fall einfach an ihrer Schönheit und ihrem munteren Wesen. Ich kann dir versichern, dass Wellis beobachten manchmal sehr viel spannender ist als Fernsehgucken.