Mami, das Kaugummi hat mich gebissen.
So lautete der Titel des Referates der 9-jährigen Daphne Trudel von Neg8. Sie war, wie alle in ihrem Alter, klein, neunmalklug und frech. Und sie hatte für diese Hausarbeit einen Verweis bekommen. Sie war zum Rektor zitiert worden, hatte einen Rüffel kassiert und gelobt nie wieder zu lügen, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst gewesen war. Da das verdammte Kaugummi sie wahrhaftig zurückgebissen hatte in die Zunge, beim Kauen.
Inzwischen war Daphne Trudel nicht mehr ganz so klein, lebte in einem Forschungsschiff mit einer ganzen Truppe neunmalkluger Ex-Schulkinder und wurde heute vor versammelter Mannschaft auf dem Symposium, mit ihr doch sehr vertrauten Worten, wieder ausgebuht.
Ihr Vortrag trug nun den Titel: Ja, der Teer lebt.
Was nichts an der Tatsache änderte, dass, damals wie heute, sie der Lüge bezichtigt wurde. Es gab nur keinen Rektor, der ihr eine Verwarnung aussprach. Aber die ölige Substanz wurde bis heute in Kaugummis verarbeitet.
Ebenso wie Titel und Körper gereift waren, war auch der Verstand von Daphne erwachsen geworden. Statt schmollend abzuziehen, drückte sie ihren Rücken durch, streckte die Brüste raus, die in einer unerhört engen Bluse saßen, holte Luft und versuchte sich über den Lärm hinweg zu setzen.
»Aber bitte bitte, so beruhigen Sie sich doch erst einmal alle wieder!«
Es dauerte eine geschlagene viertel Stunde, bis das aufgeregte Schwätzen eingestellt wurde und Daphne einen zweiten Versuch unternahm. Sie war genau so weit gekommen, wie sie erwartet hatte.
Ein ganz normaler Vortrag hätte aus einem halbstündigen Essay samt Präsentation bestanden und anschließender Fragerunde. Die versammelten intellektuellen und interessierten (nicht ganz so intellektuellen) Wissenschaftler unterbrachen sie rüde und versuchten ihren Vortrag zu einem vorschnellen Ende zu bringen. Daphne wartete geduldig ab, warf den Leuten ein kesses Lächeln zu und schwenkte die Hand.
»In der vollkommen korrekten Annahme, Sie würden mir ohnehin nicht zuhören wollen, überspringe ich meine Präsentation und schließe direkt mit meiner Beweisführung ab.«
Sie machte eine wedelnde Geste zum Rand des Podiums. »Darf ich vorstellen? Hand : Menschheit.«
Daphne schwenkte den Arm und deutete auf das Auditorium. »Menschheit : Die Teeraner Hand.«
Hinter dem Vorhang beugte sich etwas hinaus, schwarz schimmernd geriet es in den Fokus eines Scheinwerferlichtes und Regenbögen rannen über die ölige Oberfläche. Es lehnte sich weiter hervor, mit einer abgerundeten Kuppe, lehnte sich noch weiter und dehnte seinen ’Hals’. Lehnte sich noch weiter und fiel um. Es klatschte auf den Boden, sammelte sich zu einem Fleck riesiger vor Selbstmitleid zerflossenen Pfütze und machte keinerlei Anstalten sich weiter kooperativ zu verhalten.
Teile des Publikums erhoben sich, starrten zur Bühne, die Münder in Staunen offen. Gemurmel herrschte nun vor. Es tat sich jedoch nichts. Was auch immer Hand war, versagte jeden abgesprochenen Plan.
Daphne machte verlegen: »He he he«, winkte nun hektischer und versuchte die Hand zu animieren wieder aufzustehen.
Hand wollte nicht.
Daphne hatte sich seit der Eskapade in der Schulzeit nicht mehr so sehr geschämt. Sie drehte das Mikrofon vom Mund fort und fauchte den Teeraner an: »Steh’ auf! Sonst ist alles umsonst! Dein Volk braucht dich. Du musst etwas sagen, die magischen Worte sprechen und beweisen, dass ihr intelligentes Leben seid.«
Vergebens, die Lache blieb wo sie war. Ehe das Lachen im Saal wieder Fahrt aufnehmen konnte, legte Daphne den Rückwärtsgang ein und spulte hektisch ihre Präsentation an die richtige Stelle.
»Wir sind heute hier, um die Rasse der Teeraner unter einen vorsorglichen Artenschutz zu stellen und die Prüfung anzuregen, ob sie als eigene intergalaktische Spezies anerkannt werden können.« Sie verfiel daraufhin in eine Art Erzählmodus, um die Shortvids und Gifs zu untermauern.
»Doch alles begann mit einem einfachen Bohrstation-Arbeiter, der eine Röhre ersetzte. Es heißt, in der ‚modernen Legende‘, er habe sich über das Ölloch gebeugt und aus Jux hinein gerufen: „Hallo?!“ Unter den Arbeitern gingen seit einiger Zeit die Gerüchte um, dass es auf der Station spuke. Wie überrascht muss dieser Mann gewesen sein, als aus dem Loch eine schwarze Blase aufstieg und vor seinem Gesicht zerplatzte und eine brodelnde und spuckende Lache bildete. Sämtliche im Raum verteilte Tröpfchen flossen kriechend zurück zum größten Fleck und vereinigten sich dort. Und dann tat der Teer etwas, was niemand ihm zugetraut hätte, er wuchs an. Pumpte scheinbar Luft in sein Inneres und bließ sich auf. Als er erneut zerplatzte, soll Töne von sich gegeben haben. Wie man sich vorstellen kann, war der Arbeiter so erschrocken, dass er sich in den Schutzanzug pieselte und davon rannte, so schnell er nur konnte.«
Die Bilder zeigten die verschwitzen Arbeiter in den Anzügen und im Umkleideraum mit dem Eimer voll Teer.
»Der Mär’ nach, soll der Abteilungsleiter dem intelligenten Pech zugewunken haben. Und das Öl geriet in Bewegung. Zur Verblüffung des Schichtführers formte es aus sich eine Hand, richtete sich auf und hat zurückgewunken.«
Daphne gestikulierte wild neben ihrem Podium, denn die Bilderstrecke war zu Ende und es gab nur eine verwackelte Aufnahme eben jenes Eimers mit winkender, schwarzer Schlacke.
Die teeranische Hand am Boden glibberte so vor sich hin und richtete sich endlich auf. Erleichtert holte Daphne Luft.
»Sag' "Hallo".«
Die Hand schwankte, dann füllte sie sich mit Luft, schwoll an, als würde man in einen Latexhandschuh Luft blasen und platzte, die schwarzen Tropfen flogen in alle Richtungen, auch ins Publikum.
»Ha-oh.«