„Für was hältst du uns? Hexen?“
„Nun, ehm, ja?“
Die rüstige Alte überlegte kurz und starrte in die Luft. „Oh. Na gut.“
Derweil der Hüne mit den schweren Schulterplatten und dem Helm unter Arm geklemmt vor ihr wartete und die alte Hexe mit dem Kurzhaarschnitt die Hand grüblerisch an die Wange legte, beobachtete ein lose Schnur von Kindern die beiden und ihre neue Umgebung.
„Was ist denn das für ein Brocken?“, wollte eines wissen.
Ein anderes gar: „Wann kann ich wieder heim?“
Das längste der Kinder schien gelangweilt und das jüngste lutschte neugierig am eigenen Daumen.
Eines fragte: „Ob sie hier etwas zu Essen haben?“
Und das nebenstehende Kind erinnerte: „Du hast doch auf der ganzen Reise hier her ununterbrochen gefuttert, wie kannst du immer noch hungrig sein?“
Die Antwort lautete: „Ich verbrenne eben schnell.“
Zwei der Kinder hielten sich an der Hand, waren aber keine Geschwister, wie es schien: „Ich will nicht zu den Hexen.“ - „Die schieben Kinder in den Ofen.“ - „Ja, und vorher mästen sie sie.“ - „Das sind alles hässliche, alte Dämonenfratzen, deren Blick einen zu Stein erstarren lässt.“ - „Ja und sie“-
„Scht“, kam es von einem der ältesten Kinder: „Das sind alles Märchen, redet nicht so einen Unsinn.“
Die Kinder seufzten, gähnten, blickten sich weiter um, teils interessiert, teils verunsichert. Aber alle waren gleichsam brav und blieben stehen. Wo hätten sie auch jetzt hingesollt. Hinter ihnen lag nur die Rampe, die sie gerade heruntergekommen waren. Vor ihnen nur karges Gestein.
Der große Kerl streckte seine Hand aus und erhielt eine flache Scheibe. Er lächelte: „Das ist mehr als vereinbart.“
Die Hexe lächelte: „Das ist es uns wert, mein Lieber. Wir machen lange genug Geschäfte miteinander, Ihr solltet inzwischen wissen, dass uns Eure Dienste nicht gleichgültig sind. Wir legen den größten Wert auf eine weitere gute Zusammenarbeit. Vor allen in Zeiten wie diesen, in denen die Ausbeute immer magerer wird.“ Sie warf den Kindern einen abschätzenden Blick zu.
Der Geschäftspartner verabschiedete sich mit einer Verbeugung und machte kehrt.
„Nun“, die Alte kam auf die Kinder zu und schritt die Reihe einmal entlang, dann sank sie vor einem der Kinder wahllos in die Hocke. Ihrer ersten Begutachtung nach, gab es hier nicht viel Potential. Obwohl ihr Geschäftspartner ihnen immer nur die Besten brachte, so hatte sie nicht gelogen, die Zeiten waren hart. „Es war bestimmt eine lange Reise, nicht wahr, meine Kleinen?“, versuchte sie es einfühlsam.
Doch die Kinder waren nicht sehr angetan von ihr oder dem Ort. Knarzend fuhr die Laderampe hinter ihnen hoch und schloß die Luke. Ein paar drehten sich um.
„Was machen sie nun mit uns?“, wollte eines der dreckigen kleinen Lumpenträger wissen.
Die Alte lächelte: „Wie wäre es erst einmal mit etwas zu trinken?“, versuchte sie zu locken und zauberte den Tisch herbei. Es war ein klassischer magischer Kniff, er beschwor vor allem Holz und Wasser. Also etwas sehr elementares, aber mit viel Wirkung. In der kargen Steinwüste wirkte ein simpler polierter Holztisch mit all den Bechern und der großen Glaskaraffe in der Mitte wie eine Oase.
Die Kinder staunten nicht schlecht. „Das ist auch ganz sicher nicht vergiftet?“
Leider war es kein Scherz, diese Fragen mussten sie sich ständig anhören, wie sollte man ihrem jahrhundertealten Gewerbe nachgehen, bei so vielen Vorurteilen? „Nein, mein Kleines. Schau, ich trinke mit euch, ja?“ Sie erhob sich und öffnete den Hahn, ließ klares Wasser in ihren Becher laufen und trank ihn leer.
Zutraulicher geworden, kamen die Kinder näher. Nicht alle jedoch.
Hinter ihnen hob der schwere, gepanzerte Lieferwagen vom Boden ab. Die Schubdüsen wirbelten Staub und Dreck auf.
Die Hexe schickte böse Blicke hinter dem Gefährt drein. Hätte er jetzt nicht noch warten können, bis sie mit den Kindern aus der unmittelbaren Landezone verschwunden war? Jedes Jahr dasselbe, wenn die Nacht auf Walpurgis hereinbrach. Und weil dem Mond nun eine wirklich sehr lange Nacht bevorstand, hob die Hexe den Tisch mit den Getränken kurzerhand mittels ihrer Magie an und bedeutete den Kindern ihr zu folgen: „Wer nicht hier draußen in der Kälte bleiben will, der sollte mir jetzt folgen, wir haben warme Zimmer für euch, Leckereien und Spiele.“ Das Obst und Gemüse, welches sie als Leckereien bezeichnete, würden viele der Kinder zum ersten Mal in ihrem Leben zu sehen und schmecken bekommen. Und die Spiele waren alles versteckte Lehrstunden und Prüfungen. Es würden nicht alle schaffen. Sie war jetzt schon traurig. Es waren nie alle geeignet.
Eines der kleinen Kinder nahm ihre freie Hand, die nicht dem Tisch bedeutete voraus zu schweben. Es lächelte sie an. „Was denn für Spiele?“
Sie lächelte zurück und versteckte ihre Sorge, dass dieses Kind noch viel zu jung war: „Zu erst ein Sing- und Tanzspiel und dann schmücken wir einen jungen Baum mit bunten Bändern.“
„Fackeln wir den danach ab?“
Und dieses Kind trug zu viel Wut in sich. „Es wird auch Feuer geben.“ Durch das sie am Ende alle hindurch springen würden, spielerisch. Und es würde, wie jedes Jahr, dann schon die ersten geben, die nicht geeignet waren.
Sie stellte den Tisch ab und öffnete die viele Zentimeterdicke Türe, mittels eines Befehls über ihr Armband und ließ die Kinder ein, die sich alle einen Becher vom Tisch nahmen im Vorbeigehen und dann eins nach dem anderen verschwanden. Bis auch das letzte, welches einsam draußen stand und bockig zögerte, nachgab, weil es nicht alleine bleiben wollte. Sie schenkte auch ihm ein Lächeln.