„Unsere Leben sind voller Proben“, Feirefiz lehnte sich zurück und seufzte leise. Noch am Morgen hatte er gegen seinen Halbbruder Parcival einen Zweikampf ausgetragen. In dessen Verlauf er gar nicht mal so gut dagestanden hatte. Sein Bruder jedoch auch nicht. Der feine, weiße, edle Recke, der zum Gralskönig bestimmt war.
Und nun am Nachmittag, da saß er hier und scherzte, lachte, trank mit ihm und seinen Freunden auf dessen Heldentaten, Reisen, Frauen und verflucht noch mal auf seinen Gott. Und auch dies war eine Prüfung.
Ihn, den ‚bunten Sohn‘ als Heiden zu schimpfen, machte ihm gar nicht so viel aus. Er war nicht sehr erpicht darauf, von allen Seiten als fromm und gottesfürchtig gesehen zu werden. Wozu auch? Alles was es seinem Leben gebracht hatte, waren Proben und Probleme. Und das hatte schon damit angefangen, dass sein Erzeuger Gahmuret seine Mutter entehrt hatte. Klar, heute sprachen sie anders darüber. Aber Belakane war eine verdammte Königin gewesen und eine reiche, einflussreiche Witwe obendrein. Und was blieb davon übrig in der Geschichte, wenn er erwähnte wer er war und wessen Schoß entsprungen? „Die Hübsche“, als wäre es ein Attribut besonderer Klasse einfach nur hübsch zu sein.
Feirefiz sah sich um: Parcival, sein Bruder, war gewiss auch hübsch. Aber wie langweilig, wenn alle einfach nur hübsch waren. Er hingegen war außergewöhnlich. Was nur dummerweise niemand zu schätzen wusste. Und nein, er war nicht im Mindesten eifersüchtig oder neidisch auf die Einfarbigkeit. Er liebte seine Scheckigkeit. Jeder kannte ihn und jedermann schätzte ihn für seine Taten, nicht für seinen Grad an Hübschigkeit. Aber fand das etwa Erwähnung am Hofe, in all ihren Minnen und Sängen? Nein, natürlich nicht, da ging es um diesen außergewöhnlich hässlichen Pott von einem Gral.
Und er sollte nun auch in diese Sekte kommen und die „schöne“ Repanse de Schoye zur Frau nehmen. Er fragte sich noch immer was er mit ihr sollte. Nur weil sie die Gralshüterin war. Was auch nur eine blöde Umschreibung war für: „Hübsches Frauenzimmer, was den hässlichen Pott festhält, während prächtige Ritter drumherum laufen“. Merkten die überhaupt wie albern das alles war?
Er seufzte erneut, trank vom Wein, den sein Halbbruder ihm ausgegeben hatte und konnte noch immer nicht fassen, dass er, der unvergleichliche Macht errungen hatte, dem sage und schreibe fünfundzwanzig Länder dienten und folgten, der von edelstem Herzen war, treu, loyal und ehrlich, der nach Ehre und Ruhm strebte und … ach, all der übliche Heldenkram zur Bewährung eben. Dass ausgerechnet er sein ganzes Leben im Schatten geführt hatte. Und warum?
Weil er ein Bastard war, ein Mischling, ein Zweifarbiger. Er, der so wichtig war für all ihre Epen, ohne ihn keine Ritter und kein bisschen Reichtum und Ruhm für den ollen Eschenbach. Und was bekam er zum Dank? Eine Elster.
Er sah sich sein Wappen an und lachte über die spottende Heraldik.
„Hört, hört, auf die Proben“, rief Gawan aus. Noch so einer. Der jetzt seinen Pokal mit dem Portal überschwappen ließ.
Sein Bruder stimmte mit ein. „Auf die Proben.“
Feirefiz rülpste, nachdem er seinen Kelch mit dem Elch abgesetzt hatte.
Parcival gängelte ihn im belehrendem Tonfall: „Du musst jetzt auch sagen: ‚Auf die Proben‘.“
Feirefiz knurrte: „Euch ist schon klar, dass ICH den Trinkspruch zuerst gesagt habe?“
Gawan rümpfte die Nase: „Jetzt sei nicht so…“
„Wie bin ich denn?“
Sein Bruder hob die Hand mit dem Becher auf dem ein Fächer abgebildet war: „Eitel.“
„Jetzt bin ich eitel?“ Feirefiz konnte es nicht glauben. Egal was er tat oder sagte, es würde nie genug sein. Das war hier die wahre Probe. Wie er das durchstehen sollte, ohne irgendjemandem an die Gurgel zu gehen.